Salzstadt
Als Salz- oder Salinenstädte bezeichnet man solche Orte, in denen die innerstädtische Produktion von Salz in hohem Maße die lokale wirtschaftliche Struktur sowie die kommunale Identität prägte. Im Gegensatz zum billigen Massengut der Gegenwart besaß das „weiße Gold“ im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Konservierungsmittel und Handelsprodukt eine große materielle wie immaterielle Bedeutung. Die Salzherstellung konnte daher in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht die Lebenswelt der Stadtbürger beeinflussen.
Für die Salzgewinnung kamen verschiedene Verfahren zum Einsatz. Vor allem an der Atlantik- und der Mittelmeerküste ließ man Meerwasser in flachen Becken durch Sonneneinstrahlung verdunsten, bis sich Salz auskristallisierte (sog. Seesalz oder Baiesalz). Im Umfeld einiger Gebirgsstädte konnte Salz unter Tage, meist unter Zuführung von Wasser und durch anschließende Versiedung, gewonnen werden. Solche Bergsalinen gab es u.a. in Hallein bei Salzburg, Hall in Tirol und Wieliczka bei Krakau. Die meist verbreitete Form der Salzherstellung in Deutschland war die Versiedung von Sole, die aufgrund besonderer geologischer Bedingungen aus innerstädtischen Brunnen geschöpft werden konnte. Beim Vorhandensein von diesen – auch als Talsalinen bezeichneten – Salzwerken spricht man vorrangig von Salzstädten. Von überregionaler Bedeutung waren u.a. Lüneburg und Halle an der Saale.
Nach Werner Freitag (DNB) zeichnet sich der Typus der vormodernen Salzstadt durch vier Merkmale aus:
1. die enge Bindung der Kommune an den Stadt- bzw. Landesherrn infolge der Besitz- und Verfassungsstrukturen der Saline,
2. die Existenz eines abgetrennten Produktionsbezirks in der Stadt mit gesonderten Rechtsnormen,
3. die spürbare Ausrichtung des politischen Handelns im Stadtrat an den Bedürfnissen des Salzwerks,
4. die Entfaltung einer spezifischen Form von Oberschicht („Salzpatriziat“) aus denjenigen Familien, welche die Salzgewinnungsrechte in ihren Händen monopolisiert hatten.
Ein Blick auf die konkreten Verhältnisse vor Ort lässt allerdings erkennen, dass diese Merkmale in einem von Stadt zu Stadt recht unterschiedlichen Maße ausgebildet waren. Auch ist eine Dynamik im Zeitraum zwischen der Konsolidierung der Salzproduktion im Hochmittelalter und dem Ende des Ancien Régime in Rechnung zu stellen. Gleichwohl lassen sich die genannten Merkmale als analytische Kriterien zur Beschäftigung mit Salzstädten sinnvoll nutzen.
Hinsichtlich der Besitz- und Verfassungsstrukturen der Salzstädte ist eine große Heterogenität zu konstatieren. Während einige wenige Salinen unter direkter fürstlicher Regie standen und von landesherrlichen Amtsträgern betrieben wurden (u.a. das bayerische Reichenhall und das hessische Sooden-Allendorf), gingen in den meisten Salzwerken Besitzrechte und Verwaltungsbefugnisse im Laufe der Zeit von den adligen Grundherren in die Hand städtischer Familien über. In der Regel bildeten sich Personalgenossenschaften aus Stadtbürgern, die sog. Pfännerschaften, welche den Siedebetrieb organisierten und die finanziellen Erträge aus dem Salzverkauf abschöpften. Oft behielten allerdings die Landesherren über das Recht der Belehnung mit Salinenanteilen (z.B. in Halle), der Verpachtung von Siedehütten bzw. Sole (z.B. in Lüneburg) oder der außerordentlichen Besteuerung der Gewinne (z.B. im westfälischen Werl) einen gewissen Einfluss auf die Salzwerke.
