12.7.2023

Der Wecker beginnt seine Arbeit heute um 4:30 Uhr. Da bin ich aber schon in der Dusche, denn der „Schmedddemann Charakter“ hat schon vorher Rabatz gemacht und mich aufgeweckt. Das kommt mir sehr gelegen, denn so kann ich ein paar Minuten länger duschen bevor der Rest der Mannschaft ins Badezimmer drängt. Der Weg über die Straße in den Flughafen wird auch ohne einen ersten Kaffee geschafft. Der Abflugbereich des Osloer Flughafens ist um diese Zeit, um kurz vor 5:00 Uhr, bereits recht voll, was uns alle doch sehr überrascht. Jetzt machen sich die paar Minuten bezahlt, die wir gestern in das online Einchecken investiert haben. Denn wir sind nun fein raus und können mit unserem Handgepäck direkt zur Sicherheitskontrolle gehen. Einzig Ernst muss in den sauren Apfel beißen und sein Gepäck einchecken. Wir sind ja gestern mit SAS hier angekommen, aber sein Weiterflug nach Berlin wird von Norwegian Airlines durchgeführt. An der Sicherheitskontrolle habe ich leider eine Familie vor mir, die jetzt anfängt ihre Shampoo- und sonstige Flüssigkeiten in Plastiktüten zu verpacken. Die restlichen Familienmitglieder, die aus irgend einem Grund hinter mir in der Schlange endeten, drängen nun nach vorne, um auch eine Plastiktüte zu bekommen. Unnötiges Chaos am frühen Morgen, vor dem ersten Kaffee, kommt bei mir sehr quer an. Aber insgesamt geht es dann doch halbwegs zügig und so sitzen wir schon bald am Gate D11, wo wir auf unseren Flug nach Frankfurt warten. Ernst kommt irgendwann noch dazu und wir ratschen noch etwas. Allerdings sind wir alle eher wortkarg an diesem Morgen. Um 6.00 Uhr fangen wir an zu boarden, das heißt sich von Ernst zu verabschieden, dessen Flug erst um 7:00 Uhr Oslo verlassen wird. Trotzdem wird er vor uns zu Hause sein, weil es einen Direktflug in die Hauptstadt gibt, während wir uns den schönen Frankfurter Flughafen noch ausreichend anschauen dürfen.

So, jetzt wollte ich eigentlich beschreiben wie schön der Flug ist, wie spektakulär die unter uns vorbeiziehende Landschaft ist, wie grandios der Lufthansa-Service in der Economy-Klasse ist und welche netten Unterhaltungen ich mit meiner Sitznachbarin gehabt habe. Leider kann ich von nichts dergleichen berichten! Die wenigen Stunden Schlaf fordern nun ihren Tribut und ich schlafe noch vor dem Abflug ein. Wach werde ich erst wieder im Landeanflug auf Frankfurt. Perfektes Timing! Vermutlich nichts Großes verpasst. Die Landschaft in Norwegen und Spitzbergen ist sicher spektakulärer, auf das Wasser der Lufthansa kann ich um diese Zeit auch getrost verzichten und meine Sitznachbarin hat vor dem Abflug an ihrem Handy rumgespielt und macht das auch noch als ich wieder wach werde.

Der Bus bringt uns um ca. 9:00 Uhr von einem Außengate zum Flughafengebäude. Unser Abfluggate nach Münster ist A23. Da das Boarden erst um 12:45 Uhr beginnen wird, müssen wir ein paar Stunden überbrücken. Erst ein Mal Kaffee! Direkt neben dem Gate gibt es einen Laden „Scoom“, wo wir fündig werden. Adam und ich wundern uns wie man auf so einen Namen kommt, denn jeder von uns hat weniger appetitanregende Assoziationen. Egal, der doppelte Espresso belebt die Lebensgeister und eine Butterbreze befriedigt den ersten Hunger des Tages. Nico meint, dass er in seinem Leben vielleicht 1-2 Brezn gegessen hat. Das ist unglaublich und mir ist buchstäblich unklar, wie er ohne Brezn so alt hat werden können.

Gegenüber ist ein Laden eines bekannten Ledertaschenherstellers. Die Verkäuferin sitzt einsam und verlassen auf ihrem Stuhl und wartet auf Kundschaft. Irgendwann fängt sie an, die Taschen abzustauben. Dann wieder warten. Das wäre nichts für mich. Sie blüht förmlich auf, als ein Lufthansa-Kapitän mit seiner Frau tatsächlich etwas kauft. Ich habe noch nie gesehen, dass in solchen Läden irgendwer irgendetwas kauft. Erstaunlich!

Zwischen unserem Sitzplatz und dem Lederladen strömen die Passagiere in beiden Richtungen an uns vorbei. Es ist wie in einem Film. Erstaunlich wie viele unterschiedliche Gangarten man beobachten kann. Schlendern, laufen, weite lange Schritte, kurze schnelle Schritte, mit Armen weitausholend, nicht ausholend, weit nach vorne gebeugt, Oberkörper steif wie ein Brett, manchmal sogar nach hinten gelehnt. Es ist alles Vorstellbare und mehr mit dabei. Und dann noch die Klamotten. Absonderliche Hawaiihemden und Shorts, die berühmten Sandalen mit weißen Socken, lächerliche Sonnenhüte, die niemand sehen will, blaue Anzüge mit braunen Schuhen, kurze Kleider, noch kürzere Kleider, Leggins zwei Nummern zu eng, ähnlich zu kleine T-Shirts, die kaum den Bierbauch verdecken, Muscle Shirts, wo man wirklich kein solches bräuchte. Und ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Gepäckstücken, die von der Plastiktüte, Pappkartons, grell bunten Trolleys bis zum exklusiven Aluminiumkoffer einer bekannten Firma reichen. Alles kann, nichts muss! Ein Panoptikum menschlicher Vielfalt auf ein paar Quadratmetern. Im Prinzip sollte man hier einfach eine Kamera mitlaufen lassen. Endlos Schleife. Director`s cut!

Und natürlich wäre Frankfurt nicht Frankfurt, würde es nicht in fast letzter Minute eine Änderung des Abfluggates geben. Das neue Gate ist jetzt A64. Also einmal quer durch den A-Bereich. Aber wir haben heute ja genügend Zeit! Ich rufe Carolyn kurz an und teile ihr mit, dass wir voraussichtlich pünktlich sein werden, so dass sie uns vom Flughafen in Münster abholen kann. Ich muss mich nämlich sputen, um noch Andreas Nathues zu treffen. Er ist heute der Vortragende in unserem Institutskolloquium, mit dem wir auch zukünftige gemeinsame Arbeiten an den Asteroiden Vesta und Ceres diskutieren wollen. Auch ein Student will sich noch mit mir treffen. Volles Programm also für heute Nachmittag.

Das Gepäck kommt vollständig in Münster an, den Zoll interessiert unsere orange Kiste nicht und so stehen wir sehr zügig vor der Flughafentüre, wo uns Carolyn bereits erwartet. Ein paar Minuten später parken wir vor Nicos Wohnung und laden sein Gepäck aus. Das Prozedere wiederholt sich bei uns zu Hause und nachdem ich die Kinder in den Arm genommen und begrüßt habe und meine Mitbringsel verteilt habe, bin ich auch schon auf dem Weg ins Büro. Der normale Wahnsinn hat uns wieder.

Damit neigt sich auch der Blog zu seinem wohlverdienten Ende. Ich habe über unsere Feldsaison in Ny Alesund berichtet, die ich wirklich sehr genossen habe. Wir hatten eine prima Stimmung im Team, es ist kein einziges böses Wort gefallen, wir haben viele Dinge erledigen können, haben Abstriche bei anderen Dingen machen müssen und können insgesamt doch wieder recht zufrieden sein. Die Auswertung aller unserer Daten wird sicher Monate dauern und ich kann nur hoffen, dass sich jemand im Rahmen einer BSc- oder einer MSc-Arbeit dafür begeistern lässt. Viele Dinge waren dieses Jahr anders und nicht unbedingt besser. Zu nennen ist hier hauptsächlich die sehr teure und zeitraubende An- und Abreise. Besonders schmerzlich ist natürlich der Verlust unseres Bodenradars, mit dem wir dieses Jahr eigentlich besonders viel machen wollten. Aber solche Dinge passieren und man kann sich davor auch nicht hundertprozentig absichern, da es schlichtweg unmöglich ist, alles doppelt mitzunehmen. Gut und viel klarer verlief die logistische Vorbereitung und speziell die Kommunikation mit dem AWI in Bremerhaven. Dabei war auch die von mir entwickelte Check-Liste mit zu erledigenden Dingen, Deadlines und Ansprechpartnern sehr hilfreich. Auch hatte ich das Gefühl, dass die Research in Svalbard (RIS) Webseite etwas besser wurde, mit deren Hilfe, man seine Reiselogistik zu erledigen versucht. Das geht in die richtige Richtung. Trotzdem ist die Webseite sehr speziell geblieben und man tut sich schwer, sie so zu nutzen, dass man auch alles so organisiert bekommt, wie man es braucht. Anders würde ich nächstes Jahr auch das Timing unserer Hüttenaufenthalte gestalten. Ich denke, wir sollten nächstes Jahr wieder mehr Zeit auf den Hütten verbringen und vielleicht nur an einem Wochenende in Ny Alesund sein. Und auch der Blog wird sich vielleicht nächstes Jahr ändern und kürzer werden, da ich von mehreren Seiten zu hören bekommen habe, er sei zu lang und zu „ausführlich“. Vielleicht aber auch nicht! Denn der Blog ist ein sehr gutes „Gedächtnis“ unserer Aktivitäten und hat mir in der Vergangenheit schon mehrmals geholfen, bestimmte Daten und Fakten in den richtigen Kontext zu setzen. Und liest man ihn nach mehreren Jahren, werden dadurch viele schöne und weniger schöne Erinnerungen geweckt, die man nicht mehr wachrufen kann, wenn man es nicht auf Papier gebracht hat.

Nach diesen Gedanken zum Ablauf und der Logistik bleibt noch zu bemerken, dass die größte Änderung gegenüber den Vorjahren das Wetter war. Noch nie hatten wir so lange so gutes und stabiles Wetter. Bis auf wenige Stunden hatten wir dieses Jahr keinen Regen und die Sonnenscheindauer und die damit verbundenen Temperaturen waren beängstigend hoch. 14 Grad sind nicht normal in dieser Gegend und Adam konnte sich mit seiner sehr leicht gewählten Ausrüstung glücklich schätzen. Bei normalem Wetter hätte er sicher sehr schnell Probleme bekommen. Wir konnten buchstäblich miterleben, wie in kürzester Zeit sehr viel Schnee schmolz und so die Gletscher bereits sehr früh in der Saison schneefrei wurden. Gefühlt wird es auch immer „grüner“ in Spitzbergen. Waren es früher Grau- und Brauntöne, die das Landschaftsbild prägten, sehen wir heute Gras an viel Stellen. Der Wandel in der Arktis hat sich also aus meiner Perspektive eher verschärft und beschleunigt. Leider gehen die Veränderungen in die falsche Richtung. Aufwachen ist angesagt, auch wenn es weh tut! Und handeln! Jeder kann und muss etwas dazu beitragen! Und zwar jetzt und hier.

So, um die Doors zu zitieren: „This is the end“. Ab jetzt arbeitet die Zeit wieder für uns, denn mit jeder vergehenden Minute kommen wir unserem nächsten Besuch in Ny Alesund einen Schritt näher. Danke für das Interesse am Blog! Ich freue mich auf meine nächste Reise nach Ny Alesund und eine Fortsetzung unserer Arbeiten und des Blogs.

Fotos

Der Frankfurter Flughafen begrüßt uns
Der Frankfurter Flughafen begrüßt uns
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  • Als der Jumbo am Gate 23 stand, war mir klar, dass es mit großer Sicherheit eine Änderung der Gate-Nummer für unseren Flug nach Münster geben wird
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11.7.2023

Wir sind jetzt fast 21 Stunden ohne intravenöse Injektion unserer täglichen Ny Alesund-Dosis unterwegs. Ein leichtes Zittern stellt sich ein! Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns für 7:30 Uhr zum Frühstücken verabredet haben, obwohl wir eigentlich keinen Grund dafür haben, so früh auf den Beinen zu sein. Egal, die Dusche macht mich endgültig wach und mit drei-minütiger Verspätung sitzen wir am Frühstückstisch. Ernst ist auch schon da, nur von Adam und Andreas fehlt zunächst jede Spur. Sie kommen aber nicht viel später und gesellen sich zu uns. Nach dem Frühstück machen es sich Nico und ich im Aufenthaltsraum gemütlich, während sich die anderen auf ihre Zimmer zurückziehen, um noch eine Runde Augenpflege zu betreiben. Meine Aufgabe ist es, ein Taxi für die Fahrt zum Flughafen zu organisieren. Die russische Taxifahrerin kann uns entweder um 12:30 Uhr oder bereits um 11:15 Uhr zum Flughafen bringen. Ich entscheide mich spontan für den 11:15 Uhr Termin, um nicht mit den Leuten des Flughafenbusses in der Schlange stehen zu müssen. Gaaaanz entspannt, wie die Musik im Aufenthaltsraum. Chillig!

Die Taxifahrerin ist pünktlicher wie der beste Maurer und bis wir uns versehen sind wir am Flughafen, wo noch gähnende Leere herrscht. Wir stehen mit unserem Gepäck in der Pole-Position vor der Gepäckabgabe. Leider lässt mich der Automat nur einen Gepäckstreifen drucken, weil mein Ticket nur ein Freigepäckstück erlaubt. Ein anderer „Vorteil“, wenn man ohne Status reisen darf. Während wir auf das Öffnen der Schalter warten, kommt eine Reisegruppe und fängt an, ihre Rucksäcke mit Klarsichtfolie zu umwickeln. So können sich die Schultergurte nirgends beim Transport im Flugzeug oder den Gepäckbändern verfangen. Trotzdem frage ich mich, ob das Sinn macht. Man fährt hierher, gibt vor naturverbunden zu sein und bereits beim Heimflug werden Unmengen an Plastik verbraucht, anstatt einen ordentlichen Seesack zu verwenden, der immer wieder benutzt werden kann. Aber vielleicht sehe ich das alles viel zu eng! Andererseits weiß man halt immer besser, dass dieses Plastik zum immer größeren Problem wird. Ich komme zu dem Schluss, dass es keinen Sinn macht!

Der Check-in Schalter öffnet um 12:30 Uhr und die freundliche Dame hilft mir, einen zweiten Gepäckstreifen zu drucken. Allerdings will sie dafür 600 NOK! Also nicht sie persönlich, sondern SAS. Bezahlt, erledigt! Gut war, dass mein Rucksack entgegen meiner insgeheimen Befürchtungen tatsächlich nur 20 kg wog, also satte 3 kg unter dem erlaubten Gewicht. Das Gepäck müssen wir in Tromsø noch durch den Zoll bringen und dann erneut aufgeben. Dann ist es allerdings durchgecheckt bis Münster. Ich nehme noch schnell die nötigsten Dinge der Morgentoilette und ein paar frische Klamotten aus meinem Gepäck und packe sie ins Handgepäck. Die Sicherheitskontrolle verläuft problemlos und schon sitzen wir auf den Sofas in der Wartehalle.

Gegenüber, auf der anderen Talseite entdecke ich frische Strukturen, die jenen auf dem Mars sehr ähnlich sind. Vielleicht haben wir ja nächstes Jahr Zeit, uns die Fließstrukturen genauer anzuschauen. Fotografiert habe ich sie zumindest schon einmal. Jetzt warten wir also auf unseren Flug und die Halle füllt sich schnell mit allen möglichen Reisegruppen. Noch ganz entspannt Reiseproviant kaufen, dann sind wir bereit für den Abflug. Ich nicke noch vor dem Abheben ein und werde erst wach, als das Flugzeug an Geschwindigkeit gewinnt. Es bleibt noch genug Zeit, um ein paar letzte Fotos von Spitzbergen zu machen, dann verschwindet der Archipel unter dicken Wolken. Jetzt kann ich also beruhigt ein Nickerchen machen, aus dem ich erst wieder kurz vor dem Erreichen der norwegischen Küste erwache. Ein paar Fotos ist die Landschaft schon wert. Einfach grandios, der Anflug auf Tromsø!

In Tromsø wird gerade der Flughafen umgebaut und darum müssen wir neben der Passkontrolle auch unser gesamtes Gepäck abholen, durch den Zoll bringen und dann wieder einchecken. Eigentlich eine völlig normale Prozedur, wie man sie schon hundert Mal hinter sich gebracht hat. Eigentlich! Es geht dann aber auch schon damit los, dass man in einer langen Schlange auf dem Flugvorfeld steht, um irgendwann an der Passkontrolle zu sein. Nur gut, dass das Wetter sehr schön und mit 21 °C auch außergewöhnlich warm ist. Nach der Zollkontrolle, die noch einigermaßen geordnet ablief, beginnt das große Chaos. Das Gepäck kommt sehr langsam in einem viel zu kleinen Raum an und 200 Passagiere versuchen ihr Gepäck zu ergattern. Hauen und Stechen! Mit dem Gepäck geht es dann in immer der gleichen Warteschlange zum Zoll. Ich bin schon fast vorbei, als mich ein Zöllner herauswinkt und in meine orange Kiste schauen will. Wie lange wir in Spitzbergen waren, was wir dort gemacht haben, ob die Instrumente teuer sind, ob ich Gesteinsproben mit dabeihabe, ob wir mit norwegischen Universitäten kooperieren, all das will er wissen. Ich antworte wahrheitsgemäß und wir unterhalten uns ganz nett. Die obligatorischen Fragen nach Alkohol und Zigaretten kann ich verneinen und so wünscht er mir noch eine gute Reise und viel Erfolg bei unserer Forschung. Sehr nett und professionell. Neben mir steht eine Asiatin, deren Koffer mit Zigaretten und allem möglichen Krimskrams gefüllt ist. Alles scheint einfach in den Koffer geworfen bzw. gestopft worden zu sein. Wäsche oder dergleichen kann ich nicht sehen. Ich schaue ja ab und zu Zollsendungen im Fernsehen an, wo man solche Koffer immer zu sehen kriegt. Bisher dachte ich immer, es seien gestellte Szenen. Aber nur zwei Meter links von mir passiert es tatsächlich in Realität. Wahnsinn! Und schon geht es zur Wiederaufgabe der Gepäckstücke. Vor mir ist die Gruppe, die ihre Rucksäcke in Plastikfolie verpackt hat. Nun, sie dürfen jetzt alles wieder öffnen, weil beim Scannen wohl Lithium-Batterien in Kameras entdeckt wurden. Das blockiert die komplette Abfertigung. Auch die orange Kiste erweckt wieder Aufmerksamkeit und ich muss selbst meine normalen Batterien und auch die GoPro-Kamera entfernen. Und dann warte ich in der Schlange für die normale Sicherheitskontrolle. Mittlerweile ist die geplante Abflugzeit um ca. eine Stunde überschritten, als ich meinen Kram durch den Scanner schicke. Jetzt noch den Boarding Pass scannen und schon komme ich als einer der letzten und nicht der besten Laune an Bord. Andreas sehe ich noch nach der Sicherheitskontrolle, wie er seinen Gürtel anlegt und ich ihn dabei überhole. Eine wichtige Information, wie sich später noch herausstellen sollte.

Der Flug nach Oslo ist unspektakulär, da wir über dichte Wolken fliegen und erst beim Anflug auf den Flughafen wieder etwas von der Landschaft sehen. Ernst muss sein Gepäck noch abholen, während unseres bis Münster durchgehen sollte. Wir warten auch vergeblich auf Andreas, der ja eigentlich auch sein Gepäck abholen sollte, um dann mit dem Bus nach Göteborg zu fahren. Und als auch sein Gepäck nicht auf dem Förderband erscheint, schwant uns, dass irgendwas schiefgelaufen sein muss. Wir warten noch eine Weile und schicken ihm ein paar Nachrichten. Aber es herrscht Funkstille.

Gegenüber der Gepäckausgabe befindet sich das Radisson Blue Oslo Gardermoen Airport Hotel, wo ich uns für die paar Stunden ein Viererbett-Zimmer gebucht habe. Wir checken ein, bringen unser Zeug aufs Zimmer und gehen dann essen. Nico meint, dass dies unsere letzte gemeinsame Nacht in einer Hütte sein wird. Nun ja, der Vergleich zu den bisher genutzten Hütten hinkt aufgrund der schönen Ausstattung des Hotelzimmers schon etwas. Dafür war das Wetter auf den Hütten um Klassen besser, denn in Oslo schüttet es mittlerweile aus Eimern.

