Teilprojekt C7:
Die symbolische Konstituierung der Nation: Mexiko im Zeitalter der Revolutionen, 1786-1848
| Projektbeschreibung |
Ausgangspunkt des Projektes ist die Sichtweise der
Unabhängigkeitsphase Lateinamerikas als konstitutiver Teil des
„Zeitalters der Revolutionen“. Am Beispiel des
Vizekönigreichs Neu-Spanien, aus dem 1821 das
unabhängige Mexiko hervorging, untersucht das Teilprojekt die
Bedeutung symbolischer Kommunikation auf dem Weg einer vormodernen
Gesellschaft in die Moderne unter den besonderen Bedingungen der
Dekolonisation und der ethnischen Differenzierung. Der Wandel des
politischen Systems wurde begleitet von einem fundamentalen Wertewandel
und von Auseinandersetzungen um die Deutungsmacht, die auch einen Kampf
um Symbole darstellten. Eine der wesentlichen Veränderungen
vollzog sich im Bereich der gesellschaftlichen Selbstwahrnehmung der
sozialen Ordnung und der Grundlage der kollektiven Einheit.
Zeremonielle Praktiken und Symbole sowie Institutionen mussten deshalb
die Integration einer in mehrfacher Hinsicht fragmentierten
Gesellschaft leisten. Im Hintergrund steht das Problem, wie im Rahmen
des politischen Wandels Vergemeinschaftungsfragen unter den Bedingungen
kultureller Diversität gelöst wurden. Folgende
Forschungsschwerpunkte tragen diesen Aspekten Rechnung:
Mexikanische Verfassungskultur im frühen 19. Jahrhundert
In Anlehnung an die moderne Institutionenforschung, die betont, dass
institutionelle Stabilisierungsleistungen in der symbolischen
Darstellung von Ordnungsprinzipien zum Tragen kommen, liegt der
Arbeitsschwerpunkt vor allem auf der Verfassungskultur. Anstatt eine
bestimmte soziale Ordnung zum alleinigen Modell modern verfasster
Gesellschaften zu machen, soll ohne eine a priori vorgenommene
Festlegung „vormodern – modern“ nach dem
Charakter des „indigenisierten Konstitutionalismus“
mexikanischen Zuschnitts gefragt werden. Die Verfassung und ihre
gesellschaftliche Umsetzung strukturierten über Konsens und
Zwang den Staatsbildungsprozess. Staatliche Aktivitäten,
Routinen und Rituale trugen zur Ausbildung und Regulierung sozialer
Identitäten bei. Politische Verfahren wie beispielsweise
Wahlen sollen ebenso wie die administrative Ordnung und die
Ausgestaltung des Steuerwesens im Hinblick auf ihren symbolischen
Gehalt untersucht werden. Gefragt wird also nach von den Verfassungen
erbrachten Ordnungs- und Orientierungsleistungen.
Aufgrund der Föderalisierung Mexikos soll die Untersuchung
regionalspezifisch vorgenommen werden, im Mittelpunkt steht die stark
indigen geprägte Provinz Oaxaca. Ähnlich wie in
Yucatán ist hier seit der Proklamation der bundesstaatlichen
Verfassung 1825 eine Rückkehr zu den getrennten Gemeinwesen
der indigenen Bevölkerung zu beobachten. Diese aus der
Kolonialzeit stammende institutionalisierte ethnische Trennung stand
der neuen Ordnung einer Staatsbürgernation entgegen. Deshalb
stehen folgende Fragen im Vordergrund: Welche neuen Prinzipien
für die Herstellung politischer Legitimität und damit
akzeptierter Machtausübung wurden gefunden? Welche Leitideen
standen hinter der gesatzten Ordnung und wie wurden diese Leitideen
symbolisch vermittelt? Welche Konflikte um Geltungsansprüche
lassen sich ausmachen? Wie wurde der Widerspruch zwischen der
postulierten Gleichheit aller Bürger und der ethnischen
Trennung der indigenen Bevölkerung institutionell vermittelt?