Die Versiedung der Sole fand meist in einem abgegrenzten Areal innerhalb der Stadtmauern – möglichst in räumlicher Nähe zu den Solebrunnen – statt. Die Zahl der Siedehütten war von den lokalen Eigentums- und Verfassungsverhältnissen abhängig. Während im thüringischen Salzungen zwölf „Nappen“ und in Lüneburg 54 „Sülzhäuser“ betrieben wurden, lassen sich für Halle an der Saale ca. 110 „Koten“ und in Frankenhausen 117 „Sölden“ im Salinenbezirk nachweisen. Innerhalb der kleinen Holzhütten wurden Eisen- oder Bleipfannen befeuert und in ihnen die Sole verkocht. Die Salzherstellung war daher mit hohen Emissionen an Rauch, Ruß und Schmutz verbunden. Die komplexen Arbeitsabläufe erforderten zahlreiche normative Regelungen, wie die elaborierten Salinenordnungen zeigen. Innerhalb der Salzwerksbezirke galt oft ein Sonderrecht, das durch eigenständige Gerichtskollegien und Amtsträger (z.B. Talschöffen und Salzgräfen in Halle, Haalmeister in Schwäbisch-Hall) repräsentiert wurde.
Schon früh lässt sich in den meisten Salzstädten eine enge Verbindung zwischen den Inhabern der Siederechte und dem Stadtrat nachweisen. Vielfach gelang es den Pfännern, die in einigen Orten auch Sülzherren (Kolberg), Sülfmeister (Lüneburg) oder Sälzer (Werl) genannt wurden, die Besetzung aller oder eines großen Anteils der Ratsstellen zu monopolisieren. Dies konnte durch Wahlstatuten festgeschrieben sein oder gewohnheitsrechtlich erfolgen. Die Stadträte kümmerten sich daher in hohem Maße um die Belange der Salinen; mitunter waren politische Positionen der Pfännerschaften und des Rats kaum zu unterscheiden. Infolge von Stadtkonflikten im 15./16. Jh. und im Zuge landesherrlich initiierter Ratsreformen im 17./18. Jh. schwand mancherorts der Einfluss der Siedeberechtigten in den Magistraten. Dennoch blieben die Pfänner in der Regel bis zum Übergang zur Moderne ein Teil der auch als Stadtobrigkeit agierenden Eliten.
Im Zusammenhang mit der politischen Privilegierung der pfännerschaftlichen Gruppen ist auch deren sozialgeschichtliche Formierung zu sehen. Dabei lassen sich unterschiedliche Entwicklungen beobachten. In einigen Salzstädten entstanden relativ große, durch starke Mitgliederfluktuation geprägte Pfännerschaften, die eine besondere Nähe zum Landesherrn suchten (z.B. in Halle und Frankenhausen). Andernorts kam es seit dem 16. Jh. zur Adaption des süddeutschen Patriziatsdiskurses und zur ständischen Abschließung von pfännerschaftlichen Geschlechterverbänden (z.B. in Lüneburg und Kolberg). Einige kleinere Salzstädte erlebten eine konsequente Aristokratisierung der Pfännerschaften, was zum Übertritt der Siedeberechtigten in den Landadel führte (z.B. in Staßfurt bei Magdeburg und Werl). Jenseits der salzstädtischen Oberschichten ist eine sozialgeschichtliche Sonderentwicklung auch bei den Arbeitern der Salzwerke zu konstatieren. Diese waren oft in eigenen Genossenschaften zusammengeschlossen und prägten eine spezifische Identität aus. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die „Halloren“ (Salzwirker) in Halle an der Saale.
Im späten 17. Jh. und vor allem im Laufe des 18. Jhs. erlebten viele Salzstädte eine Zeit des Niedergangs. Veränderungen in den internationalen Strukturen des Salzhandels und Hemmnisse infolge merkantilistischer Wirtschaftspolitik ließen den Salzabsatz sinken. Zahlreiche Landesherren errichteten aus fiskalischen Erwägungen neue Salinen außerhalb der Städte, die mit geschultem Fachpersonal und verbesserten technologischen Verfahren betrieben wurden. Die alten pfännerschaftlichen Salzwerke litten unter dieser Konkurrenz; viele Siedeberechtigte mussten sich neue bzw. zusätzliche Einkommensquellen erschließen. Die Kennzeichen der vormodernen Salzstadt verschwanden zunehmend. In etlichen Orten wurden die solehaltigen Wässer seit dem 19. Jh. für einen Kur- und Badebetrieb genutzt, so dass die Bedeutung des Salzes – wenn auch in gewandelter Form – für diese Städte erhalten blieb.
Michael Hecht (1.9.2014)