12.7.2023
Der Wecker beginnt seine Arbeit heute um 4:30 Uhr. Da bin ich aber schon in der Dusche, denn der „Schmedddemann Charakter“ hat schon vorher Rabatz gemacht und mich aufgeweckt. Das kommt mir sehr gelegen, denn so kann ich ein paar Minuten länger duschen bevor der Rest der Mannschaft ins Badezimmer drängt. Der Weg über die Straße in den Flughafen wird auch ohne einen ersten Kaffee geschafft. Der Abflugbereich des Osloer Flughafens ist um diese Zeit, um kurz vor 5:00 Uhr, bereits recht voll, was uns alle doch sehr überrascht. Jetzt machen sich die paar Minuten bezahlt, die wir gestern in das online Einchecken investiert haben. Denn wir sind nun fein raus und können mit unserem Handgepäck direkt zur Sicherheitskontrolle gehen. Einzig Ernst muss in den sauren Apfel beißen und sein Gepäck einchecken. Wir sind ja gestern mit SAS hier angekommen, aber sein Weiterflug nach Berlin wird von Norwegian Airlines durchgeführt. An der Sicherheitskontrolle habe ich leider eine Familie vor mir, die jetzt anfängt ihre Shampoo- und sonstige Flüssigkeiten in Plastiktüten zu verpacken. Die restlichen Familienmitglieder, die aus irgend einem Grund hinter mir in der Schlange endeten, drängen nun nach vorne, um auch eine Plastiktüte zu bekommen. Unnötiges Chaos am frühen Morgen, vor dem ersten Kaffee, kommt bei mir sehr quer an. Aber insgesamt geht es dann doch halbwegs zügig und so sitzen wir schon bald am Gate D11, wo wir auf unseren Flug nach Frankfurt warten. Ernst kommt irgendwann noch dazu und wir ratschen noch etwas. Allerdings sind wir alle eher wortkarg an diesem Morgen. Um 6.00 Uhr fangen wir an zu boarden, das heißt sich von Ernst zu verabschieden, dessen Flug erst um 7:00 Uhr Oslo verlassen wird. Trotzdem wird er vor uns zu Hause sein, weil es einen Direktflug in die Hauptstadt gibt, während wir uns den schönen Frankfurter Flughafen noch ausreichend anschauen dürfen.
So, jetzt wollte ich eigentlich beschreiben wie schön der Flug ist, wie spektakulär die unter uns vorbeiziehende Landschaft ist, wie grandios der Lufthansa-Service in der Economy-Klasse ist und welche netten Unterhaltungen ich mit meiner Sitznachbarin gehabt habe. Leider kann ich von nichts dergleichen berichten! Die wenigen Stunden Schlaf fordern nun ihren Tribut und ich schlafe noch vor dem Abflug ein. Wach werde ich erst wieder im Landeanflug auf Frankfurt. Perfektes Timing! Vermutlich nichts Großes verpasst. Die Landschaft in Norwegen und Spitzbergen ist sicher spektakulärer, auf das Wasser der Lufthansa kann ich um diese Zeit auch getrost verzichten und meine Sitznachbarin hat vor dem Abflug an ihrem Handy rumgespielt und macht das auch noch als ich wieder wach werde.
Der Bus bringt uns um ca. 9:00 Uhr von einem Außengate zum Flughafengebäude. Unser Abfluggate nach Münster ist A23. Da das Boarden erst um 12:45 Uhr beginnen wird, müssen wir ein paar Stunden überbrücken. Erst ein Mal Kaffee! Direkt neben dem Gate gibt es einen Laden „Scoom“, wo wir fündig werden. Adam und ich wundern uns wie man auf so einen Namen kommt, denn jeder von uns hat weniger appetitanregende Assoziationen. Egal, der doppelte Espresso belebt die Lebensgeister und eine Butterbreze befriedigt den ersten Hunger des Tages. Nico meint, dass er in seinem Leben vielleicht 1-2 Brezn gegessen hat. Das ist unglaublich und mir ist buchstäblich unklar, wie er ohne Brezn so alt hat werden können.
