Teilprojekt C9:
Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte in panindianischen Bewegungen
| Projektbeschreibung |
Das Forschungsprojekt
untersucht die Rolle symbolischer
Kommunikation bei der Schaffung und Aufrechterhaltung panindianischer
Bewegungen auf dem Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika
von der
Mitte des 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Mit der
wachsenden Präsenz weißer
Siedler kam es zwischen den circa 600 indianischen Gruppen wiederholt
zu
Zusammenschlüssen zur Verteidigung der eigenen Interessen
gegenüber den Weißen.
Die Kooperation erfolgte auf der Basis einer gemeinsamen
„panindianischen“ und
nicht mehr verwandtschafts- beziehungsweise gruppenbasierten
Identität. Da sich
die Indianergruppen stark in Gesellschaftsstruktur, Politik, Religion,
Kultur,
Lebensweise und Sprache unterschieden, war eine Kommunikation
über Symbole vonnöten.
Nur so konnten die kulturellen Grenzen zwischen verschiedenen
indianischen
Gruppen – wie auch zwischen Weißen und Indianern
– und die räumlichen Grenzen
zwischen den weit voneinander entfernt lebenden Gruppen
überwunden werden.
Ziel des Projektes
ist es zu erforschen, wie verschiedenartige
(indianische) Kulturen in Zeiten von fundamentalem politischem und
sozialem
Wandel in Vergemeinschaftungsprozessen Konsens stifteten und
für kurze oder
längere Zeit neue gesellschaftliche Ordnungen herstellten. Von
besonderem
Interesse ist die Frage, welche gemeinsamen gesellschaftlichen Werte
die indianischen
Gruppen als Grundlage einer hybriden, panindianischen
Identität verhandelten.
Gleichzeitig soll untersucht werden, inwiefern die panindianische
Zusammenarbeit die symbolische Kommunikation beeinflusste, und wo sich
panindianische Organisationen in ihrer Symbolik auf frühere
panindianische
Koalitionen bezogen. Schließlich wird auch die
interkulturelle, symbolische
Kommunikation mit Weißen eine Rolle spielen, da
panindianische Gruppen dadurch
Kohäsion nach innen und Abgrenzung nach außen
schufen und gleichzeitig Anspruch
auf Partizipation an der (symbolischen) Macht in der US-amerikanischen
Gesellschaft anmeldeten.
Anhand zweier
Fallbeispiele werden chronologisch zwei Übergangszeiten
und typologisch zwei verschiedene Arten panindianischer Bewegungen
untersucht.
Zugleich werden durch die Auswahl der Fallbeispiele das
Spannungsverhältnis und
die Ambiguitäten von vormodernen/traditionalen und modernen
Ausdrucksformen und
Werten in ihrer Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit bei
außereuropäischen
Kulturen innerhalb beziehungsweise in Auseinandersetzung mit einer
insgesamt
westlich orientierten, außereuropäischen
Mehrheitsgesellschaft erforscht.
Fallbeispiel
1: Die religiös-militärischen panindianischen
Koalitionen, 1760-1815
Immer mehr
indianischen Gruppen drohte der Verlust ihrer Siedlungsgebiete,
Kulturräume, Nahrungs- und Lebensgrundlage, politischen
Gemeinschaft und
Selbständigkeit durch weiße Siedler. Gleichzeitig
konnten indianische Gruppen
nicht mehr die Rivalitäten der Kolonialmächte zur
Stärkung ihrer Stellung
nutzen, da sich Frankreich 1763 und Großbritannien 1783 aus
dem Osten und Mittleren
Westen der späteren USA zurückziehen mussten. Um
diesem Machtverlust entgegenzuwirken,
bildeten sich religiös-militärische panindianische
Koalitionen, so in den
1760er Jahren unter Rückgriff auf die Lehren insbesondere des
Delaware-„Propheten“ Neolin eine panindianische
Koalition, die 1763 in Pontiac's War
ihren militärischen
Ausdruck fand. Zwischen 1805 und 1815 kam es erneut zu einer
gruppenübergreifenden Koalition unter Tecumseh und
spirituellen
Führungspersönlichkeiten wie Tenskwatawa, die gegen
Landabtretungen an die USA
kämpfte und zeitweise ein Bündnis mit
Großbritannien einging. Die beiden
genannten Koalitionen stellen lediglich die prominentesten Beispiele
panindianischer Kooperation zwischen bis zu dreißig
indianischen Gruppen dar.
Die
panindianische
Kooperation soll auf drei Ebenen untersucht werden. Erstens wird
erforscht,
durch welche Symbole und Rituale sich die einzelnen Gruppen bei der
Schaffung
der Koalitionen und im Rahmen der Revitalisierungsbewegungen
verständigten. Da
bei der Verbreitung panindianischer Werte und einer panindianischen
Identität
auch so genannte Flüchtlingsdörfer halfen, in denen
von weißen Siedlern
verdrängte Mitglieder unterschiedlicher indianischer Gruppen
zusammenlebten,
sollen diese zweitens auf der Mikroebene in den Blick genommen werden.
In einem
dritten Schritt soll die symbolische Kommunikation zwischen den
indianischen
Gruppen und gegenüber den Weißen in den
kriegerischen Auseinandersetzungen
selbst analysiert werden. (Bearbeiter Michael Schlütter)
Fallbeispiel
2: Die zivilgesellschaftliche panindianische Organisation Society of
American
Indians, 1911-1923
In der krisenhaften
Übergangszeit nach der Beendigung der
Indianerkriege 1890 gründeten Mitglieder der ersten Generation
von Indianern,
die weiße Schulen und Universitäten besucht hatten,
1911 die erste
zivilgesellschaftliche panindianische Organisation, die Society
of American Indians (SAI).
Die meisten Mitglieder stammten im Sinne von Cultural
Brokers aus gemischt ethnischen Ehen und vernetzten so
verschiedene Kulturen miteinander. Die SAI
kämpfte gegen Missstände in Reservaten, für
den Ausbau indianischer
Bildungschancen, für einen besseren rechtlichen Status von
Indianern und für mehr
indianische Autonomie. Die Organisation berief sich einerseits auf
zeitgenössische
weiße Werte der Progressiven Bewegung wie rationale
Denkweise, Fortschritt
durch eine aufgeklärte Elite, Effizienz und Individualismus,
andererseits auf
gemeinschaftsbasierte, Harmonie betonende, indianische Traditionen und
Werte.
Auch
in diesem Fallbeispiel erfolgt die Analyse auf
drei Ebenen. Untersucht werden sollen erstens die Symbole, die in der
Kommunikation der Mitglieder untereinander Verwendung fanden. Zweitens
geht es
um die symbolische Kommunikation mit Indianern, die als potenzielle
Mitglieder
geworben werden sollten, insbesondere in Reservaten eher traditionell
lebende
Indianer. Drittens wird die symbolische Kommunikation
gegenüber der weißen
Mehrheitsgesellschaft und anderen ethnischen Gruppen in den Blick
genommen.
(Bearbeiterin Heike Bungert)
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