23.7.2024
Treffpunkt ist heute um 7:30 Uhr am Frühstückbuffet. Die anderen sind bereits am essen, als ich mit meiner Familie pünktlich erscheine. Für Ernst und Andreas geht es bereits um 9:00 Uhr mit dem Taxi zum Flughafen, währende Nico und Mike erst am Nachmittag Longyearbyen verlassen.
Das Frühstück ist also unsere vorerst letzte Gelegenheit noch schnell zu besprechen, was gut war in diesem Jahr und was nicht funktionierte. Generell sind wir alle hochzufrieden mit der diesjährigen Saison. Zunächst ist da natürlich die gute Stimmung im Team zu nennen. Wir hatten viel Spaß, haben viele Scherze gemacht, haben rumgeblödelt und fünf Minuten später ernsthaft und intensiv über die Steinkreise diskutiert. Alles war möglich! Andreas hat uns fast zwei Wochen mit sehr feinem Essen versorgt und damit ganz Wesentlich dazu beigetragen, dass die Bande immer in guter Stimmung blieb. Ernst hat unzählige Abwaschrunden übernommen und Nico hat sich bravourös um die Frachtpapiere und das Kisten packen verdient gemacht. So stelle ich mir das vor und ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass ich ein kleiner Teil eins so großartigen SPLAM-Teams sein darf. Aber eigentlich ist man in Ny Alesund immer Mitglied zweier Teams. Denn das AWIPEV-Team darf man keinesfalls vergessen. Alex, Thomas und Wencelas wissen genau worauf es ankommt, und haben alle eine sehr angenehme Art und Weise im Umgang mit Wissenschaftlern, die ja nur für ein oder zwei Wochen in Ny Alesund sind und dann meinen, dass sich das Universum nur um sie dreht. Da braucht es schon manchmal Fingerspitzengefühl und ich kann nur hoffen, dass wir halbwegs „normal“ waren mit unseren Wünschen.
Hocherfreut sind wir natürlich, dass wir dieses Jahr zwei völlig neue Datensätze generieren konnten bzw. initiieren konnten. Wir sind wirklich gespannt auf Mikes LIDAR Daten und können es kaum erwarten, die Topographiemodelle in die Hände zu kriegen. Besonders gespannt bin ich auf die dokumentierten Unterschiede an der Lateralmoräne zwischen den ersten und den letzten Tagen unserer Feldarbeit. Die Daten sollten uns erstklassige Aussagen ermöglichen, wie schnell diese Moräne tatsächlich degradiert. Mike war wirklich sehr engagiert und hat selbst knietief im Schlamm stehend versucht, Daten zu generieren.
Der dreifache Schokoladenüberzug über unseren diesjährigen Spitzbergenkuchen ist natürlich die Flugzeug-Befliegung. Alle unsere Wunschgebiete konnten vollständig abgedeckt werden und die Bodenauflösung beträgt nach ersten Berechnungen dabei unter 10 cm. Absolut genial! Und weit besser als unsere kühnsten Vorstellungen! Also, ein großes Dankeschön an das AWI und das DLR für die Durchführung dieser Flugkampagne und das Wetter, das sich sehr kooperativ gezeigt hat.
Kurz, es war eine sehr gute Feldsaison was das Team, die Zeitplanung, die Durchführung, die Sicherheitsaspekte, die gewonnenen Daten und alles Sonstiges, das mir in den Sinn kommt, anbelangt. Vielleicht werden wir nächstes Jahr die ein oder andere Kleinigkeit ändern, aber im Prinzip hat dieses Jahr alles bestens gepasst. Aber da wir jetzt sehr gute Daten des Gebietes um die Engelsbukta und die Daerten-Hütte haben, können wir uns auch vorstellen, dort ein paar Tage zu verbringen. Das müsste natürlich im Arbeitsplan berücksichtigt werden…
So, noch ganz kurz, für alle die es interessiert. Mein Arztbesuch im „Sykehus“ hat im Wesentlichen zum Ergebnis gehabt, dass ich Husten habe. Ein stärkerer Hustensaft und Geduld sind laut Arzt angesagt. Covid-Test und alle weiteren Tests waren negativ. Genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber zumindest scheint der neue Hustensaft gut zu wirken. „Etylmorfinhydroklorid“ sei Dank! Auch bin ich plötzlich absolut tiefenentspannt und zur Sicherheit habe ich gleich zwei Flaschen von dem Zeug gekauft.
Heute haben wir beängstigend hohe Temperaturen in Longyearbyen. Um 14:00 Uhr zeigt das Thermometer satte 19°C. T-Shirt Wetter in der Arktis! Da wirken einige Kreuzfahrttouristen in ihren dicken Daunenjacken schon etwas verloren und deplatziert. Am späteren Nachmittag ziehen allerdings Wolken auf und die Temperatur fällt auf ca. 10°C, was immer noch viel zu hoch ist. Die Familie und ich nutzen den Tag heute für eine wunderschöne Wanderung in Richtung Larsbreen-Gletscher, den Ernst und ich schon einmal vor Jahren besucht haben. Damals war er aber noch erheblich größer und leichter zu erreichen. Mittlerweile hat es sich weit talaufwärts zurückgezogen und stirbt leise vor sich hin, wie viele Gletscher hier auf Spitzbergen. Das stimmt mich immer wieder traurig. Trotz tapferer Versuche schaffen wir es nicht bis zum Gletscher, weil der Blockschutt extrem unangenehm zum Laufen ist und uns sehr verlangsamt. Aber was soll’s? Wir genießen die Natur, rasten in der Sonne, spielen am Bach und abends gönnen wir uns in Mars Ann’s Polarrigg Rentier- und Walsteak, sowie Tamarind-Ente. Alles vorzüglich und ich muss sagen, liebes SPLAM-Team, ihr habt durch Eure völlig überhastete Abreise mindestens zwei Highlights verpasst – schöne Wanderung und erstklassiges Essen. Aber natürlich will ich Euch nicht weiter die Zähne lang machen…
So, nun ist aber endgültig Schluss für dieses Jahr. Es hat wieder Spaß gemacht, den Blog in unzähligen Stunden zu verfassen und Nico Schmedemann und Thomas Heyer haben wieder viel Zeit und Liebe investiert, um den Blog lesbar zu machen und online zu stellen. Danke dafür und eine Runde Applaus!
Bis zum nächsten Jahr!
Fotos
22.7.2024
AAARRRGGGHHHHH!!!!!! Ich werde um 7:08 Uhr wach. Der Wecker war eigentlich auf 6:00 Uhr gestellt, aber irgendwie habe ich es geschafft den Alarm wohl versehentlich auszuschalten. Panikmodus, rote Warnlampen, Sirenengeheule! Ich soll um 7:30 Uhr beim Frühstück sein und um 8:00 Uhr für den Flug nach Longyearbyen einchecken. Jetzt wird es aber schon etwas eng, denn ich muss noch duschen, Wäsche aus dem Trockenraum holen, packen, Ausrüstung zurückgeben, Betten abziehen und die Bettlaken und Handtücher in die Wäscherei bringen und das Zimmer saugen. Ein etwas sportliches Programm, vor allem wenn man noch keinen Kaffee intus hat. Von allen möglichen Tagen habe ich mir definitiv den schlechtesten zum Verschlafen ausgesucht. Ich schalte langsam in den sechsten Gang und erledige alles, was zu erledigen ist. Frühstück fällt aber leider hinten runter. Keine Chance!
Die gute Nachricht ist, dass ich tatsächlich alles erledigt bekomme und nicht einmal als Letzter an der Kings Bay Rezeption für den Flug einchecke. Wobei einchecken fast schon übertrieben ist, denn bis auf meinen Namen und das Gewicht meines Gepäcks will niemand mehr wissen. Jetzt aber Kaffee. Und auch für ein Käsesandwich reicht es noch. Geht doch! Alles völlig tiefenentspannt. Nur das verschwitzte T-Shirt erzählt eine andere Geschichte.
Wir sitzen noch in der Kantine beim Kaffee, als unser Freund Hadong, der südkoreanische Station Leader, dazu kommt, um sich zu verabschieden. Er ist einfach super nett und ich freue mich schon darauf, ihn nächstes Jahr wieder zu sehen. Auch von Maren kann ich mich noch gebührend verabschieden. Eine dicke Umarmung darf es dann auch sein, schließlich kennen wir uns bereits seit unserer Saison 2022. Sie gehört als quasi zum Inventar in Ny Alesund und ich hoffe, dass sie auch nächstes Jahr wieder dort sein wird. Von Ingo, Mike A., Max und Katharina können wir uns leider nicht mehr verabschieden, wie von vielen anderen, die wir mittlerweile in Ny Alesund kennen. Aber wir kommen ja nächstes Jahr wieder zurück. Die Frist für den Antrag für nächstes Jahr läuft am 30.9.2024 ab. Wir müssen uns also schon bald wieder ans Schreiben des Projektantrages machen.
Bevor wir aber über nächstes Jahr nachdenken können, müssen wir noch die „Betriebskosten“ für die Nutzung der Geopol-Hütte bezahlen. Die Hütte gehört Kings Bay aber Velferden stellt Gas und Brennholz zur Verfügung, das natürlich bezahlt werden muss. Wir haben kein Holz verfeuert, so dass nur 200 NOK pro Tag für das Gas fällig werden. Knapp 17 Euro pro Tag. Ein nicht ganz billiges Vergnügen. Aber wenigstens ist die Dame sehr freundlich, als sie Nicos Kreditkarte durch den Kartenleser zieht. „Approved“ – weg ist das Geld!
Thomas, Wencelas und natürlich Alex kommen vorbei, um sich von uns zu verabschieden. Es ist immer irgendwie eigenartig, wenn man sich vom AWIPEV-Team verabschieden muss, weil einem dadurch endgültig bewusst wird, dass sich die „gute Zeit auf Spitzbergen“ unaufhörlich dem Ende zuneigt. Und wer will das schon? Die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen Team war wieder ganz hervorragend. Immer hilfsbereit und freundlich war es eine echte Freude mit allen zusammenzuarbeiten. Es gibt keine einzige Sache, wo Kritik angebracht wäre. Ganz im Gegenteil! Das Team hat sich ein dickes Lob verdient! Danke Euch allen! Ihr seid fantastisch! Und auch dem AWI möchte das SPLAM-Team hier ganz herzlich danken. Wir schätzen die Unterstützung sehr, da wir nur dadurch die Dinge machen können, die wir machen wollen. Ohne AWI, no Martians! Viele Tage ein Motorboot ausleihen zu dürfen, viele Liter Benzin kostenfrei bereitgestellt zu bekommen, Klamotten und andere Ausrüstung sich ausleihen zu dürfen, sonstiger logistischer Support, Waffen ausgehändigt zu bekommen, Unterstützung bei Zollangelegenheiten und der Verschiffung unserer Ausrüstung. Alle diese Dinge sind nur die Spitze des Eisberges der AWI Unterstützung. Liebes AWI, herzlichen Dank, dass wir wieder auf die Station kommen durften! Ich hoffe, es ist jedem Leser klar geworden, wie wichtig Institutionen wie das AWI sind, um Forschung in extremen Gebieten überhaupt machen zu können. Leute wie wir, die für die Expedition kein großes eigenes Budget haben, wären ohne das AWI nicht in der Lage in der Arktis diese Art von Forschung zu machen. Danke!
Dann geht es ganz schnell. Das Flugzeug ist in der Luft und das bedeutet für uns, dass uns der Bus zum Flughafen bringt, um die Ankunft aus Longyearbyen zu erwarten. Alex und Hadong winken uns zum Abschied. Bleibt gesund bis nächstes Jahr!
Wir starten in Richtung Osten und da der Himmel heute zumindest teilweise bedeckt ist, sind die Chancen auf richtig gute Fotos eher dürftig. Durch einzelne Lücken in der Wolkendecke sehe ich zwar etwas von der Landschaft, aber bis auf ein paar wenige Fotos bleibt es meist grau in grau. Der Anflug in Longyearbyen verläuft wetterbedingt auch anders als üblich. Wir fliegen zunächst parallel zum Adventdalen nach Osten, um dann in einer großen Schleife durch die Wolkendecke zu stoßen und dem Tal nach Westen zu folgen. Da ich auf der linken Seite des Flugzeugs sitze, sehe ich zumindest Longyearbyen ganz gut. Auch wenn nicht viel Zeit zum Fotografieren bleibt, bevor das Flugzeug aufsetzt. Wie sich später herausstellt, hat Carolyn den Anflug von unten fotografiert, während ich die drei in einem Foto von oben sehen kann. In Longyearbyen ist das Wetter noch einmal deutlich bedeckter als in Ny Alesund. Spitzte dort zumindest etwas die Sonne durch, ist in Longyearbyen alles mit niedrigen Wolken verhangen. Ein Einerlei aus Grautönen und dazu ist es relativ warm bei 12°C.
Das Taxi bringt uns zu Mary Ann’s Polarrigg, wo mich Carolyn und die Kinder schon erwarten. Es ist schön, sie endlich wieder in den Arm nehmen zu können. Wir haben heute noch ein strammes Programm vor uns. Zum einen wollen wir uns mit Julius Gaede treffen, um ihm für die super erfolgreiche Befliegung zu danken. Wir treffen ihn vor den Svalbardbutikken, um dann in unserem Stammcafé ein Sandwich zu essen. Für den Rest der Truppe ist dann die Souvenirjagd eröffnet. Meine Bande läuft zunächst zum Krankenhaus, weil Carolyn will, dass ich meinen Husten untersuchen lasse. Da es aber kein Notfall ist, werden wir auf morgen 9:00 Uhr vertröstet, wenn zwei Ärzte Dienst haben werden. Also auf zur Apotheke, wo ich eine Packung „Bronkyl“ erstehe, das den Schleim in meinen Bronchien lösen soll. Auch einen Covid-Test besorge ich mir, weil das Krankenhaus den morgen gerne sehen würde. Sollte es tatsächlich Covid sein, würde das Krankenhaus nichts machen können, so heißt es zumindest von der sehr kompetenten und freundlichen Dame am Empfang des Krankenhauses.
Der nächste Weg führt uns zum Museum im UNIS-Gebäude, wo ich ein paar Landkarten kaufe, um für unsere Wanderungen vorbereitet zu sein. Das ist in ein paar Minuten erledigt und somit steht die Hauptaufgabe des heutigen Tages an. Das Ausleihen eines Gewehrs beim „Sports Centeret“. Bevor die Verkäuferin irgendwelche Papiere überhaupt anschaut, lässt sie mich das Gewehr mit Übungsmunition teilladen. Finger in die Kammer, ein Blick in den Lauf, Patronen ins Magazin drücken, Patronen runter drücken und dabei mit gedrücktem Abzug den Verschluss nach vorne schieben. Klappt eigentlich ganz gut. Findet auch die Verkäuferin! Dann noch ein paar Fragen zum Verhalten von Eisbären und wie man sich bei einer Begegnung verhalten muss. Und schließlich noch die rechtliche Seite. Klar, ich darf die Waffe niemandem aushändigen, der Verschluss und alle Patronen müssen beim Betreten der Stadt entfernt werden und im Hotel müssen Gewehr, Verschluss und Patronen im Safe gelagert werden. Dann folgen noch etwas Papierkram und die Aufnahme meiner Personalien. Natürlich muss ich auch das Schreiben des Sysselmesteren vorzeigen. Insgesamt verläuft die Ausleihe sehr entspannt und die Verkäuferin meint ich sei einer der wenigen Kunden, bei dem es keine Probleme gibt. Auch sagt sie, dass sie bereits beim Finger in die Kammer stecken und den Blick in den Lauf erkannt hat, dass ich mein Waffentraining entweder von Kings Bay oder UNIS bekommen habe. Das finde ich sehr interessant! Leider kann ich beim „Sports Centeret“ keine Signalpistole ausleihen. Aber zumindest bekommen wir einen Hinweis, wo wir eine bekommen können. Ich könnte auch eine kaufen, da ich über 18 Jahre alt und nüchtern bin. Aber was würde ich anschließend damit machen? Und ich kenne auch die Waffengesetze in Deutschland nicht gut genug, geschweige denn, wie ich die Waffe im Flugzeug mitführen würde. Alles viel zu kompliziert, wenngleich der Kauf nur etwas teurer als das Ausleihen für zwei Wochen ist. Aber wir leihen uns ja nur eine für eine Woche aus. Bei „Longyear78“ können wir uns die Signalpistole schließlich ausleihen. Allerdings nur die Waffe, die Patronen müssen gekauft werden. Der Verkäufer ist nett und entspannt und glaubt mir auch, dass ich etwas über 18 Jahre alt bin, ohne meinen Ausweis sehen zu wollen. Signalpistolen werden in Norwegen wie Messer behandelt und die Ausleihe ist damit um ein Vielfaches einfacher. Mission accomplished! Wir haben nun alles was wir für unsere Wanderungen brauchen und selbst ein Reinigungsgerät für den Gewehrlauf steckt in unserer Tasche.
In Mary Ann’s Polarrigg verschwindet unsere eben zusammengetragene Ausrüstung unmittelbar im Waffensafe. Erledigt! Bei einer Tasse Kaffee schaue ich mir die Landkarten an und fange an, Pläne für die nächsten Tage zu entwickeln. Da trifft es sich gut, dass Ernst im Aufenthaltsraum erscheint und mit Rat und Tat zur Seite steht.
Andreas hat für uns eine Reservierung in der Kroa-Bar für ein letztes gemeinsames Abendessen gemacht! Um 19:00 Uhr trifft sich das erweiterte SPLAM-Team im Aufenthaltsraum von Mary Ann’s Polarrigg.
Pizza Gruve 3, Pizza Gruve 6, Moose Burger, Hamburger und als Highlight der “Catch of the day”, der sich als Ente herausstellt. Wir langen ordentlich zu und lassen es uns schmecken. Wir lachen viel und sind bester Laune. Obwohl es erst 21:00 Uhr ist, ist die Kroa-Bar bereits weitgehend leer und wir beschließen, auf ein letztes Bier zu unserem Hotel zurück zu gehen. Ein kleines Bier geht noch aber dann werde ich doch müde und Ernst, Carolyn, Hans-Peter und ich verabschieden uns ins Bett.
Fotos
21.7.2024
Ich fasse es nicht! Heute ist unser letzter Feldtag der Saison. Ich werde um ca. 7:00 Uhr wach und nutze die Zeit, um am Blog zu arbeiten. Der gestrige Tag muss ja ordentlich dokumentiert werden, solange alles noch frisch in Erinnerung ist. Das beschäftigt mich eine gute Weile und ich muss aufpassen, dass ich den heutigen Brunch nicht verpasse. Eine Speed-Dusche und dann kann ich auch schon loslaufen. Ist es wirklich schon so spät? Wer hat an der Uhr gedreht? Ich bin vielleicht 1:59 Minuten nach 10:00 Uhr in der Kantine. Zu spät! Ich muss mich in eine „endlose“ Schlange einreihen, die zu den feinen Sachen führt. Der Teller ist voll mit Essen, aber dieses Mal passe ich auf, nicht allzu viele frittierte Speisen auf meinem Teller zu haben. Satt werde ich trotzdem und zur zweiten Tasse Kaffee gibt es noch ein Stück Gebäck mit Vanillefüllung. Sehr fein!
Okay, was ist der Plan für heute? Viele leiden offensichtlich noch unter den Nachwehen der letzten Tage und ziehen es vor, zuhause zu bleiben. Am Ende sind es Katharina, Max, Mike A., Ernst und ich, die losziehen. Unser heutiges Ziel ist der Broggerbreen-Gletscher, den wir seit Jahren immer wieder besuchen und dokumentieren. Nachdem wir uns die Waffen abgeholt und den Tagesplan mit Alex abgesprochen haben, können wir mit den Fahrrädern zum Tvillingvatner See fahren und von dort aus, den Anstieg über die Seitenmoräne des Broggerbreen-Gletschers angehen. Wenn man bedenkt, dass in dieser, ca. 50 m über dem gegenwärtigen Gletscher liegenden Moräne noch immer Eis steckt, bekommt man eine sehr gute und unmittelbare Vorstellung, wie mächtig dieser Gletscher einst gewesen sein muss. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Eismasse nochmals dramatisch verkleinert, sowohl in Ausdehnung als auch Dicke. Wir machen aus der Höhe der Seitenmoräne Übersichtsfotos und laufen dann zum Gletscher hinunter. Auf dem Weg dorthin entdecke ich wunderschöne Schlammströme, die sich einen sehr engen Kanal mit seitlichen Wänden gegraben haben. Mehrere Schlammströme sind vermutlich abgegangen, weil ich mehrere „Hochwasserstände“ sehen kann. Wirklich wie im Lehrbuch!
Am Gletscher laufen wir zunächst dem Schmelzwasserfluss entlang, der uns einen direkten Zugang zum Gletscher verwehrt. Aber schließlich finden wir eine Stelle, wo wir das Wasser überqueren und auf das Eis gelangen können. Der Gletscher ist komplett aper und seine Oberfläche ist übersäht mit kleinen und größeren Schmelzwasserkanälen sowie Gesteinsbrocken. Die Brocken werden im Sonnenlicht wärmer und schmelzen mit der Zeit in das Eis ein. Die Sonne führt dazu, dass es überall taut und die Oberfläche dadurch recht rau wird. Zum Gehen ist das ideal, weil man keine Steigeisen oder ähnliches braucht. Für den Gletscher ist es natürlich nicht so gut. Beim Laufen über den Gletscher kommt man nicht umhin zu bemerken, dass es dem Gletscher einfach schlecht geht und er ein eher trauriges Bild abgibt. Wir laufen ein paar hundert Meter über den Gletscher und entdecken einen wirklich spektakulären Schmelzwasserkanal, in dem Unmengen an Schmelzwasser hangabwärts fließen. Durch die Sedimente ist das Wasser rot gefärbt, was einen eigenartigen Kontrast mit dem weißen Eis ergibt. Reinfallen in diesen Kanal kann ich mir alles andere als spaßig vorstellen. Aber zumindest verschwindet das Wasser nicht unter dem Gletscher. Die Chancen, dass man so einen Sturz überleben könnte sind also relativ hoch.
Max und Katharina wollen noch bis zum Skaret-Pass hochlaufen, während die älteren Semester es bevorzugen, die Gegend weiter gletscherabwärts genauer zu untersuchen. So trennen sich unsere Wege hier. Jede Gruppe ist mit Gewehr, Signalpistole und sonstiger Sicherheitsausrüstung bestens ausgestattet, so dass nichts gegen eine Aufteilung der Gruppe spricht. Auch das Wetter ist mittlerweile sehr viel besser als die Vorhersage und wir laufen im schönsten Sonnenschein bei sehr angenehmen Temperaturen über den Gletscher.
Nach ein paar hundert Metern erreichen wir eine Kette von schuttbedeckten Hügeln, die sich quer zum Gletscher wie Perlen aufreihen. Wir stellen fest, dass diese ca. 10 Meter hohen Hügel aus Eis bestehen und nur mit ein paar Dezimetern Schutt bedeckt sind. An manchen Stellen ist das nackte Eis zu sehen. Der Schmelzwasserfluss hat sich durch diese Hügel gefressen und hat dabei eine beeindruckende Schlucht geschaffen, durch die nun das meiste Schmelzwasser tost. Seit wir den Broggerbreen-Gletscher beobachten, hat sich der Hauptschmelzwasserkanal immer weiter nach Westen verlagert. Lediglich ein kleinerSchmelzwasserfluss verläuft nach wie vor auf der Ostseite. Und dieser „kleine“ Bach will erst einmal überquert sein, um zu unserem Ausgangspunkt zurück zu kehren. Gar nicht so leicht und es dauert schon eine Weile, eine Stelle zu finden, wo man es zumindest probieren kann. Ich sehe in der Mitte des Flussbetts eine kleine flache Stelle. Wenn ich auf meiner kleinen, 2-3 m langen Sandbank genügend Schwung aufbauen kann, müsste es klappen bis zu einer seichten Stelle springen zu können, um von dort mit einem weiteren Sprung das andere Ufer zu erreichen. Soweit meine Überlegungen. Aber was, wenn die seichte Stelle nicht nur seicht, sondern auch schlammig ist? Dann landet man mitten im Bach, verliert seinen Schwung und kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit mit nassen Schuhen auf der anderen Seite an. Also, soll ich oder soll ich nicht. Die anderen sind von meiner Idee nicht übermäßig begeistert. Aber letztlich ist es immer eine persönliche Entscheidung. Ich springe! Die seichte Stelle war fest und mit einem halbwegs eleganten Sprung lande ich mit Rucksack und Gewehr trockenen Fußes auf der anderen Seite. Ernst und Mike A. ziehen lieber ihre Schuhe aus und waten durch den knallroten Bach. Fast skurril!
Während ich so auf die zwei warte, entdecke ich wunderbare Strukturen im feinen Schlamm. Eine Struktur erinnert mich an einen Pingo, eine unmittelbar daneben liegende Struktur schaut dem „chaotic terrain“ auf dem Mars sehr ähnlich. Nur dass die Maßstäbe natürlich um viele Größenordnungen unterschiedlich sind. Die Interpretation des „chaotic terrains“ schlägt vor, dass Grundwasser abgeflossen ist und das darüber liegende Material in einzelne Schollen zerbrochen ist. Das könnte auch hier durchaus richtig sein. Auch schöne dreizehige Fußabdrücke von Vögeln im Schlamm faszinieren mich.
Auf dem Weg zu unseren Fahrrädern wollen wir noch kurz an einem kleinen Hügel vorbeischauen an dessen Fuß sich Steinkreise befinden, die wir seit Jahren beobachten. Es ist also heute wie in der Schule, wenn das jährliche Klassenfoto gemacht wird. Bei einer Tasse Tee sind die Aufnahmen schnell gemacht. Ich bilde mir zumindest ein, dass sich die Steinkreise verändert haben. Aber natürlich müssen wir dazu erst unsere alten Bilder herauskramen und sie mit den heutigen vergleichen. Wir sind jetzt fast bei unseren Fahrrädern und das ist auch gut so. Denn ich habe auf dem Weg eifrig schöne Konglomerate gesammelt, so dass mein Rucksack um Einiges schwerer ist als bei Beginn unserer Wanderung. Mit den AWIPEV Fahrrädern fliegen wir dem Ortseingang entgegen. Jetzt noch schnell bei Alex wieder anmelden, Waffe entladen und schon können wir in die Kreuzfahrttouristenmenge eintauchen.
Während wir unterwegs waren, haben Mike und Andreas LIDAR Scans von Ny Alesund durchgeführt. Wenn alles funktioniert, können wir einen 3d-Druck der Ortschaft ausdrucken. Das wäre wirklich super cool! Und Nico hat sich um alle Frachtpapiere gekümmert und die Kisten entsprechend gepackt und gewogen. Darum ist er auch wenig erbaut, als ich ihm sage, dass ich noch drei Konglomerat-Proben für die Kisten habe.
Ich schlüpfe schnell aus meinen verschwitzten Klamotten, sammle noch alle gebrauchten Klamotten zusammen und dann kann ich mich auch schon auf dem Weg zum Waschsalon machen, um morgen mit frischen Klamotten in Longyearbyen anzukommen. Viel wichtiger ist aber natürlich die schwer verdiente Tasse Kaffee und ein paar Hob Nob’s Kekse. Einfach nur genial! Das ganze Team trifft sich zum Kaffee und wir erfahren, dass Katharina in einem der Gletscherseen auf dem Skaret-Pass zum Schwimmen gegangen ist. Das lässt den ganzen traurigen Rest des Teams als ziemliche Weicheier dastehen. Aber so ist das eben!
Zum Abendessen gibt es heute Steak mit sehr leckerem Wurzelgemüse, Kartoffeln und verschiedenen Eissorten. Es folgt der etwas unangenehmere Teil unserer Feldarbeit: das Packen. Aber irgendwie geht es dann doch halbwegs zügig von der Hand, obwohl ich eh noch nicht alles verpacken kann, da ja ein Teil meiner Klamotten noch im Trockenraum hängt. Ich lüfte den Schlafsack noch gut durch, denn es wäre schon sehr schlecht, wenn er feucht in seinem Packsack die nächsten Monate ausharren müsste, bevor er letztlich in Bremerhaven ankommt.
