Umfrage zu DEAL, Elsevier und Open Access: 4. Wissen über den Wiley-Vertrag

Umfrage
Die Umfrage lief vom 3.-6. Juni 2019 und wurde über den Email-Wissenschaftsverteiler des Dekanats an alle wissenschaftlichen Mitarbeiter der Medizinischen Fakultät Münster verteilt – insgesamt wohl an die 2.000 Personen. Der Fragebogen (PDF) bestand aus 14 Fragen. 416 Wissenschaftler beantworteten die Umfrage, was einen Recall von ca. 20% bedeutete. 32 Fragebögen konnten nicht in die Auswertung mit einbezogen werden, da sie unvollständig beantwortet worden waren, so dass final die Fragebögen von 384 Antwortenden in die Auswertung einbezogen wurden. Es wurde nach Publikationen in Open Access-Zeitschriften gefragt, dem Wissen über den Publikationsfond der Universitätsbibliothek und den deutschlandweiten Wiley-Vertrag sowie den HRK-Verhandlungen mit Elsevier und seinen Auswirkungen. Von den 384 Antwortenden waren 16% 20-29 Jahre alt, 36% 30-39 Jahre alt, 23% 40-49 Jahre alt, 20% 50-59 Jahre alt und 5% älter als 60 Jahre (Abb. oben). Fast zwei Drittel (64%) gaben an, zu mehr als 50% wissenschaftlich zu arbeiten.

Kenntnis zum Wiley-Vertrag
Die dazu gestellte Frage lautete „Die HRK hat im Frühjahr mit Wiley den ersten deutschlandweiten Vertrag abgeschlossen. Er gilt für die Jahre 2019-2021. Bitte geben Sie im Folgenden an, was Ihnen über diesen Vertrag bekannt ist.“ Es waren die folgenden sechs Aussagen (in der exakten Reihenfolge!) zum Vertrag vorgegeben mit den jeweiligen Antwortmöglichkeiten: wusste ich, teils/teils, wusste ich nicht.

  1. Die Universität Münster hat den Verhandlungsauftrag für Elsevier, SpringerNature und Wiley an die HRK abgegeben. Die Bibliothek sitzt nicht mit am Verhandlungstisch. Nur 27% wussten das.
  2. Das komplette Angebot von Wiley – 1.700 Zeitschriften – steht ab Volume 1 dauerhaft zur Verfügung. Nur 22% wussten das.
  3. Ihre Publikation in einer Wiley-Zeitschrift ist automatisch und ohne Mehrkosten Open Access (weltweit frei zugänglich). Nur 14% wussten das.
  4. Statt für eine Zeitschrift eine fixe Summe zu bezahlen, bemisst sich der Preis aber nun nach der Anzahl der Publikationen der Uni Münster in der Zeitschrift. So ergeben 5 Artikel in Cell einen Preis von 5*3.451€= 17.255€ für Cell für Münster. Nur 2% wussten das.
  5. Die Preissteigerung für die Jahre 2019-2021 beträgt über alle Einrichtungen durchschnittlich 3% im Jahr. Nur 4% wussten das.
  6. Wegen der publikationsbasierten Kostenberechnung müssen aber publikationsstarke Einrichtungen u.U. mit einer Preissteigerung von 100% und mehr rechnen. Nur 4% wussten das.

 

