Präambel
25.6.2024! T-7 Tage! Der Countdown läuft! Und Houston, wir haben kein Problem! In sieben Tagen ist es endlich wieder soweit und das weltberühmte und berüchtigte SPLAM-Team wird sich in all seiner Herrlichkeit auf den Weg nach Spitzbergen machen. Neben der schon üblichen Kernmannschaft, bestehend aus Ernst Hauber vom DLR in Berlin, Andreas Johnsson von der Universität Göteborg, Nico Schmedemann und Harald Hiesinger von der Universität Münster, wird dieses Jahr Mike Zanetti von der NASA mit uns in den hohen Norden kommen. Wer den Blog schon länger verfolgt wird vielleicht feststellen, dass Nico und ich neuerdings von der Universität Münster kommen und nicht mehr von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Universität hat nämlich nach einem längeren Prozess entschieden, sich umzubenennen.

Mike ist ein ehemaliger Master-Student von mir und ein alter Hase, denn er war in der Vergangenheit schon mehrmals mit uns in Spitzbergen. Legendär war sein mehrtägiges Auskochen eines gefundenen Rentierschädels samt großem Geweih, um ihn als Souvenir mitzunehmen. Ein Unterfangen, das geradezu grandios gescheitert ist. Es hatte aber damals durchaus einiger Überzeugungskraft der gesamten Mannschaft bedurft, ihm dieses Unterfangen letztlich auszureden. Wir würden vermutlich noch heute beim Zoll bei der Einreise nach Deutschland stehen und ich hoffe, dass er nicht wieder derartige glorreiche Ideen bekommt! Aber mittlerweile ist er ja wieder in den USA. Ich bezweifle jedoch, dass es einfacher wäre so ein „Mitbringsel“ dort zu importieren. Mike bringt ein sog. LIDAR Instrument mit, das es uns ermöglichen wird, hochgenaue Höhenmodelle zu generieren. Man kann sich das Gerät so vorstellen, dass man es in einer Art Rucksack auf dem Rücken trägt und es konstant mittels Laser die Umgebung abtastet. Wenn man einfach durch das Gelände läuft, ergibt sich dadurch ein genaues Abbild der Topographie. In Verbindung mit unseren Stereomodellen aus Bilddaten sollte das die genaueste Topographieinformation überhaupt ergeben. Natürlich war Nico im letzten Jahr seit unserer Rückkehr aus Spitzbergen nicht untätig und hat sehr schöne Höhenmodelle unserer Untersuchungsgebiete berechnet und zu Animationen verwendet. Die Daten dafür stammen sowohl von Aufnahmen mittels eines langen Stocks an dessen Ende sich eine Kamera befand, von unserer kleinen, an einem Drachen befestigten Kamera und auch von der MACS-Kamera mit der wir 2020 unsere Untersuchungsgebiete überflogen. Die spektakulären Ergebnisse seht Ihr in den zwei Filmen. Ich finde sie einfach nur saustark und sie werden uns gute Dienste erweisen, um Veränderungen der Oberflächenmorphologie festzustellen und zu quantifizieren.

Adam Johantges hat sich seit letztem Jahr mit der Auswertung der Bodenradardaten gekümmert und tolle Ergebnisse erarbeitet, die nun mehr oder weniger zur Publikation fertig sind. Mit diesen Daten erhalten wir einen Einblick in die Schichten und den Eis/Wassergehalt des Bodens, eine Perspektive, die wir bisher nur durch mühsames Graben erhalten konnten. Für dieses Jahr ist geplant, die Bodenradardaten mit gezielten Grabungen zu verifizieren. So haben uns die ausgewerteten Daten des Bodenradars in der Planung unseres diesjährigen Aufenthalts wesentlich beeinflusst. Auch unsere zahlreichen Videokonferenzen mit Bernard Hallet, Jaako Putkonen, Ivar Berthling und anderen großartigen und erfahrenen Arktisforschern waren für uns sehr lehr- und hilfreich. Viele Fragen und Ideen, die uns seit langem in Bezug auf die Bildung und Entwicklung unserer geliebten Steinkreise durch den Kopf gingen, wurden von Bernard wohlwollend aufgenommen. Zumindest hat er uns nicht sofort für völlig verrückt erklärt und es scheint, als ob wir tatsächlich eine Strategie hätten und wissen, was wir tun! Eine völlig neue Erfahrung!

Sollte alles gut gehen, werden wir dieses Jahr auch neue Daten einer Flugzeugbefliegung erhalten. Ähnlich wie im Jahre 2020, wird die MACS-Kamera des DLR in Berlin wieder auf einem AWI-Flugzeug unsere Untersuchungsgebiete abdecken. Der große Vorteil dieses Jahr ist aber, dass wir zur Zeit der Befliegung vor Ort im Gelände sein werden, um z.B. Referenzpunkte auszulegen und zeitgleiche Messungen am Boden durchführen können. Mit diesen Daten lassen sich ebenfalls Höhenmodelle errechnen, die wir mit jenen aus dem Jahr 2020 direkt vergleichen können. Somit werden wir kleine und natürlich auch große Veränderungen in der Landschaft feststellen können, aus denen wir abschätzen können, wie schnell die geologischen Prozesse von statten gehen. Ein weiterer Vorteil der MACS-Daten ist deren Farbinformation. Speziell ein Filter im nahen Infrarot wird uns anzeigen, wo sich Vegetation befindet und welche Gebiete erst vor so kurzer Zeit überprägt wurden, so dass sich noch keine neue Vegetation bilden konnte. In den Daten aus dem Jahr 2020 sehen wir z. B. dass die Schuttfächer entlang der Bergkette im Untersuchungsgebiet völlig frei von Vegetation sind, weil sie ständig aktiv sind und immer wieder Material von oben herunterfällt.