Ich treffe Alex und sie macht uns ein Mordskompliment. Sie sagt, dass es sehr schön und einfach war mit uns zu arbeiten, weil wir „generell wissen, was wir tun“. Das ist richtig schön zu hören, weil wir ja in der Tat versucht haben, dem AWIPEV-Team so wenig wie möglich zur Last zu fallen. Es freut mich, dass unser Plan auch so geklappt hat. Natürlich erwidere ich das Kompliment, denn das neue Team hat wirklich erstklassige Arbeit geleistet und uns in vieler Art und Weise geholfen. Ich sage jetzt schon einmal danke dafür. Ihr reiht Euch bestens ein in die lange Reihe fantastischer AWIPEV-Teams!
Meine Familie hat es gut nach Longyearbyen geschafft und soweit gefällt es ihnen ganz gut. Carolyn hat ein schönes Foto vom Anflug auf Longyearbyen geschickt und auch während des Fluges konnte sie einige Berge und Gletscher sehen. Das ist schon mal ein guter Start. Die Kroa-Bar haben sie auch gefunden und dort heute zu Abend gegessen. Ich freue mich darauf, meine Bande morgen zu sehen!
Im Rabot-Gebäude trinken wir noch ein Abschlussbier, bevor ich mich noch an das Schreiben des Blogs mache. Wir alle empfinden, dass die Zeit dieses Jahr besser genutzt wurde und sie generell wieder einmal viel zu schnell vergangen ist.
Fotos
20.7.2024
Heute ist Samstag. Es macht also keinen Sinn, früh aufzustehen, denn heute ist „Brunch“ das magische Wort. Und der startet nicht um 7:30 Uhr wie das normale Frühstück, sondern bequem um 10:00 Uhr. Alles ganz tiefenentspannt. Und die paar extra Stunden Schlaf nehme ich gerne mit. Aber, die Zeit schreitet unbarmherzig weiter und um kurz nach 9:00 Uhr muss ich mich dann doch in Richtung Dusche auf den Weg machen. Vor dem Fenster laufen bereits die ersten Hurtigruten-Besucher durch Ny Alesund.
Duftend nach was auch immer der Chemiebaukasten der Duschgel-Hersteller so hergibt, treffe ich Mike A. und Max, die ebenfalls zum Brunch unterwegs sind. Als wir gemeinsam vor dem Blauen Haus auf Katharina warten, kommt plötzlich ein Mann mit blauer Jacke, weißem Haar und nicht minder weißen Bart auf mich zu. Ich muss zweimal hinschauen, bevor es in meinem Gehirn klick macht. Harald Strauß! Mein Kollege aus Münster! Das gibt es doch gar nicht! Da sind wir die ganze Zeit im Gelände und in der kurzen Zeit in der wir tatsächlich in Ny Alesund sind, treffen wir uns. Hätten wir verabredet uns zu treffen, hätte es sicher nicht funktioniert. Ich hatte Harald vor ein paar Wochen zufällig in einem Outdoor-Laden in Münster beim Schuhe kaufen getroffen. Damals hat er aber keinen Ton gesagt, dass er nach Spitzbergen kommen würde. Jedenfalls freue ich mich riesig! Was für eine schöne Überraschung! Nach ein paar Minuten kommt auch Haralds Frau dazu und es stellt sich heraus, dass die beiden mit der „Fram“ von Spitzbergen, über Grönland, bis Island unterwegs sein werden. Das ist schon eine Granatentour, die ich auch sehr gerne mal machen würde. Natürlich muss es fototechnisch dokumentiert werden, wenn sich Prof. Tiefsee und Prof. Mond hier treffen. Vor Jahren hatten wir einen gemeinsamen Artikel in der Bildzeitung, die uns so betitelte. Seitdem sind die Begriffe fast schon geflügelte Worte. Die leider viel zu kurze Zusammenkunft war sehr schön und wir haben viel gelacht. Aber natürlich wollen die beiden Ny Alesund anschauen und mich erwartet der Brunch. So wünsche ich ihnen noch einen tollen und erlebnisreichen Urlaub und viel Spaß dabei.
Der Brunch ist wie gewöhnlich außergewöhnlich. Rührei, Speck, Würstchen, frittierte Käsestangen und Jalapeños, Obst, Fisch, Aufschnitt, Gebäck, Säfte, Tee und natürlich mein dringend benötigter Kaffee. Es ist wirklich alles da, was das Herz begehren könnte. Und jeder greift ordentlich zu und ist guter Laune. Ein nettes Gespräch mit dem Station Leader der Südkoreaner ist quasi die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Herrlich. Schon das zweite Highlight heute und es ist noch nicht einmal 11:00 Uhr. Zwischen Speck und frittierten Jalapeños muss auch der Tagesplan besprochen werden. Wir hatten gestern schon kurz mit Alex darüber gesprochen und wir können heute „Luciole“ eines der Alu-Boote des AWIPEV verwenden, um an die Lateralmoräne des Kongsvegen-Gletschers zu fahren. Als wir uns so langsam abfahrbereit machen, erreicht uns eine Email von Julius Gaede, in der er uns mitteilt, dass die Flugzeug-Befliegung erfolgreich war. Ein paar erste Bilder schickt er auch gleich mit. Highlight Nummer 3. Was ist heute eigentlich los?
Okay, ich muss natürlich immer etwas zum Mosern haben. Und das betrifft das Wetter. Es ist nämlich strahlender Sonnenschein und fast kein Wind. Eben sauheiß! 11°C! Ich habe ja von gestern gelernt und trage heute tatsächlich drei Lagen weniger. Heute kein Pullover, keine dünne Fleecejacke und keine rote AWIPEV-Jacke. Und trotzdem schwitze ich. Und spätestens am Hafen müssen dann ja die dicken Überlebensanzüge angezogen werden. Zudem habe ich aus Versehen einen Überlebensanzug der Größe „M“ gegriffen. In der Annahme, dass es sich um einen der Größe „XL“ handelt, mache ich mir doch Sorgen, dass ich hier viel zu viel Gewicht angesammelt habe. Aber als der Anzug nicht nur um den Bauch herum sportlich geschnitten ist, sondern auch die Zehen nicht genügend Platz haben, dämmert mir mein Fehler. Egal jetzt, wir wollen los. „Luciole“ ist vollgetankt und nimmt unser Gepäck leicht auf. Über Funk melde ich uns bei Alex ab und schon sind wir unterwegs. Die anderen kriegen während der Fahrt zumindest durch den Fahrtwind etwas Abkühlung aber ich stehe hinter der großen Windschutzscheibe, ja genau, gut geschützt gegen den Wind und schmore im eigenen Saft. Und damit ist es auch wieder genug mit Mosern! Es ist ein absolut fantastischer Tag.
Der Fjord liegt still zwischen den Bergen herum und es schwimmen jede Menge Eisberge darin herum. Ich passe natürlich gut auf und so kommen wir nach der üblichen Ausschau nach Eisbären gut an unserer Landestelle an. Gewehre teilladen, umziehen, Sachen auspacken und schon arbeitet jeder an seinen Aufgaben. Ein eingespieltes Team mit unglaublicher Effizienz geht an den Start. Aber zunächst schauen wir erst noch ein bisschen und lassen die immer wieder neu begeisternde Landschaft auf uns wirken. Es ist einfach grandios und vermutlich das größte Highlight des heutigen Tages!
Mike und Andreas werden sich um die LIDAR-Scans kümmern. Wenn wir diese neuen Messungen mit jenen vergleichen, die wir vor ein paar Tagen durchgeführt haben, sollten wir selbst kleinste Veränderungen erkennen können. Und es gibt nicht nur kleine Veränderungen. Auf dem Weg nach oben sehen wir, dass sich einige Erosionsstrukturen um viele Meter hangaufwärts gegraben haben und unzählige Kubikmeter an Material wegerodiert sind. Sehr interessant aber auch gruselig, weil uns dadurch bewusst wird, wie schnell die Erosion unserer Lateralmoräne zusetzt.
Ernst, Nico und ich sammeln im Untersuchungsgebiet alle Referenzpunkte der Flugzeug-Befliegung ein, machen Bilder mit der Stange, sammeln alle Markierungsfähnchen ein und bauen die Zeitrafferkameras und die Datenlogger ab. Leider muss ich feststellen, dass meine Zeitrafferkamera im Schlamm liegt. Jetzt bin ich echt froh, dass ich sie in weiser Voraussicht gut gesichert hatte, so dass ich sie nunmehr ganz leicht einfach nur rausziehen kann. Was ich bekomme, hat allerdings mit Kamera nichts mehr zu tun. Ein schwerer unförmiger Klumpen „Batz“, wie man so schön in Bayern sagt. Ich wasche das Ding vorsichtig in einer Pfütze und so nach und nach erkenne ich meine Kamera wieder. Innen scheint die Kamera völlig trocken zu sein, so dass ich guter Hoffnung bin, dass die Kamera das Schlammbad überlebt hat. Und zumindest die SD-Karte mit den aufgezeichneten Bildern sollte alles überlebt haben. Ein kleineres Nebenhighlight quasi!
Die Datenlogger abzubauen dauert auch seine Zeit, da ich viele Kabel reinigen muss, bevor ich sie in den Rucksack packen kann. Aber das ist bei dem guten Wetter absolut kein Problem. Alles ist schließlich trocken und sauber verpackt und es macht schon einen riesigen Unterschied, ob man diese Arbeiten bei Sonnenschein macht oder im Regen. Zwischendurch muss man natürlich immer wieder mal die Landschaft anschauen, um deren Schönheit zu genießen. Wir sind ja schließlich keine Roboter. „Die Fram“ ist mittlerweile auch in unserer Nähe und ich frage mich, ob Harald und seine Frau uns sehen können, oder ob sie ihr Augenmerk eher auf die Kongsvegen und Kronebreen-Gletscher gerichtet haben. Das würde ich nämlich tun, wenn ich die Wahl hätte einerseits fünf schwarz gekleidete Punkte über einen Dreckhaufen stolpern zu sehen oder andererseits ein tolles Gletscherpanorama aufsaugen zu können.
Die Arbeiten laufen zügig ab und so bleibt noch genügend Zeit, Fotos von unserer Erosionsstruktur zu schießen und zwei andere ebenfalls genauer zu erkunden. Mike ist mit seinem Scanner unterwegs und versucht gerade einen der Schlammströme zu überqueren. Ich denke mir so, dass das vielleicht keine gute Idee ist, als ich ihn bis zu den Oberschenkeln versinken sehe. Das ist zwar sehr lustig, aber andererseits hat er natürlich teure Ausrüstung in den Händen und auf dem Rücken, die ein Schlammbad deutlich weniger gut verkraften würden, als meine Zeitrafferkamera. Er kann sich aber Gott sei Dank selbst befreien und alles geht gut. Nur Mike schaut etwas eingeschmutzt aus und trägt damit sehr zum allgemeinen Amüsement bei! Vor allem, weil er ja schon vor ein paar Tagen den gleichen Fehler begangen hat.
Vom Strand aus sehen wir ein weiteres Kreuzfahrtschiff, dass mit hoher Geschwindigkeit durch die Eisberge pflügt und seine Gäste bis buchstäblich an die Abbruchkante des Kronebreen-Gletschers bringt. Wirklich fast schon beängstigend aber der Kapitän wird schon wissen, was er seinem Schiff zutrauen kann. Mit „Luciole“ sind wir gefühlt deutlich langsamer unterwegs. Wir haben aber genügend Zeit und wir nutzen die Fahrt zum Genießen. Eine wahre „Pleasure Cruise“.
Da der Wind mittlerweile auf Nordwest gedreht und an Stärke zugenommen hat, mache ich mir um das Anlegemanöver ein paar kleinere Sorgen, weil man bei seitlichem Wind und seitlichen Wellen eine relativ kleine Box treffen muss. Es klappt aber ganz hervorragend und sanft und wir sind im Nu mit unseren vier Dockleinen festgemacht. Tanken, Batterien ausschalten, fertig. 17:38 Uhr! Perfektes Timing, um die Waffen zurück zu geben, aufzuräumen, zu duschen und dann pünktlich um 18:50 Uhr zum Essen zu erscheinen.
Samstags gibt es in Ny Alesund immer ein ausgefallenes Dinner, zu dem man auch ordentlich gekleidet erscheinen sollte. Arbeitsklamotten sind definitiv verpönt. Auf den Tischen stehen Weingläser und es gibt Servietten. Alles ist schön eingedeckt für das Lamm-Karree, das es heute gibt. Vom Feinsten! Dazu grüner Spargel, Kartoffeln, Gemüse und als Nachtisch eine Crème brûlée. Und Andreas zaubert tatsächlich eine Flasche Rotwein hervor, die ausgezeichnet zum Lamm passt. Das wäre dann Hightlight Nummer 5 oder 6 oder 7.
Im Anschluss sitzen wir bei Kaffee und Bier noch im großen Aufenthaltsraum des Kantinengebäudes um über Gott und die Welt zu reden und bereits jetzt neue Pläne für das nächste Jahr zu machen. Wie üblich sprudeln die Ideen nur so aus uns heraus. Im Herzen sind wir in dieser Beziehung alle kleine Kinder geblieben, die ihrer Begeisterung kaum her werden.
Samstag ist natürlich auch der Tag der Malageret-Bar. Wir schlagen dort gegen 22:30 Uhr auf und ich genieße es wieder dort zu sein. Beim Bier muss man sich zwischen schwarzen und grünen Dosen entscheiden. Schwierig, denn auf beiden steht drauf, dass es vermutlich das beste Bier der Welt ist. Ja welches denn nun? Die Bar hat immer ihre eigene Stimmung, die auch von Jahr zu Jahr wechselt, je nachdem wer gerade da ist. Sie ist zentraler Anlaufpunkt am Samstag Abend und wir treffen dort Maarten und Ingo. Ingo und ich haben uns viel zu erzählen und es freut mich riesig, dass wir uns dieses Jahr wieder sehen können. In den letzten zwei Jahren haben sich unsere Besuche in Ny Alesund leider nicht überschnitten, so dass wir nur losen Emailkontakt hatten. Aber heute ist das alles vergessen und wir holen Vieles nach und haben ein wirklich sehr anregendes Gespräch. Highlight Nummer XX, ohne jeden Zweifel! Natürlich muss man dabei auch ein kleines Bier trinken. Um 2:00 Uhr liege ich schließlich glücklich und zufrieden in meinem Bett. Der Tag hat es wirklich sehr gut mit uns gemeint und wird mir in bester Erinnerung bleiben. Wie singt Martina Schwarzmann: „So schee kons Leben sei“.
Fotos
19.7.2024
So, was gibt es heute zu berichten? Deutlich weniger als gestern, so viel steht fest. Um 6:30 Uhr klingelt der Wecker, um noch genügend Zeit für eine ausgiebige heiße Dusche zu haben und mich seelisch-moralisch auf den Ansturm beim Frühstücksbuffet vorbereiten zu können. Wenn es schon keinen Espresso gibt, dann muss es mein obligatorischer Pott Kaffee sein. Dazu zwei Spiegeleier mit Speck, Silt, Brot und Schinken. Der Tag kann kommen!
Beim Frühstücken baldowern wir unseren heutigen Masterplan aus. Ernst wird Mike A. und sein Team begleiten, Nico wird sich um unsere Frachtpapiere kümmern und Mike, Andreas und ich wollen die LIDAR Scans von der Bayelva Permafrost-Messstation durchführen, um die uns Julia Boike gebeten hat. Die Aufgaben sind also klar verteilt. Während Ernst und Co. unmittelbar nach dem Frühstück mit dem Motorboot zum Kongsfjordneset, also unseren üblichen Landeplatz auf Kvadehuksleta, gebracht werden, wollen wir es etwas langsamer angehen lassen. Ich bin viele Tage mit dem Blog in Verzug und muss heute noch die Bilder raussuchen, bearbeiten und die Bildunterschriften schreiben. Und Nico muss dann auch noch alles lesen. Eine schiere Mammutaufgabe, die uns sicher bis zum Mittagessen beschäftigen wird. Und so ist es dann auch. Ich wühle mich durch hunderte von Fotos, um die Besten zu finden. Nico ist superschnell mit dem Korrekturlesen und zumindest da kann ich den Haken dahinter machen. Bei den Bildern dauert es schon etwas länger, speziell da ich fast zum Schluss feststelle, dass mein Programm kurze weiße Linien in die Bilder einfügt, wenn ich eine Tonwertkorrektur durchführe und dann „sichern“ sage. Wenn ich die Option „sichern unter“ wähle, tritt der Fehler nicht auf. Das ist jetzt echt sehr ärgerlich, weil ich quasi alles doppelt machen muss. Dadurch läuft mir natürlich die Zeit davon, denn wir wollen ja nach dem Mittagessen möglichst schnell ins Gelände.
Zu Mittag gibt es heute in der Kantine Fisch. Ein Pott Kaffee mit Kuchen schließt das Mittagessen ab. Maarten Loonen sitzt bei uns am Tisch und wir haben eine spannende Diskussion über seine Gänse. Er und seine zwei Masterstudentinnen wollten zwei Gänsepopulationen mit ihren Küken vergleichen. Leider hat ein Polarfuchs ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Küken der Kontrollgruppe aufgefressen. Eine ganz andere Art von Problemen, als jene mit denen wir so zu kämpfen haben. Aber nicht unbedingt besser. Aber Maarten ist schlau, erfahren und kreativ und ich bin mir sicher, dass er schon lange einen Plan B aus der Tasche gezaubert hat.
Nach dem Mittagessen geht es dann ganz schnell. Ich funke Alex an und nach ein paar Minuten ist sie auch schon im blauen Haus, um uns die Waffen auszuhändigen. Mir bleibt gerade noch so viel Zeit unseren Besuch der Bayelva-Station in das AWIPEV Computersystem einzugeben. Und es kommt noch besser: Wir können “Emily“, den AWIPEV-Bus benutzen, um möglichst schnell dorthin zu kommen. Als erstes stellen wir fest, dass die Koordinaten der Station, die uns Ernst gegeben hat, nicht richtig sein können. Demnach wäre die Station irgendwo im Fjord. Wir fahren mit „Emily“ am Flughafen vorbei und parken sie irgendwo im nirgendwo. Wie üblich bleibt das Auto unverschlossen und der Schlüssel steckt im Zündschloss. So ist es hier Sitte, um bei einem Eisbärenangriff darin Schutz suchen zu können. Ein Auto klauen macht hier ja überhaupt keinen Sinn, da man quasi das gesamte Straßennetz im Auge hat oder man es bequem mit dem Fahrrad abfahren könnte. Außerdem, wer klaut schon einen alten Bus?
Von der Straße aus haben wir eine kleine Holzhütte gesehen und gehen davon aus, dass es sich dabei um die Messstation handelt. Nach ca. 20 Minuten stellen wir fest, dass es nicht die Station ist, sondern ein alter Bergbauschacht. Sobald ich die verbogenen Gleise gesehen habe, war mir klar, dass wir hier definitiv falsch sind. Für ein paar coole Fotos ist die Stelle aber super.
Also zurück zum Auto! Wir stoppen dieses Mal auf der anderen Seite der Bayelva, um zu einer Stelle zu laufen, die wir mit meinem Fernglas als die wahre Station erkannt haben. Auch dieser Fußmarsch zieht sich deutlich länger hin, als wir geplant hatten. Aber schließlich kommen wir am Ziel unserer Wünsche an und Mike kann seinen Scan machen. In weniger als 20 Minuten ist alles erledigt und dafür sind wir mehr als zwei Stunden querfeldein unterwegs gewesen. Um der Sache noch die Krone aufzusetzen, sehen wir eine alte Straße, die direkt zur Bayelva-Station führt. Wir hätten uns also viel Lauferei gespart, wenn wir vom Tvillingvatner See gekommen wären, bis zu dem wir bequem mit dem Auto hätten fahren können. Egal, ich will darüber nicht weiter reden!
Gut verschwitzt kommen wir nach getaner Arbeit wieder in Ny Alesund an. Ich war nicht auf so viel Laufen vorbereitet und war viel zu warm angezogen. Meine ganzen frisch gewaschenen Klamotten könnten also schon wieder in die Waschmaschine. Zumindest stecke ich mich in die Dusche, bevor ich wieder am Blog arbeite. „Pasta Party“ ist heute in der Kantine angesagt. Ich entscheide mich für Penne mit Fleischsauce und Salat. So ein bis zwei Vitamine können ja im Prinzip nicht wirklich schaden.
Um 18:00 Uhr gebe ich noch ein Zoom-Interview für einen Beitrag der Deutschen Welle über den Mond. Meine Gesprächspartnerin ist bestens vorbereitet und stellt wirklich sehr gute Fragen und so quatschen wir für fast eineinhalb Stunden über den Mond, die vergangenen und jetzigen Missionen, sowie seine Bedeutung in der Planetologie. Das hat richtig Spaß gemacht, obwohl meine Stimme dann doch fast weg war.
Thomas Heyer ist der Held des Tages, denn er hat innerhalb kürzester Zeit alle Bilder und Texte der letzten paar Tage auf die Blogwebseite hochgeladen. Und das am Freitag Abend! Danke Thomas, das war absolute Weltklasse und hat die Zahl der „Beschwerden“ wann denn der nächste Blogeintrag veröffentlicht werde, doch deutlich in Grenzen gehalten.
Das SPLAM-Team sitzt auf der Terrasse des Blauen Hauses in der Sonne und versucht, das Bier nicht allzu warm werden zu lassen, als wir Ernst und die anderen auf der Hauptstraße sehen. Sie sind heute über unsere übliche Route unterhalb des Morebreen-Gletschers nach Ny Alesund zurück gelaufen. Ernst berichtet, dass sich die Eiswand drastisch verändert hat und zeigt uns sehr beeindruckende Fotos. In die Eiswand hat sich jetzt ein Kanal eingeschnitten und ich staune nicht schlecht, als ich die Bilder mit meinen Erinnerungen aus dem letzten Jahr vergleiche. Ich hätte diese Tour wirklich sehr gerne selbst gemacht.
Ich telefoniere noch mit Carolyn, die sich mit den Kindern bereits morgen um 8:00 Uhr auf den Weg nach Oslo machen wird. Ich gebe letzte Klamottentipps und beschreibe ihr, wie sie am besten zu Mary Ann’s Polarrigg kommt. Eigentlich sollte alles klappen. Allerdings sind heute weltweit zahlreiche Flüge ausgefallen, weil ein Computervirus die Software vieler Fluggesellschaften schachmatt gesetzt hat. So hat es offensichtlich größere Probleme in Düsseldorf und Berlin gegeben, während Lufthansa in Münster wohl weniger stark betroffen war. Ich drücke jetzt einfach mal die Daumen, dass meine Familie pünktlich in Longyearbyen ankommen wird.
Nachdem die Wandertruppe ihr „Late Dinner“ bekommen hat, klingt der Abend auf der Terrasse bei lauen Temperaturen, fast Windstille und strahlendem Sonnenschein aus.
Fotos
18.7.2024
Das mit dem Aufstehen klappt heute schon mal ganz hervorragend. Mein Wecker macht um 6:30 Uhr Rabatz und kurze Zeit später sind tatsächlich alle auf. Die letzte Nacht war himmlisch. Gewissermaßen als göttliche ausgleichende Gerechtigkeit konnten unsere Schnarcher letzte Nacht nicht gut schlafen. Es war also schön ruhig in der Hütte, so dass ich ganz ausgezeichnet schlafen konnte. Auch wird mein Husten langsam etwas besser, so dass ich letzte Nacht auf meiner Seite schlafen konnte, ohne einen größeren Hustenanfall auszulösen. Was für eine Wohltat!
Das Frühstück fällt eher kärglich aus und wir haben tatsächlich nur mehr zwei Teebeutel übrig. Aber für eine Nudelsuppe reicht es allenthalben. Das Verpacken der persönlichen Drei Dinge geht gut von der Hand und es macht sich heute wirklich bezahlt, dass wir gestern bereits die Materialkisten an den Strand gebracht haben. So können wir heute einen Teil der Rucksäcke und die Müllkiste auf unseren kleinen Karren fixieren. Unser Plan ist, dass wir vier mit dem ganzen Gepäck zum Strand laufen, um dort von dem Motorboot um 10:00 Uhr abgeholt zu werden. Ernst wird die Hütte stubenrein machen und sich mit der Truppe von Mike A. treffen, um mit ihnen den ganzen Tag zu arbeiten und dann abends mit Katharina über unsere übliche Plateau-Route nach Ny Alesund zurückzulaufen. Eigentlich ein ganz schicker Plan, der allerdings eine gravierende Schwachstelle aufweist, die uns im Verlauf des Tages noch einiges Kopfzerbrechen bereiten wird. Aber soweit erst einmal ganz gut.
Frohen Mutes und in freudiger Erwartung einer warmen Dusche brechen wir bei bestem Wetter auf, nachdem wir uns von Ernst verabschiedet haben. Er behält ein Gewehr, eine Signalpistole, ein Funkgerät und das „In Reach“, das uns erlauben wird, seine Bewegungen mitverfolgen zu können.
Der größte Teil der Strecke verläuft völlig unspektakulär und jeder ist wohl gedanklich schon in Ny Alesund beim Mittagessen. Auf einem kleinen Rücken angekommen, sehe ich in ca. 1-1,5 km Entfernung einen Eisbären, der in Richtung Strand unterwegs ist. Wir schauen mit unseren Ferngläsern nochmals zur Sicherheit nach, ob es sich tatsächlich um einen Eisbären handelt. Und ja, es ist einer! Über unser Satellitentelefon informieren wir Alex. Ernst können wir über Funk leider nicht erreichen und auch Thomas, der uns mit „Jean Floch“ abholen will, ist offensichtlich noch außer Reichweite. Da der Bär mittlerweile den Strand erreicht hat und er hinter den Strandwällen nur zeitweise zu sehen ist, bleiben wir erst einmal auf unserem Rücken, der sich ca. 300 m vom Strand befindet. Das sollte ein sicherer Platz sein, weil wir vermuten, dass der Bär vermutlich direkt am Strand laufen wird. In diesem Fall könnte uns Thomas sagen, ob es sicher ist, an den Strand zu kommen, weil er vom Boot aus den weitaus besseren Überblick hat. Aber der Bär nimmt zunächst ein ausgiebiges Bad, wie wir in unseren Ferngläsern sehen können. Dann sehen wir Thomas mit dem Boot am Strand. Da der Bär noch weit genug weg ist und offenbar mit Wasserspielen beschäftigt ist, nutzen wir unsere Chance und laufen möglichst schnell zum Strand. Ich schicke Nico zum Wache stehen, während wir anderen drei unsere Ausrüstung möglichst zügig auf das Boot verladen. Damit sich auch Nico in den Überlebensanzug schmeißen kann, übernehme ich den letzten Teil der Wache. Gott sei Dank ist momentan kein Bär zu sehen und wir sind letztlich alle sicher an Bord und können die Anker lichten. Thomas will noch ein paar Infos über den Eisbären sammeln und so fahren wir noch ein paar hundert Meter in die Richtung unserer letzten Bärensichtung. Und tatsächlich, da ist er. Andreas meint nur, ich sei ein sehr guter „Bären-Spotter“. Der Bär hat seine Morgentoilette mittlerweile beendet und schlendert jetzt mit nicht zu unterschätzender Geschwindigkeit den Strand entlang. Innerhalb von ein paar Minuten ist er an die Anlegestelle bis auf ca. 200 m herangekommen. Unser Zeitfenster für das Verladen und Ablegen war also denkbar knapp. Ich denke, es war zu keinem Zeitpunkt gefährlich und wir haben die Situation gut gemeistert und umsichtig gehandelt, aber nur ein paar Minute hin oder her hätten die Situation schnell in eine andere Richtung bewegen können und eine Planänderung notwendig gemacht. Jedenfalls haben wir jetzt den „Luxus“ noch ein paar schöne Fotos aus sicherer Entfernung machen zu können, bevor es nach Ny Alesund geht.
