Von einer Wäscherei zu einer Bibliothek?!
"Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Die Überschrift meiner kleinen Ausführung hat natürlich ein provozierendes Fragezeichen, eine Frage, die eigentlich durch das folgende Ausrufungszeichen schon beantwortet ist: Nämlich positiv, ja!
Dennoch bleiben bei einer Überlegung, ob man aus einer Klinikwäscherei eine Bibliothek machen kann, sicherlich manche offene Fragen. Sofern Kliniken im Lauf von Jahrzehnten erweitert wurden oder wie hier in Münster ein zusätzliches Großklinikum zu den bestehenden Einrichtungen neu errichtet wurde, ist irgendwann auch eine Versorgungseinrichtung durch weitere Anbauten oder Modernisierungen nicht mehr voll leistungsfähig, eine ganz neue zentrale Wäscherei zum Beispiel muss her, die die Aufgaben der alten voll übernimmt und das alte Gebäude somit freisetzt.
Und damit beginnt die Geschichte der Zentralen Medizinbibliothek oder der Zweigbibliothek Medizin.
Zur Terminologie ein kurzes Wort: Weil der Anteil an Medizinliteratur aus der zentralen Universitätsbibliothek den Grundstock des Bestandes darstellt, die Verwaltung der Einrichtung nur von ausgebildeten Bibliothekaren aus der UB bewerkstelligt werden konnte, ist diese Einrichtung natürlich ein Teil der Universitätsbibliothek, und deswegen nach den hier üblichen Termini eine Zweigbibliothek. Die Mediziner hätten es lieber gehabt und sprechen auch häufig von einer zentralen Medizinbibliothek, was zum Ausdruck bringen soll, dass es neben den dezentralen Instituts- und Klinikbibliotheken, soweit sie noch bestehen, jetzt eine zentrale Medizinbibliothek gibt. Meine Mitarbeiter und ich selber arrangieren uns mit beiden Ansprüchen, indem wir dann von der ZB-Med sprechen, sicherlich in Anlehnung an die übliche Bezeichnung für Köln, für uns aber, weil man die Abkürzung auflösen kann als Zweigbibliothek Medizin oder aber Zentralbibliothek Medizin.
Die Geschichte des Hauses hat auch noch einen kleinen Prolog. Als seinerzeit die UB einen Neubau bekam, der Anfang der 60-er Jahre geplant wurde und 1973 bezogen werden konnte, sollte dieses Haus natürlich im Stadtgebiet zu den einzelnen Einrichtungen relativ zentral liegen. Die Topographie stimmte damals zwar, aber der Bauplatz war so klein und die städtischen Auflagen taten ein übriges, dass von vorneherein abzusehen war, dass das Gebäude innerhalb von 20 Jahren hoffnungslos überfüllt sein würde. Man hat von seiten der Bibliothek den Plänen nur zugestimmt, weil man den zusätzlichen Bau einer Dependance für die Medizin und Naturwissenschaften in der Nähe dieser Einrichtungen zugesagt hatte. Kapazität ca. 1/2 Mill. Bände. Diese Zusage ist nie eingehalten worden, und schließlich stand auch der Bauplatz nicht mehr zur Verfügung. Ein Parkhochhaus wurde als dringlicher und auch nicht so teuer angesehen.
Für die UB kam denn jede Möglichkeit der Auslagerung von Beständen in sogenannten Zweigbibliotheken sehr gelegen.
