Franziska Neugebauer (Bonn)
Betreuer: Prof. Schmoeckel
Titel der Dissertation:
Prozessuale Wahrheitsfindung – Eine (rechtshistorische) Analyse des Beweisrechts im Spiegel von technologischer Innovation
Kurzbeschreibung:
Das Beweisrecht ist seit jeher ein zentrales Element von Gerichtsprozessen. Es regelt unter anderem, welche Tatsachen das Gericht bei der Fällung des Urteils zugrunde legen darf und welche Beweismittel für den Nachweis von Tatsachen verwendet werden können. Da technologische Fortschritte immer wieder neue Beweismittel hervorbringen, ist das Beweisrecht besonders sensibel für Veränderungen durch technologischen Wandel. Laufend muss über die Zulässigkeit und Beweiseignung neuer Beweismittel reflektiert werden. Auch durch aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise KI-basierte Videos und Fotos, steht das Beweisrecht derzeit wieder vor großen Schwierigkeiten, da diese den Beweiswert etablierter Beweismittel verändern oder nahezu völlig aufheben.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur werden die Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien im ordentlichen Gerichtsverfahren sowie die sich daraus ergebenden Probleme intensiv diskutiert. Ein in der bisherigen Debatte jedoch kaum beachteter Aspekt ist, wie das Beweisrecht aus historischer Perspektive mit fundamentalen technologischen Errungenschaften umging, was für Implikationen technologischer Wandel für das Beweisrecht hatte und was sich aus der rechtsgeschichtlichen Sichtweise für die aktuellen Fragestellungen ableiten lässt. Die rechtshistorische Betrachtung verspricht unter anderem Erkenntnisse darüber, wie bereits entwickelte Lösungsansätze auf aktuelle Herausforderungen übertragen werden können.
Diese Arbeit untersucht mittels einer rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Analyse wie das Beweisrecht des ordentlichen Gerichtsverfahrens seit dem Erlass der Reichsjustizgesetze im Jahr 1877 auf die damals entstehenden Technologien Fotografie, Film und Tonaufnahme einging. Anhand von Urteilen, Gesetzgebungsmaterialien und rechtswissenschaftlicher Literatur wird ermittelt, wie diese Technologien in das Gerichtsverfahren integriert wurden und die Beweisführung beeinflussten. Auch wird die Debatte um ihre Beweiseignung und die Vereinbarkeit mit Prozessgrundsätzen, etwa der prozessualen Waffengleichheit, beleuchtet. Zudem soll ein Vergleich mit dem britischen Rechtssystem zeigen, wie eine Rechtsordnung mit einem anderen gesellschaftlichen und dogmatischen Hintergrund mit den damals neuen Technologien als Beweismitteln umgegangen ist, um aus diesem Vergleich verallgemeinerbare Rückschlüsse über den Einfluss technologischen Wandels auf das Beweisrecht zu ziehen.
Im zweiten Teil werden aktuelle Technologien behandelt, die die Eignung von Fotografie, Film und Tonaufnahme als Beweismittel beeinträchtigen oder neue Anwendungsfelder dieser drei Medien im Beweisverfahren erschließen. Erneut wird auch das britische Recht betrachtet, um den dortigen Umgang mit aktuellen neuen Technologien im Vergleich zum deutschen Rechtssystem zu analysieren. Insgesamt wird erörtert, welche Parallelen zu den historischen Debatten bestehen, ob historische Lösungsansätze auf heutige Debatten übertragbar sind und welche möglichen Fehler vermieden werden können.