Aufgrund unserer Warnung an Alex, dass der Bär in Richtung Ny Alesund unterwegs ist, erfahren wir auf dem Rückweg, dass Mike A. nicht wie geplant mit „Polar Tomato“ ins Gelände fahren kann. Das bedeutet aber auch, dass Ernst in Geopol gestrandet ist und wir ihn abholen müssen. Zwar ist er in der Hütte sicher, aber es ist auch klar, dass der ursprüngliche Plan nach Ny Alesund zu wandern unter den Gegebenheiten nicht mehr durchführbar ist. Alex versucht ihn über „In Reach“ zu erreichen, zunächst ohne Erfolg. Thomas und der Rest der Truppe gehen nach einer ultrakurzen Dusche, um den gröbsten Dreck abzukriegen, noch schnell zum Mittagessen, bevor wir wieder Richtung Geopol-Hütte aufbrechen. Da wir bisher nichts von Ernst gehört haben, unterstützen Mike und ich Thomas. Es kann ja sein, dass wir zur Geopol-Hütte laufen müssen, um ihn abzuholen. Was wir mindestens tun können, ist Thomas beim Ankern zu helfen, denn der Wind an der Anlegestelle bläst aus einer unguten Richtung, die das Ankern erschwert.
Auf dem Weg zum Strand von Geopol erreicht uns die Nachricht, dass Ernst um 14:30 Uhr zum Strand kommen wird. Als wir dort ankommen sehen wir ihn zunächst nicht. Viel wichtiger ist aber, dass wir auch den Eisbären nirgendwo sehen. Er ist also weitergezogen. Allerdings hat er unsere am Strand deponierten Karren umgedreht und auch den Benzinkanister umgeworfen. Er war halt neugierig und hat nach etwas Fressbarem gesucht. Dann sehen wir Ernst und ein paar Minuten später sitzen wir alle auf „Jean Floch“ und sind erneut auf dem Weg nach Ny Alesund. Draußen an der Anlegestelle weht ein steifer Wind, aber weiter im Fjord ist es quasi windstill. Die Trennung ist fast messerscharf und mir ist das in den letzten Tagen schon aufgefallen, dass diese extrem deutliche Windlinie den inneren vom äußeren Fjord trennt. Die Rückfahrt ist sehr angenehm und Thomas funkt Alex an, um ihr mitzuteilen, dass alles geklappt hat.
Im Hafen liegt mittlerweile das Schiff des Sysselmesteren, die „Polarsyssel“ und die „Stockholm“, ein wunderbarer klassischer alter Frachter, der nun wohl zu Kreuzfahrten genutzt wird. Von beiden Schiffen müssen Ernst und ich unbedingt Fotos machen. Alter Stil gegen modernste und beeindruckende Technik.
Nachdem wir unsere Überlebensanzüge abgeduscht und zum Trockenen aufgehängt haben, ist es Zeit für eine ausgiebigere Dusche. Ahhh! Einfach nur herrlich! Und dieses Mal wird sogar hinter den Ohren gewaschen. Erst sechs Tage keine Dusche und dann zwei an einem Tag. Da gibt es definitiv nichts zu meckern. Oh, jetzt aber noch schnell die ganze Schmutzwäsche sammeln und in den Waschsaloon bringen. Ich wasche zwei Ladungen. Dann ist es auch schon wieder Zeit zum Abendessen. Es gibt Fisch und Salat! Und hinterher ein Eis mit roten Früchten. Und eine schöne Tasse Kaffee. Und um alles zu einem richtig guten Tag abzurunden, gibt es in der Kantine heute auch noch HobNob’s Kekse. Meine absoluten Lieblingskekse! What a day!
Den Abend verbringen wir zunächst auf der Terrasse des Blauen Hauses in der Sonne sitzend. Es wird uns aber doch irgendwann zu kalt und so siedeln wir in den Aufenthaltsraum um, wo wir den Tag noch einmal Revue passieren lassen. Ja, unsere Sicherheit war immer gewährleistet aber trotzdem lerne ich daraus, dass eine einzelne Person nicht aufgrund eines Plans vom Rest der Truppe getrennt werden sollte. Das war ein Fehler, den wir nicht noch einmal machen werden. Thomas und Alex waren fantastisch und haben sehr dazu beigetragen, alles zu einem guten Ende zu bringen. Jedenfalls sind wir alle dankbar, dass wir uns auf ein gutes Team verlassen können. Merci beaucoup, Thomas und Alex!
Fotos
17.7.2024
3:35 Uhr. Pinkelpause! Oh nein! Der ganze Himmel ist voll mit Wolken und es zeigen sich nur vereinzelt blaue Flecken. Das ist jetzt gar nicht gut! Unsere Befliegung können wir bei einem solchen Wetter gleich komplett vergessen. ARRRGGHH! Ich gehe mit Sorgen wieder ins Bett. Aber wenigstens kann ich heute etwas besser schlafen und huste mir nicht ganz so die Seele aus dem Leib. Die einen schnarchen, ich huste!
Auch beim Frühstück ist es noch immer wolkig. Es weht kein Lüftchen und es ist absolut still. Kein Vogel, kein Wind, kein gar nichts. Ich hole mein Handy und spiele von Depeche Mode „Enjoy the Silence“. Ein grandioser Song in einer grandiosen Landschaft und dennoch wirkt er etwas deplatziert. Eigentlich also kein schlechter Arbeitstag, aber eben zu bedeckt für die Befliegung. Wir sind alle etwas enttäuscht, nach all der vielen Vorbereitung. Wie durch ein Wunder setzt aber ein südlicher Wind ein und schneller als wir es wahrhaben wollen, ist der ganze Himmel strahlend blau.
Wir sind bei unserem Graben, um letzte Proben zu sammeln und letzte Messungen und Notizen zu machen, als wir ein sonores Brummen in der Luft hören. Zuerst ganz leise und dann immer lauter werdend. Und schließlich sehen wir das AWI-Flugzeug, wie es seine Bahnen dreht und über uns wendet, um Streifen für Streifen unsere Lateralmoräne aufzunehmen. Musik in unseren Ohren und unser Jubeln ist fast so laut wie die Motoren. Wir freuen uns wie kleine Kinder, wenn Geburtstag, Weihnachten und Ostern zusammenfallen. Das Flugzeug erscheint uns sehr niedrig zu fliegen und wir hoffen, dass die Daten alle gut sein werden. Am liebsten würden wir sie natürlich sofort sehen wollen.
Da das nicht möglich ist, konzentrieren wir uns auf unsere Arbeiten. Ernst und ich nehmen noch 5 Proben und dokumentieren alles, bevor Mike mit seinem Magic-LIDAR unseren Graben abscannt. Dann beginnt auch schon der zweitschmerzliche Teil, nämlich das Verfüllen unseres Grabens. Nico wird von der Eisbärenwache abgezogen und mit zum Schaufeldienst eingeteilt. Mit gemeinsamen Kräften ist das Loch relativ zügig verfüllt. Auch die Eisenstangen zur Stabilisation unseres Graben werden natürlich wieder entfernt. Mittels eines Spanngutes und dem Einsatz von physikalischen Hebelgesetzen gelingt das auch ganz gut. Geschafft! Jetzt noch ein paar Fotos, dass wir alles sauber hinterlassen haben und unser Loch tatsächlich wieder verfüllt ist. Nur falls jemand nachfragt.
Mike A. und seine Truppe, Katharina und Thomas, sind mittlerweile an unserer Hütte angekommen. Wir sitzen kurz in der Sonne, um Mittag zu machen, bevor es auch schon wieder weitergeht. Ernst und Mike werden sie bei „ihrer“ Traverse begleiten, während Andreas, Nico und ich die 12 markierten Steinkreise mit dem Drachen befliegen wollen und um alle Fähnchen zu entfernen. Der erste Teil geht schon an der Geopol-Hütte in die Hose, weil der Wind sowohl in Stärke als auch in Windrichtung ein wankelmütiger Genosse ist. Wir kriegen den Drachen nicht ein mal ohne Kamera in die Luft. Nach mehreren vergeblichen versuchen geben wir auf. Wir wollen zunächst zum letzten Steinkreis laufen, um dann auf dem Rückweg alle Fähnchen aufsammeln. Nico und Andreas sind schneller als ich und ich lasse sie ziehen, weil ich noch ein paar Beobachtungen von Polygonböden mache. Dort finden sich in den Spalten die groben Gesteinsbrocken und an den Rändern die kleineren Brocken, die aber dafür zu einem Wall aufgetürmt werden. Eine ganz interessante Beobachtung, da ich mir vorstellen kann, dass sich Steinkreise so zu bilden beginnen.
Ich schaffe es letztlich bis zum wohlbekannten großen Aufschluss, von wo ich einen wunderbaren Blick sowohl auf die Geophysiker am Strand habe, als auch auf Nico und Andreas, die mittlerweile fast bei Steinkreis 12 angekommen sind. Das Wetter ist noch immer granatenmäßig aber es weht jetzt wieder ein frischer Wind. Wir hätten den Drachen also mitbringen sollen. Aber vielleicht ist er jetzt auch schon wieder zu stark. Man kann nicht immer gewinnen. Nachdem ich das Panorama tief in mich aufgesogen habe, trolle ich zur Hütte zurück. Da ist es wieder! Erst leise und dann immer lauter werdend und schließlich sieht man den kleinen Punkt am Himmel. Das AWI Flugzeug zieht wieder seine Runden und befliegt die Nordseite von Kvadehuksletta bis zur Engelsbukkta, wo wir z.B. in den Jahren 2017 und 2018 bereits erste Vorerkundungen gemacht haben.
An der Hütte gönne ich mir eine Tasse Tee und kurze Zeit später treffen sowohl die Geophysiker als auch Andreas und Nico ein. Wir haben also wieder, alle vereint, Zeit zum Tee trinken. Die drei Geophysiker müssen heute noch nach Ny Alesund zurücklaufen und darum kommt der Abschied relativ schnell. Es ist ja auch schon knapp 17:00 Uhr. Als sie weg sind verpacken wir schon Teile unserer Ausrüstung für den Abtransport morgen Früh. Kurzentschlossen wollen Ernst und Nico den beladenen Wagen noch heute zum Strand bringen. Das sollte uns morgen Zeit sparen und den Abtransport insgesamt einfacher machen. Auch bedeutet es, dass Ernst morgen nicht mit zum Strand mitkommen muss, sondern direkt über das Plateau nach Ny Alesund wandern kann. Ich wäre nur zu gerne bei dieser Wanderung dabei, weil sie immer wunderschön und ein Highlight der Exkursion ist. Aber in meinem Zustand wäre das vermutlich eine weniger gute Idee. So werde ich denn morgen gezwungenermaßen mit dem Boot zurück karriolen. Sehr schade!
Um 18:00 Uhr telefoniere ich mit Aleks. Ich gebe ihr Bescheid, dass wir zwei große und zwei extragroße Überlebensanzüge brauchen und kriege dafür den letzten Wetterbericht. Morgen soll es erneut schön sein und wenig Wind wehen. Es schaut also vorerst ganz gut aus für ein Abholen am Strand um 10:00 Uhr.
Während Nico und Ernst noch unterwegs sind, fängt Andreas an, aus den Essensresten irgendetwas zu kreieren. Dieses Jahr sind wir tatsächlich etwas knapp mit den Lebensmitteln. Unsere eine Zwiebel wurde gestern aufgebraucht und selbst die Teebeutel und Nudelsuppen mussten bereits rationiert werden. Aber für heute Abend und morgen zum Frühstück wird es schon noch reichen. Bier haben wir Gott sei Dank noch für diesen Abend und auch vier Finger breit Whiskey ist noch in der Flasche. Auch das sollte zu keinem Engpass führen. Wir sind also nicht am Verhungern, aber es ist doch deutlich knapper, als sonst.
Ernst und Nico empfängt eine Wolke Essensduft, der nicht von schlechten Eltern ist. Und so sitzen wir bald um den Tisch vereint zu unserem letzten Abendessen auf der Geopol-Hütte in diesem Jahr zusammen. Das Bier muss heute getrunken werden, denn es macht ja keinen Sinn, es wieder zurück zum Strand zu schleppen. Gleiches gilt für den Whiskey und ich würde sagen, dass sich Ernst und Nico mit ihrer Strandfuhre eine extra-Ration verdient haben.
Meine Sachen sind mehr oder weniger fertig gepackt, so dass es morgen relativ schnell gehen sollte. Wesentlich wird sein, zeitig aus den Federn zu kommen, denn die Hütte will ja auch noch geputzt werden.
Fotos
16.7.2024
Was für ein super Tag! Ernst ist heute der Erste, der aus dem Schlafsack kriecht. Nachdem er sein Bett weggeräumt hat, ist es Zeit für mich, ihm bei der Frühstücksvorbereitung zu helfen. Dann schält sich einer nach dem anderen aus der Bubu-Tüte. Zum Frühstück ist glaube ich alles und in allen Variationen gesagt. Nur soviel. Es ist immer wieder schön, diese Zeit gemeinsam zu haben, um den Plan für den Tag zu entwickeln. Wie üblich wird es wieder ein arbeitsreicher Tag. Mike und Andreas werden sich mit dem LIDAR vergnügen, Nico und ich wollen die Radarprofile mit dem Drachen abfliegen und Ernst wird schon anfangen zu graben, bis Nico und ich ihn unterstützen werden. Bevor wir jedoch losfliegen, stecken wir noch Fähnchen auf die zwei Steinkreise, an denen wir in den vergangenen Jahren gegraben haben und machen auch noch ein paar Fotos von unserem Stangenexperiment, das allerdings mittlerweile völlig unbrauchbar ist, weil offensichtlich ein Schneemobil unsere Stangen verbogen bzw. aus dem Boden gezogen hat.
Der Drachen ist schnell zusammengebaut und nach anfänglichen kleineren Schwierigkeiten fliegt der Drachen heute ausnehmend ruhig. Der Wind weht wunderbar gleichmäßig, so dass die Kamera schön stabil in der Luft hängt. Das sollten gute Daten werden. Nico läuft mit dem GPS voraus und „markiert“ den Weg, dem ich dann nur zu folgen brauche. Es ist schon witzig zu sehen, wie er immer Zick-Zack läuft, um dem GPS-Pfad zu folgen. Auch einige Vögel, deren Nestern er zu nahe kommt, sind wenig darüber erfreut und attackieren ihn. Ich laufe nur weniger als 50 m hinter ihm und bleibe dagegen völlig unbehelligt. Ich glaube, die Vögel können sich immer nur auf einen „Feind“ konzentrieren. Mir solls recht sein. Aber einmal werde auch ich attackiert und der Vogel fliegt gegen die Drachenleine. Vermutlich sind wir beide gleichermaßen erschrocken, denn weitere Angriffe unterbleiben. Endpunkt unseres ersten Profils ist der große Aufschluss, auf dem wir vor Jahren Zuflucht vor einem Eisbären gesucht haben. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es in einem großen Bogen zurück zur Geopol-Hütte. Auf dem Weg dorthin überfliegen wir noch Ernsts Grabung und die zwei Steinkreise an denen wir schon vor ein paar Jahren gegraben haben. Auch Geopol wird noch ausgiebig überflogen, bevor wir den Drachen einpacken. Laut Wettervorhersage soll der Wind ja weniger werden und selbst jetzt hatte ich ein paar Stellen, an denen der Drachen nur schwer in der Luft zu halten war. Außerdem müssen wir ja Ernst beim Graben helfen. Wir laufen kurz runter zu ihm, um seinen Fortschritt zu begutachten. Ernst war definitiv fleißig! Trotzdem beschließen wir erst einmal Mittag zu machen, bevor wir ihn weiter unterstützen.
Gesagt, getan! Der längere Fußmarsch hat mich doch einiges an Kräften gekostet und so koche ich Wasser für Nudelsuppen und Tee. Das Wetter ist mittlerweile fantastisch und Ernst und Nico sitzen draußen in der Sonne, während ich in der Küche rumwurschtle. 3490 ist heute die Wahl. Die Nudelsuppe tut richtig gut und es ist schön zu wissen, dass keine einzige Ente dafür ihr Leben lassen musste, dank der Lebensmittelchemie mit ihren unendlichen E-Nummern. Mike und Andreas kommen auch zur Hütte zurück und machen dort ebenfalls Mittag. Ich schlafe am Tisch ein und erfahre von Andreas, dass Ernst und Nico schon wieder unterwegs sind. Das geht jetzt beim besten Willen nicht. Ich muss mich für ein Stündchen zu einem Power-Nap in meinen Schlafsack verziehen. Als ich wieder wach werde, geht es mir deutlich besser. Und das Ibuprofen von Andreas tut Wunder.
Den Rest des Nachmittags verbringen wir mit graben. Wie ein Tortenstück schneiden wir ein Stück aus dem Steinkreis heraus. Der alleroberste Zentimeter besteht aus Vegetation. Die folgenden 20 cm sind sehr feinkörnig und tonig, zwischen 20 und 40 cm Tiefe folgt eine immer noch gut zementierte tonig-schluffige Lage mit Zentimetergroßen Gesteinspartikeln, darunter finden wir eine kiesige Schicht, mit Fragmenten bis zu 7 cm Größe die nicht zementiert sind. Wir nehmen Proben aus unterschiedlichen Tiefen und von unterschiedlichen Stellen und verpacken sie sorgfältig in unsere Probencontainer. Bei ca. 80 cm Tiefe ist Schluss, denn die Kiesschicht in dieser Tiefe ist wassergesättigt, so dass wir nicht mehr tiefer graben können. Aber 80 cm sind ja nicht schlecht. Allerdings sind wir noch meilenweit von der Tiefe entfernt, in der Adam besonders starke Radarreflektoren bemerkt hat. Unser Graben wird uns also keine Erklärungen für diese Reflektionen geben.
Mittlerweile ist es 18:00 Uhr und Nico läuft zur Hütte zurück, um mit dem AWIPEV Kontakt aufzunehmen. Mike und Andreas sind auch schon an der Hütte und als Ernst und ich schließlich zurück kommen, duftet es bereits nach Essen. Wir sitzen noch eine Weile in der Sonne vor der Hütte und Nico macht eine tolle Zeitraffer-Aufnahme von Wolken, die über die Berggipfel ziehen. Wirklich cool! Wir trinken noch ein paar Tassen Tee auf unserer Sonnenterasse und freuen uns des schönen Wetters. Im Sonnenlicht sehen wir erst, welch fantastisch grandioses Panorama wir die letzten paar Tage verpasst haben. Apropos Tee trinken. Mein Hausarzt wird sich sicher freuen zu hören, dass wir hier gefühlt permanent am Tee trinken sind und das Zeug in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen von morgens Früh bis abends Spät eimerweise in uns reinkippen. Meine Nieren werden also gespült wie lange nicht mehr!
Draußen vor der Türe brummt der kleine Generator, um Mikes Batterien für das LIDAR wieder zu laden. Und auch meine zwei Batterien für die GoPro Kamera hängen zum Laden daran. Eigentlich hätte der Wind heute einschlafen sollen, aber gegen Abend hat er eher wieder zugenommen, so dass wir vielleicht morgen noch einmal den Drachen nutzen können. Für morgen ist sehr gutes Wetter vorausgesagt. Das wäre absolut cool, denn dann könnte morgen die Flugzeugbefliegung stattfinden. Jede Wolke, die dann nicht am Himmel ist, wäre für die Datenqualität natürlich super. Wir drücken uns definitiv die Daumen.
Das Abendessen findet wie üblich breiten Zuspruch und ist schneller verspeist als es gekocht ist. Armer Andreas, erst verbringt er Zeit mit der Vorbereitung und sobald es auf dem Tisch steht, ist es auch schon wieder verschwunden. Heute halte ich es tatsächlich bis 21:20 Uhr aus. Ein Zeichen, dass es aufwärts geht. Die anderen machen heute auch nicht länger und so liegen wir bei strahlendem Sonnenschein in den Betten, wo nach ein paar Minuten das übliche Wettsägen beginnt.
Fotos
15.7.2024
Bereits bei meinen Pinkelpausen heute Nacht ist mir aufgefallen, dass der Wind stetig zugenommen hat und heute Morgen erwartet uns ein sehr steifer Wind aus südlichen Richtungen. Es ist sofort klar, dass an eine Befliegung mit dem Drachen nicht zu denken ist.
Aber fangen wir erst einmal mit dem Frühstück an, das sich auch heute wieder extrem unspektakulär gestaltet. Ja, Nudelsuppen, Tee, Brot, Frühstücksfleisch und für Nico eine Fischbüchse. Heute mal was für die Spezialisten unter Euch: 3490, 3491, 3493 und 3494. Was das sind? Das sind die Chargennummern unserer Nudelsuppen, die wir hier dabei haben. Die Zahl 3490 steht für Ente, 3491 für Hühnchen, 3493 für Schrimp und die 3494 für Rindfleisch. Ich vermute, die vegetarische Version hat die 3492. Die Frage die uns aber mehr umtreibt ist, ob das Motorboot tatsächlich bei dem Wind kommen kann. Wenn sie sich nahe dem Südufer des Fjords halten, sollte es eigentlich möglich sein, aber es ist schwierig die Situation von der Hütte aus einzuschätzen. Das Satellitentelefon gibt uns Klarheit. Alex bestätigt, dass das Boot unterwegs ist, dass sie nicht alle gewünschten Lebensmittel mitbringen werden, dass es trocken bleiben soll, dass der Wind weiter zunehmen wird und dass ein Eisbär von Brandal aus in unserer Richtung unterwegs ist. Aber Brandal ist weit und er kann sicher auch einen anderen Weg einschlagen. Wir sind wie immer wachsam.
Ernst und Mike laufen mit den zwei Karren zum Strand, um das andere Team zu begrüßen und ihnen zu helfen, den Stromerzeuger zur Hütte zu schaffen. Für den Rest von uns heißt es daher Hütte auf Vordermann zu bringen und Teewasser bereit zu haben, wenn die Mannschaft zur Hütte zurückkehrt. Ein paar Minuten für fantastische Wolkenbilder bleiben uns aber auch noch. Jeder Impressionist des Blauen Reiters hätte heute seine Freude daran, die Lichtspiele auf Leinwand einzufangen. Gar nicht so leicht, denn die Stimmungen ändern sich quasi im Minuten-Rhythmus.
Ein Plan, wie er schöner nicht sein könnte, Mike A. und sein Team bei uns in der Hütte willkommen heißen zu können. Aber eben nur ein Plan. Die Realität schaut so aus, dass nur Ernst und Mike zurückkommen. Zunächst haben wir die Befürchtung, dass das Motorboot hat umkehren müssen, ohne landen zu können. Das wäre natürlich das schlechteste Ergebnis unseres Masterplans. Mit dem Fernglas sehen wir aber, dass die beiden beladene Karren hinter sich herziehen. Zwei rote Boxen interpretiere ich als Benzinkanister und als Stromerzeuger der bekannten japanischen Marke mit „H“. Ein paar Minuten später kommen sie an der Hütte an. Neben dem Generator und dem Benzin haben sie auch eine Tüte mit Lebensmitteln und eine Flasche Hustensaft mit im Gepäck. Heureka!
Sie erzählen, dass Mika A. es aufgrund des Bären vorgezogen hat, heute nicht in Strandnähe zu arbeiten, sondern stattdessen mit seinem Team nach Ny Alesund zurückgekehrt ist. Eine durchaus gute Entscheidung.
Der Hustensaft schmeckt, wie „gute“ Medizin in den 60er und 70er Jahren schmecken musste. Egal, runter damit. Als Erwachsener kann man täglich bis zu 60 ml davon einnehmen. Ich nehme halt mal einen guten Löffel voll. Bei der angegebenen Dosierung wäre die Flasche übrigens morgen Mittag leer, denn sie enthält 100 ml. Das funktioniert so schon mal nicht. Der Saft kommt offensichtlich von der KingsBay Krankenschwester, denn ein Preis von 130 Kronen ist direkt auf der Packung vermerkt. Auch die Lebensmittel kommen aus der Kantine. Offensichtlich ist die Information über unsere Essenskiste im Rabot-Gebäude nie bei Mike A. angekommen. Egal, wir freuen uns über Senf, Mayonnaise und ein paar Konserven mit Leberwurst und Fisch. Wir werden also vermutlich die nächsten paar Tage überleben!
Wie vorhergesagt, nimmt der Wind stetig zu. Gegenüber heute Morgen sind auch die dunklen Regenwolken wieder in der Überzahl und es nieselt immer wieder. Die Flagge weht steif und ich muss den Flaggenmast mit zusätzlichen Gesteinsbrocken sichern. Mikes Windmesser zeigt in Böen satte 6 Beaufort an und die Hütte wackelt und knarrt unter der Windlast. Das Wetter wäre eigentlich nicht zu schlecht, um zu arbeiten, aber der Wind saugt einem buchstäblich die Lebensgeister aus den Knochen. Keiner will so recht vor die Hütte und einer nach dem anderen endet im kuscheligen Schlafsack. Dieses Mal ist es an Nico, sich auf dem kleinen Sofa zusammenzufalten. Zumindest schaut seine Faltmethode weniger schmerzhaft aus als jene von Ernst. Andreas bewegt sich kurz, kollabiert aber sofort wieder in seinem Bett.
Ich möchte eigentlich schon noch zumindest den Steinkreis identifizieren, den wir dann aufgraben wollen. Das wäre so mein Minimum-Programm für heute Nachmittag. Das wird im Wesentlichen von drei Dingen abhängen: Unserer Motivation vor die Türe zu gehen, unmittelbar damit gekoppelt das Wetter, und schließlich dem Eisbären, der sich uns tatsächlich nähern soll. Jedenfalls haben ihn die anderen vom Boot aus beobachtet. Man wird sehen. Wie immer! Für den Moment sind erst einmal nur Hausaufgaben zu machen. Darunter fällt z.B. das Abfotografieren des Feldbuchs, das Sichern der Kamerabilder, oder das Schreiben des Blogs. Eigentlich ein gemütlicher Hüttentag, aber wir wollen ja etwas erledigt kriegen…
Ernst und ich ziehen also los, die anderen ziehen ein Nickerchen vor. Wir laufen das Bodenradarprofil ab und schauen uns die von Adam als besonders interessant markierten Steinkreise an. Wir kommen schnell überein, morgen an der Stelle „Dig 7“ in Adams Ausdrucken unser Glück zu versuchen. Erinnert mich an „Tap7“ des Schneider Weißbiers, das damit aber so gar nichts zu tun hat. Jedenfalls nehmen wir eine grobe Beschreibung vor, nehmen den GPS Punkt und machen auch ein paar Aufnahmen mit der Wärmebildkamera. Jetzt, da die Sonne seit Tagen nicht sichtbar war und der Regen alles gleich nass gemacht hat, sind die Temperaturunterschiede zwischen Wällen und dem Inneren der Steinkreise fast komplett ausgeglichen. Ich messe mit der Wärmebildkamera unterschiede von weniger als 1°C und auch ein Thermometer, das ich in den Boden steche, zeigt, dass das Innere 6,8°C warm ist, während der Wall 6,4°C zeigt. Sobald die Sonne herauskommen wird, erwarte ich viel deutlichere Unterschiede.
Weil wir gerade unterwegs sind, laufen wir noch bis zum Taleinschnitt der Kvadehukelva, um dort sehen zu können, wie mächtig die Sedimente sind, die das anstehende Gestein bedecken. An manchen Stellen ist es vielleicht ein knapper halber Meter, an anderen können es auch 2-3 Meter oder vereinzelt auch mehr sein. Wir sehen ein extrem scharfkantiges Gestein, das uns an jenes am Steinkreis Nummer 3 erinnert. Wir sind uns daher sicher, dass dort nur eine ganz dünne Sedimentauflage vorhanden ist, wenn überhaupt. Das macht diesen Steinkreis also ganz besonders. Aber irgendwann ist es dann auch gut und Ernst und ich trollen zurück in die Wärme der Hütte. Dort lösen wir unbeabsichtigter Weise einen Schub an Aktivitäten aus. Mike will jetzt die Hallet Steinkreise mit dem LIDAR scannen und der arme Andreas muss dazu aus dem Bett kriechen, um für Mike Wache zu stehen. Wir geben uns also die Türklinke in die Hand.
Ich checke mal nach einer Weile nach Andreas und bemerke sehr viele weiße Schaumkronen auf dem Fjord. Mein erster Gedanke waren Belugawale aber soviel Glück wie letztes Jahr haben wir dieses Mal nicht. Im Fernglas sehe ich, dass es sich um große Wellen mit Schaumkronen handelt. Ein Segelboot, das in Richtung Ny Alesund unterwegs ist, bleibt dann auch im deutlich ruhigeren Wasser nahe der Küste.