Dreimal Fish and Chips und ein 26North Burger wird von uns bestellt. Die Wartezeit auf das Essen verkürzen wir uns mit einem Bier. Hinterher gibt es für Nico und Adam noch einen mehr als stattlichen Eisbecher. Gerade als wir mit dem Essen fertig sind, erhalten wir eine Nachricht, dass Andreas auf einen anderen Flug umgebucht wurde, in Tromsø in ein anderes Terminal und dort nochmal durch die Sicherheitskontrolle musste. Das Ganze hat er offensichtlich erst erfahren, als er seine Bordkarte beim Einsteigen scannen wollte kurz nachdem ich ihn überholt hatte. Ich kann mir nur ausmalen, in welcher Laune er war! Und ich dachte schon, mich hätte es übel erwischt. Aber mal ehrlich, wie kann man denn die Abfertigungsprozedur so dermaßen schlecht planen? Zweihundert Passagiere innerhalb der eingeplanten 55 Minuten durch eine einzige Sicherheitsschleuse schiffen zu wollen, die Pässe kontrollieren und zusätzlich noch von den Passagieren zu verlangen, das Gepäck abzuholen und wieder aufzugeben, da muss man kein Genie sein, um zu erkennen, dass das nicht funktionieren kann. Als ob die Verantwortlichen noch nie so etwas selbst mitgemacht hätten. Blanker Dilettantismus mit einer Neigung zu grober Unfähigkeit. Die Personen die in Tromsø gearbeitet haben trifft dabei keine Schuld. Sie waren alle freundlich und haben versucht alles möglichst geschmeidig ablaufen zu lassen. Schuld ist eine schlechte Planung und Abläufe, die so nicht funktionieren und so auch noch nie funktioniert haben, bzw. so auch nie funktionieren werden.

Die gute Nachricht ist, wir sind in Oslo und falls nichts mehr schief geht, sollten wir hoffentlich morgen am frühen Nachmittag in Münster landen. Diese ganzen neuen Flugpläne sind wirklich hochgradig nervig, weil man gefühlt Unmengen an Zeit für nichts und wieder nichts vergeudet.

Fotos

Abflug von Longyearbyen
Abflug von Longyearbyen
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  • Das letzte Bild von Spitzbergen aus diesem Jahr
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  • Wir erreichen die norwegische Küste
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  • Im Anflug auf Tromsø
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  • Blick auf Tromsø
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  • Auf dem Weg nach Oslo
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  • Wahre Polarforscher kriegen nie genug vom Eis
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10.7.2023

Um 6:30 Uhr stehen wir auf, um noch alle Dinge in Ruhe erledigen zu können. Zum einen muss ich noch duschen und meine Sachen aus dem Trockenraum holen. Ja, und dieses Mal sind sie trocken. So trocken sogar, dass mein Rucksack ganz steif ist. Könnte aber auch der Dreck sein, der sich gestern so angesammelt hat. Zum anderen müssen die letzten Kleinigkeiten in die Rucksäcke verstaut werden und auch die AWI-Ausrüstung in den Seesack gepackt und verplombt werden. Nicht vergessen dürfen wir auch, die Betten abzuziehen und das gebrauchte Bettzeug in die KingsBay Wäscherei zu bringen. Und als all das erledigt ist, wird noch das Zimmer geputzt damit unsere Nachfolger alles ordentlich vorfinden. Heute kommen mit dem Morgenflug aus Longyaerbyen bereits sechs neue Wissenschaftler zur AWIPEV-Station. Auf die letzten paar Minuten wird es also immer noch etwas hektisch. Aber wir kennen das ja schon.

Ich spreche mit Isabelle noch einmal alles durch und übergebe Apolline zwei Kisten mit Essen. Eine, mit Lebensmitteln, die wir nächstes Jahr wieder verwenden können und eine zweite Kiste mit Dingen für das AWIPEV-Team. Schokolade, Nussmischungen, andere Süßigkeiten, aber auch Fischbüchsen, Kaffee und Senf. Besonders positiven Anklang findet das Glas Meerrettich! Besonders Fieke freut sich darüber! Bei den anderen ist es eher die Schokolade, die gut ankommt.

Der Check-In verläuft ohne Probleme und ohne Schlange. Reisepass? Was ist das? Alles Gepäck auf die Waage, Vornamen sagen, fertig! Seit dem Herflug hat sich nichts geändert. Die Wartezeit bis zum Abflug verkürzen wir uns mit letzten Blicken in die VI Menn Hefte und Kaffee. Dann gesellen sich Fieke, Isabelle, Apolline, Guillaume und Mathilde zu uns. Wir kriegen also den ganz großen Bahnhof. Das ist echt nett, so verabschiedet zu werden. Einfach ein super Team, das uns unseren Aufenthalt buchstäblich bis zur letzten Minute sehr angenehm gemacht hat! Wie üblich will eigentlich keiner so richtig weg aber der Busfahrer wartet nicht ewig und so ist dann doch der unausweichliche Augenblick gekommen, wo wir uns in den Arm nehmen und Lebewohl sagen. In der Hoffnung, dass wir uns nächstes Jahr alle wieder sehen!

So endet also unsere Feldsaison 2023. Wir sind alle heil zurück gekommen, haben bis auf das Bodenradar keine Ausrüstung kaputt gemacht und sind hoffentlich dem AWIPEV Team nicht all zu sehr auf die Nerven gegangen. Insgesamt denke ich, können wir zufrieden sein. Allerdings haben wir dieses Jahr viel Zeit in Ny Alesund verbracht, die wir besser mit Feldarbeit hätten nutzen können. So schön es ist, am Wochenende zu brunchen, letztlich ist es doch verlorene Zeit. Ich denke, wir sollten das bei unserer nächsten Tour etwas anders gestalten. Andererseits hat unser diesjähriger Plan dazu geführt, dass wir das AWIPEV-Team am Wochenende nicht belästigen mussten. Das ist, glaube ich, gut angekommen. Die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen Team war wieder, so wie mit den anderen Vorgängerteams, außergewöhnlich gut. Speziell der Ausflug zu Camp Zoe wird mir ewig in guter Erinnerung bleiben und ich bin dem Team sehr dankbar dafür, dass es ihn für uns so kurzfristig ermöglicht hat. Dafür nochmals ein extra dickes Dankeschön! Aber auch sonst war die Unterstützung fantastisch. Ganz gleich wen wir um etwas baten, wir bekamen es. Fieke, Isabelle, Apolline, Guillaume und Mathilde, ihr seid erste Sahne! Und auch dem Team in Bremerhaven schicken wir auf diesem Weg unser Dankeschön. Ohne die logistische Unterstützung vieler AWI Mitarbeiter, wäre unsere Reise sicher nicht möglich gewesen. Die Zeit in Spitzbergen ist wieder viel zu schnell vergangen und es bleibt nur die Vorfreude auf die Feldsaison 2024. Die gute Nachricht ist, dass uns Marion Maturilli vor ein paar Tagen den Termin zur Einreichung des nächsten Projektantrags geschickt hat. Jetzt fangen also die Planungen für nächstes Jahr an, obwohl wir noch nicht einmal Spitzbergen verlassen haben. Und das ist auch gut so! Und nächstes Jahr werde ich versuchen, meine Kinder mit hierher zu nehmen. Das ist jedenfalls mein Vorsatz.

Bis es uns so recht bewusst wird, sind wir auch schon in der Luft und nach Longyearbyen unterwegs. Unsere Lateralmoräne können wir leider nicht sehen, da wir kurz nach dem Start durch eine Wolkendecke fliegen. Aber nur ein paar Minuten später klart die Wolkendecke auf und wir haben einen grandiosen Flug über die Berge und Gletscher Spitzbergens. Jedes Mal wenn ich diesen Flug mache, stockt mir der Atem. Unglaublich schön! Meine Kamera klickt im Sekundentakt und ich höre, dass auch Nico und/oder Andreas eifrig am fotografieren sind. Longyearbyen empfängt uns mit einer dichten Wolkendecke und ein paar Minuten später sind wir gelandet. Das Internet hat uns wieder noch bevor das Gepäck aus dem Flugzeug geladen ist. Haben wir es sonst immer vor dem Hangar direkt aus dem Flugzeug bekommen, wird die Do 228 heute erst in der Halle geparkt bevor sie entladen wird. Auch gut!

Damit denke ich, ist der abenteuerliche Teil unserer Feldsaison beendet. Was bleibt ist die Rückreise. Diese gestaltet sich aber anders als üblich. Zwar hätten wir den Flug nach Oslo heute Nachmittag buchen können. Wäre aber mit dem Flug von Ny Alesund auch nur die kleinste Verzögerung eingetreten, wären wir gestrandet. Deshalb haben wir erst den morgigen Flug nach Oslo gebucht und müssen heute Nachmittag und morgen Früh in Longyearbyen totschlagen. Mit tausend Touristen! „Halleluhjah“ würde Lennard Cohen singen.

Das Taxi bringt uns zu Mary Ann’s Polarrigg. Im Fjord liegt eine stattliche Anzahl an Schiffen, darunter auch ein Schiff der Küstenwache, mehrere Frachter und natürlich Kreuzfahrtschiffe. Es ist 11:00 Uhr, die Zimmer sind noch nicht fertig und so trinke ich meine vierte Tasse Kaffee an diesem Tag, während sich zwischen Ernst und Adam ein intellektueller Wettstreit der Extraklasse entspinnt. Sie spielen Schach! Adam spielt weiß, Ernst ist schwarz! Gnadenloses Gemetzel. Bauern, Springer, Läufer, Türme. Alles fliegt nach und nach vom Brett. Letztlich gewinnt Adam.

Bei Andreas stellt sich der kleine Hunger ein. Eine äußerst schwierige Entscheidung ist zu treffen. Bewegen wir unsere Hintern von den bequemen Sofas in Mary Ann’s Aufenthaltsraum direkt und auf kürzestem Weg in Mary Ann’s Restaurant oder gehen wir in die „Stadt“? Wir gehen in die Stadt! Auf dem Weg zu unserem Stamm-Café stoppen wir noch in einem Outdoor-Laden, wo man Waffen ausleihen kann. Mich interessiert, ob ich das nächstes Jahr machen kann, denn  das ist die Voraussetzung, dass ich mit der Familie hier aus Longyearbyen heraus komme und zum Wandern gehen kann. Die Verkäuferin ist super nett und meint, dass sie nur das Waffendokument des Sysselmesteren sehen muss, um mir eine Waffe leihen zu dürfen. Im Laden würde dann noch die Handhabung der Waffe überprüft werden. Das sollte also recht einfach zu machen sein. Sie rät mir dringend für die Monate Juni-August eine Reservierung so früh wie möglich zu machen. Speziell die „leichten“ Gewehre seien schnell vergriffen. Die schweren Mauser sind weniger begehrt. Warum wohl? Die Kosten pro Woche dafür liegen für die leichten Gewehre bei 2000 NOK und für die schweren Gewehre bei 1500 NOK. Sie gibt mir auch direkt eine Emailadresse, unter der ich die Reservierung machen kann. Jetzt ist es also Sache des SPLAM-Teams einen neuen erfolgreichen Projektantrag zu schreiben und sich dafür auf einen Zeitraum für unsere nächste Reise zu einigen. Und dann ist es an Carolyn und mir, möglichst schnell eine Entscheidung zu treffen.

Das Eiersalat-Sandwich ist gut. Der Kaffee schmeckt. Danach stöbere ich noch ein wenig durch die Outdoor-Läden Longyearbyens, kaufe aber nichts. Ernst und Andreas wurden beauftragt, eine Reservierung in der Kroa-Bar zu machen. Wir haben also ein klares Ziel vor Augen. 19:30 Uhr! Bis dahin ist es noch ewig. Ein wenig Bewegung tut Not und so laufe ich etwas plan- und ziellos umher und lande schließlich am Wasser, wo ich noch ein paar Fotos schieße. Ernst hat heute bereits wieder seine erste Telecon und der Rest der Mannschaft daddelt am Handy herum, während ich diese Zeilen schreibe. Die „zivilisierte Welt“ hat uns wieder in ihren Fängen. Wir haben uns über den ganzen Aufenthaltsraum verteilt und keiner sagt über Stunden ein Wort. Andreas ist gar noch einmal zum Einkaufen gegangen. Jetzt könnten wir auch schon mindestens in Oslo sein. Ich darf gar nicht daran denken! AAARRRGGGHHH!

Wenigstens ist das Wetter im Laufe des Tages immer besser geworden und bei Sonnenschein kann man selbst an Longyearbyen Gefallen finden. Ich telefoniere mit Carolyn und meiner Mutter. Ja, so einfach geht das hier. Man nimmt sein Handy in die Hand, drückt auf die abgespeicherte Nummer und schon ist man mit dem Rest der Welt verbunden. Longyearbyen hat doch seine Vorteile. Um kurz vor 19:30 Uhr brechen wir auf zur Kroa-Bar. Ich brauche nicht in die Speisekarte zu schauen, denn es ist eh klar, was ich hier esse. Den Mouse-Burger. Eine Tradition ist eine Tradition, ist eine Tradition. Nico hat da größere Schwierigkeiten zu einer Entscheidung zu kommen, entscheidet sich aber letztlich wie Andreas und Adam für eine Pizza. Ernst nimmt auch den Mouse-Burger. Somit wäre das erledigt! Heute ist unser letzter gemeinsamer Abend und deshalb ist heute „Party“ angesagt, oder zumindest was ein paar alte Säcke darunter verstehen. Wir enden vorübergehend auf der Terrasse unseres Hotels, wo wir auf Rentierfellen sitzend die letzten Wochen Revue passieren lassen. Als es uns schließlich doch zu kalt wird, finden wir uns in Mary Ann’s Bar wieder, wo wir noch einen 18 Jahre alten Lagavulin langsam vor uns hin sippen. Wirklich ein Genuss, dem man Zeit geben muss. Happy Birthday, Andreas! Andreas freut sich sehr über die kleine Geste. Wir sitzen gemütlich zusammen und schmieden bereits neue Pläne.

Ein solcher Plan ist ein Spitzbergen-Treffen in Münster! Die Idee ist, unser Alumni einzuladen, dazu Leute des AWI, Maarten Loonen und seine Kollegen aus Groningen, die Leute, die die Flugkampagnen geplant haben und auch vielleicht die „alten“ Station Leaders. Die Idee findet bei allen sofort Zuspruch. Bei der Gelegenheit diskutieren wir auch gleich noch wie wir unsere Publikationsleistungen erhöhen können. Insgesamt also ein schöner und produktiver Abend. Kurz vor dem Schlafengehen erreicht uns dann auch noch eine Email von SAS in der uns mitgeteilt wird, dass wir nun für unseren morgigen Flug einchecken können. Das machen wir natürlich gerne und die Prozedur ist in ein paar Minuten erledigt. Nur unsere Sitzplatzreservierungen sind mal wieder umgebucht worden aber Nico sichert uns zwei Fensterplätze in Reihe 10 und 12. Obwohl wir bereits eingecheckt sind, planen wir morgen frühzeitig am Flughafen zu sein und verabreden uns für 7:30 Uhr zum Frühstück. Der Plan ist ein Taxi für ca. 12:00 Uhr zu bestellen, um noch vor dem Flughafenbus anzukommen und in Ruhe alles Gepäck aufzugeben. Ein genialer Plan! Mal schauen, ob er auch funktioniert.

Fotos

Ein letzter Blick in Richtung Colletthøgda und den Kronebreen-Gletscher. Aber nur für dieses Jahr!
Ein letzter Blick in Richtung Colletthøgda und den Kronebreen-Gletscher. Aber nur für dieses Jahr!
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  • Leckeres Essen, das auf uns im nächsten Jahr wartet. Ich sehe Nudelsuppen…
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  • Schwierig zu entscheiden was besser ist. Die Aussicht oder der Kaffee?
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  • Dieses Schicksal ist uns erspart geblieben
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  • Isabelle, Apolline und Fieke verabschieden sich von uns
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  • Großes Löschfahrzeug für ein kleines Flugzeug
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  • Ein Gletscher, der früher den Fjord erreicht hat und jetzt abschmilzt
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  • Gletscherspalten
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  • Gletscherspalten soweit das Auge reicht und ein Schmelzwassersee
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  • Das Gletscherende!
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  • Zwei unterschiedlich gefärbte Sedimentfahnen von zwei Gletschern
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  • Immer wieder beeindruckend!
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  • Als wir in Longyearbyen ankommen, fliegt gerade ein Helikopter ab
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  • Das Gemetzel!
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  • Die norwegische Küstenwache im Fjord vor Longyearbyen
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  • Schiffe auf Reede vor Longyearbyen
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  • Häuser am Strand von Longyearbyen mit Taubanesentralen (Kohleseilbahnzentrale)
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  • Das wäre noch etwas, um beim nächsten Schneesturm in Münster ins Büro zu kommen
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  • Das gesamte SPLAM-Team in der Kroa-Bar
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  • Ein Mast der alten Kohleseilbahn
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  • Ernst, Nico und Andreas auf der Terrasse von Mary Ann`s Polarrigg
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  • „Abendstimmung“ in Longyearbyen um 23:00 Uhr
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  • Der Kirchturm von Longyearbyen
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9.7.2023

Amundsen ist heute schon dicht umringt, als bei uns um 9:00 Uhr das Rollo hochgeht. Und täglich grüßt das Murmeltier! Die „Trollfjord“, ein größeres Hurtigruten-Schiff, liegt im Hafen, als wir uns für den Brunch aufhübschen. Heute sind die Touristen zunächst alle individuell gekleidet, später dominieren blaue Jacken. Es ist interessant zu sehen, wie viele unterschiedliche „Geschmacksrichtungen“ an Kreuzfahrten es hier gibt. In der Karibik fällt das vermutlich weniger stark auf wo alle in T-Shirt und Shorts unterwegs sind. Aber das ist vermutlich auch eine komplett unterschiedliche Klientel, als die Leute, die hier auf Kreuzfahrt gehen. Wettermäßig ist über einen tief wolkenverhangenen Himmel zu berichten. Es ist trocken und windstill. Es sollte also keine Probleme geben mit der Abholung unserer Geräte von der Lateralmoräne des Kongsvegen-Gletschers. Laut Wetterbericht könnten wir sogar ein kleines Zeitfenster zwischen ca. 13:00 und 16:00 Uhr haben, um den Drachen fliegen zu lassen. Dessen Daten fehlen uns dieses Jahr noch und es wäre super, wenn wir vielleicht heute noch, mit einem Quäntchen Glück, eine Befliegung durchführen könnten. Daumen drücken!

Pünktlichst um 9:58 Uhr stehen wir in der Kantine in froher Erwartung des längst überfälligen Brunchs. Wir warten die zwei Minuten! Es schmeckt uns wie üblich hervorragend und jeder nimmt sich mindestens zwei Portionen. Während wir so vor uns hin essen, tüfteln wir auch den Masterplan für den heutigen Tag aus. Ernst und ich werden mit „Luciole“ zu unserer Seitenmoräne fahren, während sich Andreas um das Sortieren des verbliebenen Proviants kümmert und Nico und Adam das Gepäck für die Verschiffung nach Bremerhaven bereit machen. Jetzt müssen wir den Plan nur noch umsetzen!

Mein Teil beginnt damit, dass ich Guillaume um die Waffen und Sicherheitsausrüstung bitte. Zehn Minuten später ist er im Blauen Haus und wir können die Sachen übernehmen. Ich habe die Zeit genutzt, um den Drachen, die GoPro und andere benötigte Dinge in meinem Rucksack zu verpacken. Ernst ist auch schon bereit als ich nach ihm schaue. Er ist ja alleine im Blauen Haus untergebracht und hat sich dort häuslich eingerichtet und ausgebreitet, mit einem Schlafzimmer und einem Arbeitszimmer, in dem sein Computer steht. Polarforschung der Luxusklasse! Nico fährt unseren ganzen Kram mit „Goupil“ zum Boot. Ich funke noch Fieke an, die zusammen mit Apolline und Mathilde das Wochenende in der Corbel-Station verbracht hat und frage, ob wir sie auf dem Rückweg aufsammeln sollen. Sie freuen sich sehr, sind aber schon zu Fuß gelaufen und kurz vor Ny Alesund. Auch sie wollten rechtzeitig zurück sein, um den Brunch genießen zu können. Macht Sinn!

Bei glatter See geht es mit ca. 11-12 Knoten in Richtung Untersuchungsgebiet. Im Westen ist eine dicke Regenwand zu sehen und es ist bereits jetzt abzusehen, dass sie uns irgendwann erreichen wird. Während der Fahrt muss ich mich sehr konzentrieren, da sehr viele kleine Eisbrocken im Fjord schwimmen und diese bei den Lichtverhältnissen nur schwer zu erkennen sind. Selbst so einen Mini-Eisberg will man nicht rammen! Aber wir schaffen es alle Eisberge, ob groß oder klein, zu umfahren und an unserer üblichen Landungsstelle zu ankern. Die erste Aufgabe, die ich heute hier erledigen will ist, das letzte Woche vergessene Konglomerat ins Boot zu legen. Es noch einmal zu vergessen, würde mich ewig ärgern. Ich finde den Gesteinsbrocken keine 10 m entfernt und schwupps ist er auch schon auf dem Boot. Der erste Haken auf der „To do-Liste“ ist gemacht! Bei unserer Erosionsstruktur angekommen, staunen wir nicht schlecht, wie sie sich in den paar Tagen verändert hat. Nicht überall, aber an manchen Stellen umso mehr. Mehrere unserer Markierungen sind verschwunden oder sind mit dem Schlamm viele Meter weggeschwemmt worden. Wir kennen das ja schon von den letzten Jahren. Und trotzdem ist es immer wieder erstaunlich! Ernst macht von der Abbruchkante viele Detailfotos, während ich mit der GoPro die Polebilder mache. Während ich mir des Ausmaßes der Erosion so bewusst werde, pflügt die „Nordstjernen“ durch das Eis  des Fjords. Wahrscheinlich wundern sich die Passagiere was ein Kerl in roter Jacke in mitten einer Schlamm-Landschaft für komische Bewegungen macht. Ich bin mir nicht sicher, dass man das in einem Satz erklären kann. Jedenfalls muss ich mich halbwegs beeilen, weil die Regenfront mittlerweile bedrohlich näher kommt. Nach den Pole-Bildern verlängere ich die Stange und mache die Aufnahmen der Abbruchkante. So, und jetzt werden wir auch nass! Die Regenfront ist da! Wir sind jetzt mitten in den Wolken, die Sicht ist mehr als dürftig und die Motivation ist negativ mit der Regenmenge korreliert. Also, noch schnell die Markierungstafeln einsammeln, die Logger auslesen und abbauen und dann nichts wie weg. An ein Fliegen mit dem Drachen ist nicht zu denken. Mit dem Regen kam zwar der Wind, aber die Markierungstafeln sind weg und in dem Wetter würde es in einer furchtbaren Sauerei enden, den Drachen zu benutzen. Wir schauen noch, dass wir auch nichts vergessen haben und machen uns dann möglichst schnell auf den Weg zum Strand. In diesem Wetter, mit Regentropfen auf der Brille und Wind, der einem den Regen ins Gesicht treibt ist es leicht, einen Eisbären zu übersehen kommt es mir in den Sinn. Eisbären sind nun mal so viel besser an dieses Klima und die Landschaft angepasst, als wir Menschen. This is polar bear territory! Wir sind hier bestenfalls als Gäste geduldet. Gut so!

