Teilprojekt C8:
Die Normierung gerichtlicher Förmlichkeiten und zeremonieller Umgangsformen durch Gemeine Bescheide
| Projektbeschreibung |
Das
Teilprojekt stellt die Frage, in welcher Weise gerichtliche
Förmlichkeiten und
zeremonielle Umgangsformen im frühneuzeitlichen Zivilprozess
und im frühen 19.
Jahrhundert normativ geregelt waren. Im Mittelpunkt der Untersuchung
stehen von
den Gerichten erlassene Normen, sogenannte Gemeine Bescheide. Diese
Quellen
ergänzten zum einen die Prozessordnungen, schufen gleichzeitig
aber auch ein
den Policeyordnungen vergleichbares Sonderrecht, um die Rangordnung und
das
Verhalten der verschiedenen Verfahrensbeteiligten innerhalb und
außerhalb des
Gerichts umfassend zu regulieren.
Der
frühneuzeitliche Zivilprozess war durch Schriftlichkeit und
Heimlichkeit
gekennzeichnet. „Quod non est in actis, non est in
mundo“, lautete ein
geflügeltes Wort, und so ist es schwierig, von
Gerichtsverhandlungen im
heutigen Sinne zu sprechen. Die Kommunikation der Beteiligten war
oftmals auf
die Übersendung von Schriftsätzen
beschränkt. So hatten etwa die Parteien in einem
Appellationsverfahren regelmäßig
persönlichen Kontakt nur zu einem Notar, bei
dem sie das Rechtsmittel eingelegt hatten, und zu einem Advokaten, der
in ihrem
Namen umfangreiche Libelle anfertigte. Der Advokat seinerseits
übersandte seine
Schriftsätze ohne unmittelbar-persönlichen Kontakt an
einen beim
Appellationsgericht zugelassenen Prokurator, der diesen Schriftsatz
lediglich
unterschrieb und dann beim Gericht einreichte, teilweise schriftlich,
oftmals
aber auch in sogenannten Audienzen.
Die
Kommunikation der Verfahrensbeteiligten untereinander und auch mit dem
Gericht
war im frühneuzeitlichen Zivilprozess im Vergleich zum
ungelehrten
mittelalterlichen mündlichen Rechtsgang erheblich reduziert.
Stellt man die
übergeordnete Frage nach den Grenzen symbolischer
Kommunikation, so ist
anzumerken, dass nicht nur die symbolische, sondern vor allem jede Art
verbaler
Kommunikation im gemeinen Zivilprozess stark zurückgenommen
war. Lediglich ein
geringer Rest unmittelbar-persönlichen Kontakts der
Beteiligten blieb bestehen,
nämlich die gleichzeitige Anwesenheit von Gerichtspersonen,
Prokuratoren,
manchmal auch Parteien und Zuschauern in den
regelmäßig abgehaltenen
öffentlichen Audienzen. Wenn auch vielfach in diesen Audienzen
die Anwälte dem
Gericht lediglich Schriftsätze überreichten, spielten
diese feierlichen Anlässe
doch eine bedeutende Rolle für die Inszenierung des Gerichts
als Repräsentant
herrschaftlicher Gewalt und für die ständige
Konstituierung der Rollen, die die
anderen Verfahrensbeteiligten hierbei zu spielen hatten.
Die
Einzelheiten dieses Rollenspiels waren teilweise normativ
vorgeschrieben,
teilweise handelte es sich um bloßen Gerichtsgebrauch.
Gemeine Bescheide, die
das Gericht oder der Gerichtsherr erließ, modifizierten nicht
nur die
Gerichtsordnungen, sondern legten auch die Rollen der
Verfahrensbeteiligten
innerhalb und manchmal auch außerhalb der Audienzen fest. Wie
es von Policeyordnungen
für verschiedenste gesellschaftliche Stände und
Gruppen bekannt ist, regelten
auch Gemeine Bescheide etwa die Kleiderordnung vor Gericht, geziemendes
Verhalten im Umgang verschiedener juristischer Berufsgruppen, aber auch
das
Erscheinungsbild und Auftreten außerhalb der Audienzen.
Das
Teilprojekt wird die in Gemeinen Bescheiden normativ vorgeschriebenen
Förmlichkeiten und zeremoniellen Umgangsformen vor beiden
Reichsgerichten des
Alten Reiches sowie vor hannoverschen Territorialgerichten untersuchen.
Dies
wird Aussagen darüber ermöglichen, wo
Gemeinsamkeiten, aber auch spezifische
Unterschiede zeremonieller Umgangsformen vor Gerichten verschiedener
Instanzen
lagen. Vor allem werden sich Grenzen der symbolischen Kommunikation vor
Gericht
zeigen, denn aufgrund der unterschiedlichen Prozessmaximen vor dem
Reichskammergericht, Reichshofrat und dem kurhannoverschen
Oberappellationsgericht Celle wird gezielt danach gefragt, inwieweit
das Ausmaß
von Zeremoniell und Repräsentation vom Umfang verbaler oder
schriftlicher
Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten abhing.
|