Mike und Andreas sind gerade fertig geworden mit ihrer Arbeit und heute ist es Mike, der wild fluchend seinen Unmut heraus lässt. Er hat ca. 60 Gbyte an Daten erwartet, musste aber feststellen, dass das System nur ca. die Hälfte aufgezeichnet hat. Der Speicherplatz war wohl schuld daran. Aber wenigstens sind wir heute alle von dem vorhergesagten Eisbären verschont geblieben, so dass wir unsere Arbeit uneingeschränkt machen konnten. Das Wetter war da eher das größere Problem.
Ein langer Draht wird verwendet, um den Abfluss in der Küche freizubekommen. Leider ist das Ding seit unserer Ankunft verstopft und ich bin schon gespannt, was für Leckereien unser Gestochere zu Tage bringen wird. Keine Leckereien. Irgendwann fängt das Wasser an abzulaufen und ich stochere noch eine Weile weiter, um alles möglichst sauber zu bekommen. Ich spüle erst mit heißen und dann mit einem Eimer kaltem Wasser nach. Erfolgsmeldung! Wir haben einen funktionierenden Küchenablauf. Auch kleine Dinge erfreuen einen des Lebens.
Nach dem Essen geht es sehr schnell bei mir. Ich merke die Anstrengungen des Tages und liege um 20:08 Uhr im Bett. Was das bedeutet: Ich verpasse die Wasabi-Erdnüsse und, viel wichtiger, die tägliche Whiskey-Ration. Aber ein friedlicher Schlummer ist mir jetzt lieber. Ich höre nicht einmal, als die anderen zu Bett gehen.
Fotos
14.7.2024
Die zwei Pinkelpausen heute Nacht haben mich miterleben lassen, wie der Wind fast aufgehört hat. Und geregnet hat es auch nicht mehr. Nachdem Ernst sich aus seinem Schlafsack geschält hat, kann ich Frühstück für die Bande machen. Routine! Wasser kochen, Suppen bereitlegen, Geschirr auf den Tisch, fertig. Anschließend bekommt jeder noch genau so viel Zeit, wie er für seine Morgentoilette eben braucht. Die anderen machen sich schon mal bereit für den Tag.
Nico und ich wollen versuchen, als aller erstes den Restwind noch zu nutzen, um den Drachen fliegen zu lassen. Ein so schöner Gedanke, der aber schon im Ansatz scheitert, weil der Drachen selbst ohne Kamera kaum in der Luft haltbar ist. Wir streichen dieses Thema. Ich funke Ernst an, damit er die Stangen zum Aufnehmen der Bilder aus ca. 3 m Höhe mit zum ersten Steinkreis bringt. Keine Antwort. Als ich auch nach mehreren Versuchen keine Antwort bekomme, laufe ich zurück zur Hütte. Wir stellen fest, dass auf P2 alles bestens funktioniert, aber P1 wohl über Ny Alesund eine Verbindung herzustellen versucht. Und dafür sind wir außer Reichweite. Aber jetzt wissen wir das auch. Mike und Andreas werden heute die Profile des Bodenradars mit dem LIDAR ablaufen und so trennen sich die zwei Gruppen für den heutigen Tag. Das Einzige was wir heute von den zweien sehen werden sind schemenhafte Umrisse im Nebel. Aber es sind ja erwachsene Leute mit der notwendigen Sicherheitsausrüstung.
Ernst, Nico und ich laufen zunächst alle markierten Steinkreise an, um sie mit orangenen Fähnchen zu kennzeichnen. Das soll verhindern, dass Mike versehentlich über einen unserer Steinkreise läuft. Er weiß ja nicht, wo er genau aufpassen muss, wenn er mit seinem LIDAR-Rucksack durch das Gelände rennt. Wir sind also relativ zügig am strandnächsten Steinkreis mit der Nummer 12. Wir nehmen uns erst ein mal die Zeit für eine Tasse Tee und eine Büchse Heringsfilets mit Marzipan-Schokolade, bevor wir zu arbeiten beginnen. Nico nimmt zunächst die Bilder mit der Stange auf. Dann beschreiben Ernst und ich die Veränderungen an den Steinkreisen. Wir hatten die Steinkreise im Jahr 2012 mit Farbe markiert und können so nachvollziehen, wie sich einzelne Gesteinsbrocken seither bewegt haben. Natürlich muss auch alles in Fotos dokumentiert werden.
Das Wetter ist eher durchwachsen. Es ist richtig, dass kein Wind weht. Der Nebel, bzw. die sehr tief hängenden Wolken führen aber dazu, dass man permanent im Feuchten herumläuft, was weder für das Schreiben noch das Fotografieren besonders gut ist. Ganz abgesehen davon, dass man Eisbären bei dieser Sichtweite erst sehr spät erkennen würde. Wir müssen also wachsam bleiben. Und sind es auch!
Apropos schreiben. Habe ich Euch schon erzählt wie ärgerlich es ist, wenn man mit billigen Kugelschreibern ins Gelände geht, bei denen die Tinte zu fließen aufhört wenn es etwas kälter ist? Die volle Katastrophe! Man versucht dann alles doppelt und dreifach zu schreiben und endet letztlich mit einem unleserlichen Gepampe aus Tintenflecken. Wenn man zusätzlich recht klein schreibt wie ich, ist absolut nichts mehr zu lesen. Schreibt man nicht alles doppelt, liest sich der Text als wenn man alle Vokale weggelassen hätte. Und von Zahlen erst gar nicht zu reden. Es macht halt schon einen Unterschied in der Dokumentation der Bilder ob da eine 4 lesbar ist oder eine 9. Permanent Schreiber funktionieren übrigens auf dem regenfesten Papier meines Feldbuchs auch nicht. Bei der kleinsten Feuchtigkeit, lassen sie sich verwischen. Ich halte also meinen Billig-Kugelschreiber in der Brusttasche warm bis er zum Einsatz kommt. Dann habe ich ca. 5 Minuten, um Notizen zu machen, bevor er wieder ins Warme zurück muss. Was für ein grandioser Sch…! Sowohl Ernst als auch Nico bestehen im Übrigen darauf, dass ich erwähne wie ich geflucht habe. Ich kann das durchaus bestätigen, dass meine Laune eher gedämpft war und ich sicher das ein oder andere unflätige Wort in den Mund genommen habe. Ernst ebenso! Aber aus anderen Gründen.
Vom letzten Steinkreis bis zur Hütte sind es gute 3 km Distanz und wir wiederholen unsere Prozedur an jedem Steinkreis. Schon eher zeitaufwändig und weniger spannend. Manche Steinkreise haben sich quasi in 12 Jahren kaum verändert, andere mehr und wieder andere zeigen mittlerweile dramatische Änderungen. Das Muster ist immer das Gleiche, und so sind wir uns schon sicher, dass die Änderungen nicht von Skimobilen oder Rentieren stammen. Wie gesagt, die ordentliche Dokumentation braucht seine Zeit und so kommen wir erst gegen 17:15 Uhr zur Geopol-Hütte zurück. Mike und Andreas sind bereits seit ca. 15:00 Uhr zurück und erwarten uns mit heißem Teewasser. Sehr nett! Also trinken wir alle Tee und ich gönne mir eine Schrimp-Nudelsuppe.
Mike und Andreas konnten die Bodenradarprofile aus dem Jahr 2022 mit dem LIDAR abscannen bis ihnen die Batterien ausgingen, die Feuchtigkeit dem Instrument zu schaffen machte und Mike die Scans abbrechen musste. Aber immerhin, wir haben heute sehr viele neue Daten gewonnen, so dass wir den Tag durchaus als erfolgreich verbuchen können.
Mein Husten hat sich leider deutlich verschlechtert und ich bin froh, die Hütte zu erreichen. Ich bin weit von der üblichen Leistungsfähigkeit entfernt. Vom vielen Husten habe ich mittlerweile Kopfschmerzen und jeder neue Huster tut weh. Meine Hoffnung hängt an Mike A., der morgen mit seinem Team per Motorboot zu uns kommen wollte. Auch ist es eine letzte Möglichkeit unsere Essensvorräte aufzustocken. So sind die Schokoladenvorräte beängstigend niedrig. Jedenfalls schicken wir über „In Reach“ eine „Wunschliste“, inklusive Hustenmedizin. Ich kann nur hoffen, dass diese Bestellung klappt, denn es ist kein Vergnügen, in dieser rauen Umgebung angeschlagen unterwegs zu sein.
Da heute Sonntag ist, müssen wir uns bereits um 17:00 Uhr beim AWIPEV melden. Wir schaffen es nicht ganz, aber ein paar Minuten Verspätung sind kein Beinbruch. Morgen soll es „wieder“ trocken sein und es soll mit 7 m/s aus Süden her wehen. Das wären ca. 4 Beaufort, und vermutlich noch mit dem Drachen fliegbar. Wir werden jedenfalls einen Versuch starten.
Während ich am Blog schreibe, zaubert Andreas in der Küche und aus den drei anderen Ecken kommen wohlvertraute sonore Sägegeräusche. „Essen“ flötet Andreas und man möchte nicht glauben, wie schnell die Burschen aus dem Bett kommen können. Ich war eine Mikrosekunde zu spät und muss mich quasi anstellen, bis jeder in seine Hausschuhe geschlüpft ist. Heute gibt es Pasta und Fleischsauce. Al dente Pasta wohlgemerkt! Fantastisch! Genau das richtige nach so einem Tag. Der Topf ist entsprechend schnell leer.
Neben der obligatorischen und streng limitierten Büchse „Nordlands“ Bier, gibt es auch „einen wönzigen Schluck“ aus der Whiskey Flasche. Weit weniger als ein Finger breit und zu rein medizinischen Zwecken. Selbstverständlich! Um 8:32 Uhr liege ich im Bett!
Fotos
13.7.2024
10:30 Uhr! Bis auf zwei kleine Pinkelpausen habe ich also mehr als 13 Stunden geschlafen. Jetzt tut mir jeder einzelne Knochen in meinem Rücken weh. Wie man es macht, ist es verkehrt. Die einstmals luxuriös dicken Schaumstoffmatten von ca. 6 cm Dicke komprimieren sich nun 50 Jahre später auf gefühlt unter einen Zentimeter, sobald man seinen schmächtigen Luxuskörper darauf legt. Was diese Matratzen so alles in ihrem Leben gesehen haben will man nicht wirklich wissen. Gleiches gilt für das traurig aussehende und schlaffe Kopfkissen. Habe ich schon erwähnt, dass Nico als einziger zwei Matratzen abbekommt? Egal, man nimmt halt was man bekommen kann. Ein gutes Frühstück mit Tee, Nudelsuppe und Wurstbroten bringt die Lebensgeister zurück. Der Gang vor die Türe lässt aber wenig Hoffnung aufkommen, dass wir heute zum Arbeiten kommen. Wir haben heute eine andere Art von Regen als gestern. Gestern viel Wind und waagrechter Regen. Heute fast kein Wind und senkrechter Nieselregen. Erst meint man, dass der Nieselregen nicht so schlimm ist, aber spätestens nach 15 Minuten stellt man doch fest, dass man durchnässt wird. Und nasse Klamotten von fünf Leuten in einer kleinen Hütte sind nichts worauf wir scharf sind. Also bleiben wir erst einmal in der Hütte. Es ist schon spannend zu sehen, wie sich das Leben auf die Hütte konzentriert und innerhalb der Hütte jeder ca. 2-3 Kubikmeter Raum für sich hat. Innerhalb dessen müssen Schlafsack, Klamotten, Computer, Waschzeug und alles an sonstiger persönlicher Ausrüstung untergebracht werden. Eine interessante Erfahrung aber auch nicht unbedingt neu für uns. Das Team ist eingespielt und weiß, wie es mit schlechtem Wetter in der Hütte umgehen muss. Jedenfalls haben wir noch keine Toten zu beklagen.
Mike Angelopoulos und sein Team wollten heute von Ny Alesund aus hierher wandern. Wir machen uns durchaus ein paar Gedanken, denn bei ca. 2-3 Stunden wandern, werden sie sicher klatschnass und durchgefroren hier ankommen. Und dann müssen sie ja auch wieder zurück. Vermutlich keine gute Idee und wir hoffen, dass das AWIPEV Team ihnen davon abrät. Jedenfalls machen wir eines unserer Funkgeräte an, um mit Ihnen Kontakt aufnehmen zu können.
Um kurz vor 12:00 liegt die Mannschaft wieder in den Betten. Nur Ernst liest in seinem Buch über die Eroberung des Nordpols. Zunächst sehe ich auch die anderen noch Bücher lesen aber einer nach dem anderen schläft wieder ein. Inklusive mir! Ein kleines Nickerchen nach 13 Stunden Schlaf ist schon was Feines. Und es wird mir bewusst, wie wichtig ein kuschelig warmer Schlafsack für das allgemeine Wohlbefinden ist. Die Hütte ist zwar heute nicht kalt aber die extra paar Grad mehr, machen es doch noch ein Mal deutlich angenehmer. Bald setzt das mittlerweile vertraute sonore Geschnarche aus mehreren Richtungen ein.
Um 13:30 Uhr muss ich meinen Frühstückstee vor die Türe bringen. Dabei sehe ich, dass sich Ernst mit seinen ca. 1,90 m Größe auf unserem winzigen Sofa von vielleicht 1,20 m zusammengerollt hat. Das schaut echt nicht bequem aus und ich habe Angst, dass er seine Knochen nie wieder entfaltet kriegt. Ernst schläft ja am Boden und hat kein eigenes Bett, in das er sich untertags schnell legen könnte. Kurzerhand sage ich ihm, dass er sich in mein Bett legen soll. Erst will er nicht, ist dann aber doch schnell darin verschwunden. Ich wollte ja eh nicht den ganzen Zag im Bett verbringen und so passt alles ganz gut.
Zunächst lese ich den Projektantrag für unser MERTIS Projekt, den mir Iris Weber noch vor meiner Abreise auf den Schreibtisch gelegt hat. Dazu brauche ich einige Tassen Tee. Ablenken lasse ich mich z.B. von einem Buch mit Überlebenstechniken. So weiß ich nun, wie man aus einer Gießkanne ein Klistier bauen kann. Fundamental wichtig und für das tägliche Leben unabdingbar. Das ist im Übrigen nicht die einzige wilde Konstruktion in diesem 1954 erschienen Buch. Einige scheinen eher einer Folterkammer zu entspringen. Dann gibt es noch ein Motorbootmagazin aus dem Jahre 2003 mit den „neusten“ Modellen und auch ein National Geographics über Dinosaurier. In einem der Gästebücher der Hütte finde ich einen Eintrag von Jaacko Putkonnen und Ivar Bertling aus dem Jahre 1996. Die Hütte war laut ihren Aussagen in einem erbärmlichen Zustand und sie mussten zahlreiche Reparaturen durchführen, um sie überhaupt nutzen zu können. Im Jahr 1996 habe ich noch nicht einmal gewusst, dass es Kvadehuksletta überhaupt gibt, da hat unser Freund Jaako schon Instrumente und auch Sonnenpanele installiert. Damals sicher noch bahnbrechende Technologie. Bei den norwegischen Comics muss ich passen, denn ich verstehe kein einziges Wort. Dann doch wieder zurück zum Projektantrag.
Es ist Kaffeezeit in Zentraleuropa! Was wäre also probater, als mir einen Espresso zu machen. Den Ersten kriegt aber Andreas ab, der sich, im Bett liegend, sichtlich darüber freut. Und offensichtlich habe ich mit dem Kaffeeduft auch den Rest der Mannschaft wieder wach gekriegt. Wir nutzen die Zeit, um draußen vor der Hütte zu stehen. Wider Erwarten regnet es gerade nicht. Und zum ersten Mal heute, sieht man ein paar Berge und Gletscher auf dem Karlsforlandet. Im Westen gibt es also dieses Mal durchaus etwas Neues und sogar etwas Gutes. Vom Kongsfjorden rollen aber bereits die nächsten dunklen Regenwolken heran, so dass es vermutlich nur eine Frage der Zeit ist, wann es wieder nass und ungemütlich wird.
Eine spannende Frage bei solchem Wetter ist immer die Planung des Toilettengangs, der ja hier im offenen Gelände stattfindet. Regnet es zu sehr, ist es schon manchmal schwierig, das Toilettenpapier trocken an die Stellen zu bringen, wo man es braucht. Und die kalten Regentropfen auf den Pobacken steigern nicht unbedingt den Wellness-Faktor dieses notwendigen Unterfangens. Also, Wetter beobachten, vorausplanen, schnelle Ausführung, Hände waschen, Tee trinken und froh sein, dass man es für diesen Tag geschafft hat.
Mittagessen ist heute bis auf Snacks ausgefallen und wir haben alle Hunger, obwohl es erst kurz nach 17:00 Uhr ist. Andreas macht sich also an die Arbeit, während Ernst noch eine Runde um die Hütte dreht. Als er zurück kommt meint er, dass es auch schon draußen hervorragend riechen würde.
Um 18:00 Uhr nehmen wir wie abgesprochen mit dem AWIPEV Kontakt auf. Thomas gibt uns den Wetterbericht für morgen. Kein Regen und kein Wind. Das hört sich doch gut an. Auch wenn es, bis wir ins Bett gehen doch noch recht frisch bläst. Jedenfalls sind die guten Aussichten eine Runde Whiskey wert. Tatsächlich werden es heute ausnahmsweise sogar zwei! Aber kleine! Um 21:00 Uhr liege ich wieder als erster im Bett und gefühlt um 21:01 Uhr höre und sehe ich nichts mehr von dieser Welt. Das tue ich erst wieder, als das Geschnarche beginnt.
Fotos
12.7.2024
Schönes warmes Wasser in der letzten Dusche für ein paar Tage. Der Genuss wird aber jäh unterbrochen als Mike A. uns mitteilt, dass wir um 8:00 Uhr am Hafen sein sollen. Das überrascht mich sehr und so bin ich pünktlich um 7:30 Uhr beim Frühstücken, wo sich herausstellt, dass wir uns um 8:30 Ur treffen. Das klingt schon besser und machbar. Wir laden also alle Kisten, Säcke und sonstige Ausrüstungsgegenstände auf eines der Elektroautos. Ich hole noch schnell zwei Gewehre und Signalpistolen und eine Schachtel Aspirin. Ibuprofen ist leider aus, weil in letzter Zeit viele Leute hier krank waren. Es ist eine gute Gelegenheit sich von Fieke zu verabschieden, die uns in den letzten Jahren mit ihrer super netten und hilfsbereiten Art sehr ans Herz gewachsen ist. Sie war eine fantastische Station Leaderin, wie wir uns keine bessere hätten wüschen können. Ohne Fieke und ihr Team, das wir leider nicht mehr sahen, wäre Vieles unmöglich gewesen. Du hast quasi interplanetare Freundschaften initiiert! Darum, liebe Fieke, ein gaaaaaaanz dickes Dankeschön und viel Glück und alles Gute für Deine Zukunft. Die Martians hoffen sehr, Dich entweder hier oder irgendwo anders im Universum wieder zu sehen. Und Münster steht Dir immer offen! Wir würden uns über einen Besuch sehr freuen!
Im Hafen verzögert sich unsere Abfahrt dann doch etwas, weil das Elektroauto nicht geladen war und wir noch schnell umladen mussten. Der Plan ist mit Jean Floch und Polar Tomato in See zu stechen, weil wir auch schon Ausrüstung von Mike A. mitnehmen. Wencelas nimmt Ernst, Andreas und mich auf Jean Floch mit, während Thomas und eine weitere Forscherin Nico und Mike mitnehmen. Die Fahrt ist sehr kurz und sehr angenehm. Mit dem leichten Wind von hinten sind die Wellen dieses Mal absolut kein Problem und wir bekommen alles in trockenem Zustand zur Anlegestelle am Strand von Geopol. Das Ankern klappt im zweiten Anlauf perfekt und auch Polar Tomato kommt kurz nach uns an, so dass wir gemeinsam alles ausladen können.
Die Kisten der Geophysiker sind mit Abstand die schwersten! Das muss hier einmal erwähnt werden. Aber wir müssen sie ja Gott sei Dank nicht bis zur Hütte schaffen. Ich bepacke die zwei kleinen Wagen mit unseren zwei Alukisten und den Schlafsäcken. Da macht es sich bezahlt, dass ich die Gurte für deren Befestigung, gestern in weiser Voraussicht, ganz oben in die Kiste gepackt habe. Alles ist stabil verpackt und festgezurrt, so dass wir der „Straße“ in Richtung Geopol folgen können. Mike zieht seine schwarze Kiste, Ernst den Wagen mit den Schlafsäcken und Nico und Andreas spannen sich vor den Wagen mit den Alukisten. Ich habe meinen Rucksack und einen zweiten Rucksack mit Elektronikzeug und Messgeräten, plus zusätzlicher Ausrüstung. Insgesamt auch kein Pappenstiel und der zweite, auf den ersten Rucksack aufgeschnallte, Rucksack führt zu einer ungünstigen Gewichtsverteilung. Kein Vergnügen. Bereits nach ein paar hundert Metern spüre ich, dass ich für solche Arbeit einfach noch nicht fit genug bin. Aber es hilft ja nichts. Gehirn ausschalten und einen Schritt vor dem anderen setzen. So kommt man irgendwann auch an.
Und tatsächlich, irgendwann sehen wir die Hütte am Horizont. Dieser winzige Punkt auf dieser grandios großen Ebene, der uns für die nächsten Tage Heimat sein wird und uns Schutz und Unterschlupf gewähren wird. Was für eine Motivationsspritze, das Ziel vor Augen zu sehen. Insgesamt müssen wir unser Gepäck gute 2,5 km schleppen. Kjærsvika-Hütte ist in der Beziehung natürlich viel besser, weil die Hütte direkt am Strand liegt. Der Vorteil von Geopol ist, dass sie viel näher an den Steinkreisen liegt und wir uns täglich 2 Stunden An- und Abmarsch sparen.
Auf den letzten Metern überholen mich Nico und Andreas noch, weil sie einen Endspurt hinlegen. Dafür bin ich der Erste, der Wasser aufsetzt, um Tee zu kochen. Ich denke, wir sind alle recht froh jetzt auf der Hütte zu sein. Wir hatten eigentlich sehr viel Glück, denn es hat auf unserem „Spaziergang“ nicht geregnet und auch der Wind hat sich noch in Grenzen gehalten. Es hätte alles viel Schlimmer sein können. Jetzt sind wir da, die Fensterläden sind geöffnet, die Betten verteilt, die Ausrüstung verstaut, das Wasser brodelt für Tee und Suppen und wir nehmen die Hütte in Besitz. Home sweet home für die nächsten sechs Tage.
Ich liebe diese Hütte und es ist schön wieder hier zu sein. Wir schauen die alten Hüttenbücher durch und entdecken unsere Einträge. Seit 2012 übernachten wir hier fast jährlich auf der Geopol-Hütte mit einigen Ausnahmen, so z.B. 2015 wo wir nicht nach Spitzbergen kommen konnten und die Covid-Jahre. Auch einen Eintrag von Bernard Hallet aus dem Jahre 2010 entdecken wir. Draußen ist es mittlerweile doch recht ungemütlich. Die bayerische Fahne knattert im Wind, der mittlerweile sehr stark bläst und niedrig hängende Regenwolken vor sich hertreibt. Der Wetterbericht war also genau richtig und ich bin froh, dass wir das enge Zeitfenster heute Morgen genutzt haben, um hierher zu kommen. Ich denke die zwei Motorboote sollten es auch zurück in den Hafen geschafft haben, bevor der Wind zunahm.
Ernst will noch unbedingt raus. So jedenfalls verkündet er es beim Essen seiner Suppe. Der Gang vor die Hütte bringt ihn dann aber doch zum Zweifeln. Wind mit 6 Beaufort und Regen sind keine optimalen Bedingungen. Die Anderen zieht es definitiv nicht nach draußen. Jeder verzieht sich in seinen Schlafsack und schon bald ist ein wohliges Geschnarche zu hören. Mike ist allerdings noch fleißig, denn er holt uns noch einen großen Topf Wasser und baut sein LIDAR Instrument zusammen, so dass es zum Einsatz kommen kann, wenn sich das Wetter bessert. Ich muss erst einmal einen schönen Espresso für Andreas und mich machen.
Ernst ist tatsächlich der Einzige, den es vor die Türe treibt. Vermutlich ein Effekt seiner Lektüre über Polarforscher Anfang des letzten Jahrhunderts. Ich genieße es im warmen Schlafsack am Blog zu schreiben und dabei den Wind um die Hütte heulen zu hören und den Regen ans Fenster klatschen zu sehen. Die ganze Hütte ächzt und knackt. Jetzt im Zelt unterwegs zu sein wäre deutlich unangenehmer. Speziell, weil ja wegen der Eisbären immer einer draußen Wache stehen müsste. Ein grausiger Gedanke.
Momentan ist es in der Hütte noch alles ganz schön. Nur leider ist die Wettervorhersage für die nächsten zwei Tage auch so wie jetzt. Irgendwann wird dann vermutlich der Hüttenkoller einsetzen. Mal abwarten. Es zeigt sich wieder ein Mal, dass Spitzbergen auch garstig kann und dass man nur bestimmte Zeitfenster hat, um Dinge erledigt zu bekommen und dass es immer einer guten Ausrüstung bedarf, weil man am Morgen eventuell bei schönem, windstillen und warmen Wetter weggeht und am Nachmittag bei waagrechtem Regen von der Seite und 0°C unterwegs sein kann. Das Wetter ändert sich hier nämlich rasend schnell. Das muss man wissen.
Der Nachmittag wird mit Gesprächen über Gott und die Welt verbracht. Dazwischen gibt es immer wieder Tee, so dass die Stimmung bestens ist. Und bis wir uns umsehen ist es auch schon Zeit für das Abendessen. Andreas bereitet uns heute ein Curry mit Reis zu. Allerdings muss er etwas improvisieren, da nicht alle Zutaten in der Kiste waren, die er eigentlich eingepackt haben wollte. So fehlt z.B. Salz. Andreas nimmt stattdessen Boullion und keiner von uns Feinschmeckern merkt es. Die vielen Nudelsuppen haben uns offensichtlich den kulinarischen Rest gegeben. Aber immerhin steht auf der Packung der Nudelsuppen, dass sie „delicately yummilicious“ seien. Jetzt wissen wir das also auch! Um 18:00 Uhr kontaktieren wir das AWIPEV Team über das Satellitentelefon. Wir erhalten den neuesten Wetterbericht, der leider nicht in unserem Sinne ist. Morgen kein Wind aber dafür Regen den ganzen Tag.
Meine strahlend weißen super weichen Frottee-Slipper, die ich vor Jahren in irgendeinem Hotel in China bekommen habe, erregen durchaus die Aufmerksamkeit meiner Geopol-Mitbewohner. Das ist natürlich nur purer Neid. Aber die Dinger sind gar nicht so schlecht und halten die Zehen warm. Ein Fashion Statement der ganz besonderen Art sind sie alle Mal.
Um 21:00 Uhr liege ich im Bett, während Ernst noch das Geschirr spült. Noch bevor der letzte in seinen Schlafsack gekrochen ist, bin ich eingeschlafen.
Fotos
11.7.2024
Frühstück wird in Ny Alesund um 7:30 Uhr serviert. Da will man nicht zu spät kommen! Aber eine kurze Dusche muss vorher schon noch sein. Wow! Heute gibt es jede Menge geschnipseltes Obst in der Kantine. Orangen, Honigmelone, Wassermelone, Mango, und und und. Paradiesische Verhältnisse auf fast 80°N! Jeder freut sich und greift zu. Wir treffen Thomas während wir so vor uns hin frühstücken und besprechen schon einmal in groben Zügen, wie wir morgen zur Geopol-Hütte kommen wollen. Die Idee ist, möglichst leicht zu packen, damit alles und jeder auf das große AWIPEV Motorboot „Jean Floch“ passt und nur eine Fahrt notwendig ist. Auch sollten wir möglichst unmittelbar nach dem Frühstück losfahren, da am Nachmittag ein steifer Ostwind wehen wird, was die Rückfahrt für Thomas erschweren würde. Insgesamt sind die Wetteraussichten alles andere als rosig. So wie es aussieht, werden wir am Samstag und am Sonntag einiges an Regen bekommen. An ein Arbeiten wird vermutlich nicht groß zu denken sein, zumindest nicht an das Ausheben eines Grabens quer über einen Steinkreis. Wir hatten ja in den letzten Jahren Bodenradar-Daten gewonnen und im Rahmen der Masterarbeit von Adam Johantges ausgewertet und wollen nun einen Steinkreis aufgraben, um besser verstehen zu können, was die Reflektionen in den Radardaten verursacht. Ist es Eis oder sind es anstehende Gesteine? Doch soweit sind wir ja noch gar nicht.
