Sprengstoff. Dynamit und seine Nachfolger in Literatur, Film und Popmusik als Motiv und ästhetisches Verfahren

Antragsteller: Jasper Stephan
Fachbereich, Studienrichtung: Fachbereich 09, Germanistisches Institut, Masterstudiengang Kulturpoetik der Literatur und Medien
Projekttitel: Sprengstoff. Dynamit und seine Nachfolger in Literatur, Film und Popmusik als Motiv und ästhetisches Verfahren
Fördersumme: 2.525,40 Euro
Kontakt: Jasper Stephan

Projektbeschreibung:

"Sprengstoff" - das bedeutet "Zerstörung". Ein immenses Zerstörungspotenzial wird auf kleinstem Raum verdichtet. Sprengstoffe verheißen Gefahr, Terror und Krief, als Atombomben vielleicht sogar Weltvernichtung.
All das assoziieren wir ganz automatisch mit "Sprengstoff". In diesen Diskursen (Terror, Krieg, etc.) erscheint Sprengstoff vor allem als Mittel zum Zweck und der Zweck eben als Destruktion. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wo Sprengstoff nämlich nicht mehr als industrielles Produkt, sondern als Zeichen Eingang in Literatur, Film, Comic und Musik findet, erweitern sich seine Bedeutungsmöglichkeiten erheblich: Sprengstoff kann erheitern, mit spektakulären Explosionen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Spannung erzeugen oder auch metaphorisch etwa sexuelle Potenz zum Ausdruck bringen - ganz ohne dabei zerstörerisch zu wirken.

Um Sprengstoff als eigenständigem Problemkomplex nachzugehen, versammelten sich sieben Studierende des Masterstudiengangs Kulturpoetik und sechs Forschende aus den deutschsprachigen Literatur- und den Medienwissenschaften (aus Kiel, Leipzig, Münster und Passau) am 7. und 8. Juni 2018 zur Tagung "Sprengstoff. Dynamit und seine Nachfolger in Literatur, Film und Popmusik als Motiv und ästhetisches Verfahren" in der Aula des Germanistischen Instituts der WWU Münster. In zehn ganz unterschiedlich ausgerichteten Vorträgen und konzentrierten Diskussionen wurde sich dem Komplex "Sprengstoff" in den zwei Tagen immer wieder neu genähert. Es galt dabei, möglichst Aspekte abseits der dominanten Diskurse, in denen Sprengstoff auftaucht (Krieg, Terror), hervorzuheben, und so eine mögliche Eigenständigkeit dieser spezifischen Forschungsperspektive aufzuzeigen. Durch möglichst heterogene Gegenstände sollte außerdem die Breite des Komplexes herausgearbeitet werden. Diese Zielsetzungen wurde vollends erfüllt: Die Gegenstände reichten von der Literatur des Expressionismus, Klassikern der Filmgeschichte sowie Low-Budget-Filmen und Literatur aus dem "Atomzeitalter", über Pop-Musik und Punk-Literatur bis hin zu US-amerikanischem Cartoon, zeitgenössischem Superheldenfilm und Quality-TV-Serien.

In den Vorträgen von Markus Wiegandt („Literarische Explosionen. Vom Bau einer Echokammer für die Literatur“) und Vera Bachmann („Energie der Zerstörung. Metaphoriken der Explosion im Expressionismus“) erörterten es vor allem das Verhältnis von Metaphorik und Motivik der Explosion im Zusammenhang mit künstlerischen Manifesten und deren konkret literarischer Umsetzung.
Sebastian Berlich und Johannes Ueberfeldt („‚Ganz harmlos — bis es explodiert‘. Beschleunigung, Brückenbau und eine Bombe in David Leans The Bridge on the River Kwai [1957]“) und auch Markus Kuhn („Narratives Nitroglycerin: Zum Verhältnis von Sprengkraft und Spannung im Film Le salaire de la peur [1953] und dessen Remake Sorcerer [1977]“) widmeten sich dem Phänomen handlungsbezogener Dynamisierung im Film mittels Sprengstoffs sowie der Spannungserzeugung auf discours-Ebene.
Dagegen beschäftigten sich Georg Löwen („Nach der Bombe. Die Etablierung apokalyptischen Bewusstseins angesichts der Atombombe in den 1950er Jahren am Beispiel von Five [1951]“), Karolin Baumann („Sprengsätze. KAFF auch Mare Crisium (1960) als Seismogramm atomarer
Erschütterungen“) und Irene Husser („Big Bang. Ursprungsszenarien der Atombombe in Twin Peaks [2017]“) jeweils auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Phänomen Atombombe und damit verknüpften Diskursfeldern, wie etwa der Apokalyptik, dem Kalten Krieg oder auch der Herkunft von Gutem und Bösem.
Marietheres Wagner („Mr. Dynamite in Dublin. James Brown und seine Bedeutung in The Commitments — Ein Vergleich zwischen Buch und Film“) versuchte in ihrem Vortrag aufzuzeigen, wie sich eine Sprengstoffmetaphorik aus der Popmusik mit dem Konzept der Heldenreise aus der Dramaturgie sowie dem Ereignisbegriff der semiotischen Narratologie verbinden lässt.
Schließlich stellte Matthias C. Hänselmann („Explosive Zeichentrickkomik. Zum Sprengstoffgebrauch im klassischen amerikanischen Cartoon“) die Entwicklung des Bomben-Gags im US-amerikanischen Cartoon vor und Fabian Köster und Inga Schwemin („The Walk-Away“) untersuchten den Zeitpunkt spektakulärer Explosionen als Möglichkeit für Coolness-Effekte, ironische Distanzierung und Medienreflexivität im zeitgenössischen Superheldenfilm.

