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Münster (upm/ja)
Stephan Völlmicke<address>© WWU - privat</address>
Stephan Völlmicke
© WWU - privat

Im Angesicht des Todes

Kommunikationswissenschaftler hat Tatort-Krimis analysiert / "Die Todesdarstellungen sind heute viel direkter"

Gestorben wurde im Tatort schon immer. Aber wie? Früher eher bedächtig: Von den Leichen waren meist nur die Umrisse und die Kleidung zu sehen. Heute hält die Kamera beim deutschen Krimiklassiker voll drauf: Gewaltmale, ein entstelltes Gesicht, Verwesungserscheinungen, eine Blutlache. Und: Die Gerichtsmedizin gehört heute wie selbstverständlich dazu – früher undenkbar. Manchmal sind Pathologen oder Forensiker sogar Teil des Ermittlungsteams. "Im Verlauf der untersuchten 40 Jahre hat sich die Bebilderung des Todes deutlich verändert. Die Todesdarstellungen sind heute so intensiv und direkt wie nie zuvor", fasst Stephan Völlmicke die Ergebnisse seiner jüngst abgeschlossenen Doktorarbeit zusammen.

In akribischer und monatelanger Kleinarbeit hat sich der 35-jährige Kommunikationswissenschaftler der Universität Münster die Tatorte aus vierzig Jahren angeschaut und analysiert.  Titel der Arbeit: "Vierzig Jahre Leichenshow – Leichenschau. Die Veränderung der audiovisuellen Darstellung des Todes im Fernsehkrimi TATORT vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels im Umgang mit Sterben und Tod."

Seine Dissertation gibt dabei nicht nur Auskunft über veränderte Todesdarstellungen, sondern auch über den Umgang der Menschen mit Tod und Sterben damals und heute. "Der Tatort war schon immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die aktuellen Todesdarstellungen sind ein Seismograph für den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod", sagt Stephan Völlmicke. Indem die aktuellen Todesdarstellungen im Tatort zum Großteil ein rein wissenschaftliches, biologisches Todesbild vorführten, korrespondierten sie genau mit der in allen gesellschaftlichen Teilsystemen zunehmend rein naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise des Todes.

Stephan Völlmicke hat beispielhaft 82 Tatorte von WDR und NDR genau angeschaut und dabei an die 2220 Einstellungen zu Tod, Sterben, Blut & Co. Sekunde für Sekunde protokolliert – fast acht Monate dauerte allein dieser Teil seiner Doktorarbeit. Die Filmprotokolle und Standbilder von Leichenfundorten und Untersuchungstischen in der Pathologie bringen es auf  etwa 700 Seiten Anhang der insgesamt rund 1200 Seiten umfassenden Dissertation.

"Feststellen lässt sich zum Beispiel an den Kameraeinstellungen, dass mehr und mehr Groß- und Detailaufnahmen von Leichen Einzug  gehalten haben, und dass solche Einstellungen häufiger und länger zu sehen sind. "Alles ist sehr direkt im Fokus der Kamera, so dass sich die filmische Distanz zum toten Körper enorm verringert hat", berichtet der Tatort-Experte. Zugleich hat der Anteil an medizinischen Fachtermini in den Dialogen der Protagonisten über die Jahrzehnte rapide zugenommen. "Ebenfalls ein Indiz dafür, dass die Todesdarstellungen immer mehr in einen rein naturwissenschaftlich geprägten Kontext gerückt werden."

Die Gerichtsmedizin als Ort der Ermittlung komme jahrelang gar nicht vor, sie gebe es erst seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. "Seit dieser Zeit haben sich gerichtsmedizinische Darstellungen dann auch noch etwa vervierfacht", hat der Wissenschaftler ermittelt. "Die mehrfache Präsentation der Gerichtsmedizin im Tatort ist letztlich nichts anderes als der Ausdruck der zunehmenden medizinisch und naturwissenschaftlich geprägten Definition des Todes."

Die Gründe für die zunehmenden und drastischeren Todesdarstellungen im Fernsehen sind laut Völlmicke nicht ausschließlich auf den hohen Unterhaltungswert und ökonomische Faktoren wie die Quote zurückzuführen, sondern speziell der alltägliche Umgang mit den Themen Sterben und Tod haben einen wesentlichen Einfluss auf das mögliche Darstellungsspektrum von Tod im Fernsehen. "Die ausgeprägten und direkten Darstellungen der Leichen im Tatort sind gleichzeitig ein Ausdruck der Profanisierung des Todes in der Gesellschaft", meint der 35-Jährige.

Ein weiteres Ergebnis seiner langwierigen Arbeit: Zeitweise hat er privat keinen Tatort mehr sehen mögen. "Jetzt gucke ich mir gelegentlich die in dieser Zeit aufgenommenen und liegen gebliebenen Krimis an. Am liebsten den aus Köln."

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