Gegenüber ist ein Laden eines bekannten Ledertaschenherstellers. Die Verkäuferin sitzt einsam und verlassen auf ihrem Stuhl und wartet auf Kundschaft. Irgendwann fängt sie an, die Taschen abzustauben. Dann wieder warten. Das wäre nichts für mich. Sie blüht förmlich auf, als ein Lufthansa-Kapitän mit seiner Frau tatsächlich etwas kauft. Ich habe noch nie gesehen, dass in solchen Läden irgendwer irgendetwas kauft. Erstaunlich!
Zwischen unserem Sitzplatz und dem Lederladen strömen die Passagiere in beiden Richtungen an uns vorbei. Es ist wie in einem Film. Erstaunlich wie viele unterschiedliche Gangarten man beobachten kann. Schlendern, laufen, weite lange Schritte, kurze schnelle Schritte, mit Armen weitausholend, nicht ausholend, weit nach vorne gebeugt, Oberkörper steif wie ein Brett, manchmal sogar nach hinten gelehnt. Es ist alles Vorstellbare und mehr mit dabei. Und dann noch die Klamotten. Absonderliche Hawaiihemden und Shorts, die berühmten Sandalen mit weißen Socken, lächerliche Sonnenhüte, die niemand sehen will, blaue Anzüge mit braunen Schuhen, kurze Kleider, noch kürzere Kleider, Leggins zwei Nummern zu eng, ähnlich zu kleine T-Shirts, die kaum den Bierbauch verdecken, Muscle Shirts, wo man wirklich kein solches bräuchte. Und ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Gepäckstücken, die von der Plastiktüte, Pappkartons, grell bunten Trolleys bis zum exklusiven Aluminiumkoffer einer bekannten Firma reichen. Alles kann, nichts muss! Ein Panoptikum menschlicher Vielfalt auf ein paar Quadratmetern. Im Prinzip sollte man hier einfach eine Kamera mitlaufen lassen. Endlos Schleife. Director`s cut!
Und natürlich wäre Frankfurt nicht Frankfurt, würde es nicht in fast letzter Minute eine Änderung des Abfluggates geben. Das neue Gate ist jetzt A64. Also einmal quer durch den A-Bereich. Aber wir haben heute ja genügend Zeit! Ich rufe Carolyn kurz an und teile ihr mit, dass wir voraussichtlich pünktlich sein werden, so dass sie uns vom Flughafen in Münster abholen kann. Ich muss mich nämlich sputen, um noch Andreas Nathues zu treffen. Er ist heute der Vortragende in unserem Institutskolloquium, mit dem wir auch zukünftige gemeinsame Arbeiten an den Asteroiden Vesta und Ceres diskutieren wollen. Auch ein Student will sich noch mit mir treffen. Volles Programm also für heute Nachmittag.
Das Gepäck kommt vollständig in Münster an, den Zoll interessiert unsere orange Kiste nicht und so stehen wir sehr zügig vor der Flughafentüre, wo uns Carolyn bereits erwartet. Ein paar Minuten später parken wir vor Nicos Wohnung und laden sein Gepäck aus. Das Prozedere wiederholt sich bei uns zu Hause und nachdem ich die Kinder in den Arm genommen und begrüßt habe und meine Mitbringsel verteilt habe, bin ich auch schon auf dem Weg ins Büro. Der normale Wahnsinn hat uns wieder.
