Teilprojekt A9:
Visualität der Diplomatie im europäischen Spätmittelalter. Die symbolische Inszenierung in der internationalen politischen Kommunikation
| Projektbeschreibung |
Vereinbarungen, Verhandlungsergebnisse und Vertragsabschlüsse sind (noch heute) nur die Endpunkte einer längeren Vorgeschichte. Politische und rechtswirksame Entscheidungen, die in ihnen festgehalten sind, stellen Kompromisse zwischen den erklärten Zielen der Verhandlungspartner dar. Deren handlungsleitende Absichten bleiben dahinter verborgen: Funktion und Faszinosum der Diplomatie liegen im Spiel mit diesem Verborgenen.
Nicht anders verhielt es sich bereits im Mittelalter: Jedes öffentliche Treffen von Herrschern, Gesandten und Delegationen folgte einer sorgfältig geplanten und zuvor zwischen den Parteien nicht-öffentlich vereinbarten Choreographie. Wie ein Herrscher als Gastgeber einem fürstlichen Gast entgegenging, wer zuerst grüßte, wenn beide sich zu Pferd begegneten, auf welcher Seite man reiten mußte, um einen Gast zu ehren und auf welcher, um ihn zu dominieren, schließlich welche Gesandten zur Person des Herrschers vordringen konnten, wie sie sich dabei zu verhalten hatten und weshalb manche Gesandtschaften allein wegen unangemessenen Verhaltens ihrer Träger scheiterten - diese und viele andere Details spielten eine erhebliche Rolle beim Ringen um den Ausgleich der Interessen und sollen im Projekt A9 kultur- wie polithistorisch analysiert werden.
Immer transportierte die sichtbare Inszenierung das Unsichtbare der Selbst- und Fremdeinschätzungen, der Konfrontation von Rangansprüchen und der eigenen Absichten und Handlungsziele. Aus einem Vertragsabschluß sind diese Zusammenhänge allenfalls ansatzweise zu erschließen. Auch der Rückschluß aus der öffentlichen Inszenierung ist nicht ohne weiteres möglich. Für eine weitere Öffentlichkeit blieb damals, nicht anders als für heutige Betrachter, eher eine Ahnung des Verborgenen. Nur wer zu einer engeren, höfischen Öffentlichkeit zählte, konnte wissen, was hinter der sichtbaren Inszenierung stand und mit ihr gemeint und ausgedrückt war.
Das Projekt soll die Wissensbestände und Traditionen, die Werteordnungen und Deutungsmuster erfassen, beschreiben und analysieren, die der symbolischen Inszenierung diplomatischen Handelns zugrunde gelegen haben. Es geht davon aus, dass solche Regeln und Normen in der europäischen, insbesondere der westeuropäischen Adels- und Hofkultur entwickelt worden sind. Dieser seit dem Hochmittelalter ablaufende Entwicklungsprozeß erfuhr mit dem Niedergang der universalen Geltungsansprüche von Kaiser und Papst seit dem 13. Jahrhundert einen folgenreichen Einschnitt. Seither dominierten die fürstlichen Gewalten, insbesondere die königlichen Höfe der westeuropäischen Monarchien das Geschehen. Ihre Kooperationen und Konflikte, vor allem der immer wieder aufbrechende Rangstreit zwischen den Königen von Frankreich und England, bestimmte zunehmend das Verhältnis der Kräfte untereinander, gegenüber den übrigen Reichen und auch in Bezug auf Kaiser und Papst.
Entscheidende Impulse erfuhr die Ausbildung des symbolischen Formenrepertoires höfischer Diplomatie unter den europaweit wirksamen Bedingungen des Hundertjährigen Krieges im 14. und 15. Jahrhundert. Das Projekt findet daher hierin seinen bevorzugten Untersuchungszeitraum. Äußere Herausforderungen in einer zuvor unbekannten Dichte zwangen zu verstärkter internationaler Kommunikation. Der praktische Handlungsbedarf schärfte bewährte wie neue Instrumente von Verständigung und Konflikthandeln nicht nur zwischen den Kriegsparteien Frankreich und England. Unerläßliches Fundament einer Verständigung war das Formenrepertoire der diplomatischen Symbolik, dessen Bedeutung als erstrangiges Instrument der internationalen politischen Kommunikation ungebrochen blieb.
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