Spaß am Knobeln
Bereits in der Schule hat Eva Viehmann sich für Mathematik begeistert. Motiviert durch ihren Vater, der ebenfalls Mathematiker ist, wurde zuhause gemeinsam über den Tellerrand der schulischen Mathematik geschaut. „Diese Disziplin hält so viel mehr bereit als nur Rechnen: Nachdenken über Zusammenhänge von Zahlen und geometrischen Objekten oder Knobelaufgaben. Mir hat das schon damals Spaß gemacht und tut es heute immer noch“, erzählt Eva Viehmann, die seit Februar 2022 an der Universität Münster forscht und lehrt. Man spürt die Begeisterung, wenn man mit der 43-Jährigen über ihre Arbeit spricht oder sie bei Vorlesungen und Seminaren beobachtet. Und diese Leidenschaft und ihre Fähigkeiten überzeugten auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Mathematikerin im Dezember mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis auszeichnete.
In den vergangenen Jahren forschte Eva Viehmann vor allem zur arithmetischen algebraischen Geometrie im Rahmen des „Langlands-Programms“. Das 1967 von dem Kanadier Robert Langlands aufgestellte Programm besteht aus einer Reihe von weitreichenden Vermutungen, die die Zahlentheorie und die Darstellungstheorie miteinander verknüpfen. „Dieses Verfahren gehört zu den faszinierendsten Gebieten der theoretischen Mathematik und ist noch längst nicht vollständig erforscht“, erklärt Eva Viehmann. Es umfasst scheinbar geheimnisvolle Verbindungen zwischen Zahlentheorie, also der Theorie der ganzen Zahlen, auf der einen Seite und Darstellungstheorie, die sich grob gesprochen mit Symmetrien befasst, auf der anderen Seite.
Dass Eva Viehmann eine Könnerin in ihrem Fach ist, davon zeugen zahlreiche weitere Preise und Auszeichnungen, darunter zwei ERC-Grants des Europäischen Forschungsrats. Doch wichtiger ist ihr die Anerkennung durch Fachkolleginnen und -kollegen. „Es macht mich glücklich, wenn andere Wissenschaftler, die etwas von meiner Arbeit verstehen, mit meinen Forschungsergebnissen etwas anfangen können und weiter damit arbeiten“, betont sie. Schließlich gehe es in der Wissenschaft vorrangig darum, gemeinsam Projekte voranzubringen, Wissen zu vermehren, zu prüfen und vorhandene Erkenntnisse auszubauen.
Darüber hinaus vermittelt sie ihre Arbeit auch außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise, beispielsweise in Podcasts, Videos oder Interviews. Es ist ihr wichtig, dass der Zugang und das Image der Mathematik sich ändern. Für Erfolge in der Mathematik sind Geduld und Ausdauer entscheidende Faktoren. „Wir nutzen nicht die eine Methode oder das eine Verfahren, um zu rechnen. Vielmehr versuchen wir zu verstehen, was hinter den Dingen steckt und wie man das eigentliche Problem angehen kann“, erklärt sie ihre Arbeit. Das könne durchaus Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen. Manchmal müsse man sogar ein Forschungsprojekt abbrechen und sich eingestehen, dass man in einer Sackgasse steckt. Umso erfreulicher ist es, wenn man nach einer langen Zeit einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt und diesen mit seiner Fach-Community auf der ganzen Welt teilen kann.
Nach wissenschaftlichen Stationen unter anderem in Bonn und München kam sie vor rund zwei Jahren nach Münster. „Unter Mathematikerinnen und Mathematikern herrscht grundsätzlich ein solidarisches und tolerantes Gemeinschaftsgefühl. In Münster erlebe ich dieses Miteinander besonders intensiv – diese Offenheit und Kollegialität ist nicht selbstverständlich“, sagt Eva Viehmann. Zudem biete Münster ein ideales Forschungsumfeld in ihrem Forschungsgebiet der reinen Mathematik, zu der beispielsweise die Algebra, die Topologie, die Funktionalanalysis und die Zahlentheorie gehören. Im Institut sitzt sie Tür an Tür mit Kollegen, die zu sehr verwandten Gebieten arbeiten. Mit dem mit rund 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis kann sie ihre Arbeitsgruppe nun nach ihren Vorstellungen ausbauen. „Es ist großartig, dass ich jetzt weltweit exzellenten Wissenschaftlern anbieten kann, nach Münster zu kommen und gemeinsam zu forschen. Das schafft mir den Freiraum, das zu tun, worauf ich wirklich Lust habe“, betont die Mathematikerin. Denn wissenschaftliche Ziele habe sie noch reichlich. „Der Drang nach Erkenntnis und Verständnis von ungelösten Problemen ist mein Antrieb. Ich werde nie müde, weiter zu knobeln.“ Ob mit Fachkollegen am Institut oder mit ihren Kindern zu Hause – ähnlich, wie sie es damals zu Schulzeiten erlebt hat.
Kathrin Kottke
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.
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