Die Rückfahrt nach Ny Alesund gestaltet sich für mich schwierig, während Ernst tiefenentspannt vorne im Bug auf den Ortlieb-Säcken liegt. Grund dafür ist, dass die Sicht schlecht ist, der Scheibenwischer nicht richtig funktioniert, mittlerweile Wellen sind und die Eisberge noch immer nicht einfacher zu sehen sind. Andererseits will man natürlich auch nicht rumschleichen, sondern möglichst zügig nach Ny Alesund zurück kommen. Denn am westlichen Horizont sind noch dunklere Wolken aufgezogen. Pünktlich bei der Einfahrt in den Hafen treffen uns die ersten Böen aus dieser Wolkenwand. Der Wind steht genau in den Hafen und es entsteht sofort ein unangenehmer Schwell im Hafenbecken. Jetzt heißt es „Luciole“ gut in die Box zu bekommen. Es gelingt halbwegs gut und schon liegen wir gut vertaut im Hafen. Ich tanke „Luciole“ noch voll, während Ernst schon auszuladen beginnt. Anschließend holt er „Goupil“, um unser Gepäck zum Rabot-Gebäude zu bringen. Ich informiere Guillaume darüber, dass wir wieder zurück sind, gebe „Luciole“ noch eine wohlverdiente Streicheleinheit und schleppe dann die Ausrüstung zur Straße. „Luciole“ ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Sie ist ein zuverlässiges kleines Boot, das uns sehr sehr gute Dienste erwiesen hat. Ich freue mich schon darauf, mit ihr nächstes Jahr wieder unterwegs zu sein. Die Wahl zwischen „Luciole“ und „Sabrina“ fällt mir schwer. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Da braucht es definitiv eine längere Vergleichsreihe! Ich muss also schnellstmöglich wieder hierher kommen! So einfach ist das!

Nico sitzt im Rabot-Gebäude und brütet über unseren Kisten und den dazugehörigen Frachtpapieren. Mir fällt sofort auf, dass nun alle Boxen mit „HaHi1“, „HaHi2“ usw. beschriftet sind. So wollen es die neuen AWIPEV-Regeln! Nachdem die gesamte Ausrüstung verpackt ist, wiegt Nico alle Kisten. Beim Verschiffen hierher hat der Zoll nämlich moniert, dass die Gewichtsangaben in den Dokumenten bei einer Kiste um 2 kg vom tatsächlichen Gewicht abgewichen sind. Skandal! Die Ausrüstung, die Ernst und ich zurück bringen ist klatschnass und wir müssen nun versuchen, alles bis morgen trocken zu kriegen. Denn wir können keinesfalls nasse Jacken in die Seesäcke verpacken, die dann erst Monate hier auf die Verschiffung nach Bremerhaven warten müssen. Wir hängen alles in den Trockenraum und waschen auch gleich noch eine letzte Ladung Wäsche, so dass wir saubere Klamotten verpacken können und uns nicht um stinkige Socken sorgen müssen, die den Rest der Wäsche unbrauchbar machen würden. Auch „Ulrike“ geht zurück nach Bremerhaven. Allerdings habe ich darauf geschrieben, dass sie kaputt ist! Ich vermute, sie wird also in den Metallrecycling-Container in Bremerhaven kommen anstatt in jenen von Ny Alesund.

Der Rest des Nachmittags geht mit Packen vorüber. Jeder sortiert seine Dinge und überlegt, wo was verpackt werden muss. Dieses Mal erinnere ich mich, dass es eine schlechte Idee ist, das Multifunktionstool im Handgepäck mitzuführen. Auf diese Art und Weise, habe ich meinem teuren Leatherman am Flughafen in Oslo Lebewohl sagen müssen. Beim Abendessen treffe ich Fieke und wir besprechen letzte Details für unsere Abreise. Demnach lege ich ihr das InReach-Gerät auf ihren Bürotisch und die Seesäcke werden wir morgen im Blauen Haus deponieren. Die Ausrüstung werden wir auf eine Palette verladen, die Apolline dann bis zur Verschiffung einlagern wird. Kurz, wir haben alle Ausrüstung wieder zurückgegeben und sind bereit für unseren Abflug morgen Vormittag.

Abends entspannen wir bei einem letzten Bier im Rabot-Aufenthaltsraum. Es läuft der Blockbuster „Nordkap II“, Director’s Cut. Die lange Version von „Das Boot“ ist ein Kurzfilm dagegen. Aber man sieht viele interessante Landschaften und Städte, die ich bisher nur den Namen nach kannte, aber nichts damit verbinden konnte. Es wird also nicht langweilig. Wir sind eben durch Riga gefahren und nun in Tallin in Estland gelandet, als sich Ernst verabschiedet. Kurz danach fahren wir durch Helsinki. Am Nordkap angekommen ist es Zeit, dass ich mich kurz verabschiede, denn ich will noch den Trockenraum checken, ob meine Sachen schon trocken sind. Sind sie nicht! Ein kleiner Nach-Mitternachtssnack in der Kantine – ein Kaviarbrot – also eine Fischpaste aus der Tube stärkt mich für die nächsten paar tausend Kilometer von Nicos Reise. Und auf dem Weg nach Tromsö teilt Andreas seinen letzten 10 Jahre alten Laphroaig brüderlich mit uns. Der perfekte Ausklang des Tages!

Fotos

Ein Teil der Abbruchkante unserer Erosionsstruktur, die wir mit einer Zeitraffer-Kamera aufgenommen haben. Hier das erste Bild der Sequenz vom 28.6.2023
Ein Teil der Abbruchkante unserer Erosionsstruktur, die wir mit einer Zeitraffer-Kamera aufgenommen haben. Hier das erste Bild der Sequenz vom 28.6.2023
© KOP 132 SPLAM
  • Der gleiche Bildausschnitt, aufgenommen am 9.7.2023. Die Moräne und die Schneefelder am Nielsenfjellet haben sich in den paar Tagen deutlich verändert
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  • Hier sieht man gut, wie der ganze Boden zu fließen beginnt und sich Spalten bilden
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  • Im feinen Schlamm sind die Spalten besonders eindrücklich. Rechts ist eine unserer Markierungstafeln zu sehen. Das eigenartige Muster wird von unserer Bildverarbeitungssoftware automatisch als „Nummer 4“ erkannt.
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  • Dieses Jahr mal zur Abwechslung kein Chaos im Rabot-Gebäude, sondern ordentlich verpackte Ausrüstung - fertig für die Verschiffung nach Bremerhaven
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  • So nah sind wir einem lebendigen Ursus maritimus, Gott sei Dank, nie gekommen
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  • Kein Vegetarier-Gebiss!
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  • Do not touch! Weder in der Natur noch das hier ausgestellte Exemplar
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  • Der Waschsalon
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  • Der Trockenraum mit meinen Klamotten
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8.7.2023

Der Samstag beginnt mit roten Jacken. Der erste Blick durch das Fenster zeigt zwei Dinge. Erstens hat ein Kreuzfahrtschiff angelegt, dessen Passagiere alle in roten Jacken herum laufen. Es gibt aber in der Gruppe auch zwei Individualisten, die anders farbige Jacken anhaben. Die „Sea Spirit“ ist ein kleines Passagierschiff und ihr Besuch hat für mich den Vorteil, dass der Laden geöffnet hat. Zweitens sehe ich, dass das Wetter noch immer schön ist. Es weht nur eine ganz leichte Brise und der Himmel ist fast wolkenlos.

Wir haben heute etwas länger geschlafen, da es vor 10:00 Uhr heute kein Frühstück bzw. keinen Brunch gibt. Bei allen möglichen Leckereien unterhalte ich mich mit Mo Verhoeven, der mit Maarten Loonen zusammenarbeitet. Er erzählt mir von Vögeln, die nonstop von der Arktis bis nach Neuseeland fliegen und dabei jeweils die Hälfte ihres Gehirns schlafen lassen können. Dass sie ein spezielles Fett besitzen, das mehr Wasser speichern kann und dass sie ihren Verdauungstrakt schrumpfen lassen können, um möglichst wenig Gewicht zu haben. Im Falle einer „Notlandung“ brauchen sie dann ein paar Tage um ihr System wieder hochzufahren und Nahrung verwerten zu können. Ich finde diese Geschichten absolut faszinierend und spannend. Es sind diese Dinge, über die man ja nie nachdenkt und die einem in Ny Alesund völlig unvorbereitet beim Frühstück zwischen einem Bissen Rührei und einem Schluck Kaffee auf dem Silberteller präsentiert werden. Wie toll ist das denn? So etwas sollte es öfter geben, dass man sich über die eigene Disziplin hinweg mit anderen Forschern austauscht. Die Forschungsstation in Ny Alesund ist dafür geradezu prädestiniert weil man relativ eng „aufeinander sitzt“. Auch ein Grund, warum es mir hier so gut gefällt!

Im Laden herrscht nur wenig Betrieb und ich gönne mir ein neues langärmliges T-Shirt aus Wolle. Davon kann man nie genug haben, auch wenn sie natürlich nicht ganz billig sind. Ich liebe diese Dinger weil man sie endlos tragen kann, ohne wie ein Otter zu müffeln. Da können die Hersteller von Kunstfasern hundert Mal sagen, dass man darin wegen der verarbeiteten Silber-Ionen oder sonst einer phänomenalen Neuerung nicht stinkt. Nichts schlägt Wolle! Und kratzig sind sie mit Sicherheit nicht!

Um 13:00 Uhr sind wir auf der Piste, nachdem wir uns die Waffen abgeholt, Tee gekocht, Ausrüstung hergerichtet und uns in die AWIPEV Exkursionswebseite eingetragen haben. Ziel unseres heutigen Ausflugs ist der Austere Brøggerbreen, ein Gletscher den wir seit Jahren jedes Jahr besuchen. Um es vorweg zu nehmen, der Anmarsch wird immer länger, weil der Gletscher immer mehr verschwindet. Doch dazu später mehr!

Der Weg zum Gletscher ist nicht weit aber gefährlich. Nicht wegen der Eisbären, obwohl wir genau hier letztes Jahr wegen eines Bären umdrehen mussten. Heute sind es eher die Seeschwalben, die einen Angriff nach dem anderen in Sturzbombermanier fliegen. Alle Skistöcke sind oben, aber trotzdem werden wir aus buchstäblich allen Rohren attackiert. Aber nach ein paar Metern ist das schlimmste überstanden und wir gelangen ohne weitere Probleme zu einem kleinen Hügel an dessen Fuß uns schöne Steinkreise erwarten, die wir seit Jahren beobachten und von denen Nico und ich im Jahre 2021 versucht haben Bodenradardaten zu gewinnen. Wir machen unser übliches Set an Fotos und fliegen auch den Drachen. Leider sind die Windrichtung und -stärke nicht optimal, so dass der Drachen zweimal unbeabsichtigt „landet“. Als wir uns das Video abends anschauen und die Kamera aus Bodenperspektive noch für ein paar Sekunden schräg über die Landschaft schaut, meint Nico nur „Die letzte Aussicht eines sterbenden Rentiers“. Naja, irgendwie schon. Gott sei Dank hat aber die Kamera überlebt. Insofern also auch wieder nicht ganz richtig.

Nach einem kleinen Anstieg sehen wir den Austere Brøggerbreen zum ersten Mal in diesem Jahr. Wir sind schockiert, wie klein der Gletscher mittlerweile ist. Ich denke im Vergleich zu unserem ersten Besuch im Jahre 2011 ist er mindestens mehrere hundert Meter zurückgegangen und mindestens 20 m in der Höhe geschrumpft. Er ist quasi schon jetzt nur mehr ein trauriger Rest von dem, wie wir ihn zum ersten Mal erlebt haben. Wenn das so weiter geht, wird vermutlich die gesamte Fläche in ein paar Jahrzehnten komplett eisfrei sein. Und die Zukunft schaut nicht rosig aus. Wir haben in den letzten Tagen außergewöhnlich hohe Temperaturen am eigenen Leib verspürt und auf dem Gletscher findet sich bereits jetzt kein Schnee mehr. Wir sehen blaues Eis! Das heißt, der Gletscher stirbt vor sich hin. Es ist echt zum Heulen! Ich kann nur jedem empfehlen, sich das Drama anzuschauen und sich dann Gedanken dazu zu machen, wie wir den Klimawandel noch unter Kontrolle bringen können. Ich bin da eher sehr pessimistisch. Hier ist ein Umdenken gefragt, das den geistigen Horizont vieler vermutlich weit überschreitet. Nicht nur dass wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden müssen, das Zeitfenster dafür schließt sich meiner Meinung nach sehr viel schneller, als träge Politik agieren kann. Wie gesagt, es ist zum Heulen!

Das Wetter ist mittlerweile fast Spitzbergen-typisch. Will heißen, es ist bewölkt, die Wolkenuntergrenze umhüllt die Bergspitzen und es nieselt. Nur ist es immer noch zu warm. Um vielleicht 4-6 °C! Aber es reicht, um ungemütlich zu sein. Ich ziehe besser meine rote AWI-Jacke an. Funktioniert noch immer bestens!

Ernst, Adam und ich beschließen die 40-50 m zum Gletscher hinunter zu steigen, während Nico und Andreas bevorzugen auf der Lateralmoräne zu bleiben. Den steilen Abstieg über Geröll meistern wir ohne Probleme, aber bevor wir zum Gletscher kommen, müssen wir noch den Schmelzwasserbach überqueren, der wild mäandriert. Das ist natürlich unser Glück, da wir mit beherzten Sprüngen über jeden kleinen Seitenarm springen können und so das andere Ufer erreichen. Der Gletscher knirscht unter unseren Schritten, als kleine Eisstücke abbrechen. Andreas meinte später es klingt wie ein Pferd, das Knäckebrot frisst. Ja, vielleicht! Wir wollen den großen Ausflusskanal genauer anschauen. Vor Jahren sind hier Unmengen an Wasser herausgekommen, heute sehen wir ein kleines Rinnsal. Wir vermuten, dass das Schmelzwasser nun einen anderen Weg gefunden hat. Nichtsdestotrotz ist der Kanal sehr eindrucksvoll und zeigt wunderbare Anzeichen von thermaler Erosion, die passiert, wenn wärmeres Wasser über das Eis fließt und dieses dadurch zum Schmelzen bringt. Am oberen Ende des Kanals sehen wir viele mehrere Meter hohe spitze Hügel, die aus einem Eiskern bestehen und mit Sediment überdeckt sind. Sehr cool! Im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder fotografiert ausgiebig und auf dem Rückweg mache ich noch einen Film mit der GoPro-Kamera. Auch beim Überqueren des Schmelzwasserbachs lasse ich sie laufen.

Nico und Andreas erwarten uns bereits, als wir schnaufend bei Ihnen ankommen. Jetzt gibt es erst einmal einen Tee! Und ein bisschen Schokolade! Und während wir so planlos in der Landschaft rumstehen, finde ich ein sehr farbenfrohes Konglomerat mit gelben, grünen, roten, grauen und schwarzen Komponenten. Nico merkt, wie ich den handgroßen Gesteinsbrocken beäuge und grinst sich einen. Der Entschluss ist schnell gefasst. Das Konglomerat ist einfach zu schön, um es liegen zu lassen. Also kommt die Trophäe in meinen Rucksack und ich werde es mit nach Ny Alesund schleppen. Das Wetter ist nun etwas besser. Es hat wieder aufgehört zu nieseln und die Sicht auf die gegenüberliegenden Berge und Gletscher ist deutlich besser geworden. Also machen wir noch ein paar mehr Fotos. Wir haben ja noch nicht genug!

Vom Rückweg ist nichts zu berichten außer den vorhersehbaren Seeschwalbenattacken. Die Touristen eines Kreuzfahrtschiffs schauen uns zu, trauen sich aber offensichtlich nicht weiterzugehen. Für mich ist es eine gute Gelegenheit Fotos von den, über meinen Kopf, anfliegenden Seeschwalben zu machen. Einige Bilder gelingen tatsächlich ganz gut und zeigen, wie nahe die Vögel einem kommen.

Wir melden uns bei Guillaume zurück aber ich möchte noch zum Zeppelinmast der für die „Norge“ errichtet wurde. Im Jahr 1926 flog dieser Zeppelin als erstes Fluggerät von Ny Alesund aus über den Norpol und landete schließlich in Alaska. Der Mast ist rostig aber doch eindrucksvoll und ein wichtiges historisches Dokument menschlichen Forscherdrangs. Ich bin ganz allein am Mast und kann mir alles in Ruhe anschauen und auf mich wirken lassen. Dann geht es aber zurück zum Blauen Haus, um das Gewehr zu säubern und zurück zu geben. Über Funk gebe ich Guillaume kurz Bescheid, dass ich zurück bin.

Danach kommt eine heiße Dusche! Ahh, herrlich! Und schon geht es in frischen Klamotten geschniegelt und gebügelt in die Kantine. Wie üblich sind die Tische festlich gedeckt und alle haben ihre besten Klamotten an. Es ist einfach immer ein besonderes Event und ich denke es geht auf die frühen Polar-Expeditionen zurück. Ich finde es schön, dass diese Tradition noch immer gelebt wird und man versucht gewisse Highlights zu setzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für Leute die das ganze Jahr hier verbringen eine schöne und wichtige Abwechslung ist. Ebenso wie die wissenschaftlichen Vorträge, die hier auch jede Woche zu den unterschiedlichsten Themen stattfinden.

Nach dem Essen treffen wir uns zu einem Videoabend im Aufenthaltsraum des Rabot-Gebäudes. Zunächst schauen wir uns die GoPro Filme an, die wir mit der Stange, dem Drachen und „freihändig“ gemacht haben. Wir sind uns schnell einig, dass es vermutlich nicht für einen Oskar reichen wird. Mir wird zumindest eine Nominierung für den besten Sound zugestanden. Das Knäckebrot fressende Pferd! Ist das jetzt etwas worauf man stolz sein kann? Dann folgen 11,500 km Dash-Cam Aufnahmen von Nicos Nordkap-Tour. Deutlich besser, weil mit Country Musik unterlegt! Sogar meine Highwaymen-Helden sind mit dabei: Johnny Cash, Waylon Jennings, Kris Kristofferson und Willie Nelson. Immer wieder klasse zu hören! Das wird nie alt! Die können es einfach!

Fotos

Steinkreise am Fuß eines kleinen Hügels von denen wir 2021 Bodenradarprofile gemacht haben
Steinkreise am Fuß eines kleinen Hügels von denen wir 2021 Bodenradarprofile gemacht haben
© KOP 132 SPLAM
  • Das SPLAM-Team auf der Lateralmoräne des Austere Brøggerbreen-Gletschers
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  • Ernst und Adam auf dem Weg zum Austere Brøggerbreen-Gletscher. Es ist nicht immer alles einfach!
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  • Der Abflusskanal des Austere Brøggerbreen-Gletschers
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  • Thermale Erosion: Das warme Schmelzwasser frisst Kanäle in das Eis
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  • Sedimenthügel auf dem Gletscher
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  • Das Gletschertor von der Seitenmoräne aus gesehen
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  • Bruchstrukturen im Gletschereis. Der Gletscher ist bereits jetzt schneefrei und schmilzt von Jahr zu Jahr schneller und weiter ab
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  • Pause!
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  • Das Radioteleskop wird von der Sonne hell angestrahlt
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  • Der nächste globale Virus? Nein, nur eine harmlose Verwitterungsstruktur
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  • Manche Dinge ändern sich nur wenig. Wer will kann das Bild mit jenem vom 11.7.2022 vergleichen
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  • Harry wird von Seeschwalben angegriffen
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Zeppelinmast der „Norge“ Expedition, die am 11.5.1926 Ny Alesund verließ, über den Norpol flog und am 13.5.1926 in Alaska landete
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  • Gedenkplakette am Zeppelinmast
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  • Die Mastspitze
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  • Das Service-Gebäude mit dem großen Fenster zum Fjord
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  • Jede Menge kaputte Thermoskannen, die sich im Rabot-Gebäude angesammelt haben. Meine „Ulrike“ steht ganz links!
    © KOP 132 SPLAM

7.7.2023

Das war eine kurze Nacht, denn um 6:45 Uhr klingelt mein Wecker. Und ich stehe auch brav auf. Ich will frühstücken! Bei Nico sind noch keine Lebenszeichen zu erkennen, als ich leise das Zimmer verlasse. In der Kantine taucht als erstes Ernst auf, als ich mehr oder weniger fertig bin. Es ist sofort auffällig, dass die Kantine nun deutlich voller ist. Während wir weg waren ist ein größeres Team aus Südkorea eingetroffen. Auch das indische Team scheint nun größer zu sein und auch das chinesische Team ist neu hier angekommen. Es ist also fast schon voll. Das merke ich auch im Waschsalon, wo ich Wäsche erst aus der Maschine nehmen muss, um meine eigene zu waschen. Selbstredend, dass die Wäsche in der guten Miele-Waschmaschine bereits fertig gewaschen war. Im Wollwaschgang ist alles in genau 38 Minuten wieder frisch und ich finde gerade eben noch Platz im Trockenraum, um alles aufhängen zu können.

