Am 6. August 2019 veröffentlichten die WWU News ein Interview mit Matthias Schleiff , welcher fordert, „Gott als Erklärung [für Dinge] in Betracht zu ziehen“, die sich einer „naturalistischen Erklärung hartnäckig verschließen“. In dem Interview geht es vor allem um die sogenannte „Feinabstimmung der Naturkonstanten“. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Westfälische Wilhelms-Universität eine Institution der Forschung und Wissensmehrung ist, nicht aber der esoterisch-spirituellen Phantastereien. Im Folgenden argumentiert die gbs-Hochschulgruppe des säkularen Humanismus der WWU Münster, warum es eine schlechte Idee ist, die Gotteshypothese in die wissenschaftliche Diskussion wieder aufzunehmen, nachdem sie seit mindestens 600 Jahren in Deutschland und schon seit der Antike in Griechenland aus dieser heraus gedrängt wurde.
Wir haben heute eine gute Vorstellung davon, wie das frühe Universum ausgesehen hat. Victor Stenger, Steven Weinberg, Peter Atkins, Martin Rees, Stephen Hawking und Lawrence Krauss haben uns Hypothesen und Theorien geliefert, wie nicht nur Etwas aus Nichts entstehen kann, sondern zwangsläufig muss. Logischerweise bleibt dabei einiges spekulativ, aber die Modelle liefern auch ohne göttliche Intervention gute Ergebnisse. Wir wissen, dass ein perfektes Vakuum ohne einwirkende Strahlung nicht leer ist. Auch dort wirken die Gesetze der Physik. Wir kennen die schöpferische Wirkung vom Ungleichgewicht virtueller Teilchen, die davon bedingt werden. Die Kombination der physikalischen Gesetze, die virtuelle Teilchen ermöglicht, wirkt fein abgestimmt – kann aber bloßer Zufall sein und muss nicht die einzig mögliche Kombination von Regeln sein, die zu Atomen, Molekülen und intelligentem Leben führt. An sich ist jede Behauptung zur Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der Naturkonstanten haltlos, da sich die Mächtigkeit der Versuchsgruppe auf Eins beschränkt – nämlich unser Universum. (Wir können zwar gut abschätzen, welche Naturkonstanten unser Leben möglich machen, aber nicht, welche Naturkanstanten Universen in der Regel annehmen.)
Die Gotteshypothese ist nicht nur in der Frage nach dem Ursprung unnötig, sie bläst das Problem in gewaltige Dimensionen auf. In der Biologie werden einfache chemische Replikatoren vorgestellt, die durch adaptive und akkumulative (evolutionäre) Prozesse über einen Zeitraum von Millionen Jahren komplexer – und „scheinbar designed“ werden. Einfache Voraussetzungen, die komplex werden. Dasselbe gilt in der Physik, wenn wir den Urknall oder die Gegebenheiten, die Raum und Zeit ermöglichen, untersuchen. Wir wissen heute, dass die ersten Atome sehr einfach waren: Wasserstoff und Helium. Die Prozesse, die diese hervorbrachten, waren ebenso einfach. Die Gotteshypothese, mit einem intelligenten Schöpfer als Aristoteles „erstem Beweger“ oder Schleiffs „erstem Ordner“, stellt keine einfache Erklärung dar, sondern ist deutlich komplexer als das, was zu erklären ist. Sie vergrößert das Problem, indem sie die Frage nach dem Entstehen des unsagbar komplexeren Göttlichen stellt. Statt einer einfachen, intuitiven Lösung bieten die Religionen ein Problem, das vorher nicht da war.
