Teilprojekt A2:
Konflikt- und Friedensrituale im Spätmittelalter
| Projektbeschreibung |
Die
Projektarbeit konzentriert sich grundsätzlich auf den Beitrag,
den Akte
symbolischer Kommunikation für die Etablierung und
Aufrechterhaltung von
Ordnung im Mittelalter leisteten. Untersucht werden Herrschaftsrituale
im
Reich, wobei die Frage von Dauer und Wandel auf diesem Feld vom
Früh- zum
Spätmittelalter von besonderem Interesse ist. Aus dieser
Perspektive lässt sich
deutlich zeigen, dass Verschiebungen in der Rangordnung und
Veränderungen der
Wertevorstellungen sich in veränderten Akten symbolischer
Kommunikation
niederschlagen. Dieser Prozess und seine Erscheinungsformen sollen an
zentralen
Beispielen spätmittelalterlicher Interaktionen zwischen
Königtum, Adel und
Kirche veranschaulicht werden.
Ziel der
bisherigen Arbeiten des Teilprojektes war es, das Verständnis
der Akte
symbolischer Kommunikation insbesondere am Beispiel der Konflikt-,
Friedens-
und Herrschaftsrituale dadurch zu fördern, dass die
‚Gemachtheit’ dieser
Rituale und die Prinzipien ihrer Konstruktion wie ihrer
Veränderung erforscht
wurden. Rituale traten so als bewusst gestaltete und bewusst
veränderte Kettenhandlungen symbolischer
Kommunikation ins Blickfeld, die Ordnung stiften und aufrecht erhalten
konnten,
weil diese Handlungen Rechte wie Pflichten begründeten,
Rangordnungen festlegten
und sie für die Zukunft fixierten. Diese Leistung war nur
möglich, weil eine
Vielzahl von Normen und Regeln für die Durchführung
dieser Kommunikation
galten, die allgemein bekannt waren, auch wenn sie nicht immer
eingehalten
wurden.
Auf dieses
nicht oder erst spät in einigen Ausschnitten schriftlich
niedergelegte System
von Regeln – die Spielregeln symbolisch-rituellen Verhaltens
– und auf den
Geltungsanspruch derselben richtet sich nun die konzentrierte
Aufmerksamkeit.
Der Begriff
‚Spielregeln’ akzentuiert die in verschiedener
Hinsicht feststellbaren
Besonderheiten der Regeln, die für symbolisch-rituelle
Kommunikation im
Konflikt galten, und grenzt diese Spielregeln damit von Gesetzen,
Geboten und
anderen Ausdrucksformen normativer Art ab. Genutzt wird dabei u. a. ein
älteres
Theorieangebot, das Johann Huizinga in seinem Buch „Homo
ludens“ entwickelte.
Dort entfaltete er die Vorstellung der Herkunft des Spiels aus Kult und
Ritual
sowie die einer besonderen Leistungskraft, die aus dieser Herkunft
resultiert.
Die dort entwickelte Sicht vom Spiel als der Konstitution einer eigenen
Welt
mit ihren eigenen Spielregeln kann mutatis mutandis auch für
die systematische
Entwicklung der Spielregeln symbolischer Kommunikation im Mittelalter
genutzt
werden. Schließlich konstituierte auch die
symbolisch-rituelle Kommunikation in
Konflikten eine besondere Welt, die nur dann aufrecht erhalten werden
konnte,
wenn die geltenden Spielregeln eingehalten wurden. Es scheint sinnvoll,
die
Regeln dieser besonderen Welt mit einem eigenen Begriff zu
kennzeichnen. Daher
ist systematisch zu klären, welche Spielregeln der
Konflikteröffnung,
-austragung und -beilegung galten, und was passierte, wenn sie verletzt
wurden.
Überdies ist Rechenschaft darüber abzugeben, wie
solche Regeln erkannt werden
können, die aus der Bewertung von Verhalten als vorbildlich
und gut oder als
empörend und schlecht extrapoliert werden müssen.