Aber zurück zur Geschichte dieses Hauses. Als Ende der 70-er Jahre die Fertigstellung des Großklinikums abzusehen war, es wurde doch noch 1980-83 bis zum Umzug, da begann man sich in der Klinikverwaltung, im Dekanat und andernorts Gedanken darüber zu machen, was mit den freiwerdenden Altgebäuden geschehen sollte und könnte. Unter anderem bildete sich auch eine Kommission zur Überlegung, wie ein lange gehegter Wunsch, nämlich den Bestand an Medizinliteratur und vor allem die Medizinliteratur der Lehrbuchsammlung näher an die Medizinischen Einrichtungen heranzubekommen, weil man wegen des hohen Verkehrsaufkommens und der Nichtparkmöglichkeit auf den med. Bestand der UB weitgehend verzichten musste. Die Einrichtung eines Autokurierdienstes von Seiten der UB hat zwar manches möglich gemacht, aber ideal war der Zustand nicht. Die Kommissionsmitglieder und Vertreter der UB und des Staatshochbauamtes besichtigten dann die freiwerdenden Gebäude unter den Aspekten der Nutzung als Bibliothek. Zwei Gebäude standen überhaupt dann zur Wahl: Die alte Klinikküche and die alte Klinikwäscherei. Erstere fiel sehr schnell aus der Wahl wegen des geringen Platzangebotes und wegen der fehlenden statischen Voraussetzungen, zum anderen stand mit der Klinikwäscherei ein weiteres Gebäude zur Diskussion, das die Erfordernisse einer Bibliothek sehr viel besser zu erfüllen schien: Sehr viel mehr Platzangebot und durch die dort arbeitenden schweren Maschinen eine vermutlich bessere Statik.
Als das Staatshochbauamt dann aufgrund dieser Wahl erste Pläne erstellte, wie eine solche Bibliothek nach Umbau des Gebäudes aussehen könnte, brach bei allen Beteiligten fast eine Euphorie aus: Das Altgebäude, das durch spätere Anbauten eine U-Form angenommen hatte, sollte unter Einbeziehung dieses U mit entsprechender Unterkellerung und großzügigem Lesesaal mit einfallendem Licht durch eine großzügige Stahl-Fensterkonstruktion der Decke zu einer Bibliothek umgebaut werden, die eine Kapazität von mindestens 300.000 Bänden gewährleistet hätte. Aber diese Euphorie wandelte sich in kurzer Zeit bis fast zur Resignation, weil nämlich das zuständige Finanzressort die Mittel für diesem Umbau schlicht verweigerte. Man hat in den 80-er Jahren zwar immer wieder Anstrengungen unternommen von allen betroffenen Seiten, aber nichts führte zu konkreten Ergebnissen.
Keiner vermag jetzt zu sagen, wer schließlich den größten Anteil an der dann 1991/92 erfolgten Genehmigung dieses Projektes hatte: Frau Dr. Poll kam Mitte der 80-er Jahre nach Münster und hat vor allem ihre Erfahrung aus Erlangen im Umgang mit dem Wissenschaftsrat eingebracht und von dort her die Einrichtung dieser Bibliothek fachlich und sachlich begründet, die medizinische Fakultät hat nach wie vor die Anträge unterstützt und eigene auf den Weg gegeben, ich persönlich vermute, dass die Medizinstudenten einen erheblichen Anteil haben, denn über die Fachschaft haben sie bei allen Gelegenheiten, wenn die Wissenschaftsministerin in Münster war, wegen dieses Projektes demonstriert und protestiert, einmal ist man deswegen sogar in Düsseldorf vorstellig geworden.
Voraussetzung für die Genehmigung war dann allerdings auch das Einverständnis mit der Auflage, dass an dem alten Gebäude nichts Wesentliches umgebaut würde und vor allem nichts dazu- oder ausgebaut würde: Das vorhandene Gebäude musste so erhalten bleiben und durfte nur innen einige Umbauten erfahren, die aus einer Wäscherei eine Bibliothek zu machen unabdingbar waren. Und so wurde dann mit dem Umbau begonnen.