In der obigen Abbildung sind die sechs Aussagen nach dem Grad des Nicht-Wissens von oben nach unten gerankt. Am Wenigsten wussten die Umfrageteilnehmer Bescheid über das neue Preismodell, 91% wussten nichts über die Umstellung der Bezahlung nach Artikeln sowie die daraus resultierenden, immensen Preissteigerungen für publikationsstarke Einrichtungen. Dieses Modell stellt in der Tat nichts weniger als einen Paradigmenwechsel dar und wird sowohl von den Verlagen als auch den wissenschaftlichen Einrichtungen ambivalent (um nicht zu sagen argwöhnisch) wahrgenommen. Von den Verlagen, weil es sich um ein (fast) vollkommen neues Geschäftsmodell handelt, dessen Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit nicht klar ist. Von den Einrichtungen, weil es nicht das Lesen von Artikeln „bestraft“, sondern das Publizieren. Zukünftig heißt es nicht: Wer viele Zeitschriften lesen will, muss auch viel bezahlen, sondern: Wer viel publizieren will, muss viel bezahlen. Dies wird von einigen Wissenschaftlern als kontraproduktiv eingeschätzt (pers. Komm.), da die Produktion von Forschungsartikeln als Motor angesehen wird, der den Wissenschaftsbetrieb erst zum Laufen bringt.
Dass die über alle Einrichtungen gemittelte, durchschnittliche(!) Preissteigerung nur 3% beträgt, wussten 86% nicht – aber ok, das ist Faktenwissen, das vermutlich auch viele direkt Beteiligte nicht auf dem Schirm haben.
Verwundernswerter ist hingegen schon, dass knapp drei Viertel (74%) angaben, nichts über die Open Access-Komponente des Vertrags zu wissen. Dabei ist dies doch eine der beiden zentralen Verhandlungspunkte (der andere ist das Geschäftsmodell, s.o.), und der Treiber hinter diesem neuen Vertrag: Es soll ja nicht nur preislich kalkulierbarer sondern das Publikationsmodell soll auf Publication first (und damit Open Access first) umgedreht werden.
Am Kenntnisse besassen die Wissenschaftler über den Verhandlungsführer, mit 27% wussten über ein Viertel, dass die Universitäten die Verhandlung an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) abgegeben hatte. Dass die Mehrheit (57%) davon aber keine Ahnung hat, dass die Bibliotheken nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, merkt man als Bibliothek allerdings des Öfteren, wenn man von Wissenschaftlerseite gebeten wird, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen.
Fast der Hälfte der Umfrageteilnehmer (48%) dünkte aber irgendwie, dass ein Ergebnis der Verhandlungen nur sein kann, dass alle Zeitschriften eines Verlags zur Verfügung stehen sollen: 22% wussten das fest und stattliche 26% gaben mit teils/teils an, dass ihnen so etwas schon geschwant hatte.

Kenntnisse zum Wiley-Vertrag nach Alter
Die obige Abbildung zeigt das Wissen um die einzelnen Konditionen des Wiley-Vertrags nach Altersgruppen. Mehrere Dinge sind hier interessant. Es sticht z.B. sofort ins Auge, dass, je älter der Umfrageteilnehmer ist, desto mehr Wissen er hat (oder angab zu haben). Dann ist die Diskrepanz zwischen den ganz jungen (20-29) und den ganz alten (>60) Wissenschaftlern auffallend groß. Während die Junior Scientists insgesamt nur 43% Kenntnisse angaben, waren dies bei den Senior Scientists 110%. Die Junior Scientists waren auch die Einzigen, die Null Ahnung bezüglich der beiden Preissteigerungs-Konditionen angaben. Hier wäre es einmal interessant zu wissen, wer in dieser Altersgruppe vertreten ist (Doktoranden, Assistenzärzte, Jungprofessoren?) und wieso diese so schlecht über den Wiley-Vertrag (und vielleicht auch über das Publikationswesen als Ganzes) Bescheid wussten. Möglicherweise wird diese Altersgruppe nur schlecht durch die üblichen Informationskanäle erreicht, was für die Einrichtung spezieller Schulungen für die Junior Scientists sprechen würde.

Relativ natürlich erscheint der sukzessive Anstieg des Wissens über die Verhandlungsführung durch die HRK (rote Balken) mit dem Alter. Bei den Junior Scientists lag dieser Wert bei (kümmerlichen) 18%, stieg aber bei den etwas Älteren von 25% auf bis zu 33% bei den Senior Scientists. Schaut man sich dagegen die Kenntnisse über die Verfügbarkeit des kompletten Wiley-Bestandes an, so lag dieser zwar ebenfalls mit 12% bei den Jüngsten am Niedrigsten, und mit 18-24% bei den mittleren Altersgruppen 50%-100% höher, erlebte aber bei den Senior Scientists mit 43% eine regelrechte Wissensexplosion (was allerdings auch an dem mit 21 Teilnehmern relativ kleinen Kollektiv liegen mochte).

Eine passende Hypothese wäre also, dass mit zunehmendem Alter das Wissen um die Funktionalität des Publikationswesens auch zunimmt, da man mehr publiziert hat. Dies lässt sich leicht überprüfen, da das Publikationsverhalten der Antwortenden durch die Frage 3 bekannt ist.

Kenntnisse zum Wiley-Vertrag nach Publikationsverhalten
Stellt man die Kenntnisse zum Wiley-Vertrag nach Publikationsverhalten dar, d.h. nach denjenigen, die bereits einmal Open Access publiziert bzw. die noch nicht publiziert haben, dann zeigt sich, dass das aufsummierte Wissen über den Wiley-Vertrag bei den Open Access-Autoren 78% beträgt, bei den Nicht-Autoren hingegen nur 52% (Abb. oben) – eine klare Bestätigung der obigen Hypothese.

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