Teilprojekt C5:
Macht und Ritual im Zeitalter der Französischen Revolution:
Die Sichtbarkeit politisch-sozialer Ordnungen im Zeitalter der Revolutionen und des entstehenden Massenzeitalters
| Projektbeschreibung |
Ziel
des Teilprojektes ist es,
die bisher untersuchte Leitfrage nach der Rolle symbolischer
Zeichensysteme für
die Stabilisierung politischer Macht systematisch zu vertiefen und auf
das 19.
Jahrhundert bis zur Entstehung der Dritten Republik auszudehnen. Die
Entwicklung der politischen Kultur Frankreichs in den Jahren von 1789
bis 1880
wird von permanenten Konflikten antagonistischer Ordnungsmodelle
geprägt und
lässt sich als „Epoche der Revolutionen“
(François Furet) charakterisieren.
Verschärft wurden die Verfassungs- und Deutungskämpfe
speziell am Ende des
Untersuchungsraumes durch gesellschaftlich-kulturelle
Veränderungen, wie die
Entstehung eines „politischen Massenmarktes“.
Dieser Prozess ist von der
Forschung bislang vor allem auf der Ebene der politisch-sozialen
Konfliktlagen
und Organisationsformen beschrieben worden, aber nur ansatzweise auf
der Ebene
symbolischer Repräsentation.
In
einem diachronen Längsschnitt
soll an ausgewählten Fallbeispielen untersucht werden, welche
Formen in den
verschiedenen Regimen die Visualisierung und Inszenierung der
politisch-sozialen Ordnung annahm und welche Funktion ihr zukam. Als
Grundannahme ist davon auszugehen, dass liberal-konstitutionelle
Regime, wie
sie sich als Kompromissform in der Julimonarchie realisierten, trotz
eines
teilweise identischen Repertoires an Medien und Inszenierungstechniken
andere,
charakteristisch abgewandelte Formen der symbolischen
Repräsentation
hervorbrachten als autoritär-plebiszitäre, wie sie
sich kurzfristig 1848 und
dann dauerhafter seit 1880 durchsetzten. Das soll an Praxisfeldern wie
politischen Festen und politischen Kundgebungen, an
Herrschaftsrepräsentationen
und Begräbniszeremonien überprüft werden.
Neben Presseerzeugnissen und anderen
gedruckten Quellen sowie einschlägigen archivalischen Quellen
sollen vor allem
Bildquellen analysiert werden, denen im entstehenden Massenzeitalter
ansteigende Bedeutung zukommt. Mit der chronologischen und thematischen
Ausweitung des bisherigen Untersuchungszeitraums über 1815
hinaus sollen zudem
die Grenzen zu einer Betrachtung der Moderne geöffnet und die
Erklärungskraft
bzw. die Erklärungsgrenzen des Konzepts der symbolischen
Kommunikation für die
Moderne problematisiert werden.
Herrscherrepräsentation
und Volksmacht: Inszenierung und Visualisierung
Das
postrevolutionäre Frankreich
erlebte das Neben- und Gegeneinander monarchisch- legitimistischer,
monarchisch-konstitutioneller und
plebiszitär-autoritärer Regime, die sich
einzelner Versatzstücke monarchischer Legitimation und
Repräsentation
bedienten. Alle Regierungen standen unter erheblichem
Legitimationsdruck durch
die Erinnerung an die Revolution, die politische Opposition und eine
sich immer
selbstständiger betätigende Presse. Vor dem
Hintergrund der durch die Restauration
ausgelösten Symbolkämpfe um das
revolutionäre Erbe untersucht das Einzelprojekt
am Beispiel von Herrscherporträts und Herrscherreisen die
Wechselwirkung von
offizieller und herrschaftskritischer Symbolik. Ein erster
Projektabschnitt
analysiert das Herrscher- und Staatsporträt (Gemälde,
Büste, Lithographie,
Foto) als politischen Ordnungsfaktor. Ausgehend von der Visualisierung
und
Legitimierung herrschaftlicher Macht in offiziellen Bildnissen in
Parlamenten,
Residenzen und Amtsstuben gilt es nach deren Funktionalisierung,
Verbreitung
und Rezeption in kommerziellen Publikationen zu fragen.
Die
aktuelle Forschung
interpretiert Staatskult und Herrscherrepräsentation im
zweiten Kaiserreich
zumeist unter dem Aspekt technischer Entwicklung und gesellschaftlicher
Modernisierung. Dieser Befund bedarf hinsichtlich des traditionellen
Legitimationsmodus
französischer Königsherrschaft sowie der ambivalenten
Doppelnatur
parlamentarischer Volks-Monarchie der Überprüfung.
Symbolpolitisch handelt es
sich bei Herrscherbildnis und Herrscherreise im 19. Jahrhundert um
„überständige Praktiken“, die
sperrig in die neue verfassungsmäßige Ordnung
hineinragen (Philip Manow). Bezüglich Napoleons Inaugurationen
von Straßen,
Eisenbahnlinien und Industrieschauen wäre demnach auch zu
fragen, inwieweit
hier trotz aller technischer Neuerungen (etwa der Reise per Bahn) noch
vorkonstitutionelles
Herrschaftsdenken auf die politisch-sozialen Ordnungsvorstellungen des
19.
Jahrhunderts einwirkte.
(Martin Knauer)
Totenkult in der
Julimonarchie
„Das
Begräbnis: Anlaß zur
Wiedergeburt“ so überschreibt Victor Hugo in
„Die Elenden“ das Kapitel, in dem
er den Trauerzug von General Jean
Maximilien Lamarque und die daran anschließenden Unruhen in
Paris im Juni 1832
beschreibt.
Bestattungen
werden in Frankreich nach 1830
als politische Medien genutzt, und das nicht nur von der alten
Machtelite,
sondern, wie im Verlauf dieses Projekt eingehender heraus gearbeitet
werden
soll, von dem gesamten politischen, gesellschaftlichen Spektrum
– von den Ultras
bis zu den Republikanern. Dazu sollen zum
einen
die unterschiedlichen unter Louis-Philippe durchgeführten
Begräbnisse, wie z.B.
des Generals Lamarque oder des Oppositionellen Godefroi Cavaignac und
die
Translationen der Julikämpfer und Napoleons I., untersucht
werden. Wenn hier
der Schwerpunkt auf die Inszenierung von Bestattungen bzw.
Überführung gelegt
wird, geschieht dies, weil Bestattungszeremonielle Bestandteil und
deutliches
visuelles Element von Totenkulten sind. Zum anderen soll aber auch
geprüft werden,
welche Totenkulte nun wiederbelebt werden, welchen Vorfahren nun neue
Denk-
oder Grabmäler errichtet werden und mit welchen
(vergangenheits-)politischen
Absichten dies geschieht. Zu diesem Themenbereich zählt etwa
die
Wiederherrichtung von St. Denis durch Louis-Philippe, und eben auch die
der
Translation Napoleon I. vorausgehenden Denkmaleinweihungen, z.B. auf
der ‚Colonne
Vendôme‘.
(Verena Kümmel)
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