Im Rückblick auf die Bauzeit und gemessen an dem Ergebnis, das am Ende vor uns stand, kann ich zusammenfassend nur sagen: Neben einem akzeptablen Gebäude ist ein flexibler und verständnisvoller Architekt und Bauingenieur notwendig, der volle Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den späteren Nutzern zeigt. In Herrn Limke vom Staatshochbauamt für die Universität hatten wir das Glück, einen solchen Bauführer zu haben. Intensive Besprechungen von Zeit zu Zeit haben die Wünsche des späteren Nutzers mit dem Machbaren koordiniert. Für sehr wichtig hat sich auch eine häufigere Präsenz auf der Baustelle erwiesen. Im Anfang war man darüber nicht sehr glücklich, da man dauerndes Einmischen eines Laien in bauliche Maßnahmen gar nicht gern hat, auch nicht wegen der Gefahren. So habe ich mir einen Schutzhelm besorgt, den ich stets im Wagen mit mir führte, und habe anfangs einmal wöchentlich, später öfter die Baustelle aufgesucht, mich vom Baufortschritt überzeugt und einzelne Bauphasen im Foto oder Video festgehalten. Im Nachhinein war auch der Bauführer dankbar, da man doch die ein oder andere Entscheidung im Interesse des Nutzers ändern konnte. Dennoch konnte auch ich einiges nicht verhindern, was in der Praxis sich dann als weniger gut erwies. Die Zwänge der Bauauflagen, die Forderungen des Statikers, die begrenzten Mittel ließen nicht alle Wünsche reifen. Im Übrigen darf man nicht vergessen, das Gebäude beherbergte eine Wäscherei, es ist ein altes Gebäude mit alter Bausubstanz und mehreren Anbauten und Umbauten. Aber wir können mit dem, was daraus geworden ist, sehr gut leben. Sie sollen sich selber, vor allem heute Abend bei unserem Bibliotheksbuffet, davon überzeugen und sich selber ein Urteil bilden. Bei einem Neubau hätte man manches anders gemacht, aber wir hätten dann z.B. nicht die teilweise schönen hohen Räume gehabt, die jetzt das Ambiente bestimmen und den Mitarbeitern Luft und Freiheit bei der Arbeit geben. Viel mehr möchte ich jetzt zum Gebäude selbst nicht sagen.
Seit nunmehr fast zwei Jahren arbeitet die Zweigbibliothek Medizin in diesem Gebäude. Sie ist von Anfang an sehr gut angenommen worden, manchmal haben wir den Eindruck, zu gut, weil wir alle, meine Mitarbeiter und ich, auch angesichts der Öffnungszeiten, fast immer voll ausgelastet oder manchmal auch überfordert sind von den täglichen Routinearbeiten, und kaum Zeit bleibt zu notwendigen Zusatzarbeiten, die teilweise noch aus der Umzugszeit stammen. Als ich vor einem Jahr Münster als Tagungsort dieser Jahrestagung anbot, hatte ich die Hoffnung, zu diesem Zeitpunkt ein Haus vorweisen zu können, das in allen Belangen den kritischen Augen erfahrener Kolleginnen und Kollegen standhalten würde. Fast nichts davon konnte in diesem Sinne erledigt werden, so dass wir uns zuletzt dazu entschlossen, Ihnen alles so gut zu zeigen, wie es ist. Entdecken Sie bitte selbst, wo und wieviel notwendige Arbeit noch nötig ist. Ich bitte aber auch herzlich, mit Erfahrungen Ihrerseits und Kritik nicht zurückhalten. Als wir vor Fertigstellung des Gebäudes den Umzug planten, entschlossen wir uns, angesichts der begrenzten Raumkapazität Zeitschriften nur ab 1970 aus der Zentralbibliothek mit herauszunehmen, Monographien erst ab 1980, dazu natürlich den gesamten Lesesaalbestand und vor allem die Lehrbuchsammlung. Nachdem wir aber auch im Keller eine zunächst nicht vorgesehene zusätzliche Aufstellungsmöglichkeit bekamen, - übrigens auch ein Ergebnis der guten Zusammenarbeit während der Bauzeit -, entschlossen wir uns, auch sämtlichen Altbestand an medizinischen Zeitschriften bis 1970 mit auszulagern. Das erleichtert uns jetzt die Arbeit wesentlich und dient dem Nutzer mit prompter Bedienungsmöglichkeit. Da innerhalb Münsters Zeitschriften, besonders übergreifende biomedizinische Zeitschriften nicht mehr doppelt gehalten werden können, werden solche mit überwiegend medizinrelevanten Anteilen bei uns gehalten und die Biologen sind gezwungen, zu uns zu kommen, obwohl sie es zur Zentralbibliothek günstiger gehabt hätten. Titel wie "Annals of the New York Academy of Sciences", "Advances in experimental medicine and biology", "Proceedings of the National Academy of Sciences" u.a. werden bei uns gehalten. Nur wenige Zeitschriften wie "Science" oder "Nature" werden bei uns zusätzlich gehalten, dann bei uns erst ab 1994, also mit fehlendem Altbestand, der dann in der Zentralbibliothek einzusehen ist.
