Teilprojekt
B8: Formen symbolischer Kommunikation in der Messvertonung des 15. bis 17. Jahrhunderts
| Projektbeschreibung |
Entsprechend der Rahmenthematik des
SFB 496 untersucht
das Projekt B8 Vertonungen des Ordinarium Missae aus dem 15. bis 17.
Jahrhundert als Medium symbolischer Kommunikation
außermusikalischer Inhalte
und Wertvorstellungen sowie spezifisch artifizieller Ideale. Diese
konnten
einerseits im Rahmen des musikalischen Artefakts Messe im Notentext
individuellen
Rezipienten privat, andererseits im Akt seiner performativen
Darstellung einem größeren
Auditorium öffentlich vermittelt werden. Wie, unter welchen
Bedingungen und in
welchen Kontexten Messvertonungen in Renaissance und Früher
Neuzeit komponiert,
in welchem institutionellen, politischen oder rituellen Rahmen sie
aufgeführt
wurden, welche Metaphern und Zeichensysteme sie bemühten,
hatte also
entscheidenden Einfluss auf die potentiellen Möglichkeiten,
aber auch auf die
Grenzen ihrer Deutung und ihres Verständnisses durch die
Zeitgenossen. Daher konzentrieren
sich die Arbeiten im Projekt B8 auf Phänomene symbolischer
Kommunikation in den
polyphonen Messen des Untersuchungszeitraums, die mit dem bislang oft
vernachlässigten Aspekt ihrer institutions- und
lokalgeschichtlichen Verortung
bzw. Einbindung in Zusammenhang stehen. Damit erschließt das
Projekt in
methodischer Hinsicht Neuland, denn Fragestellungen zu den
verschiedenen
Phänomenen symbolischer Kommunikation aus
historisch-kontextueller und
werkimmanenter Sicht sind von der Musikforschung im Hinblick auf den
genannten
Zeitraum und das bezeichnete Repertoire bisher weder umfassend noch
systematisch erfasst und beschrieben, geschweige denn grundlegend
gedeutet
worden. Den Ausgangspunkt dieser Untersuchungen bildet stets die
Situation der
Messkomposition an höfischen und städtischen
Residenzen – wegen der mit ihr
verbundenen, günstigen Quellenüberlieferung sowohl
für die Werke, als auch für ihre
kontextuellen Dokumente. Eine abschließende
Bündelung der Forschungsergebnisse bzw.
Einzelbefunde des Projekts zur Entwicklung allgemeiner Kriterien
für die
Beschreibung und die musikalisch-soziologische Funktionsanalyse der
symbolischen Kommunikationsvorgänge in Messvertonungen des 15.
bis 17.
Jahrhunderts einschließlich ihrer Grenzen inhaltlicher,
regionaler und ethisch-moralischer
Art bildet das Forschungsziel des Projekts.
Im Mittelpunkt der Projektarbeit
stehen drei große Forschungsfelder:
A. Aneignung des liturgischen
Rituals als Form politischer Inszenierung:
Untersucht werden hier –
sowohl
werkanalytisch, als auch kontextuell – Phänomene
symbolischer Kommunikation in
Messvertonungen des 15. bis 17. Jahrhunderts, die als Formen der
Repräsentation
und Reputation weltlicher oder geistlicher Herrscher intendiert waren,
wie etwa
in den zahlreichen Dedikations- und Huldigungsmessen für
Adlige oder Päpste aus
Renaissance und Früher Neuzeit. Entscheidend ist dabei, dass
das individuell für
die Huldigung gewählte Modell der symbolischen Kommunikation
gleichsam als ‚klingende’
Herrscher-Insignie integraler Bestandteil der kompositorischen Struktur
des
jeweiligen Einzelwerks ist – sei es als spruchbandartiger
Fremdtext, als Fremdmelodie
oder als künstlich generiertes, vorher nicht existierendes
Thema, das sich
explizit auf eine bestimmte Persönlichkeit bezieht. Das
bekannteste Beispiel
bildet die Missa Hercules Dux Ferrariae
von Josquin Desprez (ca. 1450-1521). Als weitere Form der politischen
Inszenierung und Selbstdarstellung von Herrschern im Kontext der
Messvertonung
des Untersuchungszeitraums lassen sich auch die in
einschlägigen Originalquellen
der Zeit auftretenden Portraits und Wappendarstellungen dieser
Persönlichkeiten
benennen.