Der Plan für heute ist eher unspezifisch. Jeder leckt seine Wunden und brötelt so vor sich hin, was bei mir bedeutet, dass ich mich zunächst um den Blog kümmere. Jetzt wo ich wieder Strom ohne Ende habe, kann ich meinen bisher verfassten Text über die letzten Tage überarbeiten, den Blog für den gestrigen und heutigen Tag schreiben, Fotos aussuchen und bearbeiten, Lokalitätsnamen ergänzen, wo sie gefehlt haben und Bildunterschriften verfassen. Was mir anfangs wie eine Arbeit für 1-2 Stunden vorgekommen ist, entwickelt sich tatsächlich zur richtigen Arbeit, die mich mehr oder weniger den ganzen Tag in Beschlag genommen hat. Ich sitze den ganzen Tag auf dem Sofa im Aufenthaltsraum des Rabot-Gebäudes und kriege nur über Funk mit, was alles außerhalb des Zimmers vor sich geht. Und fast als ich glaubte damit fertig zu sein, zeigt mir Andreas ein paar gute Fotos, die noch unbedingt in den Blog miteinfließen müssen. Nico kämpft sich durch den Text und ist wie üblich ein hervorragender Lektor. Aber nach dem Abendessen ist es dann doch geschafft und die Blogs für den 3.-6.7. sind nach Münster überspielt, um letztlich auf dem Internet zu landen.

Das Wetter ist heute übrigens genauso schön wie die letzten Tage und von Wind ist weit und breit keine Spur zu sehen bzw. zu fühlen. Hätten wir das gestern gewusst, hätten wir einen weiteren Tag im Gelände gehabt. Aber wir haben uns zusammen mit Fieke nun mal so entschieden auf Nummer sicher zu gehen, denn eine Nichtabholung zum vereinbarten Zeitpunkt hätte uns in ernsthafte Probleme bringen können. Und so sind wir nicht böse, heute die ganzen Arbeiten erledigen zu können, die wir in den letzten Tagen aufgeschobenhaben. Auch müssen wir noch das Gewehr putzen. Als wir das allerdings versuchen, stellt sich heraus, dass uns Isabelle ein Gewehr gibt, das bereits sauber ist. Das verwirrt uns alle und so wollen wir erst bei Fieke nachfragen, was da los ist. Währenddessen nimmt Nico die Frachtpapiere in Angriff. Er trifft sich dafür mit Apolline, um letzte Instruktionen zu erhalten. Eine Neuerung wird sein, dass künftig immer der Name des Projektantragstellers auf den Kisten stehen muss, also mein Name.

Und dann ist auch schon wieder Mittagessenzeit. Es gibt Hähnchen-Keulen mit Kartoffeln. Als Nachspeise Zimtschnecken, auf die alle ganz scharf sind und die deshalb sehr schnell verschwunden sind. Es ist geradezu witzig, aber die anderen sehe ich heute fast ausschließlich zum Essen. Beim anschließenden Kaffee treffen wir Fieke, die auf der Suche nach einer Gewehrkugel ist. In die Magazine der Sako-Gewehre passen fünf Patronen aber wenn man nicht aufpasst, kann aus dem Ersatzmagazin sehr leicht eine Patrone herausfallen. Wir sind allerdings in dieser Beziehung völlig unschuldig, denn ich habe bei der Rückgabe penibel nachgezählt und weiß, dass ich 10 Schuss Munition in den dafür vorgesehenen Safe eingeworfen habe. Es muss also eine andere Gruppe die Patrone noch in irgendeiner Tasche haben.

Ernst und Nico kümmern sich um unsere Ortliebsäcke, die wir vom AWIPEV ausleihen konnten, um unsere Sachen trocken zur Kjærsvika-Hütte zu bringen. Sie spülen sie ab und hängen sie zum Trocknen auf. Ein ähnliches Schicksal erfahren unsere Überlebensanzüge. Somit haben wir fast die gesamte ausgeliehene Ausrüstung sauber und in Ordnung zurück gegeben.

Damit mir bei all den Arbeiten am Blog nicht die Decke auf den Kopf fällt, unternehme ich einen Spaziergang zum Hafen. Zu meiner großen Freude und Überraschung ist „Sabrina“ wieder im Wasser und liegt zufrieden in ihrer Stegbox. Am Kai liegt die „Plancius“ und entlässt gerade ihre Passagiere. Das Schiff ist klein und die Anzahl an Touristen ist verkraftbar. Ich kann mich nur darüber amüsieren, dass mich sofort 3 Touristen umringen, als ich eine Gryllteiste fotografiere, einen wunderschönen schwarz-weißen Vogel mit schwarzem Schnabel und knallroten Beinen. Und natürlich wird der Vogel auch sofort abgelichtet. Allerdings von Kameras mit einer Optik, die einem guten Amateurteleskop alle Ehre machen würde. Ich frage mich, um wieviel diese Bilder tatsächlich besser sind als jene, die ich mit meiner kleinen Kamera mache? Ich hätte diese großen Teleobjektive jedenfalls gestern nicht während der ganzen Wanderung mitschleppen wollen. Auch denke ich, dass sie für unsere Tätigkeiten völlig unpraktisch wären, vor allem in schlechtem Wetter. Aber cool ausschauen tun sie schon!

Neben den Touristen gibt es natürlich noch andere Konstanten in Ny Alesund. Da ist z.B. Maarten Loonen von der Universität in Groningen, der quasi zum Inventar von Ny Alesund gehört und Teile des KingsBay Personals. Anne Karine Røe und Marin Havnås sind alte Bekannte, die wir seit mehreren Jahren immer wieder gerne sehen. So manche andere Gesichter erkennen wir auch wieder. Andere Gesichter sind natürlich neu. Und dann sind da noch die berühmt-berüchtigten französischen „Fluide Glacial“ Comics, die im Rabot-Gebäude im Regelfall auf den Toiletten zu finden sind. Seit 2013! Vielleicht mal eine Ausgabe von 2016! Immer die gleichen Hefte. Das nenne ich Konstanz! Neuere Ausgaben sind meist nicht zu finden. Ist auch egal, da ganz gleich wie oft ich diese Hefte durchschaue, die meisten Witze eh schlicht an mir vorbei gehen.

Am Hafen schaue ich auch den KingsBay-Arbeitern zu, wie sie eine neue Stahlbetonschicht auf dem Bootsanleger aufbringen. Der Anleger wurde zwar erst im letzten Jahr fertiggestellt, aber offensichtlich ist dabei etwas schiefgegangen, so dass der Beton großflächig abplatzte. Nicht weit daneben wird ein größerer Graben ausgehoben, um eine Abwasserleitung zu verlegen. Da die Arbeiter gerade am Werke sind, laufe ich schnell rüber, um einen Blick in den Graben zu schmeißen. Mich interessiert, ob man vielleicht das Permafrosteis sehen kann und frage den Baggerfahrer, ob er beim Aushub auf Eis gestoßen ist. Er meint am Strand hat er in ca. 2 m Tiefe Eis angetroffen, weiter weg vom Strand bereits in ca. 1 m Tiefe.

16:30 Uhr! Jetzt aber schnell, denn es gibt Abendessen. Danach wollen wir uns noch treffen. Allerdings ist die Terrasse des Blauen Hauses heute bereits frühzeitig von anderen belegt, so dass wir auf den ersten Stock des Service-Gebäudes ausweichen müssen. Von dort hat man durch eine riesige Fensterwand einen tollen Blick auf den Fjord und die Gletscher. Der Blick durch das dort stehende Spektiv macht süchtig und ich probiere mit der Kamera Bilder durch das Spektiv zu machen, was ganz interessante Effekte ergibt. Adam spielt dazu am Keybord und er ist richtig gut. Besonders gefallen hat mir Lennard Cohen’s „Hallelujah“. Ein Lobgesang auf diese Landschaft ist sicher passend aber Cohens Liedtext ist dafür sicher nicht geeignet. Ernst, Nico und ich wälzen noch den Atlas von Norwegen und Nico erzählt uns von seiner Reise ans Nordkap. Dann hole ich noch meine Sachen aus dem Trockenraum und wasche auch gleich noch eine zweite Ladung.

Den ganzen Tag über war im Westen eine Wolkenbank zu sehen, die jetzt am Abend immer näher kommt. Der Himmel ist bereits bedeckt und die Sonne verschwunden. Völlig ungewohnt nach all den durchweg sonnigen Tagen. Es schaut also so aus, als ob der Wetterbericht Recht behielte und das Wetter tatsächlich wieder eher Spitzbergen-typisch wird. Laut Vorhersage könnte es auch regnen, allerdings in homöopathischen Mengen von 0,3, 1,2 und 0,1 mm am Samstag, Sonntag und Montag, bei Temperaturen von 4-9 °C. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht und meine zweite Ladung Wäsche sollte zum Aufhängen bereit sein. Das wird heute meine letzte Amtshandlung sein, denn dann geht es ins Bett!

Fotos

Ernst und Andreas entspannen sich im Aufenthaltsbereich des Service-Gebäudes
Ernst und Andreas entspannen sich im Aufenthaltsbereich des Service-Gebäudes
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  • Eigentlich sollte ja heute Wind sein…
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  • Passagiere der „Plancius“ gehen von Bord
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  • Zwei Mitras?
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  • Der Bootsanleger wird neu betoniert
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  • „Sabrina“ ist wieder in ihrem Element!
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  • Die Gryllteiste – ein begehrtes Fotoobjekt
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  • Die alte Kohlewäscherei in Ny Alesund
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  • Der große Graben
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  • Fast schon Kunst, die Helme im Lager des Rabot-Gebäudes
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  • Room with a view -Es gibt schlechtere Ausblicke aus einem Fenster
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  • Der Kronebreen-Gletscher durch das Spektiv fotografiert
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  • Großformatiges Bild im Service-Gebäude in Erinnerung an Amundsens Zeppelinfahrt über den Nordpol
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6.7.2023

Um 9:00 Uhr sollen wir heute mit Fieke per Satellitentelefon den Plan für die Abholung von der Kjærsvika-Hütte besprechen. Laut ihrer Wettervorhersage soll der Wind am Freitag deutlich stärker werden, so dass eine Abholung unter Umständen schwierig bzw. unmöglich wäre. Sie schlägt deshalb vor, uns bereits am Abend gegen 19:00 Uhr abzuholen. Nach Absprache im SPLAM-Team schlagen wir vor, dass ein Teil von uns nach Ny Alesund zurück laufen wird und Andreas und Nico mit unserem Gepäck per Boot nach Ny Alesund fahren. Das hat den großen Vorteil, dass nur ein Boot benötigt wird und somit alles viel einfacher wird. Unseren ursprünglichen Plan, dass Andreas und Nico heute noch mit ins Gelände kommen begraben wir allerdings schnell. Dadurch, dass es schon relativ spät ist, wir eine gute Stunde Anmarsch ins Untersuchungsgebiet haben und die Hütte ja auch noch sauber gemacht werden muss, rentiert es sich nicht für die Zwei mit zu Geopol zu kommen.

Für die Wanderer heißt es nun schnell die gesamte Ausrüstung zu verpacken. Persönliche Dinge, wie stinkige Socken oder gebrauchte Unterwäsche will niemand wegräumen müssen. Da kommt schon der Besitzer in den Genuss alles halbwegs geruchsneutral zu verpacken. Aber man hat ja eh nicht viel dabei und so sind wir auch in ein paar Minuten fertig. Sogar meine Espressomaschine vergesse ich nicht! Die Flaggen hole ich auch lieber selbst noch runter. Nico könnte sie ja rein „zufällig“ am Fahnenmast der Kjærsvika-Hütte vergessen, da er ohnehin immer wenig erbaut über meine bayerische Beflaggung ist und lieber die Europafahne oder die UN-Fahne wehen sehen würde. Dieser“ Schmedddemann Character“ – da ist er wieder!

Wir teilen unsere Sicherheitsausrüstung auf und jede Gruppe bekommt ein Gewehr, eine Signalpistole und einen Notfallsender. Andreas und Nico erhalten zusätzlich das Satellitentelefon, während Adam, Ernst und ich das InReach Gerät mitnehmen. So können sie mit dem AWIPEV kommunizieren, falls die Abholung heute doch nicht klappen sollte. Und wir können im Notfall eine Textnachricht mit dem InReach Gerät verschicken. Ein weiterer Vorteil ist, dass Fieke sehen kann, wo wir gerade sind, sobald wir den Tracking-Modus eingeschaltet haben. Tolles Teil und hier oben sehr praktisch.

Und dann bleibt nicht einmal mehr die Zeit sich ordentlich von der Hütte und den anderen zu verabschieden. Wir laufen los und nach ein paar Metern ist die Hütte bereits außer Sicht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Aber warum auch? Der Weg zur Geopol-Hütte ist heute der reinste Spaziergang und kommt mir extrem kurz vor. Vielleicht deshalb, weil wir an einem ausgetrockneten See halt machen, auf dessen Boden wir wunderbare kleine Polygone sehen, die von Gesteinsbrocken abgegrenzt werden. Interessanterweise ist die Orientierung der Abgrenzungen konzentrisch und radial zu einer kleinen Vertiefung am Seeboden. Die Strandlinie ist wunderbar zu erkennen und oberhalb haben sich viele Streifen ausgebildet, die aus Kies und dazwischen liegendem Feinmaterial bestehen. An etwas steileren Stellen sind die Polygone länglich verzerrt. Es ist also hier auf kleinster Fläche zu sehen, was immer in den Lehrbüchern beschrieben wird. Einfach Klasse! Und natürlich einige Fotos wert!

An der Geopol-Hütte kochen wir Wasser für Tee. Die Teebeutel haben wir mitgebracht, ebenso wie Fischbüchsen, Müsliriegel, Schokolade und, man höre und staune, Nudelsuppen, die als Abendessen gedacht sind. Das Wetter ist heute wieder unnatürlich warm und der Wind, der heute morgen noch recht frisch an der Kjærsvika-Hütte geweht hat, ist mittlerweile komplett eingeschlafen. Ich versuche den Drachen steigen zu lassen, aber selbst ohne Kamera darunter verweigert er die Arbeit und fällt lustlos wieder auf den Boden. So wird das nichts. Ich beschließe trotzdem die gesamte Drachenausrüstung in meinen Rucksack zu packen, in der Hoffnung, dass der Wind vielleicht wieder auffrischt. Schließlich soll er das ja laut Wettervorhersage. Mit einem Liter Tee, der Drachenausrüstung und einem Teil meiner Schlechtwetterbekleidung ist der Rucksack gut voll, als wir schließlich an die Arbeit gehen.

Der Plan ist heute die Profile abzulaufen entlang derer wir die Bodenradarmessungen letztes Jahr gemacht haben, sowie einige Punkte zu inspizieren, wo Cynthia für ihre geomorphologische Karte noch Informationen braucht. Das Ablaufen der Profile soll Adam zusätzlich Infos für die Auswertung der Radardaten liefern. So hangeln wir uns sehr langsam an den Profilen entlang bis zu einem großen Aufschluss aus Kalkstein, der prominent aus der ansonsten meist flachen Ebene aufragt. Der Aufschluss war damals der Endpunkt unseres Radarprofils. Adam macht fleißig Fotos und Notizen, während Ernst und ich die Zeit mit anderen Dingen vertreiben. Wir entdecken z.B. eine Reihe großer Findlinge aus Gneis, die entlang einer der Strandlinien auf Kvadehuksletta abgelagert wurden. Sie sind gut gerundet und sind sicher mit einem Gletscher von größerer Entfernung hierher gebracht worden, da es in unmittelbarer Nähe keine Gneise gibt.

Nachdem Adam mit der Aufnahme des ersten Profils fertig ist, checken wir Cynthias Punkte. Zum einen finden wir weitere Walknochen, die wir beproben. Es ist schon erstaunlich, wie groß und massiv diese Knochen sind. Man kann sich die Größe des Tieres fast schon vorstellen, wenn man armdicke Rippen von teilweise mehr als 1,5 Meter Länge findet. Wie aufregend muss es da erst sein, Dinosaurierskelette zu finden und auszugraben. Wer hätte das gedacht, dass Ernst und ich mal fast in die Paläontologie-Schiene abdriften und Knochen suchen! Zum anderen entdecken wir ein sehr beeindruckendes Kliff aus roten und hellen Konglomeraten. Jetzt laufen wir seit zig Jahren hier durch die Gegend, aber es ist das erste Mal, dass ich dieses ca. 3 m hohe Kliff sehe. Und wer mein Faible für Konglomerate und Brekzien kennt, der kann sich mein breites Grinsen vermutlich gut vorstellen. An der Unterseite des Kliffs sind ca. 0,8 m eines weißlichen Konglomerats aufgeschlossen, das von ca. 0,15 m weißem Sandstein überlagert ist, bevor dann ca. 1,5 m rotes Konglomerat folgen. In einigen Bereichen ist eine wunderbare gradierte Schichtung zu sehen, mit gröberen Korngrößen unten und immer feineren Korngrößen nach oben hin. Ich würde gerne ein Handstück mitnehmen, aber um die ganze Schönheit eines grobklastischen Konglomerats wirklich sehen zu können, müsste es schon ein großes Handstück sein, das ich dann den ganzen Tag und die lange Strecke nach Ny Alesund schleppen müsste. Schweren Herzens bleiben mir nur Fotos. Aber nächstes Jahr!

Mittlerweile ist es 17:00 Uhr geworden und wir machen uns entlang des zweiten Radarprofils wieder in Richtung Geopol auf den Weg. Business as usual! Adam macht Fotos und Notizen, Ernst und ich schauen uns andere Dinge an. Unter anderem fällt mir auf dem Rückweg ein, dass sich der erfahrene Blog-Leser sicher fragen wird, welche Uhr ich denn dieses Mal mit nach Spitzbergen genommen habe. Nun, ich kann es kurz machen. Es ist meine dezent rosa Regattauhr. Neu ist allerdings, dass ich ein Bild der Uhr vor dem Schetelifjellet aufgenommen habe. Quasi ein Beweisfoto. Ohne Worte!

Geopol ist wirklich eine fantastische Hütte und ich bedauere es fast, dass wir nicht unsere Schlafsäcke mitgebracht haben, um hier zu übernachten. Wir kochen Wasser für unsere Nudelsuppen und machen eine ausgiebige Pause in der gemütlichen Hütte. Adam wird vom kleinen Sofa aufgenommen und er erkennt sofort die Vorzüge dieser Hütte. Nächstes Jahr werden wir definitiv wieder hier unser Basislager aufschlagen! Ohne Wenn und Aber! Wir spülen ab, kehren die Hütte, klemmen das Gas ab und verschließen die Hütte, dann ist es Zeit sich von Geopol für dieses Jahr zu verabschieden. Schluchz! Ich liebe diese Hütte!

Mit frisch gefüllten Thermoskannen und meiner gesamten Schlechtwetterausrüstung ist mein Rucksack nun nicht nur voll, sondern auch schwer. Uhh, das wird kein Vergnügen, das Ding bis auf das Steinflåen-Plateau hochzutragen, entlang dessen wir nach Ny Alesund wandern wollen. Wir brechen kurz nach 19:00 Uhr auf, nachdem wir die anderen im Motorboot vorbeifahren sahen. Der Versuch mit ihnen per Funk in Kontakt zu kommen, schlug leider fehl. Wider Erwarten fällt mir der Aufstieg zum Plateau relativ leicht. Ich schnaufe zwar wie der 12:00 Uhr Zug aber wir kommen gut und zügig voran, Nerviger als der eigentliche Aufstieg war der Weg bis dorthin, weil wir über unzählige Steinkreise laufen mussten, der Boden teilweise recht weich und nass war und wir noch einen kleinen Fluss überqueren mussten. Aber letztlich auch kein Problem. Und die Aussicht auf dem Weg ist einfach unglaublich schön. Gut ist auch, dass wir so spät unterwegs sind, da die Landschaft jetzt in einem fantastischen Licht angestrahlt wird.