Heute müssen wir zunächst unsere Ausrüstung umpacken, damit wir möglichst wenig Gewicht vom Strand bis zur Geopol-Hütte bewegen müssen. Das sind immerhin ca. 2,5 km leicht bergauf. Auch die private Ausrüstung ist auf ein Minimum zu reduzieren. Da wären mehr als drei Unterhosen schon Luxus! Trotzdem muss man natürlich für alle Notlagen gewappnet sein.
Mit dem Morgenflug ist auch Mike Angelopoulos mit seinem Team angekommen, die auf Kvadehuksletta Geoelektrik betreiben wollen, um z.B. Salzablagerungen im Boden feststellen zu können. Natürlich sind wir daran interessiert, dass sie auch Geoelektrik-Daten entlang unseres Bodenradarprofils aufnehmen. Nach dem Mittagessen treffen wir uns mit den Geophysikern, um die Details zu besprechen. Einen Vorteil hat die Kooperation schon jetzt, weil wir ihren Stromgenerator ausleihen können, was natürlich speziell zum Aufladen der Batterien für Mikes LIDAR von großem Vorteil ist.
Beim Mittagessen kommen wir mit einer AWI Studentin ins Gespräch, die die Aktivität und das Fressverhalten von Seeigeln in Abhängigkeit von der Wassertemperatur untersucht. Seeigel sind scheinbar sehr gefräßige Tiere, die große Flächen abweiden können und einen enormen Metabolismus haben. Wird das Wasser allerdings zu warm, nimmt der Umsatz jedoch wieder ab. Auch interessant! Es ist immer wieder cool, was man hier in der Kantine so alles nebenbei lernt. Dinge, über die man sich noch nie Gedanken gemacht hat!
Ansonsten ist es heute ein eher ruhiger Tag. Die Wäsche, die ich gestern gleich gewaschen habe ist trocken und wieder einsatzbereit. So verbringe ich längere Zeit am Telefon mit einer Redakteurin der Deutschen Welle und wir vereinbaren ein Zoom-Interview für Freitag. Das wird sicher lustig werden, unrasiert und fern der Heimat! Ernst darf heute seinen Nachmittag mit einem DLR-internen Meeting verbringen. Und draußen vor der Türe tummeln sich die Kreuzfahrttouristen. Sie nutzen wohl die letzten trockenen Stunden, bevor es dann in Kürze zu regnen beginnen soll.
Mit dem Nachmittagsflug ist mein neuer Zimmergenosse angekommen. Wie sich herausstellt, hat er in Münster studiert. Wie klein die Welt manchmal doch ist. Aber natürlich ist Münster das Zentrum des Universums!
Oh, jetzt hätte ich fast vergessen, dass es schon wieder Essenszeit ist. 16:50 Uhr. Verdammt früh, aber was solls? Der Mindestkalorienbedarf eines Wissenschaftlers in Ny Alesund zum Überleben liegt geschätzt bei 8638 Kalorien. Zum Abnehmen ist Ny Alesund definitiv der falsche Ort. Das Essen ist gewohnt gut und reichlich. Heute gibt es z.B. Lachs mit Kartoffeln und Blumenkohl. Und weil man damit ja keinesfalls seinen Kalorienbedarf decken kann und das Überleben ja gesichert sein will, gibt es als Nachspeise Kuchen und Kaffee.
Pappsatt muss ich mich jetzt erst einmal bewegen. Ein Gang zum Hafen bringt Kreislauf und Verdauung in Schwung, sage ich mir. Außerdem bin ich neugierig, das im Hafen liegende Kreuzfahrtschiff zu sehen. Es ist eines jener Schiffe mit der modernen Bugform, die angeblich bei Wellen ein viel besseres Verhalten zeigen. Beeindruckend ist es alle Mal. Ob es auch schön ist, muss ich mir erst noch überlegen. Als ich am Hafen bin stelle ich fest, dass es tatsächlich zwei Kreuzfahrtschiffe sind. Das andere liegt draußen auf Reede und die Touristen werden mit Schlauchbooten an Land gebracht. Bei dem Wellengang und Wind sicher ein nicht ganz trockenes Vergnügen.
Das Rabot-Gebäude gleicht zu diesem Zeitpunkt einem gewaltigen Chaos und es ist durch nichts zu erahnen, dass wir morgen Früh alle wichtigen Dinge auf möglichst kleinem Raum verpackt haben müssen oder dass darauf auch nur der Funken einer Chance bestände. Dadurch, dass Mike Angelopoulos Expedition und unsere nun beide ihre Kisten dort stehen haben, ist der an sich schon beschränkte Platzbedarf nochmals mehr eingeengt. Aber mit ein paar geschickten Umschichtungsmanövern schaffe ich es schließlich unsere Kiste zu packen. Alles ist schließlich in einer mittelgroßen Kiste verstaut, so dass wir morgen hoffentlich einen halbwegs angenehmen Transport zur Hütte vor uns haben. Bis auf Schaufel, Spaten und einige andere Dinge. Die müssen wir dann anders unterbringen. Das Essen für die sechs Tage ist ebenfalls in einer Alukiste. Andreas hat Essens-Tetris gespielt und gewonnen. Selbst die Bierbüchsen wurden genau abgezählt. Fünf Personen mit Durst an sechs Abenden macht nach Adam Riese 30 Büchsen. Wir sind also mehr oder weniger gut vorbereitet und bereit für unseren morgigen Trip. Wenn wir denn morgen tatsächlich hier wegkommen. Denn der Wind bläst recht kräftig aus Osten und an der Spitze von Kvadehuksletta sind die Wellen mit Sicherheit um einiges höher als hier. Dennoch schaukeln die Motorboote der Touristen auch in Hafennähe schon ganz gut. Man wird sehen!
Ich spreche noch eine längere Zeit mit meiner Familie, um zu erfahren, was es in Münster und München so alles Neues gibt. Es ist schon irgendwie eine feine Sache, wenn man mit seinem Handy einfach so schnell anrufen kann. Bis auf die absolut üblichen Vollkatastrophen gibt es eigentlich keine wirklich weltbewegenden Dinge. Aber natürlich bekomme ich „Beschwerden“, dass der Blogeintrag für gestern noch nicht online ist. Abgesehen davon funktioniert der Rest der Welt aber offensichtlich auch ohne mich. Ist ja auch schön, das zu sehen!
Wir lassen den Abend im Aufenthaltsraum des Rabot-Gebäudes bei einem Bier ausklingen. Vielleicht werden es ja auch zwei…
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10.7.2024
Gestern war ich als erster im Bett und ich habe gut geschlafen. Allerdings musste ich zweimal auf die Toilette und wenn man so im T-Shirt und Unterhosen bekleidet im kalten Nieselregen bei Wind steht, dauert das gefühlt eine Ewigkeit. Nur schnell wieder zurück in den Schlafsack. Heute Morgen wache ich mit Rückenschmerzen auf, weil ich vermutlich zu lange geschlafen habe. Dafür geht es mir aber insgesamt schon wieder besser. Unkraut vergeht halt nicht.
Frühstück ist schnell erledigt und so können wir unseren großen Masterplan für den heutigen Tag umsetzen. Wir verlassen ja heute die Corbel-Hütte und fahren zurück nach Ny Alesund. Davor gibt es aber noch einiges an Arbeit zu erledigen. Ernst, Nico und ich werden ins Untersuchungsgebiet fahren, um letzte Stangenbilder unserer Erosionsstruktur zu machen und um weitere Referenzpunkte für die Befliegung herzustellen und einzumessen. Mike und Andreas werden die Hütte auf Vordermann bringen und ihre Sachen packen, damit wir bei unserer Rückkehr möglichst schnell alles nach Ny Alesund schaffen können. Denn am Nachmittag soll der Wind deutlich zunehmen.
Die Fahrt ins Untersuchungsgebiet ist ein Gedicht. Mit nur drei Mann und leichtem Gepäck fliegt Polar Tomato geradezu dem Gletscher entgegen. Sie hat offensichtlich genauso viel Spaß wie wir. Unsere übliche Landestelle empfängt uns mit einer dicken Überraschung. Sie ist voll mit Eisbergen aller Größe, die Flut und Wind an Land getrieben haben. Das ist wunderschön anzuschauen, diese ungeheure Menge an Eisbergen am Strand liegen zu sehen. Nur leider können wir dort nicht anlanden. Wir müssen uns eine andere Stelle suchen, die an der Spitze des großen Schwemmkegels liegt und daher gegen Wind und Eis weniger gut geschützt ist. Aber momentan ist die See spiegelglatt und es weht kein Lüftchen.
Natürlich muss ich von den schönen Eisbergen viele noch schönere Fotos machen. Allerdings funktioniert das nur, wenn man auch eine Speicherkarte in der Kamera hat. Und genau die fehlt! Wir suchen am Strand, ob wir sie vielleicht finden, aber in dem Kies ist das die Suche nach der berühmten Stecknadel. Um nicht all zu viel Zeit zu vergeuden, beschließen wir, dass ich die Karte in der Corbel-Hütte vergessen habe. Ich hatte ja gestern Abend noch die Bilder für den Blog heruntergeladen und die Karte wohl anschließend nicht mehr in die Kamera gesteckt. Jetzt müssen halt Ernst und Nico Bilder für mich machen. Ich könnte mir in den Hintern beißen über so viel Schusseligkeit!
Der Aufstieg zum Untersuchungsgebiet ist schnell erledigt, aber ich bin doch noch etwas langsamer als gewohnt. Eine Tasse Tee und schon kann die Arbeit beginnen. Ernst rennt schon mal mit der Plane für den Referenzpunkt los, während Nico das DGPS anwirft und ich die GoPro zusammenbaue, um die Stangenbilder aufzunehmen. In einer guten halben Stunde bin ich damit fertig, während die anderen noch fleißig am arbeiten sind. Da sie nur mit einer Signalpistole bewaffnet sind, klettere ich einen kleinen Hügel hoch, um von dort aus das Gelände im Auge zu behalten. Man weiß ja nie! Mein kleiner Fernstecher erweist mir dabei sehr gute Dienste und ich schieße auch einige Fotos mit der GoPro Kamera. Der graue und triste Himmel von heute Morgen ist mittlerweile einem strahlenden Blau gewichen und es ist fantastisch nach zwei Schlechtwettertagen, die Sonne wiederzusehen. Die Gletscher funkeln um die Wette und die Spitzen der Tre Kroner Berge sind mit Neuschnee überzuckert. Das hatten wir nur ganz selten, dass es im Juli geschneit hat. Jedenfalls schaut es nochmals anders aus und ist definitiv sehr hübsch. Dadurch, dass noch immer kein Wind weht, wärmt die Sonne recht angenehm und es ist selbst beim Wache stehen nicht kalt.
Irgendwann sind Ernst und Nico dann zurück und das Einzige was noch zu tun bleibt ist, den letzten Referenzpunkt auszulegen. Eine günstige Stelle ist schnell gefunden und mit Klebeband erzeugt Ernst ein schönes Schachbrettmuster, allerdings mit nur vier Flächen. Ich stehe wieder Wache, bis alles erledigt ist. Eine letzte Tasse Tee und ein paar Rippchen Schokolade bereiten uns auf den wahnsinnig anstrengenden Abstieg vor. Ich schnalle mir wieder die Alukiste auf den Rucksack, Ernst und Nico kümmern sich um das DGPS Stativ und den Rest der Ausrüstung. Interessant ist, dass die durchscheinenden und klaren Eisberge von heute Morgen nun alle milchig weiß erscheinen. Ich muss mal versuchen herauszufinden, was es damit auf sich hat. Auf der Rückfahrt setzt dann bereits der vorhergesagte Wind langsam ein. Um keine Zeit zu verlieren, funken wir Andreas und Mike an, alle Ausrüstung zum Strand zu bringen und bereit für den Transport nach Ny Alesund zu sein. Soweit die Theorie, denn wir müssen weit länger als eine Stunde warten, bis die zwei letztlich fertig sind. Ich bringe die ganzen Kisten und die zwei nach Ny Alesund und fahre dann alleine zurück, um die anderen zwei und das restliche Material abzuholen. Und ich muss ja auch noch mein Zeug packen. Die Fahrt nach Ny Alesund verläuft trocken, da der mittlerweile recht kräftige Wind aus Osten bläst und wir somit mit den Wellen fahren können. In Ny Alesund laden wir alles schnell aus, tanken kurz nach und schon bin ich wieder auf der Piste. Die Fahrt zurück zur Corbel-Hütte ist weniger angenehm, weil es jetzt gegen die Wellen angeht. Polar Tomato ist vorne jetzt sehr leicht und ich muss immer mit dem Gas spielen, damit sie nicht zu hart auf die Wellen aufschlägt. Es dauert also etwas, bis ich wieder am Strand bin. Da ich niemanden dabei habe, muss ich mich um den Heckanker dieses Mal selbst kümmern. Ernst sitzt bereits am Strand, um mir mit dem Buganker zu helfen. Das Manöver klappt trotz des mittlerweile recht starken Windes und der hohen Wellen am Strand hervorragend. Nur leider hält der Heckanker nicht besonders gut, obwohl ich fast die ganze Leine verwende. Darum in Windeseile hoch zur Hütte, alles einpacken, Schlafraum kehren und letzte Aufräumarbeiten im Aufenthaltsraum machen, die von den anderen zwei „übersehen“ wurden. Wieder schwer bepackt machen wir uns auf den Weg nach Ny Alesund. Nachdem ich Polar Tomato aufgetankt habe, heißt es von ihr Abschied zu nehmen. Sie hat uns in den letzten Tagen hervorragende Dienste geleistet und war uns ein gutes Schiff. Ihr großer Vorteil gegenüber Luciole ist, dass wir sie bei schlechtem Wetter und schwierigem Ankergrund zur Not auf den Strand ziehen können. Das macht das Leben in manchen Situationen deutlich einfacher und sorgenfreier.
Während wir unsere Überlebensanzüge mit Frischwasser abspritzen, kommt das Forschungsboot „Teisten“ in den Hafen und ich schaue begeistert zu, wie der Kapitän das Schiff in eine enge Parklücke am hintersten Ende des Hafens bugsiert. Das war richtig cool und es ist sonnenklar, dass er dieses Manöver nicht zum ersten Mal gefahren ist. Manche Leute schaffen es ja nicht einmal ihren Kleinwagen zwischen zwei weißen Streifen zu parken. Im Vergleich dazu ist das schon um ein Vielfaches anspruchsvoller. Quasi einen Dodge Ram 1500 zwischen die Streifen zu parken. Mike fährt das ganze Gepäck mit Goupil, dem Elektroauto, zum Rabot-Gebäude, während wir dorthin laufen. Da morgen mit dem „Early Flight“ neue Wissenschaftler auf die AWIPEV Station kommen, wurden wir umquartiert. Ich bleibe als einziger im Blauen Haus, während alle anderen ins Rabot-Gebäude umgesiedelt werden. Das macht auch Sinn, da die neue Truppe in Ny Alesund bleiben wird, während wir ja bereits morgen wieder zur Geopol-Hütte aufbrechen wollen.
Und dann ist es soweit! Man lässt seine stinkigen Klamotten fallen, dreht den Hahn auf und schon steht man unter einer heißen Dusche. Was für ein Genuss! Ich gönne mir 20 Minuten heißes Wasser! Frische Klamotten bilden den krönenden Abschluss der Körperpflege! Jetzt bin ich zu neuen Abenteuern in Form des Abendessens bereit. Denn mittlerweile ist der kleine Hunger zu einem großen Hunger herangewachsen. Nur gut, dass wir ein spätes Abendessen bestellt haben. So stehen ein Gulasch, Kartoffelspalten, Brokkoli, Karotten und ein Auberginengericht für uns bereit. Zwei Minuten in die Mikrowelle, fertig. Guten Appetit!
Eigentlich wollte ich nach dem Abendessen noch in die Bar gehen, um an Fiekes Farewell Party teilzunehmen, aber ich bin dann doch zu müde. Die anderen trinken noch ein Bier oder zwei im Rabot-Gebäude aber auch dazu kann ich mich nicht mehr aufraffen. Ich schlafe auf dem Sofa ein und beschließe ins Bett zu gehen. Um kurz nach 22:00 Uhr gehen bei mir die Lichter aus.
Fotos
9.7.2024
Schön, dass der Wecker heute um 6:45 Uhr klingelt. Nur leider höre ich ihn nicht im Bett, sondern im Aufenthaltsraum als ich bereits Frühstück mache. Ich wurde kurz vorher wach und bin schon fleißig am arbeiten, als der Handywecker versucht seine Arbeit zu machen. Die anderen kommen pünktlich als die Nudelsuppen und der Tee auf dem Tisch stehen.
Das Wetter ist heute eher als schlecht einzustufen. Morgens soll es regnen und nachmittags dann stärkeren Wind mit 5 Beaufort aus West haben. Wir werden also entweder nass, wenn wir früh aufbrechen, um den Wind zu vermeiden, oder wir werden nass auf dem Rückweg vom Gelände, wenn wir gegen Wind, Wellen und Tide anmotoren müssen. Beim Frühstück diskutieren wir unsere Optionen. Mike wollte heute eh keine LIDAR-Daten aufnehmen, weil er Bedenken hat, das Gerät könnte zu nass werden. Auch der Rest der Mannschaft hätte heute bis auf das Einmessen der Kontrollpunkte für die Befliegung und das Aufnehmen der Stangenbilder nicht allzu viel zu tun. Wir waren gestern einfach zu schnell und erfolgreich. Ernst hat Schnupfen, Andreas hat Kopfweh, Mike tut der Rücken weh und ich habe einen Husten. Nur Nico ist noch verschont geblieben – bisher. Insgesamt ist das Team also etwas angeschlagen und das Regenwetter bei 4°C und Wind ist nicht verlockend. Wir kommen schnell überein, einen „Pausentag“ einzulegen. Und Berge bzw. Gletscher gibt es heute gar nicht, denn die Wolken hängen kurz über der Wasseroberfläche. Da können einem die Touristen richtig leid tun, die für viel Geld eine Hurtigruten Kreuzfahrt gebucht haben. Nichtsdestotrotz fährt das Schiff heute Morgen unbeirrt in Richtung Gletscher.
Für uns gibt es natürlich immer etwas zu tun. Ernst muss ein Gutachten zu einer Veröffentlichung anfertigen, das er gewissermaßen verdrängt hat, Nico beschäftigt sich schon einmal mit den GoPro Filmen, die wir in den letzten Tagen angefertigt haben, Mike macht Dehnübungen und Andreas ein Nickerchen. Ich schließe mich zumindest kurzzeitig an und penne auf dem Sofa ein. Sachen gibt es! Und natürlich, wie könnte es anders sein, ist das Datum bei der GoPro Kamera falsch eingestellt. Ich habe offensichtlich Tag und Monat vertauscht. Sehr ärgerlich, aber Nico kann es korrigieren. Computer-Wizzard!
Ernst zeigt mir noch Bilder der Coletthøgda aus dem Jahr 2022 und Bilder, die er diese Woche aufgenommen hat. Sie bestätigen auf sehr eindrückliche, aber auch beängstigende Weise, wie schnell die Gletscher auf Spitzbergen verschwinden. Das geht auch sehr gut mit unseren Beobachtungen über den immer rasanter werdenden Zerfall unserer Lateralmoräne einher. Es könnte durchaus sein, das sich das Thema bis zu unserer Pensionierung in weniger als 10 Jahren erledigt hat. Was wir hier betreiben ist also so eine Art Palliativ-Geologie. Das Ergebnis ist bereits jetzt bekannt und wir schauen der Moräne beim Sterben zu, ohne etwas dagegen machen zu können. Einziges Mittel wäre es, den Klimawandel nun endlich wirklich ernst zu nehmen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt und selbst im besten Fall, kämen die Auswirkungen für unsere Moräne zu spät. Ein ungemütlicher Gedanke, der zum tristen Wetter passt.
Gegen Mittag laufen Mike und ich zum Boot, um zu prüfen, ob die Anker halten. Polar Tomato schaukelt zufrieden auf den Wellen und alles ist bestens. In den nächsten Stunden soll der Wind zunehmen und auch die Flut soll gegen 17:00 Uhr ihren Scheitel erreichen. Das wäre also ein guter Zeitpunkt, das Boot an Land zu ziehen, falls Wind und Wellen zunehmen. Von der Wetterlage her sitzen wir momentan mehr oder weniger genau im Zentrum eines großen Tiefdruckgebietes. Das erklärt auch die westliche Windrichtung, die für unseren Ankerplatz leider nicht optimal ist. Die Wellen haben eine große Strecke um sich aufzubauen, bevor sie dann bei uns auf den Strand klatschen. Momentan ist jedenfalls nichts zu tun.
Wieder in der Hütte, mache ich mir zwei Gemüse-Nudelsuppen, die jetzt genau das Richtige für mich sind. Die Wärme verbreitet sich wohltuend im Körper und macht schläfrig. Es ist also ein zweites Nickerchen auf dem Sofa angesagt. Als ich wieder aufwache meint Mike ich hätte auch ins Bett gehen können, um Platz auf dem Sofa zu schaffen. Recht hat er! Aber das Nickerchen hat mich quasi von Hinten angesprungen und ich hatte keine Chance mehr, meinen Astralkörper in Richtung Schlafsack zu bewegen.
Andreas ist jetzt auch wieder wach, dafür verabschiedet sich Ernst in die Koje. Und ich überlege, ob ich es ihm gleich tue. Ein schöner warmer Schlafsack auf einem ebenen Bett ist schon eine Versuchung wert. Dem Boot geht es nach wie vor gut und man könnte schon noch eine Runde schlafen. Ich merke definitiv, dass ich nicht 100%ig fit bin. Klassische Zeichen einer Erkältung. Vielleicht hilft ja ein Kaffee oder ein Whiskey, obwohl es dafür noch etwas früh ist. Obwohl meine Armbanduhr 16:05 Uhr zeigt. Man dürfte also rein theoretisch.
Draußen regnet es noch immer bei ca. 3°C und der Wind macht dieses Wetter echt fies. Nur gut, dass wir in der Corbel-Hütte genügend Platz haben. Nächste Woche in der Geopol-Hütte wird es anders ausschauen. Ich denke, wir haben die richtige Entscheidung getroffen, heute nicht ins Gelände zu gehen. Und auch der Funkverkehr der anderen Gruppen mit Alex ist sehr überschaubar. Einige Gruppen waren vormittags für ein paar Stunden draußen, waren aber schnell wieder zurück. Bei unserer langen Anreise ins Untersuchungsgebiet wären wir sicher gut nass und durchgefroren gewesen. Zumindest ich kann darauf momentan gerade sehr gut verzichten.
Nico hat den ganzen Tag am Computer verbracht und er hat sich, soweit ich es sagen kann, kein einziges Mal bewegt. Er hat die GoPro Daten schon zu schönen Topographiemodellen verarbeitet. Sein kleiner Laptop glüht also und ab und zu spuckt er dann auch ein schönes neues Modell aus. Halt! Stopp! Um 16:19 Uhr bewegt er sich, um mit Mike Tee zu kochen.
Die Gespräche konzentrieren sich heute auf die absolut wesentlichen Dinge im Leben. Eine wichtige Frage bezieht sich z.B. auf die chemische Formel von Lapislazuli. Wir stellen fest, dass wir durch die Bank größere Lücken in der Mineralogie haben, weil keiner auch nur annähernd die Formel kennt. Bei Na6[Al6Si6O24]SxCa ist das aber auch kein Wunder. Laut Internet soll es für gesteigerten Optimismus und gegen Depressionen helfen. Wer denkt sich den so etwas aus? Und was ist der Nachweis für so eine Behauptung? Egal, die andere Frage die erörtert wird, ist der Ursprung des Namens „Harald“. Laut allwissendem Internet lernen wir, dass der Name aus dem Germanischen kommt und sich aus harja- (althochdeutsch heri; Heer) und *walda- (althochdeutsch waltan ‚(ver-)walten, herrschen) zusammensetzt. Dazwischen bedarf es eines Espressos bzw. Tees.
Der Wind hat entgegen der Vorhersage stark nachgelassen, so dass wir uns erst einmal keine weiteren Gedanken um Polar Tomato machen müssen. Wenigstens das! Damit verabschiede ich mich in meinen warmen Schlafsack. Es tut sehr gut, langsam aber sicher wieder warm zu werden. Es friert mich quasi von Innen raus. Ich hatte das schon die letzten paar Tage beobachtet, dass ich sehr temperaturempfindlich bin. Das kenne ich im Normalzustand gar nicht. Jedenfalls brauche ich mindestens 20 Minuten bis ich warm bin und einschlafen kann. Nach gut drei Stunden Schlaf werde ich kurz vor 21:00 Uhr wieder wach. Panik steigt auf! Habe ich das Abendessen verpasst? Gott sei Dank nicht, denn als ich in den Aufenthaltsraum komme, brodelt eine Sauce munter in der Pfanne und Andreas ist am machen. Perfektes Timing also!
Fotos
8.7.2024
20:45 Uhr. Und nein, wir sind nicht gerade aufgestanden, sondern gerade erst aus dem Gelände zurückgekehrt! Aber ehrlich gesagt, haben wir heute schon etwas länger Augenpflege betrieben. Es hat bis ca. 10:00 Uhr geregnet, also gab es keinen Grund früh aufzustehen. Ich bin um 8:30 Uhr der erste und Mike ist auch schon unter den Lebenden. Er übernimmt heute den Frühstücksdienst, während ich mich um meine Datenlogger kümmere. Ich will die Batterien wechseln, weil die Dinger jetzt für zwei Jahre in unterschiedlichen Tiefen vergraben waren. Das ist leichter gesagt als getan, denn die Logger lassen sich nur schwer öffnen. Ganz im Gegenteil zu der Gebrauchsanweisung. Nippel durch die Lasche ziehen, ihr erinnert Euch! Was für ein Gefrickel! Die anderen sind über meine „Kommentare“ dann doch etwas erstaunt. Hat man sie einmal offen, ist es immer noch schwierig, die Batterie zu entnehmen. Das Plastik, das sie einklemmt ist so dünn, dass ich gleich mal eines abbreche. Hurra, schon sind 80 Euros zum Fenster rausgeschmissen. Meine Laune verdüstert sich. Ein zweiter Logger fällt aus, weil er mit Wasser voll ist und seit September 2022 nicht mehr funktioniert hat. Das belegen zumindest die Daten, die ich noch auslesen konnte. Damit sind zwei von fünf Loggern unbrauchbar. Trotzdem freue ich mich, dass die Anderen genau das gemacht haben, was sie sollten. Bodentemperatur und Lichteinstrahlung zu dokumentieren. Die Daten schauen super aus und zeigen uns den Temperaturverlauf über zwei Jahre. So ist der Boden von ca. Oktober bis Mai gefroren. Sehr interessant.
Als es zu regnen aufhört, sind wir auch schon unterwegs. Unsere erste Amtshandlung ist es, das Boot ins Wasser zu bringen. Mit fünf Leuten gelingt das ohne Probleme. Einladen, losfahren, genießen. Denn die Fahrt ist völlig entspannt bei glatter See. Ein großes Kreuzfahrtschiff die „World Voyager“ startet ein Rennen mit uns in Richtung Kongsvegen Gletscher. Ich gebe es ja nicht gerne zu, aber das Ding war sauschnell und hat uns keine Chance gelassen. Wir kommen als klarer Zweiter ins Ziel. Vermutlich sind wir tausend Mal fotografiert worden.