B. Symbolische
Kommunikationsphänomene mit religiöser Implikation:
Untersucht werden hier die
vielfältigen
symbolischen Bedeutungsebenen der den sakrosankten Messtext oft
konterkarierenden, kompositorisch aber konstitutiven Fremdvorlagen von
polyphonen Messen aus Renaissance und Früher Neuzeit, seien
sie einstimmige
liturgische Choräle oder mehrstimmige weltliche Werke.
Insbesondere Messvertonungen
mit multiplen Fremdtexten und Cantus firmus-Achsen stehen dabei im
Mittelpunkt
des Erkenntnisinteresses, eröffnen diese doch potenzierte
Deutungsmöglichkeiten
der symbolischen Kommunikation insbesondere religiöser,
liturgischer oder sogar
theologischer Inhalte. Beispiele bieten die Missa
De Sancto Donatiano von Jacob Obrecht (1457-1505) mit ihrem
kunstvollen Sinngeflecht
aus Messentext, Verweis auf den Schutzheiligen der Stadt
Brügge sowie der
Einbeziehung von Stifter und Stifterintention – oder etwa die
zwischen der
symbolischen Vermittlung lokaler liturgischer Traditionen,
allgemeinverbindlicher
Frömmigkeitsformen, lutherischer und katholischer
Reformintentionen
changierenden Messvertonungen süddeutscher Komponisten aus der
zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts.
C. Artifizielle Konstruktionen
der Messvertonung als Form symbolischer Kommunikation:
Der
kompositorische oder artifizielle Aspekt bildet einen integralen
Bestandteil der Formen symbolischer Kommunikation in der Messvertonung
des
Untersuchungszeitraums, stellt er doch im engeren Sinne die
künstlerische Basis
bzw. das technische Medium zur musikalischen Abbildung politischer und
religiöser Inhalte in diesen Werken dar. Einige prominente
Beispiele mögen diesen
Forschungsschwerpunkt veranschaulichen: Die Missae Prolationum
sowie Cuiusvis
toni von Johannes Ockeghem (1410-1497) sind –
gewissermaßen im Sinne einer
spätmittelalterlichen ‚l’art pour
l’art-Vorstellung’ – einerseits
Lösungen, in
denen bestimmte Parameter zeitgenössischen Komponierens bis an
die Grenzen
getrieben werden; andererseits werden in ihnen wiederum symbolische
Verweise
religiösen Inhalts deutlich, weil ihre artifizielle
numerisch-rationale
Übersteigerung auch auf die von der mittelalterlichen
Musiktheorie öfter
herangezogene, zeitgenössische Lebenswelt und Bildungskanon
wesentlich prägende
Stelle aus dem Liber sapientiae
(11,21) verweist: „Sed omnia mensura et numero et pondere
disposuisti“. Auch auf
das symbolische Potential der vor allem im 16. und 17. Jahrhundert
gängigen Kompositionspraxis
des Parodieverfahrens, die mit der bewussten Fragmentierung von
Messteilen,
einzelnen Stimmen oder ganzen Abschnitten mehrstimmiger Fremdvorlagen
einhergeht,
ist im Zusammenhang mit den artifiziellen Phänomenen
symbolischer Kommunikation
in der Messe des 15. bis 17. Jahrhunderts zu verweisen. Neben der
zeittypischen
Lust am artifiziellen Spiel lässt sich hier oft ein bewusster
Verweis auf ältere
Autoritäten im Sinne eines künstlerischen
Spannungsfeldes der Begriffe und
Konzepte von „Imitatio“ und
„Aemulatio“ konstatieren – zur
künstlerischen
Selbstfindung und traditionsbezogenen Selbstvergewisserung der
Komponisten. In
den Kontext der artifiziellen Formen symbolischer Kommunikation
gehört auch die
Analyse der in zahlreichen einschlägigen Originalquellen aus
dem
Untersuchungszeitraum überlieferten Abbildungselemente zur
buchkünstlerischen
Illustration von Messvertonungen.
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