Damit neigt sich auch der Blog zu seinem wohlverdienten Ende. Ich habe über unsere Feldsaison in Ny Alesund berichtet, die ich wirklich sehr genossen habe. Wir hatten eine prima Stimmung im Team, es ist kein einziges böses Wort gefallen, wir haben viele Dinge erledigen können, haben Abstriche bei anderen Dingen machen müssen und können insgesamt doch wieder recht zufrieden sein. Die Auswertung aller unserer Daten wird sicher Monate dauern und ich kann nur hoffen, dass sich jemand im Rahmen einer BSc- oder einer MSc-Arbeit dafür begeistern lässt. Viele Dinge waren dieses Jahr anders und nicht unbedingt besser. Zu nennen ist hier hauptsächlich die sehr teure und zeitraubende An- und Abreise. Besonders schmerzlich ist natürlich der Verlust unseres Bodenradars, mit dem wir dieses Jahr eigentlich besonders viel machen wollten. Aber solche Dinge passieren und man kann sich davor auch nicht hundertprozentig absichern, da es schlichtweg unmöglich ist, alles doppelt mitzunehmen. Gut und viel klarer verlief die logistische Vorbereitung und speziell die Kommunikation mit dem AWI in Bremerhaven. Dabei war auch die von mir entwickelte Check-Liste mit zu erledigenden Dingen, Deadlines und Ansprechpartnern sehr hilfreich. Auch hatte ich das Gefühl, dass die Research in Svalbard (RIS) Webseite etwas besser wurde, mit deren Hilfe, man seine Reiselogistik zu erledigen versucht. Das geht in die richtige Richtung. Trotzdem ist die Webseite sehr speziell geblieben und man tut sich schwer, sie so zu nutzen, dass man auch alles so organisiert bekommt, wie man es braucht. Anders würde ich nächstes Jahr auch das Timing unserer Hüttenaufenthalte gestalten. Ich denke, wir sollten nächstes Jahr wieder mehr Zeit auf den Hütten verbringen und vielleicht nur an einem Wochenende in Ny Alesund sein. Und auch der Blog wird sich vielleicht nächstes Jahr ändern und kürzer werden, da ich von mehreren Seiten zu hören bekommen habe, er sei zu lang und zu „ausführlich“. Vielleicht aber auch nicht! Denn der Blog ist ein sehr gutes „Gedächtnis“ unserer Aktivitäten und hat mir in der Vergangenheit schon mehrmals geholfen, bestimmte Daten und Fakten in den richtigen Kontext zu setzen. Und liest man ihn nach mehreren Jahren, werden dadurch viele schöne und weniger schöne Erinnerungen geweckt, die man nicht mehr wachrufen kann, wenn man es nicht auf Papier gebracht hat.
Nach diesen Gedanken zum Ablauf und der Logistik bleibt noch zu bemerken, dass die größte Änderung gegenüber den Vorjahren das Wetter war. Noch nie hatten wir so lange so gutes und stabiles Wetter. Bis auf wenige Stunden hatten wir dieses Jahr keinen Regen und die Sonnenscheindauer und die damit verbundenen Temperaturen waren beängstigend hoch. 14 Grad sind nicht normal in dieser Gegend und Adam konnte sich mit seiner sehr leicht gewählten Ausrüstung glücklich schätzen. Bei normalem Wetter hätte er sicher sehr schnell Probleme bekommen. Wir konnten buchstäblich miterleben, wie in kürzester Zeit sehr viel Schnee schmolz und so die Gletscher bereits sehr früh in der Saison schneefrei wurden. Gefühlt wird es auch immer „grüner“ in Spitzbergen. Waren es früher Grau- und Brauntöne, die das Landschaftsbild prägten, sehen wir heute Gras an viel Stellen. Der Wandel in der Arktis hat sich also aus meiner Perspektive eher verschärft und beschleunigt. Leider gehen die Veränderungen in die falsche Richtung. Aufwachen ist angesagt, auch wenn es weh tut! Und handeln! Jeder kann und muss etwas dazu beitragen! Und zwar jetzt und hier.
So, um die Doors zu zitieren: „This is the end“. Ab jetzt arbeitet die Zeit wieder für uns, denn mit jeder vergehenden Minute kommen wir unserem nächsten Besuch in Ny Alesund einen Schritt näher. Danke für das Interesse am Blog! Ich freue mich auf meine nächste Reise nach Ny Alesund und eine Fortsetzung unserer Arbeiten und des Blogs.