Am Ankerplatz angekommen, halten wir unsere übliche Ausschau nach Eisbären. Alles friedlich. Also legen wir an. Mike und Andreas werden heute wieder LIDAR Scans machen und sich vom Strand aus bergauf vorarbeiten. Ernst, Nico und ich laufen gleich direkt zu unserer Erosionsstruktur. Nico und Ernst wollen noch die restlichen markierten Steine einmessen, während ich heiß darauf bin, meine Logger zu vergraben. Leichter gesagt als getan! Die Stelle sollte ja voraussichtlich für weitere zwei Jahre stabil sein und nicht zu nass sein. Jetzt ist aber unser Untersuchungsgebiet seit dem letzten Jahr einfach nur noch aktiv. Überall ist die Oberfläche in Bewegung, taut, rutscht, oder kollabiert. Wir sind uns einig, dass die Aktivität gegenüber den Vorjahren um ein Vielfaches zugenommen hat. Die erste ausgesuchte Stelle erweist sich innerhalb von Minuten als völlig ungeeignet, da bereits 30 cm unter der Oberfläche das Wasser steht, obwohl wir relativ weit oben sind. Eine zweite Stelle erweist sich als besser und ich schaffe es, mit einer Eisenstange und einem Vorschlaghammer, ein ca. 80 cm tiefes Loch zu produzieren, in das ich meine Logger an einer Schnur hinablassen kann. Ich dokumentiere noch alles und freue mich wie Bolle, dass das so gut geklappt hat. Als nächstes installiere ich das Lux-Meter, das die Helligkeit und Sonneneinstrahlung registriert. Auch das funktioniert ohne Probleme. Den Rest der Schnur befestige ich an einem Stein. Die Hoffnung ist, dass ich zumindest ein kleines Stück Schnur sehen werde, sollte der Hang ins rutschen kommen. Bei der alten Logger-Stelle ist die Erosion ja bis auf einen Meter an meine Logger herangekommen. Ein paar Wochen später und sie wären vermutlich verloren gewesen. Glück muss der Mensch haben. Ich bin also durchaus zufrieden mit mir und der Welt.
Da ich eh schon auf halber Höhe unseres Untersuchungsgebietes bin, laufe ich noch zu unserem Aussichtshügel von dem wir seit Jahren Panoramaaufnahmen machen. Das jährliche Panorama wird aufgenommen und damit ist auch diese Aufgabe erledigt. Als nächstes widme ich mich den „Stangenbildern“. Ich laufe die gesamte Erosionsstruktur ab und lasse dabei die GoPro, an der Stange befestigt, mitlaufen. Ernst und Nico platzieren derweil weiter große Markierungspunkte für die Befliegung und Mike klebt mit Inbrunst große silberfarbene Quadrate auf eine schwarze Folie. Ein weiterer Markierungspunkt!
Die nächste Aufgabe besteht für mich im Reparieren der Drachenleine. Es klappt wunderbar und alles ist fertig, als der Wind in einer Stärke einsetzt, die ein Fliegen ermöglicht. Der Drachen ist in kürzester Zeit in der Luft und überraschenderweise ist der Wind relativ gleichmäßig, so dass die Kamera nicht wild hin und her wackelt. Nico ist zuversichtlich, dass die Aufnahmen für die 3d-Stereoberechnungen nutzbar sein werden. Ich fliege ein großes Gebiet mit mehreren Erosionsstrukturen ab. Der Drachen zeiht bei dem Wind ganz ordentlich und ich denke meine Arme sind um 1,25 cm länger geworden. Alles für die Wissenschaft.
Beim Betrachten unserer Erosionsstruktur ist mir noch aufgefallen, dass das Eis, das längere Zeit freigelegen hat sehr rau ist, während Eis, das gerade erst freigelegt wurde, ganz glatt ist. Mit dem gestrigen Regen sind mindestens 10-20 cm der unteren Eiswand freigespült worden, so dass man dieses Phänomen heute gut beobachten kann. Bisher ist mir das nie aufgefallen.
Insgesamt haben wir heute alles richtig gemacht. Wir haben morgens das schlechte Wetter verschlafen und dann das sehr angenehme Wetter optimal genutzt. Besonders froh sind wir, dass die Drachenbefliegung geklappt hat.
Damit ist der Arbeitstag dann auch schon wieder vorbei. Um kurz nach 19:00 Uhr stecken wir alle wohlverpackt in unseren Überlebensanzügen und können uns auf die Heimfahrt machen. Ich muss heute sehr darauf aufpassen, wohin ich fahre, denn es schwimmen sehr viele kleine Eisberge herum, die gerade so aus dem Wasser schauen und bei den Wellen extrem schwierig zu erkennen sind. Wir kommen ohne Kollision an unserem Ankerplatz an, wo wir Polar Tomato für die Nacht parken. Noch vom Strand aus melde ich uns beim AWIPEV ab. Heute morgen hatte ich Alex gesagt, dass wir vor 21:00 Uhr zurück sein wollen und das haben wir auch geschafft. So soll das sein!
Es war ein sehr arbeitsreicher und erfolgreicher Tag. Wir haben viele Dinge erledigen können und so ist es auch okay, dass uns allen die Knochen weh tun. Andreas kocht uns wieder etwas Feines und wir wissen es alle sehr zu schätzen, dass er die Rolle des Kochs übernimmt. Expeditionen können sehr leicht kippen, wenn das Essen nicht schmeckt. Gott sei Dank brauchen wir uns darüber nicht die geringsten Gedanken machen. Heute zaubert er mit Kichererbsen, angeröstetem Fleisch und einer Masala-Sauce. Dazu gibt es das einzige Bier des Tages. Als Dreingabe finden Mike und Andreas in den Schränken Kartoffelchips und eine angebrochene Flasche Gin. Die Chips sind seit dem 28.6.2023 abgelaufen, sind aber noch immer knusprig und schmecken auch noch. Es ist halt immer wieder interessant, was man auf den Hütten so findet und ob man es noch essen kann. Und vor allem, wer es als erster isst! Ist fast so wie der erste Mensch, der eine rohe Auster gegessen hat. Man darf da nicht zu zimperlich sein, denn das Essen ist ja eh ein halbes Jahr gefroren, so dass Mindesthaltbarkeiten eher großzügig ausgelegt werden können. Und Gin wird eh nicht schlecht. Irgendwann kommt Mike mit der Feststellung um die Ecke, dass Rum Trauben Nuss Schokolade eine typische „Alte Männer Schokolade“ sei. Was für ein Unsinn! Ich liebe sie und ich bin noch nicht alt! Oder vielleicht doch? Im gleichen Augenblick jammert er, dass ihm alles weh tut. Egal, obwohl er offensichtlich zumindest alt aussieht, nehme ich sie ihm weg, weil er sie nicht verdient und mache sie zur Sicherheit auch gleich auf. Schmeckt seit 60 Jahren, ganz unabhängig von meinem Alter!
Der Abend wird mit Datensicherung und Blog schreiben verbracht. Und Mike amüsiert uns mit einer Software auf seinem Handy, das dreidimensionale Modelle von uns erstellt. In Zukunft können wir also unsere Avatare das schwere Gepäck schleppen lassen. Das ist die Zukunft! Oder künstliche Intelligenz produziert die Daten und schreibt auch gleich die Veröffentlichung. Zwar könnten wir alten Säcke dann zuhause bequem im Fernsehsessel sitzen, aber wir hätten vermutlich viel weniger Spaß, als wir hier haben. Spitzbergen ist einfach zu schön, als dass ich darauf verzichten möchte. Auch wenn man ab und zu friert, nass wird, schwitzt, Dinge nicht funktionieren, das Wetter nicht mitspielt oder andere unvorhergesehene und nicht änderbare Katastrophen passieren. Ernst ist völlig analog unterwegs. Er vertieft sich in den Atlas über die Geologie Svalbards. Ein fantastisches Buch, das wir seit 10 Jahren kaufen wollen und sobald wir zuhause sind, dann doch wieder vergessen. Aber nächstes Jahr – ganz sicher!
Fotos
7.7.2024
Gummiband-Modus! Ich werde zwar vor dem Wecker wach, aber alles fühlt sich bleiern schwer an und als ob man bei jeder Bewegung gegen Gummibänder ankämpfen muss. Nur gut, dass ich nicht alleine damit bin. Denn als das Frühstück fertig auf dem Tisch steht und einer nach dem anderen seine Nudelsuppe isst, ist das „Jammern“ groß. Jeder spürt seine Knochen. Fast könnte man uns als „Old Boys Club“ bezeichnen. Was solls, einfach ignorieren und weiter geht’s.
Die Wettervorhersage hat sich seit gestern noch einmal verschlechtert. Es soll jetzt bereits ab ca. 15:00 Uhr zu regnen beginnen. Momentan schaut es zwar noch ganz gut aus, aber im Osten hängen ein paar komische Wolken zwischen den Bergen, die nichts Gutes verheißen. Draußen am Kap Mitra ist dagegen noch strahlend blauer Himmel zu sehen. Die Vorhersage rechtfertigt mindestens das Einpacken von Schlechtwetter-Klamotten. Da ich heute keinen Computer brauche und weniger technischen Kram als sonst, habe ich tatsächlich Platz in meinem Rucksack. Gestern hätte es nicht wirklich funktioniert. Trotzdem sind wir wieder schwer beladen, als wir von der Hütte aufbrechen. Davor müssen wir uns aber beim AWIPEV abmelden. Ich versuche es mehrmals per Funkgerät, muss aber letztlich eine Email schreiben. Wir sind aber auch recht früh dran, denn wir wollen möglichst alles erledigt bekommen, bevor es zu regnen beginnt.
Vorbote des kommenden schlechten Wetters ist ein steifer östlicher Wind, der uns die kalte Gletscherluft entgegen bläst. Momentan ist er noch nicht besonders stark, aber bei der Motorbootfahrt spritzt es deutlich mehr als gestern. Alles wird nass. Andreas hat in diesem Fall die besten Karten, denn er hat einen alten Überlebensanzug mit Kapuze, die er schnell überziehen kann. Die neueren Anzüge haben die Kapuze im Kragen und man müsste sie erst rausholen. Wirklich brauchen tun wir sie nicht, also bleibt sie verstaut. Ich stehe ja eh am Steuer und kriege von der Gischt nur selten etwas ab, während Ernst, am Bug sitzend, schon öfter geduscht wird. Aber insgesamt ist die Fahrt recht angenehm und halbwegs trocken. Trotzdem ist Wasser in Mikes gelbe Kiste gelangt, ohne jedoch Schaden anzurichten. Zur Sicherheit werden wir aber die paar Bohrlöcher in der Kiste auf dem Rückweg zukleben.
Mike und Andreas wollen heute vom Strand aus LIDAR-Daten aufnehmen, während Ernst, Nico und ich direkt zu unserer Erosionsstruktur laufen, um mit unseren Arbeiten zu beginnen. Ernst macht sich auf die Suche nach markierten Steinen, um sie anschließend mit dem DGPS einzumessen. Nico und ich wollen trotz des starken Windes versuchen den Drachen mit der GoPro-Kamera zu fliegen. Was für eine Schnapsidee. Als ob wir es nicht besser wissen sollten! Jedenfalls haben wir den Drachen für keine 5 Sekunden in der Luft, als wir ein „Zing“ hören und den Drachen samt Kamera davonfliegen sehen. Nach ca. 40 m kommen beide am Boden an und der Drachen schleift die Kamera noch einige Meter über den steinigen Boden. Aber wir haben Glück im Unglück! Die Kamera bleibt heil und der Drachen landet nicht im Schlamm. Das ist schon fast wie ein Lotto-Gewinn. Nur eine Nebenbemerkung: Nico war sehr schnell unterwegs, um den Drachen zu bergen. Fast hätte er ihn noch überholt! Wir überlegen kurz einen zweiten Versuch zu starten, lassen es dann aber sein. So schnell wie die Drachenschnur gerissen ist, macht es wohl keinen Sinn. Und unser Glück wollen wir ja schließlich auch nicht herausfordern.
Also Plan B. Ich baue die GoPro-Halterung für unsere Stange um und fange an, die Erosionsstruktur damit abzulaufen. Nico hat das gestern schon einmal gemacht und so sollten wir Veränderungen zwischen den einzelnen Tagen sehen können. Es ist gar nicht so leicht, die Stange bei dem starken Wind zu halten und zu drehen. Und weil es so schön ist, mache ich die Runde zweimal, weil ich mir nicht sicher bin, dass die Kamera auch alles aufgenommen hat. Zum Schluss laufe ich noch einmal mit der Stange in waagrechter Position, um Aufnahmen von der Abbruchfläche zu bekommen. Auch nutze ich die Thermalkamera um die Temperaturen innerhalb der Erosionsstruktur zu messen. Es ist ganz interessant zu sehen, wie warm der Boden im Vergleich zum darunterliegenden Eis ist. Ernst und Nico vermessen mittlerweile die markierten Gesteinsbrocken. Viele konnten sie tatsächlich noch finden aber viele sind auch mittlerweile auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Mit diesen markierten Brocken versuchen wir festzustellen, wie sich die Topographie verändert und wie schnell sich die Brocken bewegen, um darüber ein Gespür für die Veränderungen der Moräne zu bekommen. Mike und Andreas sind nun zu uns gestoßen und machen weitere LIDAR-Scans bzw. wiederholen Scans, die sie gestern gemacht haben, um Veränderungen zu dokumentieren.
Gestern habe ich noch ganz großmäulig von wachen Leuten gesprochen, die einen kleinen Löffel für die Fischbüchsen mitbringen. Nun, heute habe ich meinen in der Corbel-Hütte vergessen. Offensichtlich war ich noch nicht ganz wach. Aber als einer der Präsidenten des Sachenvergesser-Clubs ist es auch meine Pflicht, etwas zu vergessen. Man will ja mit gutem Beispiel vorangehen und auch Mike ein bisschen Trost schenken. Was wollte ich jetzt eigentlich sagen? Ah ja, das Mittagessen fällt heute bei mir aus. Aber nicht weil der Löffel fehlt, sondern weil ein wirklich starker und saukalter Wind weht, der uns die Energie langsam aber sicher aus den Knochen saugt. Mike hat bei dem Wind auch Probleme mit seinem Rucksack laufen zu können. Gerade als wir uns beraten funkt uns Thomas an. Er meint, dass der Wind noch weiter zunehmen wird, er aber aus einer Richtung kommt, wo wir ganz gut geschützt seien. Wir können daher das Boot über Nacht behalten. Nichtsdestotrotz kommen wir überein, diese ungastliche Moräne bald zu verlassen. Erstens wollen wir nicht im Regen rumlaufen, zweitens fängt das Eis an in unsere Richtung zu treiben und drittens wollen wir noch bei halbwegs erträglichem Wind und Wellen zurück zur Corbel-Hütte schippern. Da wir uns alle einig sind, brechen wir die Zelte ab. Kaum am Strand angekommen, fängt es zu tröpfeln an.
Die Motorbootfahrt verläuft problemlos, trocken und ruhig mit Rückenwind. An unserer Corbel-Anlegestelle ist es weniger gemütlich, weil es dort doch etwas höhere Wellen gibt, die den Strand entlanglaufen. Mit dem ersten Anlegemanöver bin ich nicht zufrieden, weil wir den Heckanker um ein paar Meter zu früh geschmissen haben und das Ufer nicht ganz erreichen. Es war zwar Absicht möglichst die ganze Heckleine zu verwenden, um einen möglichst guten Halt für den Anker zu bekommen, aber wir müssen natürlich schon an Land kommen, damit Ernst den Buganker setzen kann. Also alles noch einmal auf Anfang. Dieses mal klappt alles wie gewünscht. Leider wird schnell klar, dass der Heck Anker bei den Wellen nicht hält und das Boot dadurch zu nahe an den Strand kommt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es am Strand liegen würde, speziell da jetzt Flut herrscht und die Ebbe bald einsetzt. Ich bin vielleicht heute etwas zu pedantisch, aber ich entschließe mich einen weiteren Ankerversuch zu starten. Dieses Mal gelingt alles. Nur beim Aussteigen fällt Nico ins knietiefe Wasser und wupp, seine Schwimmweste bläst sich in Sekundenschnelle auf. Nummer zwei! Ich schaue mir noch eine Weile an, wie sich das Boot verhält und momentan scheint es okay zu sein. Aber ich beschließe trotzdem später noch einmal nachzuschauen.
Es regnet mittlerweile und wir sind froh, als wir die Hüttentüre aufmachen. Der Wetterbericht war also ziemlich akkurat, sowohl in der Vorhersage des Wetters als auch im Timing. Jetzt erst einmal einen schönen Espresso. Andreas und ich genießen unseren Nachmittagskaffee. Dazu gibt es ein paar Scheiben Knäckebrot mit Frühstücksfleisch und scharfem Senf, sowie Haribo Colorado. Der Regen klatscht gegen die Fensterscheibe und die Wagen zum Transport unseres Gepäcks wackeln im Wind ganz gewaltig. Und auch in der Hütte hört man das Heulen des Windes und es ist heute auch überraschend dunkel in der Hütte. Welch garstig Wetter und kein Vergleich zu gestern! In den nächsten Tagen soll es leider so bleiben. Die Temperatur soll bis 3°C sinken und es soll immer wieder regnen. Wahrlich keine schönen Aussichten. Aber Hauptsache es ist schönes Wetter, wenn die Befliegung stattfindet. Da heißt es jetzt schon Daumen drücken.
Wetter hin oder her, ich will nach dem Boot schauen. Ich gehe also gut verpackt in AWI-Regenklamotten and den Strand. Die Spuren, die unsere Gepäckwagen hinterlassen haben, sind nur auf der einen Seite nass, während die andere trocken ist. Der Wind treibt also den Regen fast horizontal über das Land. Leider bewahrheiten sich meine Befürchtungen und der Heckanker hat nicht gehalten. Das heißt, das Boot liegt am Strand. Ich rufe über Funk die anderen. Mike ist darüber weniger amüsiert, weil er gerade ein kleines Nickerchen gemacht hat und wie er sagt von Andreas mit Wonne aufgeweckt wurde. Ganz ernst sind seine Klagen aber nicht gemeint! Gemeinsam ziehen wir das Boot an den Strand, so dass die Wellen es nicht permanent hin und her schmeißen. Damit brauchen wir uns für die nächsten Stunden keine Sorgen mehr ums Boot machen.
Andreas kocht uns heute feine Spaghetti, die alle mit Genuss bis auf die letzte Nudel verputzen. Heute übernehme ich mal den Abwasch und den Küchendienst. Ernst spült sowieso immer weit über seinen „Anteil“ hinaus ab, Mike war gestern dran, und heute ist es eben mein Turnus. Geteilte Freude ist doppelte Freude! Anschließend geht es daran alle Daten zu kopieren und die Langzeit-Datenlogger mit frischen Batterien wieder einsatzfähig zu machen. Und auch am Blog muss natürlich gearbeitet werden, denn er schreibt sich ja nicht von alleine. Wo bleibt eigentlich der obligatorische Whiskey? Ich mache mich mal auf den Weg…
Kurz vor dem Schlafen gehen laufe ich ein letztes Mal zum Strand, um nach dem Boot zu schauen. Ich finde es auf dem Strand liegend, so wie wir es hinterlassen haben. Ich denke, für die Nacht sollte alles passen.
Fotos
6.7.2024
Der erste Tag im Gelände! Man glaubt es kaum, dass man Münster vor vier Tagen verlassen hat und heute zu ersten Mal zum Arbeiten gekommen ist. Wir kennen das natürlich schon aus früheren Jahren. Aber überraschend ist es doch immer wieder. Das Wetter soll laut Vorhersage heute sehr gut sein und um es optimal ausnutzen zu können, stehen wir bereits um 7:00 Uhr auf. Wie üblich bin ich der Erste und es ist meine Aufgabe, das Frühstück für die Mannschaft herzurichten. Der erfahrene Blogleser weiß natürlich was jetzt kommt. Genau, die erste Nudelsuppe der Saison. Alle sind auf die Entenvariation der Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe erpicht und ich bin der Einzige, der sich mit der Rinderversion begnügt. Dazu gibt es – Nomen est omen – SPLAM Frühstücksfleisch. Auch ein Espresso ist noch drin, bevor jeder anfängt seine Sachen für den Tag zu packen. Thermoskanne mit Tee, Fischbüchse, Schokolade, Schlechtwetterklamotten und natürlich jede Menge Kabel, Computer, Instrumente, und und und. Wer schon ganz wach ist, packt auch einen kleinen Löffel für die Fischkonserve ein.
Fünf Packesel machen sich also auf den Weg zum Strand, wo Polar Tomato schon ungeduldig auf den kleinen Wellen hin und her hüpft. Am Strand spiele ich eine Runde Gepäck-Tetris. Wir haben doch recht viel und die fünf Übergewichtigen müssen ja auch noch rein. Aber jeder findet ein Plätzchen und schon schieben uns 40 Pferde in Form eines Yamaha-Motors in Richtung Untersuchungsgebiet. Langsam aber stetig und immer noch viel schneller und bequemer als laufen.
Schon als wir um die Landzunge biegen sehen wir, dass sich unser Untersuchungsgebiet drastisch verändert hat. So sehen wir viele neue Erosionsstrukturen und auch an Stellen, wo eigentlich meine Datenlogger sein sollten. Mir schwant Ungeheures! Selbst vom Boot aus sieht man, wie dynamisch sich diese Landschaft verändert, nichts in diesem Gebiet ist stabil und von Dauer. Alles fließt. Das Anlandemanöver klappt wie gelernt und gemeinsam wird Polar Tomato von ihrer Last erleichtert. Jetzt müssen wir den ganzen Kram nur noch bis zu „unserer“ Erosionsstruktur bringen. Ich schnalle mir meine Zargesbox auf den Rucksack und schon geht es nach oben. Mit dem extra Gewicht werden die Beine schnell warm und auch die Lunge kriegt eine extra Portion Arbeit ab. Es geht aber dann doch recht schnell. Das Problem ist nur, dass sich die Landschaft seit letztem Jahr so stark verändert hat, dass wir Probleme mit der Orientierung haben. Ich suche z.B. meine vergrabenen Datenlogger und finde sie zunächst nicht, weil ich mich an einem kleinen Hügel orientiere an dessen Fuß ich sie vor zwei Jahren platziert hatte. Die Datenlogger befinden sich tatsächlich ca. 70 m weiter hangabwärts als gedacht. Und der Hügel, den Nico und ich 2021 untersucht haben ist vollständig verschwunden. Ich bin ehrlich gesagt geschockt und kann es nicht fassen. So „schlimm“ war es tatsächlich noch nie.
Wir wollen heute einiges erledigt bekommen. Ganz wichtig sind die LIDAR Scans mit Mikes Instrument. Die Steuereinheit dazu ist? Ja wo ist sie denn? Genau, in Corbel. Mike hat sie heute morgen vergessen und ohne den Rucksack mit dem LIDAR und dem Steuergerät geht so ziemlich gar nichts. Mike könnte sich in den Hintern beißen und ärgert sich sehr, während es bei uns nur Amüsement hervor ruft. Willkommen, Mike, im Club der Sachenvergesser: Du bist mit den vier Präsidenten dieses Clubs unterwegs, weil wir schon tausend Mal irgendwann irgendwas vergessen haben und dadurch viele Kilometer umsonst gelaufen sind. Heute kommen wir ja relativ glimpflich davon. Lediglich ein Motorboot-Trip trennt uns von der gelben Kiste. Mit nur zwei Personen und keinem Gepäck sind wir schnell an der Corbel-Hütte und ebenso schnell wieder im Untersuchungsgebiet. Aber natürlich muss sich Mike noch ein paar spöttische Kommentare anhören, bevor er sich mit seinem LIDAR-Rucksack auf den Weg macht, um das Gelände in 3d ab zu scannen. Es ist heute einfach nicht Mikes Tag, denn nach kurzer Zeit tritt er auf eine schlammige Stelle und versinkt mit beiden Beinen bis zu den Knien in der Soße.
Während wir unterwegs waren, hat Ernst ein Kunstwerk von einem Steinmann gebaut, an dem er seine Zeitraffer-Kamera befestigen will, um die Erosionsstruktur über die nächsten zwei Wochen zu beobachten. Nico hat schon die Referenzpunkte ausgelegt und mit dem Differential GPS eingemessen. Gemeinsam machen wir die GoPro für ihren Einsatz an der Stange bereit und schon ist er damit entlang der Erosionsstruktur unterwegs, um hochauflösende Movies der Abbruchkante zu machen. Ich suche mir ein gutes Plätzchen für meine Datenlogger, die die Bodentemperatur und Bodenfeuchte in zwei unterschiedlichen Tiefen messen. Auch die Sonnenintensität wird gemessen und alles endet in einer kleinen Box, die dann mit einem Computer ausgelesen werden kann. Zur Sicherheit stecke ich auch noch eine Reihe rosafarbene Fähnchen um die Stelle, damit niemand versehentlich über die Kabel stolpert oder die Messungen stört.
Ich messe noch Nicos Referenzpunkte mit meinem GPS ein. Klar, seine DGPS Messungen sind um ein Vielfaches genauer aber ich habe die Punkte trotzdem gerne in meinem GPS, weil ich dann sehr schnell sehen kann, wo ich schon überall Erosionsstrukturen untersucht habe. Dann bleibt noch die Aufgabe, die alten vergrabenen Datenlogger auszugraben. Alle Logger sind mit einer roten Schnur verbunden, die bis an die Oberfläche reicht. Ich muss also nur entlang der Schnur graben, um einen nach dem anderen Logger zu finden. Ohne diese Schnur hätte man keine Chance, die ca. 4 cm großen Logger zu finden. Da wäre es einfacher, eine Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Das Graben des Lochs gestaltet sich dann doch schwieriger als gedacht. Der letzte Logger ist ca. 70 cm tief vergraben und um an ihn ran zu kommen, muss ich doch ein größeres Loch buddeln. Aber schließlich sind alle Datenlogger in meiner Hand.
Das Wetter ist mittlerweile königlich und das eigentlich schon bekannte Panorama begeistert uns immer wieder und immer noch. Nach all den Jahren kann ich mich nicht sattsehen. Ich stehe auf einem kleinen Hügel und schaue einfach nur. Dann schaue ich noch etwas mehr. Fotos mache ich tatsächlich auch.
Mike läuft nun mit seinem Rucksack durch die Gegend und ich bin schon gespannt, wie die Daten heute Abend ausschauen. Schließlich ist es ein völlig neuer Datensatz, von dem wir uns viel erwarten. Ernst und Nico suchen derweil die vor Jahren markierten Steine und markieren sie mit den rosa Fähnchen, um sie morgen mit dem DGPS zu vermessen.
Da die diesjährige Erosionsstruktur sehr aktiv scheint und der Boden fast überall recht instabil ist, entschließe ich mich keinen Steinmann zu bauen, um meine Zeitraffer-Kamera zu installieren. Stattdessen hämmere ich eine Eisenstange in das Eis, um meine Kamera daran zu befestigen. Das ist natürlich nicht so stabil wie ein Steinmann, aber einen Versuch wert, da ich alles hangabwärts liegende hoffentlich sehen werde. Andreas hat dieses Jahr ebenfalls eine Zeitraffer-Kamera dabei und wir beschließen, sie auf dem Gipfel des kleinen Hügels zu installieren. Auch legen wir noch einen großen Referenzpunkt aus, der zur Kalibration der Flugzeugdaten dienen soll. Das DLR und das AWI werden in der nächsten Woche über unser Gebiet fliegen und mit der MACS Kamera das Gebiet fotografieren. Diese neuen Daten können wir dann sehr gut mit jenen aus dem Jahr 2020 vergleichen.
Um 18:30 Uhr brechen wir die Zelte im Untersuchungsgebiet ab und machen uns auf den Weg zum Strand. Es ist jetzt schon Routine: Stiefel runter, rein in den Überlebensanzug, Schwimmweste rum, Anker hoch, los geht’s. Am Strand von Corbel angekommen, läuft das Prozedere anders herum ab. Direkt vor der Anlegestelle treiben ein paar schön geformte Eisberge, die geradezu betteln, fotografiert zu werden. Ich tue ihnen den Gefallen und knipse eifrig.
Andreas kocht uns heute ein Truthahn-Curry mit Reis, das dankbar verschlungen wird. Wir sind alle heute müde und hungrig und da kommt ein warmes Essen gerade recht. Es bleibt nur ein bisschen Reis übrig, den wir morgen noch essen können. Die Fressnarkose gibt uns den Rest und ein Teil der Crew liegt auf dem Sofa, während Mike sich zum Abspülen aufrafft und Ernst draußen Blumen fotografiert. Ich tippe quasi live diese Zeilen dazu.
