Teilprojekt B3:
Theatralische und soziale Kommunikation: Funktionen des städtischen und höfischen Spiels in Spätmittelalter und früher Neuzeit
| Projektbeschreibung |
Das Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ist paradigmatischer Schauplatz und ästhetisches Medium symbolischer Kommunikation. Der Thematik des SFB 496 entsprechend richtet sich das Interesse der Projektarbeit auf die vom Theater präsentierten kollektiven Wertevorstellungen und Ordnungssysteme, soweit diese durch Formen symbolischer Darstellung, d. h. durch die Allegorien und Metaphern der Texte, durch die auf der Bühne sichtbaren Realien, Aktionen und Spielfiguren sowie durch die Dramenstoffe und -inszenierungen insgesamt, vermittelt werden.
Im Unterschied zu den realen gesellschaftlichen Praktiken ist das Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit als ein Medium kultureller Selbstbeobachtung zu begreifen; durch seine frei wählbaren Inhalte ist es eine prominente fiktionale Instanz der symbolischen Wertevermittlung, die auf ästhetische und moralische Wirkung zielt. Mehr als die Lese- und Vortragsliteratur ist sie durch den multimedialen Akt der Performanz jedoch in den konkreten gesellschaftlichen Ort eingeschrieben (zumal vor der Entstehung des professionalen Schauspielertums). Die im Theater als einem Raum der wenigen Massenveranstaltungen der Übergangszeit geleistete öffentliche Wertepropagierung und -reflexion wird unter drei Aspekten verfolgt:
Erstens gilt die Projektarbeit der aktionalen oder dramatischen Dimension des Theaters. Darunter werden die Akteure (Spielfiguren) und die symbolischen Interaktionsformen, die aus dem ganzen Handlungskontinuum der Stücke zu isolieren sind, zusammengefaßt. Personen und aufführbare Handlungen sind die Kernelemente des Theaters, die es als dramatisch-strukturelle Faktur bestimmen. Die Spielfiguren (Handlungsträger) fungieren als zeichenhafte Repräsentanten von Werten, und zwar besonders die Personifikationen (Allegorien) von positiven und negativen Kräften, Tugenden und Lastern, ferner die historischen Gestalten, vor allem der Zeitgeschichte, sowie die biblischen und mythischen Exempelfiguren, die ebenfalls als dramatis personae ethische Konzepte vermitteln. Dazu treten im dramatischen Kontext komplementär typische symbolische Interaktionsformen (szenische Aktionstypen) aus dem politischen, religiösen und privaten Bereich, die als eigene Symbolgattung zu untersuchen sind, da sie Verhaltensstandards insinuieren und diskutieren (datenbankgestützte Arbeit).
Zweitens soll die emblematische Dimension des Theaters der Vormoderne, die für diese Epoche besonders charakteristisch ist, in ihren theoretischen und praktischen Implikationen und Erscheinungsweisen untersucht werden. Es ist einmal zu fragen nach den zeitgenössischen Theorien der Symbolik und Performanz unter Einbeziehung der Dramenpoetik zur Ermittlung des direkten reflexiven Umgangs mit der Theatersymbolik. Zum anderen sind praktische Formen spezifischer Bildlichkeit in verschiedenen Medien und die Diffusion des theatralen Paradigmas in weitere Bereiche der gesellschaftlichen performativen Kultur zu beschreiben.
Drittens interessiert in der jetzigen Forschungsphase nach dem zunächst systematischen Fragestellungen der gesamteuropäischen Theaterkultur geltenden Ansatz, der möglichst zahlreiche Typen symbolischer Kommunikation und verschiedene Werteordnungen zu erfassen suchte, die Funktion des lateinischen Theaters im Prozeß der Ausdifferenzierung regionaler bzw. nationaler volkssprachiger Theaterpraxis. Sie wird neu untersucht in drei unterschiedlich ausgelegten Regionen der Entwicklung europäischer Theaterkultur: im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts, in den Niederlanden des 15. bis 17. Jahrhunderts und im Spanien vornehmlich des 16. Jahrhunderts, während die bisherigen Arbeiten den Raum Deutschland, Österreich, Schweiz auf der einen Seite und England auf der anderen Seite beleuchtet haben und dies weiter ausbauen werden. Für diese regional distinkten Bereiche sollen vergleichend jeweils die gesellschaftliche Position und die Wertevorstellungen in der Spielpraxis sowie das Verhältnis der volkssprachigen und der lateinisch-humanistischen Theaterkultur insgesamt beschrieben werden.
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