Wir steigen weiter auf und queren unterhalb des Mørebreen-Gletschers. Von hier hat man einen grandiosen Ausblick auf die Endmoräne des Gletschers. Wir haben diese Tour in früheren Jahren öfter gemacht, aber in den letzten Jahren war entweder das Wetter zu schlecht, oder es lag zu viel Schnee oder Covid hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Heute sehen wir die Moräne wieder in ganzer Pracht und ich denke, sie hat sich deutlich verändert. Mir kommt sie heute viel hügeliger vor, als ich sie in Erinnerung habe. Aber natürlich muss ich erst meine alten Fotos wieder heraus kramen, um dies wirklich sagen zu können. Vom Scheteligfjellet muss vor kurzem ein größerer Felssturz abgegangen sein, denn wir laufen über viele große Brocken, die eindeutig von weiter hangaufwärts stammen. Auch drei frische Schuttfächer deuten darauf hin, dass die Erosion ihren Lauf nimmt. Wir halten die Felswand im Auge und schauen, dass wir möglichst schnell möglichst weit weg kommen.

Der Abstieg in Richtung Strypbekken, der normalerweise immer recht schwierig ist, weil man einen steilen Hang mit lockeren Hangschutt hinunterlaufen muss, gestaltet sich heute relativ einfach da wir ein ausgedehntes Schneefeld nutzen können. Schon von oben haben wir einen tollen Ausblick auf die Eiswand, die wir seit Jahren beobachten. War sie beim letzten Mal fast schon wieder komplett mit Geröll bedeckt, ist sie dieses Jahr wieder frei von Geröll und größer als je zuvor. Mir fällt schier die Kinnlade herunter. Als wir davor stehen. Sehen wir einen einzigartigen Querschnitt durch die Moräne und ihren Eiskern. Der ganze, vielleicht 20 m hohe Hügel besteht aus Eis und nur die obersten 30-40 cm bestehen aus lockerem Schutt. Darauf laufen wir, in der Annahme, dass man auf festem Grund läuft. Aber nein, man läuft im Prinzip auf Eis! An der ganzen Steilwand aus Eis prasselt es unaufhörlich wenn der lockere Schutt abrutscht und spritzend in den davor befindlichen kleinen tiefgrünen See fällt, der noch immer zum Großteil mit Eisschollen bedeckt ist. Wir machen hier in der Sonne eine Teepause und schauen uns das Spektakel eine Weile an. Weiter hangaufwärts ist noch ein abgetrennter Teil der Endmoräne zu sehen, der rechtwinklig zur großen Moräne angeschnitten ist. Man sieht also zwei Querschnitte durch die Moräne in unterschiedliche Richtungen. Wo gibt es so etwas sonst noch?

Für den weiteren Abstieg verwenden wir wieder ein Schneefeld, so dass wir zügig an Höhe verlieren und vorwärts kommen. Leider ist der Boden unterhalb der Schneefelder völlig durchnässt und weich. Wir können uns oft nur entlang der Gesteinsumrandungen der Polygone und Steinkreise fortbewegen, da wir zu sehr einsinken, sobald wir auf das feinkörnige, wassergesättigte Innere treten. Über die Trehymingen-Ebene laufen wir weiter in Richtung Ny Alesund, das mit jedem Schritt ein kleines bisschen größer wird. Schließlich erreichen wir die Schotterstraße, die das Radioteleskop mit Ny Alesund verbindet. Das gemeine ist, dass man meint, eigentlich schon in Ny Alesund zu sein. Man läuft aber dann doch noch fast 45 Minuten, um die eigentliche Stadt zu erreichen. Nach einem langen Tag und vielen Kilometern auf dem Buckel hat man dazu nur noch wenig Lust. Zwar ist der Ausblick auf den spiegelglatten Fjord mit seinen Eisbergen und auf Ny Alesund sehr hübsch, aber zu dem Zeitpunkt, um kurz vor Mitternacht, will man einfach nur noch schnell heim kommen. Die Seeschwalben, die recht und links neben der Straße brüten und die Angst um ihre Nester haben, verbessern die Lage auch nicht. Sie fliegen einen Angriff nach dem anderen auf den höchsten Punkt und Scheißen und Kotzen dabei, was das Zeug hält. Mehrmals schlagen diese Liebesgaben knapp neben mir ein. Getroffen werde ich aber glücklicherweise nicht.

„AWIPEV, AWIPEV for Harry, we are back in town“ Fieke hatte uns über das InReach Gerät schon verfolgt und unsere Ankunft erwartet und wünscht uns eine gute Nacht. Andreas und Nico sitzen auf der Terrasse des Blauen Hauses und bilden ein würdiges Empfangskomitee. Es gibt für alle einen winzigen Schluck vom Jameson Whiskey und Bier. Bis jetzt bin ich nur in meinem langärmeligen 150er Icebreaker T-Shirt herum gelaufen. Aber jetzt ziehe ich mir nach und nach eine Lage nach der anderen an. Wir haben jede Menge Spaß und Andreas und Nico berichten, dass sie quasi kaum vom Boot herunter gestiegen waren, als sie auch schon zu einer Party eingeladen waren. Der Versuch noch aus der Kantine die ein oder andere Fischbüchse zu ergattern scheitert. Ernst kann die Büchsen nicht finden. So essen wir Chips, Erdnüsse, Schokolade und Ritz-Cracker. Adam „sichert“ sich einen letzten Ritz-Cracker, den er auf die Bank neben sich legt. Meinem scharfen Auge entgeht allerdings nichts und er erntet dafür viel Spott und Gelächter. Gegen 2:00 Uhr geht es dann noch unter eine herrlich warme Dusche bevor mein nun frisch gewaschener Kopf das dafür vorgesehene Kissen berührt. Und schon sind die Lichter aus!

Fotos

Schlafsack-Tetris
Schlafsack-Tetris
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  • Kleine Steinpolygone am Grund eines ausgetrockneten Sees
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  • Detail der kleinen Steinpolygone
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  • Gruß an unsere Lieben zu Hause
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  • Adam ist einem Vogelnest zu nahe gekommen und wird attackiert
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  • Julia Boikes Instrument das wir voriges Jahr bergen wollten, ist noch immer an Ort und Stelle
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  • Adam und Ernst versuchen das GPS unter Kontrolle zu bekommen
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  • Segelschiff im Forland Sund
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  • Ist es nicht schön, das rote Konglomerat?
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  • Das Konglomerat-Kliff
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  • Sommer in Spitzbergen
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  • Hier hat es sich ein Vogel schmecken lassen
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  • Massiver Walknochen
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  • Die Uhr!
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  • Auf dem Weg zum Steinflåen
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  • Schnee am Scheteligfjellet
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  • Blick auf die Endmoräne des Mørebreen-Gletschers
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  • Der Rest des Mørebreen-Gletschers unterhalb des Scheteligfjellet
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  • Frischer Hangschutt am Fuße des Scheteligfjellet
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  • Der erste Blick auf die dunkelbraun gefärbte Eiswand der durchschnittenen Endmoräne des Mørebreen-Gletschers
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  • Ein Detail der Eiswand
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  • Ein zweiter Einblick in die Moräne mit Eiskern
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  • Schnee am Grat des Scheteligfjellett
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  • Eingefrorene Gesteinsbrocken in die ansonsten aus reinem Eis bestehende Wand
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  • Nur wenig Schutt bedeckt die Moräne – darunter kommt schon das Eis
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  • Blick auf Ny Alesund
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  • Die Bayelva transportiert rote Sedimente in den Fjord
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  • Nach einem langen Tag mit vielen gelaufenen Kilometern spiegeln sich Ernst und Harry in einer Sonnenbrille
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5.7.2023

Der Tag beginnt heute – zu spät! Niemand von uns hat auch nur Ansatzweise den Wecker gehört. Ich werde wach, als eine deutsche Eiche krachend zu Boden fällt. Jetzt aber raus aus den Federn! Ernst zwinkert mich etwas missmutig an, steht aber auch gleich auf. Adam, der unter dem Tisch schläft, wird wach, als ich darauf mit dem Wassertopf hantiere, um das Wasser für die Nudelsuppen und den Tee zu kochen. So nach und nach wird auch Nico und Andreas wach. Zum Frühstück gibt es neben den Nudelsuppen eine feine Rotwurst im Glas und ein Frühstücksfleisch. Bei der Rotwurst sind sich nicht alle sicher, dass man das auch essen kann. Und in der Tat, der Anblick ist schon gewöhnungsbedürftig. Dicke Fettbrocken in roter Sauce ist nicht jedermanns Traum von einem guten Frühstück. Mir schmeckt sie! Dann gibt es durchaus auch etwas interessantes zu beobachten. Adam versucht die erste Scheibe Frühstückfleisch aus der Dose zu bekommen und stellt sich dabei ungefähr genauso geschickt an, wie ich bei der gestrigen Flussüberquerung. Ich erlöse ihn von seinen Qualen und helfe ihm. Von da an geht es mit dem Frühstückfleisch dahin wie geschnitten Brot. Wir brauchen noch einige Zeit, um genügend Wasser für unsere Thermosflaschen und zum Abspülen zum Kochen zu bringen. Den Abwasch übernehme heute morgen ich. Ernst hat sich wie üblich schon genügend Spülhände geholt, dass Tilly völlig verzweifelt wäre.

In einer guten Stunde sind wir an der Geopol-Hütte. Der Weg dorthin ist wieder sehr schön und auch die Flussdurchquerung gelingt zügig. Die Kvadehukelva ist wirklich kein großes Ding zu überqueren. Da hatten wir schon ganz andere Kaliber. Was diese Überquerung immer etwas unangenehm macht, sind die vielen spitzen und scharfkantigen Gesteinsbrocken. Wie sollten sie auch gerundet sein, wenn der Berg von dem sie kommen gerade einmal 1 km weg ist. An der Geopol-Hütte machen wir erst einmal eine Teepause. Die Temperaturen sind ungewöhnlich hoch und wir haben alle damit zu kämpfen. Man kommt nicht nach Spitzbergen um bei 14 °C durch die Gegend zu laufen, mit Ausrüstung , die für unter 5 °C gemacht ist. Zusätzlich weht heute kein Wind, was die gefühlten Temperaturen weiter ansteigen lässt.

Vorbei an unseren in den Boden gerammten Eisenstangen mit denen wir die Hebungsrate des Bodens während des Gefrierens dokumentieren wollten, geht es in Richtung Steinkreis Nummer 11, den wir gestern aufgrund des Eisbären nicht mehr erreichen konnten. Die Eisenstangen sind leider mittlerweile nutzlos geworden und zeigen kein interpretierbares Muster mehr. Schlimmer noch, an der zweiten Stelle sind einige der Stangen verbogen bzw. aus den Boden gezogen worden. Kurz, dieses Experiment hat nur im ersten Jahr interessante Ergebnisse geliefert, ist aber mittlerweile obsolet.

Steinkreis 11 ist dagegen in gutem Zustand und unsere Linien sind auch nach 11 Jahren immer noch gut sichtbar. Zumindest die blaue Farbe. Die rote Farbe ist schon deutlich schwieriger zu sehen und die schwarze Farbe, die wir 2012 verwendet haben, ist nicht mehr zu erkennen. Was lernen wir daraus? Immer Farbe verwenden, die nicht ähnlich den Gesteinen ist. Schwarz ist letztlich zu ähnlich mit der Verwitterungsfarbe der Gesteine, rot ist manchmal schwierig zu sehen wenn rote Sandsteine und Konglomerate in den Steinkreisen auftreten. Blau ist dagegen exotisch und kann am leichtesten erkannt werden. Und obwohl wir damals Farbe einer Firma verwendet haben, scheint die blaue Farbe wesentlich verwitterungsbeständiger zu sein.

Zwischen Steinkreis 11 und 12 entdecken wir einige Walknochen. Wir markieren ihre Lage im GPS und beproben sie. Die Idee ist, dass diese Knochen umso jünger werden, je näher wir an den Strand kommen. Dies hat damit zu tun, dass sich das gesamte Gelände noch immer hebt. Ältere Strandrücken bzw. die daran angeschwemmten Walknochen liegen also auf einem topografisch höheren Niveau. Die Beprobung stellt sich schwieriger als erwartet heraus, denn die Knochen sind zwar außen stark verwittert, aber darunter noch sehr gut erhalten.

Schließlich erreichen wir unseren letzten Steinkreis, die Nummer 12. Auch hier gehen wir wie immer so vor, dass Nico zunächst die Bilder mit der Stange macht und Ernst und ich dann die Veränderungen aufschreiben und im Detail fotografieren. Als das erledigt ist, ist es Zeit zur Trennung. Wir überprüfen, dass jede Gruppe die entsprechende Sicherheitsausrüstung hat und schalten auch unsere Funkgeräte an, so dass die zwei Gruppen auch Kontakt halten können. Ernst und Adam wollen sich ein paar Punkte auf der neuen geomorphologischen Karte von Cynthia Sassenroth anschauen. Cynthia war ja letztes Jahr mit hier und hat seitdem eine sehr detaillierte Karte anhand von Fernerkundungsdaten erstellt. Andreas, Nico und ich wollen den Drachen fliegen lassen und ein zweites Profil in Richtung Geopol ablaufen. Zunächst gelingt das auch noch halbwegs gut, aber auf ca. halber Strecke geht uns der Wind aus und wir packen zusammen. An der Geopol-Hütte kochen wir Wasser, da wir alle Durst haben und warten auf die anderen beiden, die fast pünktlich um 18:00 Uhr dort auftauchen. Ein kurzes Ausschnaufen und Erholen, dann sind wir bereits wieder auf dem Weg zur Kjærsvika-Hütte. Ernst und ich stimmen überein, dass Geopol eindeutig die bessere Hütte für uns ist. Die Aufteilung der Hütte ist besser und die Lage ist einfach nur genial. Die riesige freie Fläche gibt einem wirklich ein Gefühl der Einsamkeit, die man hier auch erwartet und schätzt.

Der Rückweg verläuft wenig spektakulär und selbst die Überquerung der Kvadehukelva gestaltet sich heute mit entsprechender Vorausplanung problemlos. Habe ich schon erwähnt, dass die Steine wirklich spitz sind? Und natürlich will ich meine Strandschuhe auch heute nicht nass machen. Es heißt also für ein paar Minuten leiden! Aber ich bin ja kein Weichei!

An der Kjærsvika-Hütte weht nun ein strammer Wind, der aus genau gegensätzlicher Richtung kommt als heute beim Verlassen der Hütte. Ernst will trotzdem ins Meer, um sich vom täglichen Schweiß zu trennen. Ich bin eher skeptisch! Aber als auch Nico losmarschiert in Richtung Strand, komme ich nach. Und auch Andreas ist nach ein paar Minuten unten am Strand. Das Wasser ist frisch aber hinterher fühlt man sich viel besser. Und der Wind war weniger ein Problem, als ich ursprünglich dachte. Eigentlich alles kein Problem. Zu Beweiszwecken macht Nico ein paar Fotos von mir im Wasser mit dem Prins Karls Forland als Hintergrund. Und an der Hütte wartet schon ein Bier auf uns, das wir uns auch wirklich verdient haben. Aber nur eins! Da alles transportiert werden muss, haben wir nur Minimalmengen mitgenommen. Das bedeutet ein Bier pro Person und Tag. Allerdings mussten wir heute feststellen, dass zwei unserer Büchsen nicht vollständig gefüllt sind. Skandal!

Zum Abendessen gibt es heute Pasta mit Thunfischsauce. Andreas hat wieder gezaubert und für uns nach einem anstrengenden Tag noch etwas feines auf den Tisch gebracht. Allerdings bleibt es dort nicht lange, denn wir sind alle hungrig und im Handumdrehen ist der große Topf auch schon wieder leer. Nico arbeitet bereits vor dem Abendessen am deutschen Eichenwald, während ich am Blog schreibe. Ernst hat uns beim AWIPEV abgemeldet aber wir sollen morgen um 9:00 Uhr noch einmal anrufen, um die Logistik des Transports zurück nach Ny Alesund zu diskutieren. Es ist fast schon schockierend, wie wenig Zeit uns tatsächlich im Gelände bleibt. Ich wünschte es wären mehr Tage, denn ich genieße jeden einzelnen davon in vollen Zügen. Obwohl es heute schon fast ein langweiliger Tag war! Die via nicht vorhandenem Internet bestellten 50 Belugawale sind nicht erschienen und auch Eisbären haben sich heute nicht blicken lassen. Wir konnten also völlig ungestört und ungehindert vor uns hin arbeiten. Morgen geht es noch einmal zur Geopol-Hütte, um nochmal Dinge für Cynthias Karte zu checken und um uns ein paar sog. Protalus-Ramparts anzuschauen, also morphologische Strukturen an der Basis steiler Kliffs, die durch Eis und Schutt gebildet wurden. Ähnliche Strukturen sehen wir auch auf dem Mars aber bisher war nie genügend Zeit, die Strukturen hier genauer zu untersuchen.

Fotos

Die gespülten Fischbüchsen hängen zum Trocknen an der Geopol-Hütte
Die gespülten Fischbüchsen hängen zum Trocknen an der Geopol-Hütte
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  • Ein etwas anderer Blickwinkel auf den Scheteligfjellet und den Nekknuten
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  • Ernst inspiziert einen weiteren Walknochen
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  • Die kleinste Krume Boden wird genutzt
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  • Andreas vor der imposanten Kulisse des Prins Karl Forland
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  • Ein Stück angekohltes Holz an der Geopol-Hütte
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  • Prins Karl Forland im Gegenlicht
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  • Interessante Schneeverwehung
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  • Ein historisches Bild. Zum aller ersten Mal sitzen Andreas und Nico im Schatten der Geopol-Hütte. In der Sonne war es ihnen zu warm. Das gab es noch nie!
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  • Scheteligfjellet
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  • Wir waren gestern und heute schwimmen. Hier der Beweis!
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  • Endlich weht genügend starker Wind für die Fahnen
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  • Harry beim Blog schreiben
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  • Es gibt Essen!
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4.7.2023

Ein spektakulärer Tag! Fürwahr!  Wir schälen uns etwas verspätet aus unseren Schlafsäcken und es dauert etwas, bis wir tatsächlich mit Frühstücken beginnen können. Es müssen ja erst die Isomatten und Schlafsäcke von Ernst, Adam und mir aus den Weg geräumt werden, bevor man sich überhaupt in der Hütte bewegen kann. Dann muss Wasser für unsere Nudelsuppen und den Tee gekocht werden. Bei den Mengen, die wir brauchen, dauert das auf unserem kleinen Gasherd etwas. Aber schließlich kriegt jeder seine Nudelsuppe und eine dicke Scheibe Frühstücksfleisch auf seinem Knäckebrot. Ich sagte doch; ein spektakulärer Tag. Nein, natürlich nicht wegen den Nudelsuppen, die gibt es ja jeden Tag. Vielmehr wurde der Tag bereits kurz nach dem Frühstück richtig gut, als wir mehr als 35 Belugawale zählen, die den Sund entlang schwimmen. Ein schier unglaubliches Bild! Natürlich versucht jeder wie wild Fotos zu machen. Selbst als sie zu weit weg sind, schauen wir ihnen noch nach, wie sie vor der einzigartigen Kulisse des Prins Karls Forland ihre ruhigen Bahnen ziehen. So etwas habe ich noch nie erlebt und ich bin tief beeindruckt von der Grazie dieser Tiere. Einfach majestätisch!

Nachdem wir unsere Ausrüstung gecheckt und uns beim AWIPEV per Sattelitentelefon abgemeldet haben, können wir uns auf den Weg in Richtung Geopol machen. Heute ist definitiv Sonnencreme angesagt! Ich verwende Schutzfaktor 50, denn die Sonne soll das Thermometer heute bis 14 °C hochtreiben. 14 °C in der Arktis! Irgendwas ist hier faul bzw. nicht richtig! Es ist bereits jetzt beim Weggehen ungewöhnlich heiß und wir laufen lediglich in unseren langärmeligen T-Shirts durch die Gegend. Nicht nur dass die Sonne von einem wolkenlosen Himmel scheint, es weht auch kein Windhauch, dass selbst das dünnste Fleece viel zu warm ist. Wir kommen gut voran und allen gefällt der Marsch ins Untersuchungsgebiet. Wie üblich müssen wir an der Kvadehukelva unsere Schuhe ausziehen und die Hosen hochkrempeln. Frisch ist das Wasser schon, das nur wenig hangaufwärts gerade erst getaut ist. Aber es ist ja nur ein kleiner Bach und es dauert nicht lange hindurch zu waten. Jetzt sind zumindest die Füße wieder ordentlich durchblutet, was man an der schönen kräftigen roten Farbe der Füße deutlich erkennen kann. Nach ein paar weiteren hundert Metern kommen wir auch schon an der Geopol-Hütte an. Uns allen ist der Fußweg viel kürzer und angenehmer vorgekommen, als wir ihn in Erinnerung hatten. Es macht halt schon einen Unterschied aus, ob man bei kalten Temperaturen in einen starken Gegenwind laufen muss oder bei sonnigem Wetter mit leichtem Rückenwind unterwegs ist.

