Moderator und Makler
Man darf davon ausgehen, dass Prof. Dr. Hinnerk Wißmann am frühen Nachmittag des 17. Oktober 2018 noch unter dem Eindruck seiner soeben erfolgten Wahl zum neuen Senatsvorsitzenden der Universität Münster stand, als er einige Minuten später über einen Antrag der Studierenden abstimmen ließ. Er ahnte vielleicht schon damals, dass die Zustimmung des Senats zu diesem Antrag seine Arbeit für das Gremium in den kommenden Jahren maßgeblich bestimmen würde – zudem mit einem weitreichenden Ende. Die Studierenden hatten dafür plädiert, dass die Universität „einen historisch-kritischen Umgang“ mit ihrem Namensgeber, Kaiser Wilhelm II., entwickeln sollte. Viereinhalb Jahre später, genau am 5. April 2023, votierte der Senat mit Hinnerk Wißmann an der Spitze mehrheitlich für eine Umbenennung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in „Universität Münster“ – mit der Genehmigung durch das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium am 3. Mai 2023 war der 1907 verliehene Name Geschichte.
„Kaiserlos“, kommentierte der WDR seinerzeit, eine Zäsur, die bundesweit für großes Interesse sorgte. Der Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann war also vom ersten bis zum letzten Tag unmittelbar an diesem für die Universität einschneidenden Entscheidungsprozess beteiligt. „Es war der richtige Weg“, betont er, „weil es eine Debatte mit offenem Ausgang war und weil wir es uns nicht leicht gemacht haben. Die große allseitige Gelassenheit nach unserem Beschluss spiegelt das wider.“
Selbstverständlich war die Entscheidung noch offen, als die zunächst eingesetzte Arbeitsgruppe unter Leitung des Historikers Prof. Dr. Olaf Blaschke im Februar 2020 ihren Abschlussbericht vorlegte. Aber es gab den einen Halbsatz in diesem Dossier, der schon damals vermuten ließ, dass es schwerfallen würde, Wilhelm II. als Namensgeber beizubehalten. Es bestehe kein Zweifel, hatte die AG den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst, „dass Wilhelm II. überaus militaristisch und geradezu obsessiv antisemitisch war“. Ein Projektteam organisierte fortan unter dem Titel „Zur Sache WWU“ Diskussionen, eine Ausstellung und vieles mehr, auf einer Projektseite im Internet konnte jedermann Kommentare veröffentlichen, ein wissenschaftlicher Beirat diskutierte jedes Für und Wider und alle denkbaren Varianten. „Es lag förmlich in der Luft, dass wir uns am besten in dem schlichten Namen ,Universität Münster‘, der ja zugleich unser Gründungsname ist, sowohl historisch als auch mit Blick auf die Zukunft wiederfinden“, fasst Hinnerk Wißmann die Überlegungen zusammen. „Universitas als Gesamtheit der Wissenschaften, als ein Ort der Internationalität und des Austauschs – dieser Gedanke eint uns alle.“
Es war keineswegs allein dieser Prozess im Senat, der den Verwaltungs- und Verfassungsjuristen Hinnerk Wißmann, der seit 2013 an der Universität Münster einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht innehat, beeindruckt hat. Es sei gleichermaßen herausfordernd und anregend, als Vorsitzender die Verschiedenheit der Statusgruppen und der Fächerkulturen zu moderieren, mit Respekt und mit offenem Visier. „Ich will dabei ein ehrlicher Makler sein. Ich will Entscheidungsangebote machen und zusammenführen, was möglichst viele mittragen können. So gesehen, war der Prozess der Namensänderung ein großartiges Beispiel dafür, wie der Senat idealerweise arbeitet“, unterstreicht der gebürtige Hannoveraner. Und schiebt einen bemerkenswerten Satz hinterher: „Ich liebe den Senat – denn in diesem Forum kommt unsere Universität zu sich selbst.“ Der 52-Jährige hat an insgesamt neun Universitäten studiert und gearbeitet und steht regelmäßig mit anderen Senatsvorsitzenden im Kontakt. Nirgendwo sonst kenne er eine solch ausgeprägte Wertschätzung zwischen Rektorat, Hochschulrat und Senat sowie die Bereitschaft, „sich gegenseitig zu vertrauen“. Für die Universität Münster ergebe sich dadurch ein „klarer Standortvorteil“.
Als Senatsvorsitzender muss Hinnerk Wißmann ständig ansprechbar sein, ungefähr einen Arbeitstag pro Woche kalkuliert er für dieses Gremium ein. Seine Aufgaben an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und in der nationalen wie internationalen Fachgemeinschaft sind deswegen nicht weniger geworden. Vielleicht gönnt er sich zu gegebener Zeit ein zusätzliches Semester für die Forschung. „Irgendwann mal“, sagt er und lächelt. Er kann warten, schließlich ist ihm der Senat buchstäblich ans Herz gewachsen …
Norbert Robers
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.
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