God did it! Oder. Ich weiß nicht, ich verstehe es nicht, also muss es Gott getan haben. Die abrahamitischen Religionen vertrauen auf die Antworten von bronzezeitlichen Schafhirten, die nachts nicht wussten, wo die Sonne hin geht. Die Sonne geht auf? Gott war es. Eine Sternschnuppe am Firmament? Gott war es. Schnupfen? Gott war es. Schlechte Ernte? Gott war es. Gute Ernte? Gott war es. Die Farben des Regenbogens? Go... So viele Dinge, die wir heute wunderschön und erhellend erklären können. Und dies völlig ohne Gott. Warum sollten wir dann auf die Erklärung dreitausend Jahre toter Hirten für die wirklich großen Dinge vertrauen, wenn sie schon in der Vorstellungsrunde so völlig danebengegriffen haben? Aber Moment: Warum automatisch von der Gotteshypothese der Juden, Christen und Moslems (und Zoroastrier, die viele Inhalte der Abrahamiten vorweggenommen haben) ausgehen? Warum gehen Kreationisten, Jungerde-Kreationisten, Flacherde-Verschwörer davon aus, dass sie mit ihrer Gotteshypothese Recht haben? Wenn Schleiff fordert, seinen Gott/-in/-innen zur Diskussion zuzulassen, so muss das automatisch auch für alle anderen Götter gelten. Egal, wann diese erfunden wurden, erfunden worden sind oder noch erfunden werden. Vom Hügelgott Jerusalems über die Ur-Kuh Audhumbla, die die ersten Riesen und Götter aus dem Eis geschleckt hat, bis hin zum Fliegenden Spaghetti Monster und seinen nudeligen Anhängseln sind alle mit im Spiel; mit allen Konsequenzen, die die Charakterzüge dieser Götter mit sich bringen. Jahrtausende lang erklärten die Menschen jene Dinge, die sie nicht verstanden mit ihrer persönlichen Gotteshypothese. Mit jeder wissenschaftlichen Erklärung für diese Dinge sind jene Götter kleiner geworden. Denn heute brauchen wir sie nicht mehr als Erklärung. Richard Dawkins hat den Begriff „der Gott der Lücke“ geprägt. Die Forschung findet eine Fragestellung, Gläubige füllen die Antwort mit Gott – bis eben diese völlig ohne Gott beantwortet wird. Schleiff hat Recht, wenn er sagt, man müsse vorsichtig sein, „weil [die Religion] oft mit dem Versuch gescheitert ist, den Schöpfungsgedanken auf die Welt zu beziehen“. Jene Theologen, die dies versuchten, haben ihre Götter nicht auf neue Podeste erhoben, sondern zuverlässig in zwangsläufig kleiner werdende Lücken gepresst.
Alle beobachtbaren Daten deuten darauf hin, dass Naturgesetze nicht gebrochen werden und dass keine unerklärlichen Wunder geschehen. Dies lässt nur einen Schluss zu. Wir leben nicht nur in einem Universum, das unser Leben ermöglicht, sondern auch göttlichem Leben wenig Platz bietet. Wenn Schleiff nun darauf aufmerksam macht, es sei starrköpfig die Gotteshypothese als Antwort nicht in Betracht zu ziehen, so stimmt dies. Es stimmt. Falls ein Wissenschaftler aus Harvard, ein Theologe aus Rom, ein Kaufmann aus Mekka oder ein Zimmermann aus Bethlehem die Existenz eines beliebigen Gottes bewiese, so wäre dies die größte wissenschaftliche Entdeckung aller Zeiten. Jeder seriöse Wissenschaftler würde das akzeptieren – es bliebe ihm nichts anderes übrig. Doch 200.000 bis 400.000 Jahre homo sapiens sapiens, Menschheitsgeschichte, zeigen eindrücklich, dass unter all den abertausenden, vorgeschlagenen und erprobten Göttern, sich noch keiner in der Wirklichkeit durchsetzen konnte. Kein Thor beim donnernden Hammerschlag und auch kein Jehova im brennenden Busch in der Wüste. Nach aktuellem Stand ist es nur vernünftig keine Gotteshypothese als wissenschaftliche Lösung anzuerkennen, solange nicht erst die Gottheit bewiesen wurde. Es sollte abschließend bedacht sein: Schleiff glaubt nicht an 3.000 Götter. Weder an Odin, Osiris noch die Zahnfee. Wieso nicht auch noch einen Gott weiter gehen?
von Falko Bartsch