Es war ein anstrengender, arbeitsreicher, meist erfolgreicher, herrlicher und lustiger erster Geländetag, der nur dadurch getrübt wird, dass die Wettervorhersage für die nächsten paar Tage sehr schlecht ist. Es soll regnen und die Temperaturen gehen bis auf 0°C zurück. Das wird also kein Spaß werden. Aber warten wir es einfach mal ab. Hier oben ist das Wetter so wechselhaft, dass es schwierig ist, gute Vorhersagen zu machen. Vielleicht haben wir ja Glück! Jetzt genießen wir erst einmal unser wohlverdientes Bier und ein Erfrischungsgetränk von der irischen Insel!
Fotos
5.7.2024
Zwei Uhr morgens! Der Projektantrag ist von meiner Seite aus fertig. Die letzten Textbausteine und Korrekturen habe ich eben noch schnell an Carolyn geschickt und ich darf nun verdientermaßen ins Bett gehen. Nico und die anderen schlummern bereits seit ein paar Stunden. Überraschender Weise ist es auch heute wieder sehr ruhig im Zimmer. Kein lautes Schnarchen, bestenfalls ein leises Röcheln.
Sechs Uhr morgens! Ich wache ohne Wecker auf und schwinge mich erst Einmal in die heiße Dusche. Welch ein Genuss! Anschließend mache ich mich daran, meine sieben Sachen zu packen, denn wir wollen heute zur Corbel-Hütte und unsere Lateralmoräne des Kongsvegen Gletschers aufbrechen. In sechs Tagen wollen wir wieder zurück sein und da bedarf es wie üblich einiger Planung. Da ich bisher nichts ausgepackt habe, fällt das Einpacken relativ leicht. Lediglich die AWI-Ausrüstung muss ich zu meinem Haufen dazu packen. Da macht sich mein großer gelber und ebenso wasserdichter Sack nützlich. Der doch extrem voluminöse Schlafsack, der eigentlich eher für Antarktis-Temperaturen ausgelegt ist als für Sommertemperaturen in der Arktis, nimmt schon mal gut die Hälfte des Sacks ein. Der Rest wird oben drauf gelegt und schon ist der Sack voll. Packzeit: Unter 5 Minuten! Rekordverdächtig!
Das Frühstück wird ohne größere Verletzungen überstanden! Nico muss um 8:15 Uhr zum Eisbärenkurs, während Ernst, Andreas und ich erst um 10:00 Uhr zum eigentlichen Schießtraining antanzen müssen. Wir haben also noch etwas Zeit um ein paar letzte Vorbereitungen zu treffen und die auflodernden Feuer zuhause im Büro auszutreten. Es gibt halt immer etwas zu tun! Aber wenigstens ist das Wetter sehr schön. Es ist fast windstill und fast sonnig, denn den Himmel bedecken nur ein paar harmlose Schleierwolken. Die Wettervorhersage für die nächsten paar Tage schaut ebenfalls sehr gut aus mit viel Sonne und wenig Wind. Der Wind ist für mich immer die Wetterkomponente, die mich am meisten umtreibt, weil ich immer um das sichere Ankern des Bootes besorgt bin. Bei starkem Wind aus der falschen Richtung kann das sehr schnell problematisch werden. Aber soweit ich sehen kann, schaut es momentan ganz gut für uns aus.
Bis wir uns umschauen ist es 9:45 Uhr und damit Zeit, die Gewehre für das Schießtraining abzuholen. Fieke erklärt uns noch kurz die Unterschiede zwischen der Waffenhandhabung wie sie Kings Bay unterrichtet und der des AWI. Und schon sitzen wir mit drei anderen „Lehrlingen“ im Bus zur Schießbahn. Wir beginnen mit der Signalpistole, die den schönen englischen Namen Flare Gun trägt. Jeder darf nach einer Einweisung einen Schuss abgeben. Nicht sonderlich kompliziert und es schafft auf Anhieb jeder. Beim Schießen mit dem Gewehr durchlaufen wir das übliche Prozedere. Erst vier Schuss im Knien, dann vier Schuss im Stehen und schließlich vier Schuss stehend auf Zeit. Macht wie üblich Spaß und unsere Ergebnisse können sich auch dieses Jahr wieder durchaus sehen lassen. Die Neuheit beim diesjährigen Training ist, dass man beim Schießen auf Zeit zu Beginn das Gewehr teilgeladen um die Schulter hängen hat. Auf Kommando muss man es erst abnehmen, fertig laden und danach die vier Schüsse abgeben. Das ist, finde ich, ein viel realistischeres Szenario, denn im Gelände trägt man das Gewehr ja schließlich auch über die Schulter hängend. Auch muss man das Gewehr ja in den Anschlag bringen, fertig laden und gleichzeitig zielen und auch feuern. Eben alles Dinge, die man in kürzester Zeit erledigt bekommen muss, wenn ein Eisbär unerwartet um die Ecke biegt. Um einen anrennenden Bären zu simulieren, zählt der Instruktor in 10 m Schritten von 100 m runter und bei 30 m sind meine vier Schüsse im Ziel. Das gibt schon ein gutes Gefühl, vor allem als ich sehe, dass alle Schüsse im Ziel landen. Eigentlich sind wir damit mit unserem Programm fertig. Als Kirsche auf dem Sahnehäubchen, lässt uns der Trainer noch eine weitere Übung machen. Dieses Mal mit fünf Schüssen. Vier davon passen in das Magazin, der fünfte muss anschließend einzeln nachgeladen werden. Dazu braucht man seine Ersatzpatrone natürlich schnell zur Hand. Wie gut und sinnvoll die Übung tatsächlich ist, stelle ich fest, als ich meine fünfte Patrone aus der Jackentasche holen will. Und siehe da, die Klettverschlüsse haben meine Jackentasche automatisch verschlossen, so dass ich umständlich mit einer Hand die Tasche aufkriegen muss, um an die Patrone zu kommen. Im Ernstfall hätte das wohl viel zu lange gedauert. Ergo, Ersatzpatronen müssen wirklich an einer strategisch günstigen Stelle platziert werden, um schnell daran zu kommen, auch auf die Gefahr hin, dass man mal eine Patrone verlieren könnte. Lange Rede kurzer Sinn, das Waffentraining ist heute sehr viel anders abgelaufen als in den Jahren zuvor und ich habe dabei einiges mehr gelernt. Es war also richtig klasse! Es ist nur zu hoffen, dass wir das Erlernte nie anwenden müssen!
Nicht nur das Waffentraining war hervorragend. Auch das Timing des Trainings war eine Punktlandung. Wir sitzen pünktlich am Futtertrog und lassen uns die Pizza gut schmecken. Einen Kaffee hinterher und die Welt ist golden! Spätestens beim Waffenreinigen ist sie wieder blechern! Aber das muss halt auch sein und da wir beim Schießen nur zwei Gewehre benutzt haben, müssen wir jetzt auch nur zwei putzen, Ernst und Nico übernehmen diese ölige Arbeit. Anschließend müssen wir Alex noch demonstrieren, dass wir die Gewehre sicher handhaben können. Auch das gelingt uns und somit sind wir nun mit dem Waffentraining für dieses Jahr durch. Ab jetzt können wir uns die Waffen ausleihen und sind damit autark. Ein gutes Gefühl, weil es uns viel mehr Freiheiten in der Planung unserer Tage gibt.
Es wird nun also definitiv ernst! Der große wohlüberlegte Masterplan sieht vor, möglichst schnell in Richtung Corbel-Hütte aufzubrechen und dann möglichst schnell zu unserer Lateralmoräne des Kongsvegen-Gletschers zu fahren. Also mit dem Motorboot. Eigentlich zwei Motorbooten, weil wir mit fünf übergewichtigen Kerlen unterwegs sind, die auch noch jede Menge an Gepäck mit sich schleppen. Da kommt jedes Boot an seine Grenzen. Das Problem mit unserem Masterplan ist nur, dass er so nicht funktioniert. Mittlerweile weht ein starker Wind aus Nordwest, der recht beachtliche Wellen aufbaut. Es ist jetzt also eingetreten, von dem ich weiter oben schon berichtet habe. Starker Wind aus der falschen Richtung, um an unserem Ankerplatz an der Corbel-Hütte sicher liegen zu können. Thomas und Fieke haben das natürlich auch erkannt und machen sich einige Sorgen. Nach Absprache fahren sie mit Polar Tomato, dem mit weitem Abstand rotesten Boot des AWI zur Hütte, um die Wellenbedingungen und den Ankerplatz auszukundschaften. Für uns heißt es erst einmal warten. Ich nutze die Zeit, um ein paar schöne Fotos zu machen und mir einen alten Dreimaster anzuschauen. Schließlich sehen wir einen kleinen roten Punkt, von dem periodisch weiße Gischt wegfliegt. Es ist völlig klar, dass die Bootsfahrt bei diesen Wellen kein Vergnügen ist. Ich befürchte, dass wir heute vielleicht nicht mehr zur Hütte kommen. Gut nass kommen sie im Hafen an. Wir diskutieren unsere Optionen und es ist fast wie Tetris spielen. Wie kriege ich fünf Personen samt Gepäck zur Hütte ohne das Boot an einem schlechten Ankerplatz zu gefährden? Letztlich biete ich an, dass wir das gesamte Gepäck zur Corbel-Hütte bringen und anschließend das Boot wieder nach Ny Alesund bringen werden. Das bedeutet aber auch, dass zwei Personen noch heute von Ny Alesund bis zur Hütte zurück wandern müssen und dass wir dann auch immer bis in unser Untersuchungsgebiet laufen müssen. Wir kommen überein, dass das die beste Lösung ist und somit können wir ablegen. Thomas wird mit Mike und Andreas auf Luciole den Großteil unseres Gepäcks transportieren, während ich mit Alex, Nico, und Ernst mit Polar Tomato aufbreche. Auf dem Wasser stelle ich fest, dass die Wellen eigentlich kein Problem sind. Da haben wir schon viel Schlimmeres erlebt. Auch mit Polar Tomato. Und als wir bei Corbel ankommen, ist das Wasser relativ ruhig. Das Ankermanöver gelingt ganz ausgezeichnet und als Thomas ankommt, können wir anfangen Luciole zu entladen. Mir kommt es so vor, dass wir jedes Jahr mehr Material mitschleppen. Stimmt ja auch tatsächlich, weil Mike alleine schon mehrere Kisten mitgebracht hat. Aber schließlich haben wir alles an Land.
Zwei gute Nachrichten. Erstens, mein Überlebensanzug ist dicht! Das ist nicht nur wichtig, sondern auch extrem angenehm. Einziger Nachteil der neuen Überlebensanzüge ist vielleicht die fehlende Kapuze. Ja, ich weiß schon: Jammern auf sehr hohem Niveau. Quatsch beiseite, die neuen Anzüge sind super und ich bin sehr froh und dankbar, dass das AWI diese Investition gemacht hat. Zweitens können wir bei den jetzigen Bedingungen eines der zwei Boote behalten und damit morgen ins Untersuchungsgebiet fahren. Das wird uns sehr viel Zeit sparen und wir brauchen auch nicht heute noch von Ny Alesund zur Hütte laufen. Beides wird sehr wohlwollend von mir aufgenommen. Wir entscheiden uns für Polar Tomato, weil sie leichter ist und wir sie bei schlechten Wetterbedingungen zur Not auch auf den Strand ziehen können. Luciole ist zwar größer, komfortabler und trockener beim Fahren, aber mit ihr hätten wir diese Beach-Option nicht. Ernst und ich fahren noch einmal nach Ny Alesund zurück, um letzte Ausrüstungsgegenstände einzusammeln und noch drei Kanister mit Benzin mitzubringen. Wir sind im Nu wieder am Strand der Corbel-Hütte, wo die anderen noch immer damit beschäftigt sind, das Gepäck zu Hütte zu bringen. Nicht dass sie faul gewesen wären, aber die einzige Transportmöglichkeit ist eine Art motorbetriebenes Raupenfahrzeug, das schon von weitem zu hören ist, sich aber nur im Schneckentempo bewegt. Es dauert also seine Zeit, bis die Hütte erreicht wird. Ein wunderbares Spielzeug, aber ein neuer Schubkarren hätte es auch getan. Und schneller.
An der Hütte angekommen muss ich feststellen, dass ich das Gletschereis für unseren Einstandswhiskey am Strand vergessen habe. Da gibt es keine Diskussion: Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen. Die Freude ist groß, als das Eis zu knacken beginnt, als ich es mit Whiskey übergieße. Grandios! Gas anschließen, Wasser pumpen und schon ist Andreas am Kochen. Heute gibt es Nudeln mit einer würzigen Soße, die sehr gut schmeckt. Dementsprechend bleibt auch kein kleines Futzelchen übrig. Ernst übernimmt im Anschluss den Abwasch. Auch eine Konstante, die sich nie ändert!
Mittlerweile ist das Wetter recht schön und sonnig und es ergeben sich die schönsten Ansichten der vertrauten Bergketten um uns rum. Genau deshalb liebe ich diese Gegend und diese Hütten. Der Wetterbericht sagt auch für morgen gutes Wetter voraus aber dann geht es rapide bergab. Ab Sonntag ist ausgiebiger Regen und starker Wind angesagt. Spätestens Sonntag Abend 18:00 Uhr sollten wir das Boot in Ny Alesund haben, um Probleme mit dem Ankern zu vermeiden. Wir haben also schon wieder einen Plan. Nein, keinen Plan B, sondern eher einen Plan Y.
Alex und eine weitere Besucherin wollen heute noch zur Tyske-Hytta und schauen noch auf einen Sprung bei uns vorbei. Wir haben Tee und Hanuta vorbereitet und auch ein Espresso aus meiner kleinen Bialetti-Maschine ist schnell herbeigezaubert. Wir quatschen für ca. 30 Minuten, dann sind die zwei auch schon wieder auf dem Weg. Kein Wunder, denn es ist mittlerweile 22:30 Uhr und sie haben noch gute 2 Stunden Weg vor sich. Ich verbringe den Rest des Abends mit Daten sichern und der Aktualisierung meines Feldbuchs.
Fotos
4.7.2024
Der Tag beginnt heute mit dem zu Bett gehen. Denn ich arbeite bis ca. 1:30 Uhr an einem Projektantrag bis mir die Augen zufallen. 2:30 Uhr, 3:47 Uhr, 4:18 Uhr, 4:53 Uhr. Ich wälze mich hin und her und finde keinen rechten Schlaf. Obwohl die Heizung aus ist, ist das Zimmer doch recht warm und es hat sicher auch nicht wirklich geholfen um kurz vor Mitternacht noch einen Kaffee getrunken zu haben. Um 5:30 Uhr geht dann auch noch mein Alarm los, den ich vergessen habe auszuschalten. Die gute Nachricht ist, dass Nico keine Eichenwälder zersägt hat und mich damit vom Schlafen abgehalten hätte. Dieses Mal hat es nur an mir gelegen! Obwohl wir erst um 7:00 Uhr zum Frühstücken wollen steht Nico heldenmütig auf und geht duschen. Ich versuche noch bis 6:15 Uhr zu schlafen. Auch ich bin schließlich schnell geduscht und für die Nahrungsaufnahme bereit. Da wir noch zu früh für das Frühstück sind, packe ich schon mal alle meine Sachen. Vor dem Frühstück bin ich also schon abmarschbereit. Auch Ernst und Andreas sind schon wach, nur Mike muss aufgeweckt werden. Das ist aber auch kein Wunder, weil er ja gestern erst aus den USA angereist ist und noch mit der Zeitverschiebung zu kämpfen hat. Das Frühstück bei Mary Ann ist wie üblich sehr gut und belebt unsere Lebensgeister. Das Auschecken verläuft problemlos aber uns verwirrt es doch etwas, dass wir schon heute für die Zimmer für unsere Rückkehr bezahlen müssen. Das Taxi ist pünktlich und wir teilen es uns mit der Stationleaderin der italienischen Station in Ny Alesund.
Nach dem obligatorischen Wiegen aller Gepäckstücke ist noch Zeit für einen kleinen Plausch mit der „Italienerin“, die eigentlich Schweizerin ist. Es weht heute ein frischer Wind und die Wolken hängen in Longyearbyen relativ niedrig aber das hindert die Piloten nicht an einem pünktlichen Abflug. Nach kurzer Zeit tauchen wir in die Wolken ein und ich habe die Hoffnung auf schöne Bilder schon fast aufgegeben, als es immer mehr aufreißt und die ersten Berge sichtbar werden. Je weiter wir nach Ny Alesund kommen, desto besser wird das Wetter. Damit ergeben sich auch die mehr als spektakulären Ausblicke auf die Gletscher und Berge, die ich mir erhofft hatte. Ich sitze heute auf der rechten Seite des Flugzeugs und bekomme dadurch neue Blinkwinkel im Vergleich zu den Vorjahren. Ausgerechnet heute ist die Flugroute so, dass man von der linken Seite unsere Lateralmoräne bestens sehen kann. Ernst macht eine ganze Reihe guter Aufnahmen, so dass wir von der eher seltenen Flugroute dennoch profitieren können. Nico sitzt an einem nach außen gewölbten Fenster und als er sich immer weiter vorlehnt und der Kopf praktisch außerhalb des Flugzeugs ist, macht er gewissermaßen eine „außerkörperliche Erfahrung“. Er verkraftet sie aber bestens und macht tolle Aufnahmen aus dieser ungewöhnlichen Perspektive. Klick, Klick, Klick. Die Kameras fangen zu glühen an und wir sind fast enttäuscht, als wir in Ny Alesund landen. Bei diesem Blick aus dem Flugzeug, wenn man schon relativ niedrig fliegt, geht einem immer das Herz auf. Eine dermaßen grandiose Landschaft! Die Flughöhe ist gerade hoch genug um einen weiten Überblick zu bekommen aber gleichzeitig niedrig genug, um alle morphologischen Details erkennen zu können. Mich fasziniert der Formenreichtum immer wieder aufs Neue und meine Welt schrumpft auf die Größe des Flugzeugfensters zusammen. Um alles noch besser zu machen, haben wir strahlend blauen Himmel und deutlich weniger Wind als in Longyearbyen. Kaiserwetter!
Nach ein paar Minuten im Bus empfängt uns Fieke an der Kings Bay Rezeption. Sie hat für uns ein Einzelzimmer im Rabot-Gebäude und zwei Doppelzimmer im Blauen Haus reserviert. Der größte Schnarcher der Gruppe zieht sich freiwillig in das Einzelzimmer zurück. Wir bringen unser Gepäck in die Zimmer und sehen dann kurz Fieke und Alex Eickelmann, die neue AWIPEV Stationleaderin. Sie erinnert sich tatsächlich noch daran, dass wir 2019 in der Daerten-Hütte von zwei Eisbären festgehalten wurden. Wow! Das neue AWIPEV Team wird durch Wenceslas Marie-Sainte und Thomas Poinsot komplettiert. Ersterer ist für das Observatorium zuständig, während Thomas sich um die Logistik kümmert.
Eine große Neuigkeit gibt es dieses Jahr zu berichten. Die Dame am Kings Bay Empfang macht uns darauf aufmerksam, dass man nun in Ny Alesund sein Handy zum Telefonieren verwenden kann. Wifi und Bluetooth müssen aber nach wie vor ausgeschaltet bleiben. Eigentlich war es auch Teil des „Abenteuers“ nicht übers Handy erreichbar zu sein und so stehe ich der Neuerung erstmal mit gemischten Gefühlen gegenüber. Aber letztlich wird man die modernen Zeiten auch hier nicht aufhalten können. Ich denke, diese Neuerung kommt auch den vielen Kreuzfahrttouristen entgegen, die vermutlich ihre Handys, Tablets und sonstigen Geräte nie wirklich alle ausgeschaltet haben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Reichweite nicht bis zur Corbel- oder Geopol-Hütte reichen wird. Jedenfalls ist das meine Hoffnung. Denn ich habe just dieses Jahr ein Satellitentelefon gekauft! Wozu, wenn man jetzt hier mit dem Handy telefonieren kann? ARRRGGHHH! Und sofort sieht man die Auswirkungen. Jeder daddelt an seinem Handy rum! Wie Teenager, allerdings um einen Faktor 15 langsamer beim Tippen von Nachrichten. Jetzt kann ich allerdings nicht zu sehr darüber schimpfen, weil ich eben noch selbst mit Carolyn telefoniert habe. Dienstlich natürlich, falls das als Ausrede zählt. Schon praktisch! Fluch und Segen, eben.
Kurz vor dem Mittagessen gibt uns Fieke noch unsere AWI-Klamotten, so dass wir nun vollständig ausgestattet sind. Es kann also losgehen! In der Kantine treffen wir sofort wieder alte Bekannte. Ingo Beninga aus Bremen ist dieses Jahr wieder hier und die Freude ist groß, ihn nach ein paar Jahren Pause wiederzusehen. Auch Ingo hat ein breites Grinsen im Gesicht, als er uns begrüßt. Maarten Loonen, unseren Freund aus Groningen sehen wir ebenfalls. Auch die langjährige Köchin und eine ehemalige Köchin treffen wir wieder. Es ist also fast wie ein Familientreffen. Sehr schön!
Pünktlich um 13:30 Uhr kommen Alex, Fieke und Thomas ins Blaue Haus, um mit uns die Sicherheitseinweisung zu machen und die Logistik unseres Aufenthalts zu besprechen. Die Einführung ist kurz und knackig und auf den Punkt. Alle relevanten Infos haben wir bekommen, was speziell für Mike wichtig ist, da er ja ein paar Jahre nicht mehr hier war. Unsere brennendste Frage nach einem Boot wird von Thomas ohne Zögern bejaht. Das ist sehr gut und eine große Erleichterung, denn dadurch sind wir von Corbel aus unabhängig und es erspart uns zudem jeden Tag mindestens 5-6 Stunden laufen. Im Gegenzug ist die AWI-Mannschaft dankbar, dass wir unsere Feldarbeit so geplant haben, dass wir keine Hilfe an den Wochenenden brauchen. Das macht auch ihr Leben angenehmer. Während wir noch durch die Details gehen, hat Thomas schon unsere verschifften Kisten in das Rabot-Gebäude gebracht und auch die Essenskiste aus dem letzten Jahr findet sich schnell wieder. Somit haben wir tatsächlich unsere komplette Mannschaft und komplette Ausrüstung in Ny Alesund. Ah, das Leben kann so schön sein!
Das kann nur noch von einer Tasse Kaffee und ein paar Cookies übertrumpft werden. So landen Andreas, Nico, Ernst und ich bei einem dicken Stapel V-Menn Heften in der Kantine. Bei Mike schlägt nun die Zeitverschiebung voll zu Buche und auch Andreas und Co. verspüren einen starken inneren Drang am Kopfkissen zu lauschen. Ich gehe lieber zum Hafen, um die Dinge dort auszuchecken und Ernst kümmert sich derweil um unsere Brotbestellung für die nächsten Tage. Auf dem Weg in den Hafen kommen mir sehr viele grell gekleidete und meist bis oben hin verschlossene chinesische Kreuzfahrer entgegen. Die Sonne scheint und es ist eher lau, also gibt es keinen wirklichen Grund sich für -30°C anzuziehen. Aber jeder wie er will! In der Bucht liegt die Hondius, die wir schon aus den letzten Jahren kennen, sowie ein sehr interessantes doppelmastiges Aluminiumsegelschiff. Rein aufgrund der Anzahl müssen die chinesischen Besucher mit der Hondius unterwegs sein. Sowohl Mike und ich, als auch Andreas und Ernst haben festgestellt, dass dieses Jahr offensichtlich sehr viele chinesische Besucher nach Spitzbergen gekommen sind und man fragt sich unwillkürlich, wie diese ungewöhnliche Konzentration zustande kam. Sehr witzig habe ich die Aufreihung der Schwimmwesten empfunden, die entlang der neuen Pier an einem Geländer hängen.
Langsam aber sicher kehren die Lebensgeister in die SPLAM-Mannschaft wieder zurück. Zumindest Mike lässt sich kurz blicken und Nico und Andreas sitzen mir nun gegenüber. Es ist jetzt 16:46 Uhr, das heißt, dass es in vier Minuten für uns Essen gibt. Das nenne ich perfektes Timing. Natürlich gibt es nach dem Abendessen noch schnell eine Tasse Kaffee bevor die wichtigste Aufgabe des Tages anliegt. Der Laden hat nun offen und das bedeutet, dass wir uns für den Rest des Aufenthalts mit Bier eindecken können. Jeder kauft also eine Palette, wozu allerdings die Bordkarte vom Flug nach Longyearbyen notwendig ist. Wir sind gut vorbereitet und so stehen letztlich fünf Paletten Bier im Rabot-Gebäude. Abzüglich eines Six-Packs, das natürlich sofort probiert werden will. Als ich um ca. 16:00 Uhr vom Hafen zurückkam, war der Laden zwar offen. Ich konnte aber nur eine Mütze kaufen aber kein Bier. Da gibt es nämlich schon strikte Regeln. Aber jetzt haben wir ja was wir wollen. Der Abend klingt dann auch ganz entspannt zunächst auf der Terrasse und anschließend im Aufenthaltsraum des Blauen Hauses aus. Allerdings wartet noch der Projektantrag auf mich, den ich heute noch lesen muss. Wird also wieder eine kurze Nacht.
Fotos
3.7.2024
Welch grandioser Start in den Tag! Nach vier Stunden Schlaf weckt mich mein Handy mit AC/DC „Hells Bells“. Und so fühlt es sich auch an! Einfach zu wenig Schlaf! Nach ein paar Minuten in der heißen Dusche kommen tatsächlich die Lebensgeister zurück. Nach ein weiteren paar Minuten, um meine Frisur in Ordnung zu bringen, stehe ich vor der Hoteltüre wo mich mein freundlicher Taxifahrer von gestern Abend um 6:00 Uhr abholen soll. Freundlich war er, nur leider ist er noch unzuverlässiger als er freundlich ist. Denn von einem Taxi ist weit und breit nichts zu sehen. So stehe ich im kalten Nieselregen und versuche mir auf die Schnelle ein Taxi zu organisieren. Im Hotel ist niemand zu finden. Jetzt positiv denken! Omm! Isarfunk schickt mir schließlich einen Fahrer. Auch er ist freundlich und in wenigen Minuten stehe ich an der Sicherheitskontrolle, wo sich um diese Zeit nur ein paar andere Fluggäste tummeln. Die Frau staunt nicht schlecht, als ich meinen Rucksack fast vollständig entleere und mehrere Plastikboxen mit Elektronikkram aufs Band lege. Alles ordentlich verpackt natürlich! Da kommen wohl insgeheim meine schwäbischen Wurzeln durch, denn mein ältester Vorfahre, ein gewisser Nepomuk Hiesinger, stammte aus Tapfheim, südöstlich des Ries-Kraters, also in bayerisch Schwaben. Dank der Boxen geht das Auspacken, Scannen und Einpacken flott von der Hand. Als Belohnung gibt es dann in der Lounge bei den K-Gates erst einmal einen ordentlichen doppelten Espresso. Der Betriebsdruck steigt auf 120/80 mmHg. Ah, jetzt hat der Tag wirklich begonnen! Jetzt sehe ich auch, dass es regnet und fühle es nicht nur! Rühreier, Schweinswürstchen, Tomaten, Champignons und ein Rösti ergänzen den Kaffee zu einem Frühstück, wie ich es auch vor ein paar Tagen in Schottland genossen habe. Im Hotel war um diese Zeit noch nicht an Frühstück zu denken und ich bin froh, dass ich Zugang zur Lounge habe, weil das das Leben um einiges leichter macht. Ich nutze die Zeit, um weiter am Projektantrag zu schreiben und die ersten Blogzeilen des Tages aufs elektronische Papier zu bekommen. Sieben Uhr morgens und Kreativität beim Schreiben sind allerdings nicht unbedingt deckungsgleich, aber was solls? Es muss halt gemacht werden.
Abfluggate ist heute K06. Der Flug verlässt das Gate mit der deutschlandweit üblichen Verspätung von 40 Minuten. Da aber nur sehr wenige Passagiere heute morgen mit mir nach Oslo wollen, ist dies kein weiterer Beinbruch. Wir Überfliegen die dänische Südsee und ich denke den kleinen Belt erkannt zu haben. Jedenfalls fliegen wir der schwedischen Küste entlang nach Norden. Durch die wenigen Wolkenlücken war leider nicht viel zu sehen aber über einen großen Off-Shore Windpark reißt der Himmel dann doch pünktlich auf. Ist schon ein beeindruckender Anblick, wie die Windräder in Reih und Glied in der Ostsee stehen. Auch einige große Frachtschiffe kann ich erkennen, die mich daran erinnern, wie stark befahren dieser Teil der Ostsee ist.