Die Geopol-Hütte hat ein neues Dach bekommen und auch innen wurde ordentlich aufgeräumt. Kurz, die Hütte ist in einem hervorragenden Zustand und hätten wir das früher gewusst, wären wir sicherlich hier eingezogen. Erstens hat die Geopol-Hütte vier Betten und zweitens spart man sich den gut einstündigen Anmarsch und die damit verbundene verlorene Zeit. Wir werden also nächstes Jahr wieder zur Geopol-Hütte zurückkehren, was unser Leben deutlich erleichtern wird. Wir freuen uns sehr, dass unsere Lieblingshütte wieder voll bewohnbar und einsatzfähig ist. Und von einem Schimmelproblem haben wir heute auch nichts mitbekommen. Alles scheint so wie in den guten alten Zeiten. Wir machen erst einmal eine ausgiebige Mittagspause, denn wir kommen erst gegen 12:30 Uhr an der Hütte an. Andreas baut uns im Handumdrehen eine bequeme Bank auf der Sonnenseite der Hütte, die sofort in Beschlag genommen wird. Mir bleibt nur ein Platz mit ein paar zusammengenagelten Stücken Holz zum Sitzen. Nico kommentiert das ganz trocken mit „Chefsessel“. Mir wäre ehrlich gesagt die Bank lieber! Nach unserer obligatorischen Fischbüchse, ein paar Stückchen Schokolade, einem Müsliriegel und Tee geht es frisch gestärkt an die Arbeit.

Wir laufen zunächst zum ersten Steinkreis, den wir 2012 mit Farbe markiert haben. Unser Ziel ist es, zu sehen, wie sich die Steine in den Wällen der Steinkreise bewegen. Das hat bisher immer ganz gut funktioniert. Dieses Jahr müssen wir feststellen, dass unsere rote Farbe größtenteils verschwunden ist. Die blauen Markierungen sind dagegen noch gut sichtbar. Nicos Aufgabe ist es, die Steinkreise und die Markierungen zunächst mit der Pole-Stange zu dokumentieren. Anschließend machen Ernst, Adam und ich Detailfotos und beschreiben die Veränderungen. Dann geht es zum nächsten Steinkreis. Im Jahre 2012 hatten wir insgesamt 12 Steinkreise im weiten Abstand markiert und so laufen wir immer weiter in Richtung Strand, um alle markierten Steinkreise zu dokumentieren. Da gut Ding Weile haben will und auch mehrere Kilometer abzulaufen sind, brauchen wir für die detaillierte Aufnahme jedes Steinkreises den Großteil des Nachmittags. Zwischen Steinkreis 9 und 10 finden wir eine alte Wal Rippe. Wir sägen ein Stück heraus, um mit Hilfe einer Radiokarbondatierung festzustellen, wann dieser Wal hier verendet ist. Das sollte uns hoffentlich einen Anhaltspunkt für das Timing und die Rate der Oberflächenhebung nach dem Abtauen der Eiskappe geben.

Nach Steinkreis 10 wurden wir 2016 von einem Eisbären auf offener Ebene überrascht. Ich bin also gewarnt und deshalb ganz besonders vorsichtig. Und wie es der Teufel haben will, sehe ich tatsächlich in einem Kilometer Entfernung einen Eisbären am Strand. Zunächst fällt mir nur ein ungewöhnlich weißer Fleck auf, den ich im Auge behalte. Als sich die Helligkeit des Flecks ändert und er sich zu bewegen scheint, ist es Zeit das Fernglas auszupacken. Die Erkenntnis ist, dass es in der Tat ein Eisbär ist. Ich warne sofort die anderen, die vom Eisbären bisher nichts mitbekommen haben und munter in Richtung Strand zum nächsten Steinkreis marschieren. Also direkt in Richtung Eisbären. Ich bin sehr froh, den Bären überhaupt gesehen zu haben, denn nach ein paar Minuten verschwindet er hinter dem Strandrücken. Für zwei schnelle Fotos zum Beweis reicht es aber noch. Jetzt wissen wir gar nicht mehr, wohin der Bär unterwegs ist. Es ist aber klar, dass wir unsere Arbeit heute hier abbrechen müssen. Der Wind hat gegen uns gestanden und ich glaube nicht, dass der Bär unsere Witterung aufgenommen hat. Wir melden den Bären per Satellitentelefon ans AWIPEV, da wir nicht genau sagen konnten, in welche Richtung er sich bewegt.

War es bisher mehr oder weniger windstill bis auf ein paar kurze Böen, setzt sich nun ein leichter Wind durch, der stark genug ist, den Drachen mit der Kamera fliegen zu lassen. Adam kriegt das Fernglas, um weiter nach dem Bären Ausschau zu halten. Schließlich wollen wir nicht überrascht werden. Der Drachen und die Kamera sind schnell einsatzbereit und wenige Minuten später ist er in der Luft. Der Wind ist perfekt, da er sehr gleichmäßig bläst und stark genug ist, um den Drachen auf einer guten und mehr oder weniger gleichmäßigen Höhe zu halten. Für mich bedeutet das jetzt Gas zu geben, um den Drachen am Fliegen zu halten. Ich mache mich also im Schnelltritt in Richtung Geolpol auf den Weg, um dabei alle vorher besuchten Steinkreise zu überfliegen. In gut 36 Minuten bin ich an der Hütte wo ich noch ein paar Sonderrunden über die Hütte fliege. Es freut mich zu sehen, das die Kamera nach der Landung noch immer aufnimmt. Wir sollten also ein schönes Querprofil über alle alten Strandrücken und unsere Steinkreise haben. Bei Tee in der Sonne sitzend und Schokolade essend erhole ich mich von den „Strapazen“. Es ist jetzt 17:30 Uhr und wir beschließen noch die Steinkreise unmittelbar in der Umgebung von Geopol zu befliegen. Diese Steinkreise wurden von Kääb untersucht. Der Wind ist mittlerweile wieder deutlich schwächer und ich habe Probleme, den Drachen in der Luft zu halten. Zusätzlich stellen wir nach der Landung fest, dass die Kamera während des Fluges ausging. Wir hatten so etwas schon fast vermutet, da die Speicherkarte bereits gut voll und der Akku bereits gut leer war.

Also geht es auf den Heimweg. Die Überquerung der Kvadehukelva stellt sich als weniger nett heraus. Ich will meine Strandschuhe nicht nass machen, weil ich sie später in der Hütte anziehen will, und laufe deshalb barfuß durchs Wasser. Schlechte Idee! Die spitzen Steine Spitzbergens piesacken mich und es ist ein schier endloser Eiertanz. Die anderen sind bereits am Ufer und amüsieren sich über mein Unterfangen. Man kann sich manchmal wirklich blöd anstellen! Aber wenigstens habe ich trockene Strandschuhe behalten! Nach der Flussüberquerung laufe ich vorweg. Es ist einfach toll, die Landschaft für sich ganz alleine zu haben und es fällt mir wieder auf, wie ruhig es hier ist. Man hört keinen Wind, keine Vögel. Nichts, außer den eigenen Schritten und den eigenen Atem. Genial! Nach einem schönen „Spaziergang“ sichere ich erst einmal die Hütte. Es ist immer eine gute Idee nicht direkt zur Hütte zu laufen, sondern sie erst aus einiger Entfernung zu begutachten. Es ist aber alles sicher und so sitzen wir nach ein paar Minuten vor der Hütte und genießen ein Ankunftsbier.

Das Wetter ist nun wieder absolut windstill und das ist die beste Voraussetzung für eine erfrischende Dusche nach einem heißen Tag. Also gehen wir alle ins Meer zum Baden. Ist schon ein verrücktes Gefühl im polaren Ozean zu schwimmen mit tief verschneiten Bergen und Gletschern als Panorama. Ich spüle das Meerwasser noch an einem Wasserfall ab und seife mich auch gleich noch ein. Ich blitze und funkle also wieder und man kann mich auch nicht mehr 10 m gegen den Wind riechen. Das hat richtig gut getan und war dank der warmen Sonne und der Windstille auch nicht übermäßig kalt. Mir wird bewusst, wieviel Glück wir heute mit dem Wind hatten, so dass wir in diesem kurzen Zeitfenster so viele Daten erfliegen konnten.

Andreas hat heute ein neues Gericht erfunden, das uns allen sehr gut schmeckt. Es beinhaltet unter anderem Kichererbsen und eine Curry-Sauce und Andreas serviert es mit Reis. Es bleibt wieder nichts übrig! Es kehrt mittlerweile Routine in unser Hüttenleben ein und jeder hilft, wo es gerade notwendig ist. Sei es beim Abspülen oder sonst etwas. Mir bleibt noch die Batterien der Kameras zu laden nachdem ich die heutigen Daten soweit gesichert habe. Dann sollten wir morgen bereit sein, um die restlichen Steinkreise abzuarbeiten und eventuell nochmals mit dem Drachen zu fliegen.

Fotos

Eine frühstückende Möwe
Eine frühstückende Möwe
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  • Kjærsvika-Hütte im Morgenlicht
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  • Highlight des Tages: Mehr als 35 Beluga-Wale
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  • Ein paar mehr Belugas
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  • Windstille an der Geopol-Hütte
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  • Geopol: Home sweet home vergangener Expeditionen
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  • Erst einmal schauen!
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  • Das Objekt unserer Begierde: ein Steinkreis
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  • Es gibt 1-2 weitere Steinkreise auf Kvadehuksletta
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  • Hier sollte einmal ein Flughafen entstehen
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  • Andreas und Nico warten auf ihren nächsten Einsatz
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  • Walrippe
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  • Nein, es ist nicht wonach es ausschaut. Nico betrachtet sich die Walrippe aus der Nähe
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  • Der Eisbär des Tages. Er war weit weg aber wir sind trotzdem umgekehrt
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  • Der Drachen ist in der Luft, um unsere Steinkreise aus dieser Perspektive aufzunehmen
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  • Kurz vor dem Rückmarsch zur Kjærsvika-Hütte genießen wir die Sonne an der Geopol-Hütte
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  • Meine Dusche
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  • Die Abspülstation
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  • Abendstimmung am Forland Sund
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3.7.2023

Was für ein super Tag! Ich bin heute vor dem Wecker wach und gehe erst einmal ausgiebig duschen und dann ebenso ausgiebig frühstücken. Ich treffe Fieke und frage, ob es möglich wäre heute Camp Zoe zu besuchen. Das ist ein Riesenumweg und erfordert eine völlige Neuplanung. Fieke diskutiert die Angelegenheit in ihrem Team und kurz danach erfahre ich per Funk, dass ich ins Blaue Haus kommen soll. Aber ich war eh schon vor der Türe und überrasche alle mit meinem Erscheinen sobald der Funkspruch gesendet war. Wir erwägen die unterschiedlichsten Pläne und einigen uns schließlich darauf, dass Guillaume mit dem Gepäck zur Kjærsvika-Hütte fahren wird. Apolline wird uns mit unserem Tagesgepäck auf „Jean Floc`h“ in den Krossfjorden und zu Camp Zoe bringen. Wow, was für ein super Team! Danke, danke, danke! Ihr wisst gar nicht, wie glücklich ich darüber bin, Camp Zoe sehen zu können! Wir hatten vor Jahren mit Rudi versucht auf „Sabrina“ zu Camp Zoe zu fahren, sind aber damals am schlechten Wetter bzw. den hohen Wellen gescheitert. Heute ist die See flach und es weht nur ein ganz leichtes Lüftchen. Von Wind kann keine Rede sein. Es herrschen also ideale Bedingungen. Der einzige Nachteil ist, dass Guillaume eine zweite Person zum Ausladen des Gepäcks an der Kjærsvika-Hütte braucht. Andreas, Adam und Nico diskutieren die Sache und Nico ist letztlich derjenige, der in den sauren Apfel beißt und nicht mit in den Krossfjorden kommt. Danke, Nico!

Dann geht alles plötzlich ganz schnell, denn wir wollen so schnell wie möglich aufbrechen. Obwohl das Wasser glatt ist, wird es mindestens 1,5 Stunden dauern, bis wir am Camp Zoe ankommen werden. Nur gut, dass wir gestern schon ganz gut vorgepackt haben. Ernst muss zusätzlich noch ins Blaue Haus umziehen. Kein Wunder, dass er in der Hektik vergisst, die bestellten Brotlaibe aus der Kantine abzuholen. Auch ich habe Druck im Kessel, denn um den Krossfjorden betreten zu können, der ein Nationalpark ist, muss noch ein extra Formular ausgefüllt werden. Und natürlich brauchen wir noch unsere übliche Feldausrüstung: Zwei Gewehre, zwei Signalpistolen, zwei Sprechfunkgeräte, ein InReach Gerät, der Notfallsender und ein Satellitentelefon. Alles verschwindet in den unterschiedlichsten Rucksäcken. Dazu kommen die Überlebensanzüge, die Schlafsäcke, das Essen, die eigentliche Ausrüstung und die persönlichen Dinge. Spätestens jetzt wird klar, warum es besser ist mit zwei Booten unterwegs zu sein. Und natürlich brauchen wir auch Ersatzkanister mit Benzin für die lange Fahrt. Dann verlassen wir auf zwei AWIPEV-Booten mehr oder weniger gleichzeitig den Hafen.

Auf dem Weg zum Krossfjorden verkürzt uns die Sichtung von Walen die Zeit. Ab der Einfahrt in den Krossfjorden bei Kapp Guissez betreten wir Neuland. Der Weg führt uns jetzt in Richtung NE. In dieser Gegend waren wir noch nie. Die Gegend ist recht abgelegen, es erfordert viel Zeit dorthin zu kommen, und wenn das Wetter umschlägt kommt man nur sehr schwer von dort wieder weg. Wir sind deshalb nicht schlecht erstaunt, ein Kreuzfahrschiff dort zu sehen. Es sollte nicht das letzte sein. Es liegt unmittelbar vor dem stark zerklüfteten der Fjortende Julibreen-Gletscher. Ein fast schon kitschiges Bild aus einem Kreuzfahrtkatalog. Wir fahren an einem Gletscher nach dem anderen vorbei und sie unterscheiden sich von Tal zu Tal teilweise sehr dramatisch. Wie gesagt, von sehr stark zerklüftet und mit Spalten durchzogen wie der Fjortende Julibreen-Gletscher bis zu glatt und ohne Spalten wie der D`Arodesbreen-Gletscher. Es ist quasi für jeden etwas dabei. Man kann sich wirklich nicht satt sehen an dieser einzigartigen Landschaft. Wie üblich mache ich viele Fotos aber ich muss mich auch zurück halten, da der Akku für die Tage reichen muss. Auf der „Jean Foc`h“ müssen wir keine Überlebensanzüge tragen. Lediglich Schwimmwesten sind Pflicht. Da wir aber zum Ankern bzw. Ausladen ins Wasser müssen, ziehen wir uns kurz vor der Ankunft an Camp Zoe um. Bei der Gelegenheit tanken wir auch gleich nach. Es wäre ja weniger gut, wenn uns mitten im Anlegemanöver der Sprit ausgehen würde. Das eigentliche Manöver klappt hervorragend und ein paar Minuten später sind wir alle an Land.

Camp Zoe wirkt in der grandiosen Landschaft winzig. Umso überraschter bin ich, dass in der kleinen Hütte tatsächlich vier Betten sind. Das ist deutlich besser als in der Kjærsvika-Hütte, die nur zwei Betten zu bieten hat. Dafür ist die Küche und der Esstisch kleiner. Auch ein Plumpsklo gibt es in Camp Zoe, allerdings ist die Tür kaputt und muss von außen mit einer Stange verschlossen werden. Insgesamt ist die Hütte aber in einem sehr guten Zustand und super gemütlich. Sie könnte glatt zu meiner neuen Lieblingshütte werden. Speziell der Ausblick nimmt einem schier den Atem. Das Meerwasser ist ungewöhnlich grün, dazu die weißen Gletscher, die schwarzen Berge und der tiefblaue Himmel. Fast schon surreal schön. Mir kommt da nur der Begriff „Märklin-Landschaft“ in den Sinn, in der immer alles perfekt ausschaut.

Wir machen eine kleine Erkundungstour weiter Richtung Norden. Von einem kleinen Rücken wollen wir in den nächsten Fjord blicken. Nun, was soll ich sagen? Es ist nicht bei diesem einen Rücken geblieben. Tatsächlich mussten wir über 2-3 weitere Rücken laufen, um letztlich den Fjord zu sehen. Und es war die Mühe sowas von wert! Am Ende des Fjords befindet sich ein Gletscher, der hoch über dem Meeresspiegel an einer steilen Wand zu kleben scheint, Schmelzwasser stürzt in einem Wasserfall herab und man wartet buchstäblich jeden Moment darauf, dass sich eine große Eismasse ablöst und tosend in das Meer fällt. Leider ist uns dieses Spektakel aber nicht vergönnt. Ich mach in meinem GPS einen Wegpunkt, weil ich noch nie auf so großer nördlicher Breite bzw. so nahe am Nordpol war. Ein weißer Quarzit, den ich aufsammle ist der nördlichste Stein, den ich jemals gesammelt habe. Wer weiß, wann ich jemals auf eine noch nördlichere Breite kommen werde. Es ist also für mich ein historischer Tag. Den anderen scheint die Tragweite nicht bewusst zu sein, bzw. bin vielleicht nur ich verrückt auf solche Details.

Vor der Hütte gibt es eine große Feuerstelle mit Sitzgelegenheit. Ein idealer Platz, um Mittag zu essen. Wir haben Fischdosen in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen dabei und Apolline hat eine tolle Salami mitgebracht. Tee und Schokolade komplettieren unsere Brotzeit. Alles wird brüderlich geteilt und wir genießen das warme Wetter, das Essen und den Ausblick. Besser geht es nicht! Schade, dass wir danach schon wieder weiter müssen. Es ist mittlerweile 14:30 Uhr und wir haben noch einen weiten Weg vor uns, denn wir müssen erst wieder aus dem Krossfjorden heraus, über den Kongsfjorden kreuzen und dann ist es immer noch ein gutes Stück der nördlichen Küste von Kvadehuksletta entlang in den Forland Sund hinein, bis wir endlich die Kjærsvika-Hütte sehen. Zumindest das Dach! Ein paar Minuten später sehen wir dann die ganze Hütte, samt dem von Adam erfundenen „Schmedddemann Character“, der in der Sonne sitzt und bereits auf uns wartet. Und wiederum ein paar Minuten später ist Apolline mit dem Motorboot am Horizont verschwunden und wir sind auf uns selbst gestellt.

Wir trinken ein Begrüßungsbier auf der „Terrasse“ der Kjærsvika-Hütte, die zumindest von außen in neuem Glanz erstrahlt. Die Hütte wurde frisch renoviert und wieder eben ausgerichtet. Die Außenseiten sind jetzt mit frischer Dachpappe bedeckt und sie schaut richtig schmuck aus. Kein Vergleich zum letzten Jahr, wo der Boden schief war, es durch die Ritzen zog, die Dachpappe größtenteils fehlte und wir quasi auf einer Baustelle hausten. Innen wurde die Hütte nur sehr wenig verändert. Lediglich die Feuerschutzverkleidung um den Ofen herum ist neu und er steht jetzt auch auf einer Lage Schamottsteinen. Das Holzlager wurde auch etwas aufgehübscht und es ist ordentlich Holz darin fein säuberlich aufgestapelt. Nachdem Ernst kurz den Besen geschwungen hat, ziehen wir ein und Andreas beginnt mit dem Kochen. So wird jede Hütte innerhalb von ein paar Minuten heimelig. Heute bereitet uns Andreas Reis mit einer würzigen Fleischsauce in die er noch eine dünne Hartwurst geschnitten hat. Am Ende ist bis auf das letzte Reiskorn alles vertilgt, so dass ich mich an den Abwasch machen kann. Wasser holen, Wasser kochen, Wannen suchen, Geschirrmittel suchen, und last but not least einen guten Platz zum Abspülen finden. All das gelingt und am Ende haben wir wieder sauberes Geschirr, das Adam abtrocknet. Eine weitere Aufgabe für Adam und mich ist das Hissen unserer Fahnen am Flaggenmast, also sprich die Flagge des Staates Ohio und die bayerische Flagge. Jetzt sind wir wirklich eingezogen.

Fotos

In voller Fahrt geht es in den Krossfjorden
In voller Fahrt geht es in den Krossfjorden
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  • Harry genießt die Motorbootfahrt
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  • Mitra in voller Pracht und aus der Nähe
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  • Der Fjortende Julibree-Gletscher im Krossfjorden
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  • Ein Bild wie aus einer Werbebroschüre für Kreuzfahrten
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  • „Jean Floc`h“ am Strand von Camp Zoe
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  • Camp Zoe
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  • Der Aufenthaltsraum von Camp Zoe
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  • Das Schlafzimmer von Camp Zoe
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  • Harry freut sich hier zu sein
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  • Apolline und das SPLAM-Team
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  • Eines der wenigen Fotos, das das komplette SPLAM-Team dieser Saison zeigt
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  • Beeindruckende Kulisse der Fallieresfjella
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  • Der Tinayrebreen-Gletscher. Fast wie eine Märklin-Landschaft
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  • Am nördlichsten Punkt unserer Reise angekommen
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  • Die exakten Koordinaten unseres nördlichsten Punktes. Nie war ich weiter im Norden
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  • Detail des Tinayrebreen-Gletschers hoch über dem Fjord
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  • Detail des Details des Tinayrebreen-Gletschers
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  • Und weil es so schön war – ein weiteres Detail des Tinayrebreen-Gletschers
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  • Blick von Camp Zoe auf Kongshamaren
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  • Eine sehr gemütliche Mittagspause auf der Terrasse von Camp Zoe
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  • Fred Feuerstein lässt grüßen! Einfach aber gut!
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  • Auf dem Weg zur Kjærsvika-Hütte mit „Jean Floc`h“
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  • Die Kjærsvika-Hütte – unser zu Hause für die nächsten Tage
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  • Der Blick von der Kjærsvika-Hütte auf das Prins Karl Forland. Da braucht man wahrlich keinen Fernseher oder Internet
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  • Die Fahnen werden gehisst
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2.7.2023

Sonntag! Das heißt, es gibt erst um 10:00 Uhr einen Brunch und demzufolge kein Frühstück. Was gäbe es für eine bessere Ausrede als auszuschlafen? Das Problem ist nur, dass ich um kurz nach 8:00 Uhr hellwach bin. Anstatt sich hin und her zu wälzen und Nico damit aufzuwecken, bewege ich meinen Luxuskörper in den Aufenthaltsraum. Der Blick durchs Fenster macht deutlich, dass man nicht viel verpasst, wenn man heute länger schläft. Bleiernes Grau bis zum Boden, dass man kaum bis zum Strand sehen kann. Kein Wind. Die norwegische Fahne hängt lustlos am Flaggenmast. Ich checke den Wetterbericht. Eigentlich sollte zumindest teilweise die Sonne scheinen. Der Wetterbericht für die nächsten Tage ist ungewöhnlich gut und erst in der Nacht von Sonntag auf Montag soll es etwas regnen. Dann sind wir mit unserer Feldarbeit längst fertig.

