„Gegenüber Muslimen nicht als Religionsaufklärer auftreten“
Philosoph Hermann Lübbe kritisiert deutschen Umgang mit Religionen, die neu ins Land kommen – Religionspolitik der USA erlaube dagegen Koexistenz von unvereinbaren religiösen Optionen – Vortrag am Exzellenzcluster über religionspolitische Unterschiede zwischen USA, Frankreich und Deutschland
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 8. Juni 2016
Deutschland sollte nach Einschätzung des renommierten Religionsphilosophen Prof. Dr. Hermann Lübbe gegenüber Religionen wie dem Islam, die durch Zuwanderung neu ins Land kommen, nicht als „Religionsaufklärer“ auftreten. „Im deutschen religionspolitischen Ordnungsmodell des Konsenses herrscht die Auffassung, Muslime sollten aus den Hinterhofmoscheen herausgeführt und an staatliche Aufklärungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten gebracht werden. Erst dann, so denkt man, werden sie zu Bürgern unseres Landes“, sagte der Philosoph von der Universität Zürich am Dienstagabend am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in Münster. Während ein Land wie die USA eine starke Koexistenz von durchaus unvereinbaren Religionen und Konfessionen ermögliche und erlaube, suche Deutschland vergeblich ein „Maximum an Konsens“ zwischen den Religionen. Der Vortrag trug den Titel „,Amerika, du hast es besser!‘ – Religionspolitische Aufklärung im Vergleich“.
„Das religionspolitische System der USA hat seit den Anfängen die große Fähigkeit, eine in Europa nirgends gekannte Fülle verschiedener Religionen aufzunehmen“, führte der Wissenschaftler aus. Aus dem Freiheitswillen der Amerikaner ergebe sich „eine maximale Zulassung von unvereinbaren religiösen Optionen und Konfessionen“. Im Unterschied zur kooperativen Ausgestaltung zwischen Staat und Kirche in Deutschland halte sich der Staat in den USA daran, sich nicht in die religiösen Angelegenheiten seiner Bürger einzumischen. Der Unterschied der US-amerikanischen Religionspolitik zur deutschen könne damit nicht größer sein, hob der Religionsphilosoph hervor. Die US-amerikanische Religionsfreiheit lasse sich als eine Ordnung der „Koexistenz des Unvereinbaren“ beschreiben.
Der Wissenschaftler führte aus, dass die US-amerikanische Religionspolitik zu Unrecht häufig mit der französischen gleichgesetzt werde. Das amerikanische System der Trennung von Staat und Kirche könne nicht mit dem französischen Laizismus verglichen werden. „Laizismus drängt das religiöse Lebens ins Private und macht es öffentlich unsichtbar. Genau davon kann in den USA keine Rede sein.“ Vielmehr sei die amerikanische Öffentlichkeit religiös geprägt und auch das politische Leben von Religion mitbestimmt. Als Beispiel für die verbreitete „Zivilreligion“ nannte Prof. Lübbe die Tatsache, dass bislang jeder neu gewählte Präsident für den Amtseid seine Hand auf die Bibel gelegt habe. „Das ist kein Staatsritus, sondern zeigt die vorherrschende Meinung, dass sich dieses Amt ohne Gottes Hilfe schlecht ausführen lässt.“ Einem muslimischen Präsidenten würde nach den Worten des Philosophen vermutlich der Koran gereicht.
Der Philosoph gab in seinem Vortrag in der öffentlichen Ringvorlesung „Religionspolitik heute“ des Exzellenzclusters und des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der WWU zunächst einen historischen Überblick über die religionspolitische Aufklärung Europas und zog danach Vergleiche zwischen unterschiedlichen religionspolitischen Ordnungsmodellen der USA und Deutschlands. Er zog zudem Vergleiche zu Frankreich.
Hermann Lübbe ist emeritierter Professor für Philosophie und Politische Theorie an der Universität Zürich. Zu seinen Arbeitsgebieten zählen Religion in Modernisierungsprozessen sowie Expertenwissen und Gemeinwissen. Von 1975 bis 1978 war der Wissenschaftler Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie. Von 1966 bis1970 war er darüber hinaus Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, zuletzt beim Ministerpräsidenten des Landes. Er ist Mitglied der Wissenschaftsakademien zu Berlin, Mainz und Düsseldorf sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste zu Salzburg, Mitglied des internationalen Autorenverbandes P.E.N. 1996 erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
Die Ringvorlesung befasst sich mit aktuellen Fragen der Religionspolitik. Ziel der Vorträge und Podien ist es, Grundsatzfragen sowie aktuelle Konflikte und Lösungen zu erörtern, auch im internationalen Vergleich. Die Reihe bringt Wissenschaft, Politik, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften durch Vorträge und Podiumsdiskussionen ins Gespräch.
Am Dienstag, 14. Juni, spricht der Soziologe Prof. Dr. Matthias Koenig von der Universität Göttingen über „Regulierung religiöser Diversität in Europa. Trends und Dynamiken“. Der Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. (ska/vvm)