In Oslo bin ich in wenigen Minuten in der Lounge, um weiter am Projektantrag zu schreiben. Nicht einmal eine Tasse Kaffee gönne ich mir! Ich habe auch nicht viel Zeit, denn ich muss noch durch die Passkontrolle. Gott sei Dank bleibt mir ein erneuter Gang durch die Sicherheitskontrolle erspart. Wer sagts denn! Dank automatisierter biometrischer Passkontrolle bin ich viel schneller durch als gedacht und so stehe ich bereits kurz danach am Gate F15, um auf den Flug nach Longyearbyen zu warten. Die Zeit wird mir kurz, weil ich in der Menschenmenge eine Baseball-Kappe sehe, die nur Mike gehören kann. Und so ist es dann auch. Wir freuen uns beide uns zu sehen. Mike ist heute Morgen bereits um 9:30 Uhr in Oslo angekommen, hat allerdings den ganzen Morgen damit verbracht, Zollformalitäten zu erledigen. Er hat zwar eine Exporterlaubnis für seine Geräte aber leider keine Importerlaubnis. Niemand hat ihn darüber informiert und so musste er heute alles auf die Schnelle erledigt bekommen. Was für ein Stress! Da verblassen unsere Zollschwierigkeiten vollständig dagegen. Schließlich hilft ihm jemand bei der Firma Maersk. Er wird dafür später eine Rechnung bekommen, hieß es! Zusätzlich musste er eine größere Summe an Kaution hinterlegen. ARRRGGHHH! Das tut richtig weh und ich kann nur hoffen, dass er sein Geld zurück bekommt. In ein paar Monaten, hieß es!
Trotzdem freuen wir uns nun gemeinsam auf Spitzbergen und stellen überrascht fest, dass auch Mike in der Business-Klasse sitzt. Er auf 2D, ich auf 2A. Als ob wir es so geplant hätten. Für ihn konnte die NASA kein billigeres nicht erstattbares Ticket kaufen. Er soll sich das teure Business Class Ticket privat kaufen und wird später sein Geld zurück bekommen, hieß es! Wenn also alles schief läuft für Mike, dann kann das ein recht teurer Spaß werden. Ich drücke ihm jedenfalls schon jetzt die Daumen, dass alles ein gutes Ende nimmt. Zumindest haben wir ein Sandwich auf dem Flug nach Longyearbyen bekommen und auch die Getränke sind frei während ein paar Sitzreihen hinter uns selbst für Wasser gezahlt werden muss. Ist schon etwas schäbig! Ansonsten verläuft der Flug ruhig. Leider ist es aber wolkig, so dass erst einmal nichts zu sehen ist oder berichtet werden müsste.
Zur Sicherheit hole ich aber doch die Kamera aus dem Rucksack und siehe da, kaum das ich wieder meinen Fensterplatz eingenommen habe, sehe ich auch schon die ersten Berge durch die immer noch sehr dicht Wolkendecke schimmern. Gute Fotobedingungen schauen anders aus aber ich knipse trotzdem drauf los. Ist einfach immer wieder schön und aufregend die grandiose Landschaft von oben zu sehen. Und der Anflug auf Longyearbyen ist dabei immer etwas besonderes. Er weckt die Vorfreude auf das, was noch kommen wird und ist wie ein Heimkommen für mich. Auf diesen Tag habe ich lange gewartet und mich sehr darauf gefreut. Nun liegt Spitzbergen unter mir und ich sehe sofort, dass relativ wenig Schnee liegt und an vielen Stellen bereits wieder blankes Eis sichtbar ist. Kein gutes Zeichen! Und sicher kein Zeichen, dass wir den Klimawandel auch nur halbwegs unter Kontrolle haben bzw. verlangsamen. Ganz im Gegenteil. Trotz der fantastischen Aussicht blutet einem das Herz. Wie wird Spitzbergen wohl in 10, 20 oder 30 Jahren ausschauen? Um die 30-Jahr Marke noch mitverfolgen zu können, wird es bei mir ja aller Voraussicht etwas knapp werden, aber interessieren würde es mich schon. Vielleicht sitze ich dann ja mit einem Longdrink mit Schirmchen bei 25°C auf dem Oberdeck eines Kreuzfahrtschiffs und lasse die eisfreie Landschaft an mir vorüberziehen. Da war vor 30 Jahren noch ein Gletscher werde ich vielleicht sagen und Mitreisende werden nicht mehr wissen von was ich rede und vermutlich attestieren, dass ich alterssenil bin. So könnte es ablaufen. Kein wirklich schöner Gedanke, der sofort wieder vertrieben werden muss! Gelingt auch ganz gut, denn mittlerweile fliegen wir auf Bergeshöhe das Adventdalen entlang in Richtung Flughafen. Jetzt, da wir unterhalb der Wolkendecke sind, mache ich ein Video vom Landeanflug mit meinem Handy. Wir fliegen in Richtung Nordwesten und da ich auf der linken Seite des Flugzeugs sitze, zieht Longyearbyen in all seiner Pracht vorbei. Schließlich rumpelt es kurz und wir sind gelandet. Welcome home!
Im Anflug auf Longyearbyen entlang dem Adventdalen.
München, 11 °C, regnerisch, Oslo 15°C wechselnd bedeckt, Longyearbyen 11°C. Die Frisur hält! Ganz ohne Drei-Wetter Taft! Vielen wird diese Reklame aus den späten 80er oder frühen 90er Jahren nichts mehr sagen, aber damals ist eine sehr gut aussehende Geschäftsfrau durch die Welt gejettet und ihre üppige blonde Frisur war immer völlig perfekt und makellos. Dank Drei-Wetter Taft eben! Auch meine Frisur ist perfekt und makellos, denn der berühmte 5-Klingenrasierer einer bekannten Marke hat heute Morgen ganze Arbeit geleistet. Drei-Wetter Taft würde völlig versagen, meine grandiosen sub-Millimeter Stoppel in Form zu bringen. Ab heute werde ich mich aber nicht mehr rasieren und mich systematisch und mit Ansage verwahrlosen lassen bis ich wieder nach Münster komme. Ist ja auch wärmer obenrum, wenn man dort noch ein oder zwei Haare sprießen hat. So zumindest der Plan! Survival pur!
Das Gepäck von Mike und mir kommt vollständig an, was schon mal eine große Erleichterung ist. Die Gepäckausgabe gestaltet sich allerdings interessant, da eine halbes Flugzeug voller Chinesen auf Kreuzfahrttour versuchen, gleichzeitig ihr Gepäck aufzusammeln und damit mehr oder weniger alles blockieren. Sehr witzig zu beobachten, wie die Gruppendynamik um sich greift. Also nichts wie weg! Das Taxi ist schnell gebucht und in weniger als 5 Minuten steht es vor dem Flughafen. Heute Morgen hat es in Halbergmoos deutlich länger gedauert. Wir teilen uns das Taxi mit einer anderen Person, was den Vorteil hat, dass wir auch die Rechnung teilen. Eine Win-Win Situation. Witzig ist auch, dass mir der Taxifahrer erklärt, dass wir bei Mary Ann‘s Polarrigg, unserem Hotel, angekommen sind. Als ich ihm sage, dass wir hier seit sechzehn Jahren herkommen, ist er sichtlich beeindruckt. In der Tat gibt es vermutlich wenige Personen, die so lange jedes Jahr nach Spitzbergen kommen wie wir.
Ein paar Minuten stehen wir vor dem Eingang zur Rezeption, wo uns Nico schon freudig erwartet. Er hat bereits unser Doppelzimmer bezogen und reicht mir den Schlüssel mit einem Stück Rentiergeweih, in das die Zahl 105 eingraviert ist. Aus welchem Grund auch immer wurden wir dieses Jahr upgegradet, wie man so schön auf Bayerisch sagt. Wir haben ein Zimmer mit eigener Dusche! So etwas hatten wir noch gar nie nicht in Longyearbyen. Es ist die Captain’s Cabin, so jedenfalls steht es an der Türe. Soll mir recht sein, auch wenn wir den Luxus nur für eine Nacht genießen können. Nachdem das Zimmer bezahlt ist, satte 215 Euros, und das Gepäck ins Zimmer gebracht wurde, meldet sich bei Mike und Nico der Hunger. Also gehen wir kurzerhand in unser Stammcafé, um ein Sandwich zu essen und Kaffee zu trinken. Bei mir wird es aber eine Hefeschnecke, weil ich nicht sonderlich hungrig bin. Und natürlich stelle ich schon jetzt fest, dass ich eventuell meine Mütze vergessen haben könnte, denn in der Eile ist sie nicht auffindbar. Der Versuch eine neue zu kaufen scheitert recht sang- und klanglos daran, dass es mittlerweile 18:00 Uhr ist und alle Läden schließen bzw. bereits geschlossen haben.
Das verlangt nach drastischen Maßnahmen! Also nichts wie auf zur Kroa Bar, um ein Erfrischungsgetränk zu uns zu nehmen und gleichzeitig eine Reservierung fürs Abendessen zu machen. Laut Bedienung ist der Norwegian Flug von Ernst und Andreas etwas verspätet und wird erst um 19:15 Uhr erwartet. Bei der zweiten Runde Bier klinke ich mich aus. Denn erstens ist noch am Projektantrag zu schreiben und zweitens muss ja jemand Ernst und Andreas in den Masterplan für den heutigen Abend einweihen und sie abholen. Ich laufe also zurück zum Hotel und warte auf sie. Hey, und um 19:58 Uhr sind sie auch schon da. Jetzt ist das Team komplett und der Spaß kann beginnen! Wir starten in der Kroa Bar. A tradition is a tradition is a tradition. Was soll ich dazu groß sagen?
Fotos
2.7.2024
Nun ist es also wieder soweit! Ich sitze am Flughafen Münster-Osnabrück und warte auf meinen Flug nach München. Morgen soll es dann über Oslo weiter nach Longyearbyen auf Spitzbergen gehen. Wie so oft im Leben ist dieses Jahr vieles anders und neu während sich manche Dinge nie ändern. Was sich nie ändert ist zum einen die Hektik des letzten Tages und die ständigen Gedanken nur ja alles einzupacken und nichts Wesentliches zu vergessen. Den heutigen Tag habe ich zum Großteil noch im Büro verbracht. Ein letztes Mitarbeitertreffen vor der Abreise wurde kurz und knackig über die Bühne gebracht und die Elektronikwerkstatt wegen ein paar letzter Tipps und Informationen kontaktiert. Wie immer sind die Leute dort sehr nett und hilfreich und auch am Blog interessiert. Da hat es natürlich gut gepasst, dass schon etwas Text und ein paar Bilder auf der Institutswebseite zu finden sind, auf die ich sie verweisen kann. Also, wenn Ihr diese Zeilen lest, dann nochmals „Danke“ für die Hilfe. Das Kabel ist übrigens bestellt – wie besprochen! Als besonderes Schmankerl waren heute noch ein paar längst überfällige und immer wieder aufgeschobene Dienstreiseabrechnungen zu machen. Habe ich schon erwähnt, dass ich es wirklich hasse, diese Reiseabrechnungen zu machen? Das SAP Formular tut seinen Teil dazu! Wenn so Digitalisierung ausschaut, bleibe ich lieber bei einer Schiefertafel! Parallel zu den Reiseabrechnungen musste auch noch das ArcGIS Projekt der Kvadehuksletta-Region auf den Laptop kopiert werden. ArcGIS ist durchaus vergleichbar mit SAP. Man kann fast schon die Uhr danach stellen, dass beides nicht auf Anhieb funktioniert. Aber schließlich hat es Adam geschafft und ich kann die Datei problemlos auf dem Laptop öffnen. Heureka! Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Wenn die beiden Dinge zusätzlich unter Zeitdruck gemacht werden sollen und nicht funktionieren, verbessert das nicht unbedingt meine Laune. Denn eigentlich wollte ich gegen Mittag zuhause sein und nun ist es schon 13:30 Uhr und ich sitze immer noch am Schreibtisch. Um 14:45 Uhr ist es dann tatsächlich soweit. Die letzten Sachen werden in die Rucksäcke gestopft und ich denke, mein Gepäck ist noch leichter als im letzten Jahr und viel leichter als in allen Jahren zuvor. Ich werde besser darin, die wesentlichen Dinge zu identifizieren und einzupacken. Ernst werde ich aber wohl nie schlagen, denn sein Rucksack ist bestenfalls halb so schwer wie meiner. Neu ist auch, dass ich bereits gestern einen Großteil meiner Ausrüstung „vorpacken“ konnte, nachdem ich bereits am Wochenende alle Elektronik getestet und alle Akkus geladen habe. Auch ein paar saubere Unterhosen und Socken hat die Waschmaschine noch ausgespuckt. Ich bin also ausnehmend gut vorbereitet, so dass eigentlich alles passen sollte. Eigentlich!
Eine weitere Änderung gegenüber der „same procedure as every year“ ist, dass ich heute alleine unterwegs bin. Nico hat einen anderen Flug gebucht bzw. wurde zigmal umgebucht, so dass wir dieses Jahr getrennt auf dem Weg nach Spitzbergen sind. Es ist wirklich nervig, wie oft Lufthansa bzw. SAS die Flugverbindungen in den letzten Monaten geändert hat und Nico, aber auch Carolyn und die Kinder, mehr oder weniger willkürlich umgebucht hat. Ein gebuchter Abflug aus Oslo bevor man dort überhaupt ankommt war ein kleines Highlight, das von Carolyn nicht unbedingt geschätzt wurde. Aber wenigstens hat sie es frühzeitig gemerkt und, Ihr erratet es, umbuchen können. Auch die anderen SPLAM Mitglieder werde ich bis auf Mike erst in Longyearbyen sehen. Auch das ein Novum, weil wir sonst immer Oslo als Treffpunkt hatten und von dort gemeinsam nach Longyearbyen flogen. Wenigstens werden sich Mikes und meine Wege in Oslo kreuzen. Andreas und Ernst kommen mit dem Flug von Norwegian Airlines ins gelobte Land, während der Rest der Truppe auf SAS vertraut. Generell ist der Flugplan nach Longyearbyen recht umständlich geworden, weil man entgegen früherer Jahre nicht mehr an einem Tag nach Longyearbyen kommt. Nico wird also in Kopenhagen übernachten und ich in München. Auch Carolyn wird es nur bis Oslo schaffen. Ganz egal, welche Flüge man also bucht, man strandet immer irgendwo.
So sitze ich also in der Lounge am Flughafen in Münster, sinniere so vor mich hin und schreibe am Blog. Gerade habe ich mich damit wohlwollend vertraut gemacht, dass es nun endlich wieder nach Spitzbergen geht, als mein Hany rumort und damit eine eingehende Nachricht kundtut. Es ist Carolyn! Unser LROC Projektantrag an dem wir seit längerer Zeit arbeiten muss JETZT ganz schnell fertig werden. Perfektes Timing! Hurra, kann ich nur sagen! Nur gut, dass wir schon den Großteil fertig haben. Aber es wird sicher eine lange Nacht werden, um daran weitere Fortschritte zu machen. Da sind die Gedanken an die schöne Zeit in Spitzbergen auch schon wieder in die zweite Reihe gerutscht. Von einer Sekunde auf die andere! Wer auf DMAX die Sendung Steel Buddies anschaut, der kennt den Kommentar, der jetzt folgt nur zu gut: „Volle Katastrophe!“, wie Michael Manousakis aus Peterlahr zu sagen pflegt. Und recht hat er. Aber viel Zeit zum Lamentieren bleibt nicht. Ich muss mich von meinem zweiten doppelten Espresso losreißen und ins Flugzeug nach München einsteigen. Boarden auf neudeutsch! Aus unerfindlichen Gründen war die Business Class bei der Buchung billiger, als die Economy Klasse und so genieße ich jetzt ein kleines Abendessen und einen hervorragenden Pfälzer Spätburgunder. Und die Flugbegleiterin ist extrem nett und will mir gerne eine zweite Flasche Rotwein gönnen. Da muss ich aber passen, denn man kennt ja seine Grenzen und mit 0,5 l Rotwein ist es auch wenig effektiv und spaßig am Projektantrag zu arbeiten. Schade eigentlich!
Die Piloten verstehen ihr Handwerk, so dass der Flug ohne Probleme verläuft und ich in kürzester Zeit in München bin. Zwar haben wir eine Außenposition. Aber die ist direkt am Terminal und in Reihe 3 sitzend, bin ich der erste, der das Flugzeug verlässt. Nicht ohne mich bei der Flugbegleiterin für den super Service zu bedanken! Auf dem Weg nach Draußen bemerke ich, dass die Piloten das EM-Spiel Österreich-Türkei auf dem Handy anschauen. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass sie das Ding erst nach Erreichen der Parkposition angemacht haben. Das Gepäck ist bereits bis Longyearbyen durchgecheckt und so stehe ich auch schon vor der Flughafentür. Das Taxi bring mich im Handumdrehen nach Halbergmoos, wo ich im B&B Hotel für 106 Euros meine Bleibe für die Nacht aufschlage. Alles sauber und gut und eine freundliche Empfangsdame gibt es auch noch dazu. Was ist eigentlich heute los? Alle sind freundlich? Auch der Taxifahrer. Ich entschuldige mich bei Ihm, dass er nach langem Warten nur eine kurze Fahrt mit mir machen kann. Aber er meint, dass das zum Geschäft gehöre und er immer positiv denke. Na wenigstens kann ich mit ihm einen Deal verabreden. Er wird mich nämlich morgen um 6:00 Uhr am Hotel abholen und mich zurück zum Flughafen bringen. Somit hat er zumindest zwei Fahrten ergattert. Geht doch!
Der Rest des Abends wird mit Schreiben verbracht: Blog und Projektantrag lassen die Finger über die Tastatur fetzen. Na gut, mein Zwei-Finger-System verwendet nur die zwei Zeigefinger und von Fetzen kann bei meinem Rumhacken auf der Tastatur auch keine Rede sein. Wie heißt es schon bei Karl dem Großen „O wie schwer ist doch die Schreibkunst: sie ermüdet die Augen, bricht die Seele und schwächt alle Glieder. Drei Finger schreiben, aber der ganze Körper leidet“ Sinngemäß gilt dies noch immer! Manche Dinge ändern sich einfach nie!
Fotos
Präambel
25.6.2024! T-7 Tage! Der Countdown läuft! Und Houston, wir haben kein Problem! In sieben Tagen ist es endlich wieder soweit und das weltberühmte und berüchtigte SPLAM-Team wird sich in all seiner Herrlichkeit auf den Weg nach Spitzbergen machen. Neben der schon üblichen Kernmannschaft, bestehend aus Ernst Hauber vom DLR in Berlin, Andreas Johnsson von der Universität Göteborg, Nico Schmedemann und Harald Hiesinger von der Universität Münster, wird dieses Jahr Mike Zanetti von der NASA mit uns in den hohen Norden kommen. Wer den Blog schon länger verfolgt wird vielleicht feststellen, dass Nico und ich neuerdings von der Universität Münster kommen und nicht mehr von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Universität hat nämlich nach einem längeren Prozess entschieden, sich umzubenennen.
Mike ist ein ehemaliger Master-Student von mir und ein alter Hase, denn er war in der Vergangenheit schon mehrmals mit uns in Spitzbergen. Legendär war sein mehrtägiges Auskochen eines gefundenen Rentierschädels samt großem Geweih, um ihn als Souvenir mitzunehmen. Ein Unterfangen, das geradezu grandios gescheitert ist. Es hatte aber damals durchaus einiger Überzeugungskraft der gesamten Mannschaft bedurft, ihm dieses Unterfangen letztlich auszureden. Wir würden vermutlich noch heute beim Zoll bei der Einreise nach Deutschland stehen und ich hoffe, dass er nicht wieder derartige glorreiche Ideen bekommt! Aber mittlerweile ist er ja wieder in den USA. Ich bezweifle jedoch, dass es einfacher wäre so ein „Mitbringsel“ dort zu importieren. Mike bringt ein sog. LIDAR Instrument mit, das es uns ermöglichen wird, hochgenaue Höhenmodelle zu generieren. Man kann sich das Gerät so vorstellen, dass man es in einer Art Rucksack auf dem Rücken trägt und es konstant mittels Laser die Umgebung abtastet. Wenn man einfach durch das Gelände läuft, ergibt sich dadurch ein genaues Abbild der Topographie. In Verbindung mit unseren Stereomodellen aus Bilddaten sollte das die genaueste Topographieinformation überhaupt ergeben. Natürlich war Nico im letzten Jahr seit unserer Rückkehr aus Spitzbergen nicht untätig und hat sehr schöne Höhenmodelle unserer Untersuchungsgebiete berechnet und zu Animationen verwendet. Die Daten dafür stammen sowohl von Aufnahmen mittels eines langen Stocks an dessen Ende sich eine Kamera befand, von unserer kleinen, an einem Drachen befestigten Kamera und auch von der MACS-Kamera mit der wir 2020 unsere Untersuchungsgebiete überflogen. Die spektakulären Ergebnisse seht Ihr in den zwei Filmen. Ich finde sie einfach nur saustark und sie werden uns gute Dienste erweisen, um Veränderungen der Oberflächenmorphologie festzustellen und zu quantifizieren.
Adam Johantges hat sich seit letztem Jahr mit der Auswertung der Bodenradardaten gekümmert und tolle Ergebnisse erarbeitet, die nun mehr oder weniger zur Publikation fertig sind. Mit diesen Daten erhalten wir einen Einblick in die Schichten und den Eis/Wassergehalt des Bodens, eine Perspektive, die wir bisher nur durch mühsames Graben erhalten konnten. Für dieses Jahr ist geplant, die Bodenradardaten mit gezielten Grabungen zu verifizieren. So haben uns die ausgewerteten Daten des Bodenradars in der Planung unseres diesjährigen Aufenthalts wesentlich beeinflusst. Auch unsere zahlreichen Videokonferenzen mit Bernard Hallet, Jaako Putkonen, Ivar Berthling und anderen großartigen und erfahrenen Arktisforschern waren für uns sehr lehr- und hilfreich. Viele Fragen und Ideen, die uns seit langem in Bezug auf die Bildung und Entwicklung unserer geliebten Steinkreise durch den Kopf gingen, wurden von Bernard wohlwollend aufgenommen. Zumindest hat er uns nicht sofort für völlig verrückt erklärt und es scheint, als ob wir tatsächlich eine Strategie hätten und wissen, was wir tun! Eine völlig neue Erfahrung!
Sollte alles gut gehen, werden wir dieses Jahr auch neue Daten einer Flugzeugbefliegung erhalten. Ähnlich wie im Jahre 2020, wird die MACS-Kamera des DLR in Berlin wieder auf einem AWI-Flugzeug unsere Untersuchungsgebiete abdecken. Der große Vorteil dieses Jahr ist aber, dass wir zur Zeit der Befliegung vor Ort im Gelände sein werden, um z.B. Referenzpunkte auszulegen und zeitgleiche Messungen am Boden durchführen können. Mit diesen Daten lassen sich ebenfalls Höhenmodelle errechnen, die wir mit jenen aus dem Jahr 2020 direkt vergleichen können. Somit werden wir kleine und natürlich auch große Veränderungen in der Landschaft feststellen können, aus denen wir abschätzen können, wie schnell die geologischen Prozesse von statten gehen. Ein weiterer Vorteil der MACS-Daten ist deren Farbinformation. Speziell ein Filter im nahen Infrarot wird uns anzeigen, wo sich Vegetation befindet und welche Gebiete erst vor so kurzer Zeit überprägt wurden, so dass sich noch keine neue Vegetation bilden konnte. In den Daten aus dem Jahr 2020 sehen wir z. B. dass die Schuttfächer entlang der Bergkette im Untersuchungsgebiet völlig frei von Vegetation sind, weil sie ständig aktiv sind und immer wieder Material von oben herunterfällt.
Wir sind alle schon sehr gespannt auf die neuen Daten des LIDAR-Instruments und der Befliegung und können es kaum mehr erwarten, nach Ny Alesund zu kommen. Eigentlich sollte alles gut vorbereitet sein. Wie üblich gibt es aber auch immer ein paar Dinge, die uns Kopfzerbrechen machen. So sind z.B. einige Dokumente im Nirwana des Zollprozederes auf unerklärliche Weise abhandengekommen. Nicht unser Fehler aber doch ein Punkt der uns beunruhigt, weil wir natürlich keine Probleme bei der Wiedereinfuhr unserer Ausrüstung haben wollen und im schlimmsten Fall womöglich Zollgebühren zahlen müssen. Nico arbeitet seit Wochen daran und wir hoffen, dass wir noch alles vor unserer Abfahrt auf die Reihe bekommen. Es bleibt wie üblich spannend! Von meiner Seite aus als Expeditionsleiter ist alles klar. Die Ausrüstung und unser Essen sind verschifft und sollten in Ny Alesund auf uns warten. Die Flüge sind gebucht, alle Anmeldungen wurden über die RIS-Webseite (Research in Svalbard) erledigt, das Team in Ny Alesund weiß, dass wir kommen und wir haben alle Genehmigungen und Dokumente, die wir brauchen. Sei es um zu graben, Proben zu nehmen, Steinmännchen zu bauen oder sonst was. Leider wird das Genehmigungsverfahren zunehmend komplizierter und so erhielten wir dieses Jahr doch etliche Rückfragen der Genehmigungsbehörden zu unseren Anträgen. Das muss wohl so sein, macht aber auch viel extra Arbeit und ist zugegebenermaßen auch nervig. Ähnlich nervig sind die kurzfristigen Änderungen im SAS-Flugplan, die vor allem Nico betroffen haben und ein Umbuchen erforderlich machten. Aber was tut man nicht alles, um nach Spitzbergen zur Feldarbeit zu kommen. Und jetzt sollte ja alles erledigt sein. Also Schwamm darüber! Wir sind bereit zu neuen Abenteuern!
Eine wesentliche Neuerung im Ablauf meiner Reise gilt es noch zu erwähnen. Nachdem die Arbeiten in Ny Alesund beendet sein werden, werde ich nicht mit dem Rest des Teams zurückreisen. Vielmehr werde ich in Longyearbyen bleiben und mich dort mit meiner Familie treffen. Ich denke, es ist sehr wichtig für meine Kinder zu sehen und zu erfahren, wie zerbrechlich die Arktis wirklich ist und wie stark sich der Klimawandel dort bemerkbar macht. Ich freue mich schon sehr darauf ihnen alles zu zeigen und habe schon jetzt Tagesfahrten mit einem Schiff nach Pyramiden und Barentsburg gebucht. Beide Ansiedlungen werden laut Wikipedia überwiegend von Russen und Ukrainern bewohnt. Pyramiden ist allerdings seit dem fast fluchtartigen Verlassen Ende 1998 mehr oder weniger eine Geisterstadt. Ich war vor vielen Jahren bereits einmal in Pyramiden und war damals schwer beeindruckt, weil man ständig das Gefühl hatte, dass die Bewohner gleich wieder um die Ecke biegen werden. Zurückgelassene Musikinstrumente, Blumentöpfe auf der Fensterbank und ähnliches geben einem diesen Eindruck. Beeindruckt und nachdenklich hat mich damals speziell auch die großen Leninbüste gemacht, die in dieser Umgebung mehr als deplatziert wirkt. Wie früher in Pyramiden, wird in Barentsburg, dem zweitgrößten Ort auf Spitzbergen, noch heute Kohle abgebaut. Aber auch hier sinkt die Bevölkerungszahl kontinuierlich und liegt heute nur mehr bei ca. 300-400 Bergarbeitern im Vergleich zu den bis zu 1450 Einwohnern in den 1990er Jahren. Diese Abnahme ist sicher auch dem Abwandern ukrainischer Bergarbeiter seit der Invasion Russlands geschuldet. Man wird somit auch auf 78° N von den geopolitischen Ereignissen eingeholt, speziell da mit dem weiteren Abtauen des Eises im Nordpolarmeer, Spitzbergen eine zunehmende Bedeutung als Eingang zur Nordwest- bzw. Nordost-Passage gewinnt. Wie dem auch sei, momentan interessiert mich mehr, ob auch meine Familie vom Spitzbergen-Virus befallen wird. Mich hat er jedenfalls voll erwischt! Einmal infiziert, gibt es kein Zurück und keine Hoffnung auf Heilung. Gut so! Ich zähle die Tage!