Einen
Schwerpunkt der
Untersuchung bilden dabei nicht zuletzt die Spielregeln
religiöser
Kommunikation im Kontext von Herrschaft. Exemplarisch sollen sie anhand
der
spätmittelalterlichen Habsburger untersucht werden, und zwar
unter drei
Leitperspektiven. Die erste richtet den Blick auf die konkret
nachvollziehbaren
Formen der Vermittlung religiöser Werte, Normen und
Spielregeln, wie sie sich
für den Bereich der Habsburger etwa in den verschiedensten
Fürstenspiegeln, Gebetsbüchern,
vorbildhaften Heiligenviten, den Briefen von Beichtvätern oder
auch der berühmten,
für Herzog Albrecht III. angefertigten Übersetzung
des Rationale Divinorum
von Wilhelmus Durandus fassen lassen. Den zweiten Aspekt der
Untersuchung soll
die jeweils spezifische Art der Rezeption
„religiöser Spielregeln“ durch die
Mitglieder der domus Austrie bilden. Von Interesse
ist dabei nicht nur
die Internalisierung der genannten Regel- und Wertesysteme, sondern es
sind vor
allem auch die verschiedenen Formen der gestaltenden Aneignung zu
untersuchen:
der Ausdeutung und Ausarbeitung – etwa in
Gottesdienstordnungen Agnes’ von
Ungarn und Rudolfs IV. oder in kirchlichen Reformaktivitäten
der Habsburger –
sowie ihre Nutzung für die Belange der eigenen Herrschaft.
Ganz allgemein soll
hier nach Strategien gefragt werden, wie man den Regeln
inhärente Spielräume
ausreizte oder möglichst viele eigene Ziele in dieselben
einschrieb und somit
an der Geltungskraft religiöser Normen partizipierte, nicht
zuletzt mithilfe
der Mehrdeutigkeit und Multifunktionalität symbolischer
Formen. Den dritten
Untersuchungsbereich bilden die Grenzen der Spielregeln
religiöser
Kommunikation. Nicht nur, dass schon die Rezeption religiöser
Normen durch die
Habsburger oftmals nur partiell oder in stark verzerrender Weise
geschah, auch
in der konkreten Umsetzung stieß man beinahe
zwangsläufig an Grenzen, etwa
durch die vielfach stark theoretisch gehaltenen und damit in der Praxis
wenig
hilfreichen Anleitungen in Fürstenspiegeln, durch das Schisma
oder die Konkurrenz
religiöser Normen mit anderen Regelsystemen. Im Besonderen
soll hier der Frage
nachgegangen werden, wie man bei solchen Regelkonflikten das Problem
der
Normenhierarchie und der Prioritätensetzung löste. Im
Hinblick auf die vielfach
bewussten Regelverstöße der Habsburger ist
darüber hinaus zu fragen, welche
Ausgleichsmechanismen und Kompensationsmöglichkeiten genutzt
werden konnten, um
dennoch eine gewisse Regeltreue und damit auch das jeweils betroffene
Regelsystem aufrecht zu erhalten. Insgesamt will die Arbeit damit
einerseits
die wenig untersuchten Formen und Normen habsburgischer
Religiosität
herausarbeiten, andererseits aber auf einer allgemeineren Ebene einen
Beitrag
leisten zur Frage nach den Spielregeln der
spätmittelalterlichen Gesellschaft
und Herrschaft, nach den spezifischen Formen religiöser
Kommunikation und der
Konkurrenz und Integration unterschiedlicher Regelsysteme.
Mit
diesen Vorhaben bleibt die Projektarbeit dem Ziel verpflichtet, die
Leistungskraft symbolischer Kommunikation durch den Nachweis ihres
bewussten
Einsatzes, ihrer reflektierten Gestaltung und ihrer
Veränderungen gemäß den
Veränderungen im Bereich von Wertevorstellungen zu erhellen
und damit die
Funktionsweisen mittelalterlicher Herrschaft besser zu verstehen.
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