Teilprojekt B5:
Grundlagen und Typen der Tugendethik
| Projektbeschreibung |
In der philosophischen Ethik ist seit zwei Jahrzehnten das Thema "Tugendethik" ins Zentrum gerückt. Inzwischen hat die "Renaissance der Tugendethik" auch in Deutschland weite Kreise der Philosophie und der Öffentlichkeit erfasst, ohne dass die systematischen und historischen Bedingungen einer solchen Erneuerung hinreichend geklärt wären. In diesem Projekt werden eine metaethische und eine philosophiegeschichtliche Fragestellung verknüpft: Am Beispiel der Rezeption der antiken Tugendethik in der Renaissance sollen sowohl allgemeine Grundlagen der Tugendethik wie auch historische Bedingungen ihrer Aktualisierung untersucht werden. Die Diskussion über Tugenden und Tugendethiken in der Renaissance ist für beide Fragestellungen deshalb von großer Bedeutung, weil es hier eine - teils implizite, teils explizite - Debatte über die Vorzugswürdigkeit verschiedener Tugendkataloge und Tugendethiken (aristotelische, stoische, platonische), aber auch über die Arten ihrer symbolischen Vermittlung in Kunst, Erziehung etc. gegeben hat. In Anlehnung an antikes Schrifttum wurden tugendethische Fragestellungen in Abhandlungen über das Glück des Menschen, die freiheitliche Erziehung, die Rhetorik und Dialektik, das Wesen guter politischer Ordnungen usw. erörtert. Die Auseinandersetzungen theoretischer Natur waren jedoch frei von der Verteidigungshaltung moderner Tugendethiken gegen andere Formen der Ethik.
In diesem Projekt geht es in systematischer bzw. metaethischer Hinsicht um drei Hauptaufgaben:
(1) Es soll geklärt werden, welche Auffassung der Struktur von Moralphilosophie insgesamt die Rede von Tugend als zentraler Kategorie voraussetzt. Wer in Vergangenheit und Gegenwart eine Tugendethik vertritt, ist implizit auf einen metaethischen Rahmen festgelegt, dessen Merkmale expliziert werden sollen. Dazu gehören die in der modernen Metaethik diskutierten Fragen des Kognitivismus (Wahrheitsfähigkeit ethischer Urteile), des Objektivismus (Tugenden als objektive oder bloß projizierte Eigenschaften von Handlungen und Einstellungen), des Zentralismus (Rückführung konkreter tugendhafter Handlungen auf allgemeine, "basale" Einstellungen oder Prinzipien) und des Partikularismus (Situationsgebundenheit, Konkretheit ethischer Urteile).
(2) Es sind nach diesen Kategorien verschiedene Typen von Tugendethiken zu unterscheiden. Ziel ist dabei, ein Klassifizierungssystem zu erarbeiten, das es erlaubt, tradierte und zumeist einseitig inhaltlich bzw. kulturgeschichtlich orientierte Schemata - z. B. christliche vs. säkulare Tugenden - zu unterlaufen.
(3) Es werden die allgemeinen Überlegungen anhand von drei Rahmenbereichen bewährt und konkretisiert: (i) das Problem der Charakterbildung in Kontext der Erziehung und Therapie; (ii) das Verhältnis von Tugend und moralischem Überlegen; (iii) das Verhältnis eines partikularistisch zu deutenden aristotelischen Tugendbegriffes zu allgemeinen Regeln bzw. dem Sittengesetz.
Für diese drei Hauptaufgaben des Projektes in systematischer Hinsicht sollen historische Parallelen an konkreten Diskussionsgegenständen der Renaissance untersucht werden. Aus den Erfahrungen der ersten Antragsphase ergeben sich hierfür folgende konkrete Untersuchungsgebiete:
(1) die Herauskristallisierung einer Ethik gemäß den verschiedenen Philosophenschulen der Antike;
(2) die Frage nach der Rolle des Politischen im menschlichen Leben (vita activa vs. vita contemplativa);
(3) die Rolle der Sprache für die Vermittlung von Werten (Kommentierungstechnik, Sprachtheorie, Rhetorik);
(4) die Möglichkeiten der allegorischen Weltdeutung als Indiz für den ontologischen Rahmen einer Tugendethik in der Renaissance.
Die Beschäftigung mit Tugendethiken im Frühhumanismus und in der Renaissance dient nicht dem Zwecke der bloßen Illustration systematischer, metaethischer Überlegungen, sondern bestimmt diese wesentlich mit. Umgekehrt ermöglicht es erst die systematische Perspektive, Entwicklungen und "Krisen" der Tugendethik (von den virtutes zur virtù und zur Tugendskepsis der frühneuzeitlichen Philosophie) besser zu verstehen und auf ihre systematischen Argumente hin zu überprüfen.
|