Schnell stellte sich eine angenehme Workshop-Atmosphäre ein, bei der Referent_innen und Tagungsbesucher_innen in gemeinsamen Diskussionen versuchten, ein abstraktes Modell zu erarbeiten, um das Phänomen insgesamt zu beschreiben. Nach jedem weiteren Vortrag wurde klarer, dass sich besonders die Verknüpfung von Sprengstoff mit unterschiedlichen Facetten des ‚Zeit‘-Begriffs für fruchtbare Analysen eignete. Daran anschließend wurde eine erste Untergliederung der Diskursfelder in die zeitliche Ordnung von drei Sprengstoff-Phasen versucht: 1. Vorher/Bedrohung – 2. Während/Explosion – 3. Nachher/Wirkung. Diese simple Dreiteilung ließe sich weiter ausdifferenzieren, bringt aber bereits zweierlei zum Ausdruck: Erstens heißt dies nämlich, dass jede Phase mehr oder weniger eigenständig ist. Folglich muss nicht jede Sprengstoff-Phase in einem kulturellen Produkt repräsentiert sein. Zweitens erleichtert das Modell, die Beziehung bestimmter Diskursfelder zu den einzelnen Phasen auszuwerten. Wo Spannung mithilfe eines Bombenmotivs generiert wird, steht die Bedrohungsphase absolut im Vordergrund. Die Explosion oder auch die Entschärfung der Bombe lösen diese Spannung, weshalb sie nicht als Höhepunkte, sondern als mögliche Katharsis fungieren. Wenn dagegen im klassischen Actionfilm dutzendweise Explosionen gezeigt werden, spielen oft genug weder die Bedrohung noch die Wirkung eine tatsächliche Rolle.
Auch während der Kaffeepausen und des gemeinsamen Abendessens wurde der Tagungsgegenstand noch angeregt diskutiert und erörtert. Zum Abschluss der Tagung konnten so viele Erkenntnisse zusammengeführt werden, wenngleich vor allem deutlich wurde: der Komplex ‚Sprengstoff‘ ist noch längst nicht erschöpft und erfordert eine weitergehende Beschäftigung in ähnlichem Format.

Im Nachgang zur Tagung wurden von den Teilnehmenden das innovative Thema sowie die reibungslose Projekt-Organisation gelobt. Für den Sammelband, der im Anschluss an die Tagung entstanden ist, konnten zusätzlich zu den Referent_innen noch die Kulturpoetik-Studierenden Hendrik Günther und Frederik Tebbe als Beitragende gewonnen werden, womit der Blick auf den Problemkomplex weiter ausdifferenziert und so ein weiteres Antragsziel erfüllt werden konnte. Dank guter Kommunikation und Arbeit aller Beitragenden kam so recht zügig ein Sammelband zustande, der auf vielfältige Weise das Themenfeld ‚Sprengstoff‘ zum Ausgangspunkt wählt, um an unterschiedlichen Aspekten die poetische Produktivität dieser technischen Erfindung sichtbar zu machen. Im September 2019 erscheint der Sammelband unter dem Titel „Sprengstoff. Motive und Verfahren in Literatur und Medien“ im Würzburger Verlagshaus Königshausen & Neumann. Mit der Veröffentlichung wird die im Antrag angestrebte Sichtbarkeit der Forschungsergebnisse erzielt, während mit dem großen Anteil von Kulturpoetik-Studierenden unter den Beitragenden gleichzeitig auf den Erfolg der Lehre und die Förderung studentischer Initiativen an der WWU Münster aufmerksam gemacht wird.

Ich bedanke mich herzlich für die Förderung des Projekts durch das Rektorat der WWU Münster im Rahmen des Programms „Forschungsprojekte Studierender“ sowie für die zusätzliche finanzielle Unterstützung der Publikation durch die Universitätsgesellschaft Münster e.V. Auch bedanke ich mich beim Dekanat des Fachbereichs 09 für die Übernahme der angefallenen Verpflegungskosten.
Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls ‚Literatur und Medien‘ unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Blödorn, die mich in allen Phasen des Projekts tatkräftig unterstützt haben.
Schließlich danke ich meinen Ansprechpartnerinnen Linda Dieks und Anna Maria Feldhaus von der Geschäftsstelle „Forschungsprojekte Studierender“ innerhalb der Forschungsförderberatung SAFIR, mit deren engagierter Hilfe sich die noch unbekannten Aufgaben der Antragstellung, Abrechnung und sonstigen Projekt-Koordination – nicht ohne Mühe, aber doch deutlich leichter – bewältigen ließen.

Tagung "Sprengstoff"

© J. Stephan
  • © J. Stephan
  • © J. Stephan
  • © J. Stephan