Wir sind alle schon sehr gespannt auf die neuen Daten des LIDAR-Instruments und der Befliegung und können es kaum mehr erwarten, nach Ny Alesund zu kommen. Eigentlich sollte alles gut vorbereitet sein. Wie üblich gibt es aber auch immer ein paar Dinge, die uns Kopfzerbrechen machen. So sind z.B. einige Dokumente im Nirwana des Zollprozederes auf unerklärliche Weise abhandengekommen. Nicht unser Fehler aber doch ein Punkt der uns beunruhigt, weil wir natürlich keine Probleme bei der Wiedereinfuhr unserer Ausrüstung haben wollen und im schlimmsten Fall womöglich Zollgebühren zahlen müssen. Nico arbeitet seit Wochen daran und wir hoffen, dass wir noch alles vor unserer Abfahrt auf die Reihe bekommen. Es bleibt wie üblich spannend! Von meiner Seite aus als Expeditionsleiter ist alles klar. Die Ausrüstung und unser Essen sind verschifft und sollten in Ny Alesund auf uns warten. Die Flüge sind gebucht, alle Anmeldungen wurden über die RIS-Webseite (Research in Svalbard) erledigt, das Team in Ny Alesund weiß, dass wir kommen und wir haben alle Genehmigungen und Dokumente, die wir brauchen. Sei es um zu graben, Proben zu nehmen, Steinmännchen zu bauen oder sonst was. Leider wird das Genehmigungsverfahren zunehmend komplizierter und so erhielten wir dieses Jahr doch etliche Rückfragen der Genehmigungsbehörden zu unseren Anträgen. Das muss wohl so sein, macht aber auch viel extra Arbeit und ist zugegebenermaßen auch nervig. Ähnlich nervig sind die kurzfristigen Änderungen im SAS-Flugplan, die vor allem Nico betroffen haben und ein Umbuchen erforderlich machten. Aber was tut man nicht alles, um nach Spitzbergen zur Feldarbeit zu kommen. Und jetzt sollte ja alles erledigt sein. Also Schwamm darüber! Wir sind bereit zu neuen Abenteuern!

Eine wesentliche Neuerung im Ablauf meiner Reise gilt es noch zu erwähnen. Nachdem die Arbeiten in Ny Alesund beendet sein werden, werde ich nicht mit dem Rest des Teams zurückreisen. Vielmehr werde ich in Longyearbyen bleiben und mich dort mit meiner Familie treffen. Ich denke, es ist sehr wichtig für meine Kinder zu sehen und zu erfahren, wie zerbrechlich die Arktis wirklich ist und wie stark sich der Klimawandel dort bemerkbar macht. Ich freue mich schon sehr darauf ihnen alles zu zeigen und habe schon jetzt Tagesfahrten mit einem Schiff nach Pyramiden und Barentsburg gebucht. Beide Ansiedlungen werden laut Wikipedia überwiegend von Russen und Ukrainern bewohnt. Pyramiden ist allerdings seit dem fast fluchtartigen Verlassen Ende 1998 mehr oder weniger eine Geisterstadt. Ich war vor vielen Jahren bereits einmal in Pyramiden und war damals schwer beeindruckt, weil man ständig das Gefühl hatte, dass die Bewohner gleich wieder um die Ecke biegen werden. Zurückgelassene Musikinstrumente, Blumentöpfe auf der Fensterbank und ähnliches geben einem diesen Eindruck. Beeindruckt und nachdenklich hat mich damals speziell auch die großen Leninbüste gemacht, die in dieser Umgebung mehr als deplatziert wirkt. Wie früher in Pyramiden, wird in Barentsburg, dem zweitgrößten Ort auf Spitzbergen, noch heute Kohle abgebaut. Aber auch hier sinkt die Bevölkerungszahl kontinuierlich und liegt heute nur mehr bei ca. 300-400 Bergarbeitern im Vergleich zu den bis zu 1450 Einwohnern in den 1990er Jahren. Diese Abnahme ist sicher auch dem Abwandern ukrainischer Bergarbeiter seit der Invasion Russlands geschuldet. Man wird somit auch auf 78° N von den geopolitischen Ereignissen eingeholt, speziell da mit dem weiteren Abtauen des Eises im Nordpolarmeer, Spitzbergen eine zunehmende Bedeutung als Eingang zur Nordwest- bzw. Nordost-Passage gewinnt. Wie dem auch sei, momentan interessiert mich mehr, ob auch meine Familie vom Spitzbergen-Virus befallen wird. Mich hat er jedenfalls voll erwischt! Einmal infiziert, gibt es kein Zurück und keine Hoffnung auf Heilung. Gut so! Ich zähle die Tage!