Es würde hier zu weit führen, in weitere Details einzugehen. Aber ein Punkt muss doch besonders hervorgehoben werden. Münster hat ein zweischichtiges Bibliothekssystem. So existierten neben der Zentralbibliothek allein im medizinischen Bereich noch weitere 50 dezentrale Instituts- und Klinikbibliotheken. Was haben wir uns in der Zeit der Vorbereitung zum Umzug den Kopf zerbrochen, wie wir es den Instituts- und Klinikdirektoren plausibel machen sollten, angesichts der neuen zentralen Medizinbibliothek doch nur noch die wirklich speziellen, ihr Fachgebiet betreffenden Zeitschriften zu halten und auf alle anderen zugunsten der Zentralbibliothek zu verzichten und vom freiwerdenden Geld neue, bisher noch nicht in Münster vorhandene, aber wünschenswerte Zeitschriften zu halten. Alles Kopfzerbrechen und Sorgen war fast umsonst. Angesichts der Attraktivität des dann bezogenen Umbaus und angesichts der Topographie war eine Vielzahl von Instituten und Kliniken nicht nur bereit, auf allgemeinmedizinische Zeitschriften zu verzichten, sondern lösten ihre Bibliothek völlig auf und überstellten uns alles mit der Maßgabe, das die Bestände bei uns zugänglich bleiben und vor allem alle Abonnements von uns weitergeführt würden.
Das bedeutete aber von Anfang an für uns als Personal, dass durch die Übernahme dieser Bestände und entsprechende Einarbeitung eine nicht vorauszusehende zusätzliche Arbeit auf uns zukam, die mit dem vorgesehenen Personal nicht in wünschenswerter Zeit zu leisten war. Sie konnte auch ernsthaft und erfolgreich erst in Angriff genommen werden, als wir zusätzliche ABM-Kräfte bekamen. Die Bestände waren aber von Anfang an frei zugänglich separat aufgestellt und dadurch immer nutzbar. Etwa zehn Einrichtungen haben so ihre Bibliotheken komplett übergeben, vier ihren Zeitschriftenbestand, sechs weitere stehen mit Übergaben noch aus.
Die Zweigbibliothek hat heute rund 1450 Zeitschriften abonniert, allerdings einschließlich der Pflicht- und Geschenkzeitschriften. Den genauen Bandbestand kann ich im Moment nicht angeben, da er sich durch die Übernahmen dauernd ändert. Es dürften inzwischen 180.000 sein. Dazu kommen inzwischen 30.000 Monographien, ca. 8-10.000 Bde im Lesesaal und nochmals ca. 10.000 Bde in der Lehrbuchsammlung.
An Personal sind wir im Moment 8 Ganztagskräfte, 3 Halbtagskräfte, eine Lohnkostenzuschussstelle, 4 ABM-Kräfte und 8 studentische Hilfskräfte. Wochentags von 17-19 Uhr und samstags von 9-13 Uhr ist neben einer studentischen Hilfskraft eine festangestellte Bibliothekskraft im Dienst. Alle übrigen Öffnungszeiten wochentags bis 22 Uhr, samstags bis 18 Uhr uns sonntags von 14-18 Uhr werden von jeweils zwei studentischen Hilfskräften bewältigt.
Das soll für jetzt genügen. Ich will Ihnen jetzt noch einige Dias zeigen von der Zweigbibliothek, jeweils Aufnahmen noch nur Zeit des Wäschereibetriebs, zur Zeit der Baumaßnahmen und der heutige Zustand im Vergleich."
Bibliotheksdirektor a.D. Dr.rer.nat. Dipl.chem. Manfred Wagner (Leiter der Zweigbibliothek Medizin von 1993-1996)