Bis Einer nach dem Anderen aus dem Bett kriecht nutze ich die Zeit mein Feldbuch zu vervollständigen. Ich schreibe mir immer die Bildnummern auf und versehe sie mit einer kurzen Beschreibung. So kann ich auch nach Jahren sehr schnell rausfinden, welches Foto was zeigt. Suche ich z.B. nach Fotos der Corbel-Station von 2018, finde ich das innerhalb weniger Minuten. Das geht viel schneller als hunderte (tausende?) von Bilder zu durchsuchen. Die Arbeiten am Feldbuch dauern einige Zeit, da ich am 30.6. alleine fast 400 Bilder gemacht habe. Es war das erste Mal, dass ich an einem Tag einen kompletten Akku meiner Kamera leergeschossen habe. Als ich mit meinem Feldbuch fertig bin, fotografiere ich die Seiten. Sollte ich das Buch irgendwo im Gelände verlieren, habe ich zumindest einen Backup. Ähnlich mache ich es mit den Kamerabildern. Sowohl die GoPro Filme als auch die Bilder der normalen Kamera bleiben auf den jeweiligen SD-Karten und werden zusätzlich auf dem Computer gesichert. Teilweise sogar auf zwei Computern.

Um kurz vor 10:00 Uhr gehe ich in mein Zimmer zurück um langsam aber sicher für den Brunch bereit zu sein und um sicherzustellen, dass Nico das Essen nicht verschläft. Aber er ist schon wach und auch Ernst ist schon auf den Beinen. Von Andreas und Adam ist noch nichts zu sehen und so beschließen wir, sie noch schlafen zu lassen. Brunch gibt es ja bis 12:00 Uhr!

Beim Brunch, der wie immer super ist, gesellt sich Maarten Loonen zu uns. Wir kennen ihn seit Jahren als den niederländischen Station-Leader. Ein Pfundskerl! Er untersucht die Gänsepopulation hier und erzählt uns von seiner Forschung. Selbst für mich als Nicht-Biologen sind die Ergebnisse superspannend. So berichtet er, dass es z.B. unterschiedlichen Kot der Gänse gibt. Je nachdem, ob sie Gras oder Moos gefressen haben, unterscheidet sich die Farbe von fast schwarz bis zu gelblich. Fressen die Gänse nährstoffreicheres Gras, gibt es schwarzen Kot. Die Rentiere erkennen das und fressen bevorzugt den schwarzen Kot, um damit gewisse Bakterien in sich aufzunehmen, die ihrer eigenen Verdauung zuträglich sind. Auch berichtet er, dass die Gänse die dominierenden einer Gruppe sind, die am meisten Junge haben. Setzt man Junge aus einem Nest in ein anderes Nest, verändert man damit auch die Hierarchie in der Gruppe. Aus diesem Grund kommt es auch häufig zur Adoption von Jungen, da damit der Status verändert werden kann. Beim Fressen beobachten die dominanten Gänse die anderen Gänse in der Gruppe. Findet eine niedriger gestellte Gans eine nahrhafte Futterquelle und fängt an besonders intensiv zu fressen, wird sie von der dominierenden Gans vertrieben, die dann die Futterstelle mehr oder weniger komplett ausbeutet. Ich finde das absolut faszinierend, was Maarten in vielen Jahren der Beobachtungen so alles herausgefunden hat. Und er erzählt es auch sehr anschaulich und spannend.

Kurz nachdem wir wieder im Rabot-Gebäude sind, machen sich Adam und Andreas auf den Weg zur Futterstelle. Wir anderen verziehen uns auf unsere Zimmer wo jeder tut, was er gerade tun will. Nico beschäftigt sich wieder intensiv mit dem Zurückschneiden des üppig wuchernden deutschen Eichenwaldes. Ernst sitzt am Computer und ich schreibe diese Zeilen. Nein, halt! Nico bewegt sich! Er steht auf! Er verlässt das Zimmer! Er kommt zurück und legt sich wieder ins Bett! Und tatsächlich, auf dem Bauch liegend malträtiert er seinen Laptop. Adam ist mittlerweile tief in ein Gespräch mit seiner Freundin verstrickt und von Andreas habe ich seit mindestens einer halben Stunde nichts mehr gesehen oder gehört. Auch das Sprechfunkgerät gibt keinen Pieps von sich. Ich denke, das AWI Team genießt auch den langsamen Sonntag. Ich werde jetzt mal Hektik verbreiten und in das Servicegebäude rüber gehen um zu sehen, ob meine Wäsche schon trocken ist. Das Leben kann manchmal schon sehr fordernd sein! Da muss ich doch gleich auch noch in der Kantine vorbei schauen um meinen enormen Kalorienverlust zu ersetzen.

Die SH Vega liegt nun im Hafen und nachdem ich eh schon meine Fleecejacke anhabe, laufe ich zum Hafen, um mir das Schiff aus der Nähe anzuschauen. Speziell die Bugform fasziniert mich, weil sie quasi senkrecht zur Wasseroberfläche steht, was dem Schiff ein sehr eigenartiges Aussehen verleiht. Das Schiff ist für ein Kreuzfahrtschiff eher klein und die wenigen Passagiere, die durch Ny Alesund laufen, scheinen alle mehr oder weniger von einem persönlichen Führer begleitet zu werden. Sie haben Glück, denn der Nebel lichtet sich langsam und die Sonne versucht durchzubrechen. Es stellt sich wieder dieses tolle Licht ein, das ich so liebe. Auf dem Weg zurück werde ich von Seeschwalben attackiert, die direkt neben der Straße ihr Nest angelegt haben. Aber das kenne ich ja schon aus den Vorjahren und so mache ich mir nichts daraus und ignoriere die Vögel einfach. Es dauert ja auch meist nur ein paar Schritte bis die Seeschwalben kapieren, dass man ihnen nichts Böses will.  

Ich benehme mich heute auch mal als Tourist und besuche ein kleines Haus, das in den 50er Jahren von einer Familie bewohnt wurde. Das grüne Haus mit der Hausnummer 10 gehört zum Museum in Ny Alesund und ist frei zugänglich. Es ist liebevoll und stilgerecht eingerichtet und man kann einfach nach Lust und Laune darin umherspazieren. Man betritt das Haus durch eine Art Windfang und steht dann unmittelbar in der Küche mit dem Holzofen. Ich entdecke eine alte Kaffeemaschine und eine Büchse „Vollwertiges Kaffee-Getränk“, sowie eine Auswahl anderer Konserven. Im anschließenden Esszimmer steht ein kleiner Tisch mit vier Stühlen und von diesem Zimmer geht es links in ein winziges Kinderzimmer mit zwei ebenfalls winzigen Kinderbetten und von dort aus ins spartanische Elternschlafzimmer. Keines meiner Kinder hätte auch nur annähernd Platz in diesen Betten. Vom Esszimmer aus gelangt man auch in das Wohnzimmer mit einer Couch, zwei Sesseln, Tisch, Kommode und einem zweiten Holzofen. An der Wand hängt ein Bild von König Olav I. Illustrierte liegen auf der Kommode und im Kinderzimmer steht ein Dreirad und liegt etwas Spielzeug herum. Gerade so, als ob die Bewohner nur mal kurz hinaus gegangen wären. Mich hat das Haus in seiner Einfachheit sehr beeindruckt. Es ist alles da, was man braucht. Aber auch kein einziges Ding, das zu viel wäre. Was mir allerdings nicht klar ist, wo die Bewohner ihre Klamotten untergebracht haben, denn einen Kleiderschrank habe ich nirgends gesehen. Wenn ich das mit unserem Haus vergleiche, muss ich sagen, das wir mindestens 98% unserer Habe einfach wegschmeißen müssten, um eine ähnliche Einfachheit zu erreichen. Schlecht wäre das manchmal nicht!

Gegen 15:00 Uhr kommt die „Nordstjernen“ nach Ny Alesund und „parkt“ rechtwinkelig direkt hinter der SH Vega. Ich schaue mir das Anlegemanöver natürlich an. Da kann man immer etwas dabei lernen. Mit ihren klassischen Linien und Proportionen ist die „Nordstjernen“ einfach um ein Vielfaches schöner als die modernen Kreuzfahrtschiffe und mit weitem Abstand mein Lieblingsschiff. Apropos Schiffe. Ich funke Apolline an und frage, ob wir nach Corbel zurück fahren sollen, um das Gas in der Küche anzuklemmen. Wir hatten das gestern vergessen. Da die Antwort ja lautet, machen sich Nico und ich bereit auf „Luciole“ den Hafen zu verlassen. An all den Touristen vorbei tragen wir unsere Überlebensanzüge und Waffen zum Steg, wo wir auch gleich noch einen Ersatzkanister Benzin mitnehmen. Es herrscht jetzt schönstes warmes Wetter bei ruhiger See und so wird die Fahrt praktisch zur „Pleasure Cruise“ für uns zwei. Der Schrecken fährt uns aber in die Knochen, als wir auf dem Weg vom Strand in Richtung Hütte einen großen weißen Fleck sehen, den wir bisher noch nie da gesehen haben. Ich nehme zur Vorsicht das Gewehr von der Schulter und wir ändern unsere Laufrichtung, um den Abstand zu vergrößern. Erst als sich der Fleck bewegt, sehen wir, dass es sich um ein Rentier handelt. Da es offensichtlich friedlich geschlafen hat, haben wir nur den zottigen Winterpelz gesehen, aber keine Körperteile, an denen wir erkannt hätten, dass es ein Rentier ist. Jetzt, da wir es aufgeweckt haben, starrt es uns an. Wir starren zurück! Die Arbeit in Corbel ist mit einem Handgriff erledigt. Wir bleiben noch ein paar Minuten, machen noch ein paar Fotos und schauen uns nochmal die abgebrannte Werkstatt an. Hoffentlich wird sie bald wieder aufgebaut.

Die Rückfahrt verläuft mindestens genauso angenehm wie die Hinfahrt und nachdem wir „Luciole“ ordentlich vertaut und aufgetankt, die Waffen geölt und zurück gegeben und unsere Überlebensanzüge abgespritzt haben, ist es erst einmal Zeit für einen Kaffee. Die Motorbootfahrt hat durstig gemacht und so werden es letztlich zwei Tassen. Dazu müssen auch ein paar Hobnobs und andere Kekse daran glauben. Nur jetzt nicht den klassischen Anfängerfehler begehen und zu viel essen. Denn es geht bereits wieder verschärft auf das Abendessen zu, das am Wochenende hier pünktlich um 18:30 Uhr serviert wird.

Nach dem gewohnt hervorragenden Essen kann ich noch mit meiner Familie zoomen. Die Kinder waren beim Friseur und lassen sich von Oma verwöhnen. Bis zu unserer Rückkehr von der Kjærsvika-Hütte werde ich nun nichts mehr von ihnen hören denn dort gibt es weder Internet noch ist es möglich zu telefonieren. Außer mit dem Satellitentelefon zu einem sehr hohen Preis. Während ich zoome, befassen sich die anderen schon mit dem Inhalt der grünen Alubüchsen. Sie sitzen auf der Terrasse vor dem Blauen Haus in der Sonne.

Als der Nebel dichter wird, ziehen wir in die Kantine um. Auf den Sofas dort gibt es noch einen kleinen Snack und eine Tasse Kaffee. Ein Brot mit Paprikakäse und Makrelen in Tomatensauce, beides aus der Tube, hilft über den kleinen Hunger hinweg. Als Beilage schmökern wir in den VI Menn Magazinen, die in nie zuvor gekannten Mengen dort herum liegen. Und dann wird es wie üblich doch noch etwas hektisch. Wir müssen ja noch für die Woche in der Kjærsvika-Hütte packen. Möglichst leicht natürlich aber eben auch so, dass man auf alle Wettersituationen vorbereitet ist. Da es dort auch keinen Strom gibt, sollten auch alle Akkus, Powerbanks und Computer voll geladen sein. Und schließlich muss auch noch der Zimmerumzug geplant werden, denn Andreas, Adam und Ernst müssen leider umziehen, weil deren Zimmer ab morgen bereits wieder mit anderen Besuchern belegt sind. Nico und ich haben Glück und können in unserem Zimmer bleiben.

Eine Sache ist noch erwähnenswert. Das Rabot-Gebäude beherbergt auch die südkoreanische Station, die derzeit nur vom Station Leader besetzt ist. Ich sehe ihn heute den ganzen Tag schwer am arbeiten, denn morgen sollen seine Kollegen ankommen. Bereits früh morgens hämmert er in der Werkstatt herum, ich sehe ihn Fenster putzen, an Geräten rumschrauben und, und, und. Voller Einsatz! Abends blitzt und funkelt es! Nur den Station Leader sehe ich nicht mehr. Wahrscheinlich liegt er schon im Bett!

Fotos

Die Wettervorhersage für die nächsten Tage schaut sehr gut aus
Die Wettervorhersage für die nächsten Tage schaut sehr gut aus
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  • Der Bug der SH Vega
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  • Blick entlang der Küste bei Ny Alesund
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  • Ich habe „Luciole“ in der Mitte „geparkt“
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  • Möwe am Strand
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  • Seeschwalbe beim Brüten. Maarten Loonen hat das Nest bereits markiert.
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  • Im Inneren des Familienhauses mit Esszimmer und Wohnzimmer
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  • Illustrierte im Wohnzimmer
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  • Kaffee! Ob er noch schmeckt?
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  • Vermutlich eines der wohl berühmtesten Postschilder. Mit Sicherheit das nördlichste Postamt der Welt
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  • Die „Nordstjernen“ legt an
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  • Wolken über den Midtre Lovenbreen
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  • Ein etwas anderer Blick auf die Corbel-Station
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  • Die Bergstation der Seilbahn auf den Zeppelinfjellet
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  • Nebel in Ny Alesund
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1.7.2023

Hatten wir gestern außergewöhnlich gutes Wetter, hängen die Wolken heute gefühlt wieder auf Augenhöhe. Na gut, nicht ganz. Aber der „Gipfel“ der Storholmen-Insel, der 32 m hoch ist, ist heute nur schemenhaft zu sehen. Die See ist spiegelglatt und schimmert in allen möglichen grauen, grüngrauen und blaugrauen Schattierungen. Absolute Ruhe, als ich in den Aufenthaltsraum gehe, um Frühstück zu machen. Allerdings kriege ich heute bis auf eine Nudelsuppe nicht viel runter, denn irgendwie habe ich mir den Magen verdorben und verbringe einen größeren Teil meiner Frühstückszeit in unserem von unten belüfteten Nebenraum. Da wir heute unseren letzten Tag in der Corbel-Station haben, gibt es viel zu tun. Und diese Arbeiten wollen natürlich koordiniert werden. Nach kurzer Diskussion steht unser Plan. Andreas und Adam werden in der Hütte bleiben und schon einmal anfangen, klar Schiff zu machen. Nico, Ernst und ich werden noch einmal zu unserem Untersuchungsgebiet fahren, um für den Moment letzte Arbeiten zu erledigen und die noch dort befindliche Ausrüstung abholen.

Die Überlebensanzüge sind schnell angezogen. Schließlich haben wir jetzt eine Woche Erfahrung darin. Und mit nur einem Rucksack und uns Leichtgewichten, sind wir sehr schnell unterwegs. Heute sind die Eisberge alle relativ groß und es schwimmen praktisch keine kleinen Eisbrocken herum, so dass wir ordentlich Gas geben können. Das Echolot zeigt uns ganz interessante Informationen an. Da sind z.B. unterseeische Gräben und Rücken mit bis zu einhundert Metern Höhenunterschieden.  Wir sehen tiefe Gräben im Vorfeld der Seitengletscher, die in den Fjord geflossen sind. Das Instrument zeigt auch die Wassertemperatur an und ich bin überrascht, wie warm das Wasser ist. Laut Anzeige schwankt die Temperatur um die 7-8 °C. Ich dachte, es wäre sehr viel kälter. Interessant ist auch, dass die Bootsgeschwindigkeit schwankt, obwohl ich am Gas nichts ändere. Ich vermute lokale Strömungen im Fjord, die uns entweder beschleunigen oder verlangsamen. Auch hier überrascht mich, wieviel das ausmachten kann. Durchaus 1-2 Knoten.

Im Untersuchungsgebiet kümmern wir uns zunächst um unsere Sicherheit. Mit der gestrigen Eisbärwarnung noch frisch im Kopf, steht Ernst auf einem Hügel Wache, währen Nico und ich die zu erledigenden Arbeiten verrichten. Als Erstes machen wir die Polebilder mit der GoPro Kamera. Dieses Mal darf Nico ran! Ich versuche möglichst weit weg zu bleiben, um nicht versehentlich in die Bilder zu geraten, weil das bei der Stereoprozessierung immer Probleme macht. Ich mache viele Bilder mit meiner Kamera bis Nico fertig ist. Dann verlängere ich die Stange mit der Kamera um einen weiteren Meter, um damit mehr oder weniger rechtwinklig auf die Abbruchkante unserer Erosionsstruktur zu blicken. Das gibt sehr interessante und neue Einblicke. So sehe ich z.B., dass sich direkt an der Eisoberfläche kleine Kuhlen im darüberliegenden Sediment bilden. Werden diese groß genug, bricht der ganze Abhang nach.

Nico stellt fest, dass sich die Entwässerung der Erosionsstruktur verändert hat. Es ist jetzt viel schwieriger unsere Zeitraffer-Kameras zu erreichen, die quasi auf einer Insel inmitten der Schlammströme stehen. Mal schauen, wie das nächste Woche sein wird. Es könnte spannend werden, ob wir die Kameras noch erreichen können. Wir brauchen nur ca. zwei Stunden, um alle Arbeiten zu erledigen. Zum Drachenfliegen kommen wir auch heute nicht. Die See ist noch immer spiegelglatt und es weht noch immer kein Lüftchen.

Das absolute Highlight des Tages waren die Beluga-Wale, die in der Nähe unseres Ankerplatzes herumschwammen. Völlig ruhig schwammen sie zwischen den Eisbergen, atmeten, tauchten, kamen an anderer Stelle wieder an die Wasseroberfläche. Absolut toll, ihnen einfach nur zuzuschauen. Für mich ist das ein besonderes Erlebnis, weil wir die Belugas nicht allzu oft zu sehen bekommen. Vor Jahren sahen wir sie unter unserem Schlauchboot und ein zweites Mal sahen wir eine ganze Gruppe. Heute sind es vermutlich nur zwei Tiere. Das macht es aber nicht weniger spektakulär. Es gelingt mir ein paar halbwegs passable Fotos zu machen, was nicht so leicht war, da sie doch relativ weit vom Strand entfernt waren.

In der Corbel-Hütte wartet schon eine Nudelsuppe und Tee auf uns. Andreas und Adam haben schon sehr gut sauber gemacht und es bleiben nur mehr wenige Dinge übrig, die noch erledigt werden müssen. Da ist z.B. die eine Aufgabe, um die sich immer alle reißen. Die Reinigung der Toilette! Ich übernehme das heute. Unsere Vorgänger auf der Hütte haben uns netterweise ein kleines Präsent hinterlassen, das auch entsorgt werden muss. Dagegen ist unser eigener Beutel mit benutztem Toilettenpapier fast schon salonfähig. Jedenfalls ist jetzt die Toilette sauberer als bei unserer Ankunft. Eine nicht weniger begehrte Aufgabe ist die Entsorgung des Mülls. Es gibt in der Corbel-Station eine Vielzahl an Müllkategorien, die alle getrennt werden müssen. Papier, Pappe, Alubüchsen, Metallbüchsen, Weichplastik, Hartplastik, Biomüll, all das gibt es und muss wieder nach Ny Alesund gebracht werden. Wie natürlich auch das gebrauchte Toilettenpapier. Ziel ist es, die Umgebung so wenig wie möglich zu verschmutzen. Gemeinsam ist die Hütte schnell wieder stubenrein und bereit für die nächsten Besucher.