(Bearbeiterin Silke Hensel)
Politische Feste in Mexiko-Stadt
Das politische und in gewisser Weise auch soziale Zentrum Neu-Spaniens
und der späteren mexikanischen Republik, Mexiko-Stadt, stellt
den räumlichen Schwerpunkt dieses Untersuchungsteils dar. Die
Analyse der Feierlichkeiten zielt darauf ab, die Funktionen und Grenzen
der symbolischen Handlungen zum Wandel der sozialen Ordnung, zum
Zusammenhalt der Nation und zur Ausformung eines kollektiven
Selbstbildes herauszuarbeiten. Welche Konflikte gab es hinter den
Kulissen und welche Gruppen konnten auf welche Weise
Geltungsansprüche neuer Wert- und Ordnungsvorstellungen in den
zeremoniellen Verfahren durchsetzen? Welche traditionellen und welche
innovativen Elemente wurden in der Konsolidierungsphase dem
Symbolhaushalt entnommen und weitertradiert, um eine Integration
unterschiedlicher sozialer und politischer Gruppen
herbeizuführen? Insbesondere gilt es zu fragen, welche Rolle
der Bezug auf die aztekische Vergangenheit in den symbolischen Akten
spielte. Darüber hinaus soll untersucht werden, wie die
Feierlichkeiten über den städtischen Rahmen hinaus
wirkten. Es gilt also zu klären, welche territoriale Ordnung
in den als gesamtneu-spanisch bzw. gesamtmexikanisch konzipierten
Festakten konstituiert wurde. Neben diesen Fragestellungen soll
übergreifend die These nach der zunehmenden Polyvalenz der
Symbole in der Moderne anhand der Entwicklung der politischen Feste in
Mexiko-Stadt überprüft werden. Dies beinhaltet die
Frage nach der wachsenden Vieldeutigkeit von Symbolen in zeremoniellen
Akten und der bewussten Einsetzung bestimmter Rituale zur
Repräsentation völlig unterschiedlicher Werte.
(Bearbeiterin Katrin Dircksen)
Symbolische Integration in Yucatán
Dieser Forschungsschwerpunkt akzentuiert das Spannungsfeld zwischen der
symbolischen Integration der kolonialen bzw. nationalen Gemeinschaft
einerseits und der Eigendynamik regionaler und lokaler
Identitäten sowie der ethnischen Differenzierung andererseits.
Dabei hebt die Konzentration auf die lokale und regionale Ebene die
Bedeutung der Gestaltungsmöglichkeiten der verschiedenen
ethnischen Gruppen hervor. Die koloniale Ordnung hatte indigenen
Gemeinschaften ein eigenes, allerdings auf die Kommune
beschränktes Gemeinwesen zugewiesen, das zwar nach spanischen
Vorgaben organisiert war, aber nach innen indigene
Ordnungsvorstellungen fortsetzte. Diese auf ethnischer Separierung
basierende Organisationsform wurde in den verschiedenen Phasen des
politischen Systemwandels mehrfach aufgehoben und wieder
eingeführt. Daraus ergibt sich die Frage, wie dieser Prozess
symbolisch vermittelt wurde und welche Schlüsse die
verschiedenen Gruppen auf lokaler und regionaler Ebene daraus zogen.
Über die Problematik ethnischer Zuschreibungen hinaus
veränderte der institutionelle Wandel schon während
der Kolonialzeit die traditionelle Ordnung territorialer Hierarchien.
In der nationalstaatlichen Phase sagte sich der Bundesstaat
Yucatán zudem mehrfach von Mexiko los. Vor diesem
Hintergrund soll nach den Integrationsleistungen der Institutionen
gefragt werden. Zum Einen soll die Konstruktion einer regionalen
Identität anhand des Symbolgebrauchs während der
yukatekischen Separatismen untersucht werden. Ein weiterer Fokus liegt
auf der Analyse der Reichweite der institutionellen Ordnung und der
symbolischen Formen der Konfliktlösung innerhalb der Region.
Insgesamt sollen sowohl bundesstaatliche Strategien der symbolischen
Vergemeinschaftung als auch die Gründe für deren
Scheitern untersucht werden.
(Bearbeiterin Ulrike Bock)
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