Erfolgreich distanziert

Die Fakten – ein Theologe, der kurz vor Weihnachten mit dem Leibniz- Preis den wichtigsten deutschen Wissenschaftspreis erhält und ohnehin als Forscher sehr schnell und früh vieles erreicht hat – könnten suggerieren, dass ein Porträt über Prof. Dr. Michael Seewald ein einfaches Unterfangen, gar ein Selbstläufer werden würde. Doch so leicht macht es einem der Dogmatiker und Dogmenhistoriker der Katholisch-Theologischen Fakultät nicht.
Das liegt daran, dass Michael Seewald zu vielem, etwa Titeln, Preisen, Zuschreibungen und sogar seinem Fach, eine Distanz einnimmt. Selbst bei seiner Biografie im Wortsinne, also der Beschreibung seiner Lebensgeschichte, hält er es so. „Selbstbespiegelung oder die Idee, dass es so etwas wie schicksalhafte, biografische Verkettungen gibt, sind mir fremd. Ich suche nicht nach roten Fäden in meinem Leben“, erklärt der Theologe. Das wirkt weder wie eine bewusste Untertreibung noch wie eine zwanghafte Unnahbarkeit. Es scheint schlicht Dinge zu geben, denen Michael Seewald kein (großes) Gewicht beimisst. Unwichtig oder uninteressant müssen sie deshalb aber nicht sein: 1987 in Saarbrücken geboren und dort mit deutscher und französischer Staatsangehörigkeit aufgewachsen, studierte Michael Seewald in Tübingen, Pune (Indien) und Frankfurt am Main katholische Theologie, Philosophie und Politikwissenschaft. In München promovierte er, habilitierte sich dort nach längeren Studienaufenthalten in Boston und folgte 2017 einem Ruf an die Universität Münster. Als Abiturient gewann er den Bundeswettbewerb „Jugend debattiert“, 2013 ließ er sich zum Priester weihen. Seit 2022 ist er Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und seit Januar 2024 Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Auch wenn Michael Seewald die beschriebenen Rollen als „Aufkleber“ bezeichnet, lassen sie sich für dieses Porträt nutzen. So formuliert der 37-Jährige, angesprochen auf „Jugend debattiert“, dass es ohne Debatten einfach nicht gehe und es ihm ein Ansporn sei, erst recht zu debattieren, wenn jemand eine Diskussion für beendet erkläre. Besonders in seinem Fach, der Dogmatik, komme es immer wieder vor, dass Personen „Lehrämter“ beanspruchten, um „autoritativ vermeintliche Wahrheiten“ zu verkünden. Darum gehe es ihm weder als Hochschullehrer und Wissenschaftler noch wenn er gelegentlich als Priester in Erscheinung tritt. „Wichtig ist immer die überzeugende Kraft des besten Arguments.“ Da kommt ihm die Ausbildung als Philosoph gelegen, gehe es in dem Fach doch um „analytische Klarheit von Aussagen“.
Dafür braucht Michael Seewald die Sprache. Sein Anspruch: klare und ansprechende Texte schreiben. Nicht im kitschigen Sinne, sondern in „Form von schlichter Schönheit“, wie er sie täglich, nach manch unbefriedigender wissenschaftlicher Lektüre, in „schöner Literatur und Musik“ suche. In dieser Abgrenzung zu anderen, ihren mitunter langweiligen Texten, und dem Wunsch, es anders zu machen, liegt eine Besonderheit, die Michael Seewald eine „ironische Distanz zur Theologie und meinem Beruf“ nennt. Vielleicht, so zurückhaltend formuliert er es weiter, sei diese Herangehensweise ein Grund dafür, dass etwa seine Bücher oder manche seiner bewusst reduziert gehaltenen Medienauftritte einen „Nerv zu treffen scheinen“, in denen er in der Außenwahrnehmung entweder „andere Dinge“ oder „Dinge anders“ erzähle. Michael Seewald präzisiert im Gespräch fortwährend seine Aussagen und formuliert andere Sichtweisen, nimmt sie vorweg, um den Gegenstand gleichsam ein wenig fernzuhalten. Zum Beispiel den Erhalt des Leibniz-Preises: Er habe schlicht Glück gehabt, da andere auch fähig seien, ihn aber nicht bekämen. „Ich habe ein abgeklärtes Verhältnis zu Auszeichnungen und Titeln“, betont er in gewohnt distanzierter Art.
Diese Haltung lässt durchaus danach fragen, wie dieser erfahrene und zugleich immer noch recht junge Wissenschaftler so viel erreicht haben kann, ohne dass er von sich sagen würde, dass er im klassischen Sinne ehrgeizig sei. Michael Seewald wäre sicher gegen diese Psychologisierung, aber vielleicht liegt so manches an seiner Herkunft. Denn besonders lebhaft spricht er von seiner Heimat, dem Saarland. Hört man ihm zu, bekommt man den Eindruck, dass es als „Zwischen- und Grenzraum“ eine besondere Identität ausgeprägt hat. Nicht voll und ganz deutsch, nicht voll und ganz französisch, sondern eigen – etwas distanziert eben.
André Bednarz
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2025.
Download der gesamten Broschüre als pdf-Datei
Zu den anderen Artikeln der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“.