Da wir nicht alle samt unserem Gepäck auf das Boot passen, sind zwei Trips notwendig. Wir beschließen, dass ich zunächst die ganzen Kisten, sowie Andreas und Adam mit ihrem Gepäck nach Ny Alesund bringen werde. Sie können dann das ganze Gepäck ins Rabot-Gebäude bringen und sich um die Abfallentsorgung kümmern, während ich Ernst und Nico abhole. Das Anlegemanöver im Hafen von Ny Alesund klappt perfekt. Ich fahre in die enge Box ohne den Steg rechts oder links zu berühren. Ein kurzer Gasstoß im Rückwärtsgang stoppt das Boot genau so, das Adam und Andreas die Dockleinen ganz bequem und in aller Ruhe greifen können. Die Kisten sind in wenigen Minuten ausgeladen und schon bin ich wieder auf dem Weg. Nicht natürlich ohne vorher Isabelle Bescheid zu geben.

Dies ist heute eine Premiere! Es ist das erste Mal, dass ich alleine hier im Motorboot unterwegs bin. Zur Sicherheit verbinde ich mich mit der roten Leine für den Notstopp des Bootes. Sollte ich von Bord fallen, würde dadurch der Motor ausgeschaltet werden, so dass man theoretisch wieder an Bord klettern kann. Sind wir mit mehreren Leuten unterwegs, mache ich das nie. Denn wenn ich über Bord fallen sollte, könnten mich die anderen nicht retten, weil das Boot dann im Notstopp bleibt, bis es wieder mit der roten Line verbunden ist. Alleine im Motorboot unterwegs zu sein, ist einfach nur klasse. Ich genieße jede Sekunde in der es in rauschender Fahrt wieder zurück nach Corbel geht. Leider ist die Fahrt für meinen Geschmack viel zu kurz.

Nico und Ernst erwarten mich bereits am Strand. Jetzt muss ich nur noch das Ankermanöver alleine über die Bühne bringen. Ich nähere mich langsam dem Strand, schmeiße den Heckanker und bremse vorsichtig ab. Perfektes Manöver! Fast bin ich stolz auf mich. Ein paar Minuten später geht es wieder zurück nach Ny Alesund. Wir kommen ungefähr zeitgleich mit dem Polizeimotorboot des Sysselmesteren an. Ich habe es schon von weitem gesehen, wie es pfeilschnell über den Fjord schießt. Wow! Später sehe ich auch warum. Das Ding hat einen 250 PS Motor am Heck, verglichen mit unseren 70 PS. Auch dieses Anlegemanöver gelingt perfekt und wenig später kommen auch Apolline, Guillaume und Mathilde von einer Bootstour zurück. Ich tanke das Boot noch voll, dann war es das erst einmal mit Boot fahren. Ich muss sagen, „Luciole“ ist ein feines Boot, das uns sehr gute Dienste erwiesen hat. Es hat zuverlässig funktioniert und war ideal für uns. Das einzige Manko ist ihr hoher Bug, der es doch recht beschwerlich macht, seine Knochen dort hochzuwuchten. Apolline freut sich, als ich ihr sage, dass ich das Boot sehr gerne habe und dass es perfekt funktioniert hat.

Auf dem Weg zum Rabot-Gebäude kommen wir noch an zwei Rentieren vorbei, die völlig unbeeindruckt vom „Trubel“ in Ny Alesund vor sich hin fressen. Ab und an schauen sie kurz auf aber man kann buchstäblich sehen, wie ihnen ihr Gehirn sagt „Fressen! Jetzt!“ Und genau das machen sie dann auch, ohne sich um den Rest des Universums zu kümmern!

Um 18:30 Uhr gibt es das berühmt-berüchtigte Samstagnacht-Dinner. Also müssen wir etwas Gas geben. Zum Einen sind die Überlebensanzüge vom Salz zu befreien. Nico und ich übernehmen das Abduschen der Anzüge. Ernst versucht derweil die Waffen zurück zu geben. Wir reinigen sie auch gleich, damit auch das schon einmal erledigt ist. Dann noch schnell unter die dringend benötigte Dusche. Was soll ich sagen? Herrlich! Allerdings könnte meine Dusche ein paar Grad wärmer sein. Die anderen haben eine warme Dusche! Egal! Dann noch schnell die dreckige Wäsche in die Waschmaschine geben und schon sind wir fürs Essen bereit. In der Tat bleiben noch ein paar Minuten, um mit meiner Familie zu Zoomen. Alle sitzen in kurzen Sommerklamotten vor dem Laptop und es erscheint fast schon etwas surreal.

Das Essen ist fantastisch. Butterzartes Filet, Kartoffeln, Gemüse und eine zuckersüße Nachspeise. Das alles an sehr hübsch dekorierten Tischen mit Servietten, Stoff Tischdecken, Gläsern, und Kerzen. Erster Klasse! Anschließend lädt uns Andreas noch auf eine Runde Laphroaig ein. Und siehe da, er schmeckt uns allen! Manche nehmen noch gerne eine zweite Runde bevor wir in die Melageret-Bar aufbrechen. Ganz Ny Alesund trifft sich dort am Samstag nach dem Essen und natürlich muss Adam es selbst erleben, nachdem wir ihm schon die ein oder andere Geschichte darüber erzählt haben. Kurz, Melageret ist eine kulturelle Institution!

Fotos

Ein Teil unserer Erosionsstruktur. Die weiße Tafel war ursprünglich weit von der Abbruchkante entfernt
Ein Teil unserer Erosionsstruktur. Die weiße Tafel war ursprünglich weit von der Abbruchkante entfernt
© KOP 132 SPLAM
  • Die Frage ist, wann wird der Block mit der Tafel abbrechen?
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  • Detail der Abbruchkante
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  • Ein Beluga-Wal
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  • Perfekte Tarnung: Weißer Beluga-Wal zwischen weißen Eisbergen
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  • Die Corbel-Station. Das Eisfeld vor der Hütte hat sich während unseres Aufenthalts um ca. die Hälfte verringert.
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  • Ein Luxus, den wir an der Kjærsvika-Hütte vermissen werden
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  • Zerbrochenes Eis vor der Corbel-Hütte
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  • Eisberg mit Steinen, die mit dem Eis über weite Strecken transportiert werden können, bevor sie auf den Boden sinken
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  • Eines der AWIPEV-Elektroautos
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  • Rentiere grasen vor dem Blauen Haus, der AWIPEV-Station
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  • Fressen, fressen, fressen…
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30.6.2023

Um 7:35 schäle ich mich aus meinem Schlafsack. Heute ist Andreas‘ großer Tag. Es ist sein 46. Geburtstag. Ich bereite wie üblich das Frühstück vor und für Andreas liegt heute eine speziell reservierte Nudelsuppe mit Entengeschmack auf seinem Teller, nebst einem Hanuta. Daneben steht eine Flasche Laphroaig Whiskey und eine Kerze. Und natürlich werde ich Andreas einen feinen Espresso zur Feier des Tages machen. Ernst kommt rein, sieht die Enten-Nudelsuppe und will sich sofort an Andreas Platz setzen. No! No! No! Mit noch etwas Schlaf im Gesicht sieht er nur die Nudelsuppe, ignoriert das Hanuta und die Kerze und hält die weiße Verpackung des Whiskeys vermutlich für eine unserer Thermoskannen. Nico, Adam und ich machen uns natürlich sofort über Ernst lustig, der seinen Fehler schnell einsieht und sich woanders eine andere Nudelsuppe gönnt. Als Andreas kommt, singen wir natürlich Happy Birthday für ihn. Naja singen, ich weiß nicht so recht. Zumindest singen wir laut und inbrünstig. Andreas freut sich sehr über die Geschenke und unser Gesinge und grinst über alle vier Backen. Wir freuen uns mit ihm! Nach allen Jahren die wir nun nach Spitzbergen kommen, ist es dieses Jahr tatsächlich das erste Mal, dass sein Geburtstag in die Feldsaison fällt. Wir stellen fest, dass wir nach unserem Singen keine Waffen mehr im Gelände tragen müssen, weil wir vermutlich alle Eisbären, Rentiere, Vögel, Robben und sonstiges Getier im Umkreis von 20 km verscheucht haben. Als wir so beim Frühstück vor uns hin albern, stellen wir Vergleiche zum Film „Mars Attacks“ an. Dort werden die Außerirdischen letztlich mit amerikanischer Hillbilly Musik außer Gefecht gesetzt, die ihre Köpfe explodieren lässt. Unser Gesang war natürlich viel schöner und hat unseres Wissens keine solchen unmittelbaren fatalen Folgen. Jedenfalls hält sich die Zahl an toten Eisbären mit explodierten Köpfen vor unserer Hütte noch stark in Grenzen.

Das Wetter war heute morgen sehr neblig. Aber gerade leicht genug, dass die Sonne durchblitzen konnte und Berge und Eisberge schemenhaft beleuchtete. Es ist genau dieses Licht und diese Stimmung, die ich in Spitzbergen über alles liebe. Und ich glaube, das gibt es auch nur hier. Ich genieße diese Morgenstimmung und freue mich auf einen schönen Tag. Als wir am Boot ankommen, scheint bereits die Sonne. Nur im Westen sind noch ein paar Reste des Nebels sichtbar. Die Stimmung ist absolut fantastisch mit den Bergspitzen, die durch den Nebel bzw. die Wolken schauen. Sowohl der Kronebreen- als auch der Kongsvegen-Gletscher liegen bereits in vollem Sonnenschein. Nachdem wir gestern unsere Gletscher Sightseeing Tour aus Zeitgründen absagen mussten, ist es nun soweit. Wir fahren durch viele Eisberge hindurch immer näher an die Colletthøgda heran. Aus der Nähe ist dieser Berg noch beeindruckender als von unserem Untersuchungsgebiet aus gesehen. Ich bin sehr überrascht, wie weit der „kleine“ Hügel am Westende tatsächlich von der Colletthøgda entfernt ist. Noch beeindruckender ist natürlich die Front des Kronebreen-Gletschers. Wir tasten uns sehr langsam und vorsichtig näher ran aber aus Sicherheitsgründen bleiben wir mehrere hundert Meter von der Eiskante entfernt. Zum einen will ich nicht einen Propellerschaden provozieren und zum anderen kann es natürlich gefährlich werden, wenn man zu nahe an der Kante dran ist und viele Tonnen Eis krachend abbrechen und ins Wasser stürzen. Wir lassen uns eine Weile treiben und saugen dieses Spektakel in uns auf. Die Kameras laufen heiß! Es ist einfach zu unglaublich schön. So etwas habe ich noch nie erlebt und ich glaube den anderen geht es ebenso. Niemand sagt ein Wort. Jeder schaut und genießt. Was für ein Erlebnis. Und das ganze natürlich nur anlässlich Andreas‘ Geburtstag! Hat er auch verdient und wir machen ihm die Freude ganz uneigennützig sehr gerne.

Aber alles hat ein Ende und so machen wir uns in Schleichfahrt in Richtung zum Untersuchungsgebiet auf den Weg. Der Aufstieg ist schnell erledigt aber man kann bereits jetzt fühlen, dass es ein warmer Tag wird. Der Fjord ist noch immer spiegelglatt und es weht kein Lüftchen. Dafür scheint die Sonne nun mit voller Kraft und ich bin echt froh, dass ich mir von Nico seine AWI-Sonnenbrille ausleihen darf. Diese geht über meine reguläre Brille, so dass ich das beste aus beiden Welten genießen kann. Und mit den polarisierten Gläsern der Sonnenbrille kommen die Berge und Gletscher noch eindrücklicher zur Geltung. Man kann sich heute wirklich nicht satt sehen an diesem Fjord. Wohin man schaut, gibt es nur super spektakuläre Landschaft.

Arbeitstechnisch ist es heute eher ein ruhiger Tag. Eigentlich war für heute die Aufnahme der Bodenradar-Daten geplant. Aber leider haben wir es bisher nicht reparieren können. Wir hatten unsere Geophysiker in Münster kontaktiert, von denen wir das Gerät ausleihen durften. Volkmar Schmidt war dabei absolut super. Trotz Urlaub hat er uns geantwortet und uns angeboten ein Ersatzgerät zu schicken. Leider könnte dieses Gerät frühestens dann ankommen, wenn wir bereits auf dem Weg zur Kjærsvika-Hütte sein werden. Wir müssen also leider sein Angebot ablehnen, schätzen aber seine Hilfe ganz enorm. Vielen Dank! Ich nehme also die Polebilder auf, und mache jede Menge Fotos unserer Erosionsstruktur. Zumindest Ernst sehe ich auch viele Bilder machen. Ich bin also nicht der Einzige, der möglichst viele Photonen einfangen will. Und dann ist heute noch Flaggen-Tag. Adam und ich lassen uns mit der Flagge von Bayern und Ohio vor der Coletthøgda und dem Kronebreen-Gletscher ablichten. Ansonsten verläuft der Tag wie bei einer Regatta am Staffelsee bei schönem Wetter. Man wartet auf Wind! Und genau das haben wir heute den ganzen Tag gemacht. Wie auch am Staffelsee. Wir sahen zwar ein Windfeld das den Fjord von Westen aus überzog, aber uns hat es nicht erreicht, so dass wir auch heute den Drachen mit der Kamera wieder nicht fliegen lassen konnten. Sehr schade, denn langsam aber sicher läuft uns die Zeit davon. Und der Wetterbericht ist in der Beziehung auch ernüchternd. Das Wetter soll für die Dauer unseres Aufenthalts schön bleiben, allerdings mit nur 1-2 m/s Wind. Das reicht bei weitem nicht, um den Drachen in die Luft zu kriegen.

Wir beschließen auf eine kleine Erkundungstour zu gehen. Ziel ist eine Erosionsstruktur, die durch den Wasseraustritt eines darüberliegenden Schneefeldes gebildet wurde. Nachdem wir schon einmal am Fuß der Berge sind, entschließen sich Ernst und ich auf einen Hügel zu steigen. Adam folgt uns ebenfalls. Über ein Schneefeld geht es ganz gut, zumindest viel besser als über den steinigen Abhang. Von dort oben haben wir einen fantastischen Ausblick auf den Fjord und unser Untersuchungsgebiet. Wie üblich, klicken bei Ernst und mir die Kameras. Adam nutzt sein Handy zum Fotografieren.

In unserem „Basislager“ trinken wir noch Tee und vertilgen die letzten Stücke Schokolade. Wir warten noch immer auf Wind aber es ist langsam an der Zeit, einen Plan „B“ zu entwickeln. Wir einigen uns darauf, nach Corbel zurück zu fahren. Ich lese noch schnell die Daten-Logger aus und mache noch ein paar Bilder von den Steinmännchen aus. Dann geht es zum Boot zurück und schließlich zur Corbel-Station zurück. Es ist noch immer viel Eis im Fjord und bei dem Gegenlicht muss ich sehr aufpassen, keine kleinen Eisberge zu übersehen.

Am Corbel-Ankerplatz angekommen, melde ich unsre Ankunft ans AWIPEV. Isabelle informiert mich, dass ein Eisbär auf der Prinz Heinrich Insel vor Ny Alesund gesehen wurde und wir vorsichtig sein sollen. Wenig später funkt sie, dass der Bär nun an Land ist und in Richtung Corbel unterwegs ist. Mittlerweile sind wir alle sicher an der Hütte angekommen, aber ich beschließe doch erst einmal von einem kleinen Hügel aus Wache zu halten. Ich stehe vielleicht für 45 Minuten da oben aber das Einzige was ich sehe, ist ein vor sich hin fressendes Rentier. Vom Bären keine Spur. Ernst hat sich zu mir gesellt aber auch er sieht nichts. Also gehen wir zum Abendessen, das Andreas und Adam heute für uns gemacht haben. Spaghetti mit einer sehr guten Sauce sind ein perfektes Geburtstagsessen.

Das Essen geht in einen gemütlichen Abend über. In der Hütte ist es aufgrund der Sonne angenehm warm und gegen 22:30 Uhr wird die Gitarre ausgepackt. Ein absolutes Novum. Wie sich herausstellt, ist Adam ein guter Gitarrenspieler und wir lauschen seinem Spiel. Andreas freut sich besonders über das Happy Birthday Lied! Lustigerweise hat seine Frau seinen Geburtstag vergessen. Aber wenigstens wir haben ihn ersatzweise ausgiebig hochleben lassen. Der Abend neigt sich dem Ende und auch die Sonne ist wieder hinter dem erneut aufziehenden Nebel verschwunden. Alles ist grau in grau und die Chancen in so einem Wetter einen Eisbären zu sichten sind verschwindend gering. Nicht, dass uns das beunruhigen würde.

Es war ein absolut grandioser Tag heute. Einer der definitiv unter die Top Ten in unserer Spitzbergenkarriere kommt. Warm sonnig, atemberaubende Panoramen, live Gitarrenmusik, gutes Essen, ein Jameson zur Belohnung und gute Laune in der Truppe. Genial. Vor allem die Diskussion über Hillbillys und Rednecks. Und Nicos Erfahrungen mit Tanzkursen und Hochzeitsparties. Um Forrest Gump zu zitieren „Und das ist alles was ich dazu zu sagen habe“.

Fotos

Mein Zimmer in der Corbel-Station. Friert man abends beim Umziehen fürs zu Bett gehen, wird es im dicken Daunenschlafsack innerhalb von ein paar Minuten mollig warm
Mein Zimmer in der Corbel-Station. Friert man abends beim Umziehen fürs zu Bett gehen, wird es im dicken Daunenschlafsack innerhalb von ein paar Minuten mollig warm
© KOP 132 SPLAM
  • Ein glückliches Geburtstagskind
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  • Andreas‘ Frühstück
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  • Nebelstimmung an der Corbel-Station. Der Mast ist unsere Verbindung zur Außenwelt. Er bringt uns per Laser das Internet in die Station. Vorausgesetzt es ist nicht nebelig!
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  • Sonnen-Halo am Morgen vor der Abfahrt mit dem Boot
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  • Eisberg!
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  • Eisberge im Nebel
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  • Faszinierende Ansichten
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  • Flaggenparade
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  • Blick vom Steuerstand von „Luciole“
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  • Colletthøgda mal zwei
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  • Ernst auf dem Motorboot
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  • Eisberg und Kronebreen-Gletscher
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  • Eisberg!
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  • Das Team ist einsatzbereit für neue Abenteuer
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  • Harry
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  • Harry beim Betrachten der Logger Daten
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  • Adam genießt den Ausblick
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  • Blumen- ganz klar, das Foto ist speziell für meine Mutter
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  • Ernst vor einer monumentalen Kulisse
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  • Eiskante des Kronebreen-Gletschers
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  • Erosionsstruktur unterhalb eines Schneefeldes
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  • Ohne Worte!
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  • Schmelzwassertümpel und Colletthøgda
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  • Die Tre Kroner mir dem Kronebreen-Gletscher
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  • Ein weiteres Herz für Carolyns Sammlung
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  • Hier der Beweis. Es gibt Fliegen in Spitzbergen!
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  • Ernst bei der Eisbärwache
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  • Adam an der Gitarre
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29.6.2023

Ich habe geschlafen wie ein Stein! Und als wir uns um 8:00 Uhr zum Frühstück treffen erfahre ich, dass es den anderen ebenso ergangen ist. Der gestrige Tag war für unsere alten Knochen offensichtlich doch anstrengender als gedacht. Jedenfalls bin ich der erste der im Aufenthaltsraum halbverschlafen ankommt. Ich richte schon mal das Frühstück her. Wenig später folgen die anderen dem Weckruf der Nudelsuppe. Ich wähle heute total gesundheitsbewusst die Gemüse-Nudelsuppe. Und siehe da, es schwimmt ein Blatt Grünes in meiner Suppe. Geschmacklich kann ich es nicht identifizieren – es war vermutlich zu lange mit all den anderen Konservierungsmitteln und Geschmacksverstärkern im Tütchen. Ist auch egal, denn es gibt Leberwurst dazu. Und Nico ist wagemutig und öffnet eine Fischbüchse. Kurz, wir haben ein herrliches Frühstück, das ich mit einer Tasse Espresso kröne. Wenn jetzt noch die Sonne scheinen würde! Stattdessen ist es wieder bewölkt. Allerdings sind die Wolken nicht mehr so kompakt und man kann tatsächlich die Sonne erahnen.

Wir durchlaufen unsere tägliche Morgenroutine. Heute übernehme ich das Abspülen, dann trage ich uns in die Exkursionswebseite ein und melde uns bei Isabelle ab, die heute Dienst hat. Die anderen bereiten sich auf den Tag vor und schon sind wir zum Strand unterwegs, um uns für die Bootsfahrt fertig zu machen. Das Team ist mittlerweile schon sehr gut eingespielt und jeder weiß, wo er hinzulangen hat. Ablegen, Anlegen, Ankern, Boot be- und entladen, alles funktioniert bestens. Ich denke wir haben Ebbe, denn obwohl wir nur unser Tagesgepäck und das DGPS an Bord haben, schaffen wir nur 7,6 kn über Grund auf dem Eg zum Untersuchungsgebiet. Aber es eilt ja nichts. Ich genieße die Fahrt. Im Fjord sind nur einige große Eisberge unterwegs, denen man leicht ausweichen kann. Ich frage mich warum manchmal nur große Eisberge rumschwimmen und dann wieder tausende von kleinen Eisbrocken? Da muss ich nochmal darüber nachdenken. Ich denke nicht, dass es mit dem Wetter zusammenhängt.

Im Untersuchungsgebiet angekommen, ergibt sich ohne Diskussion eine natürliche Arbeitsaufteilung. Nico aktiviert das DGPS, um die vor Jahren markierten Steine genau zu vermessen. Adam und Ernst helfen ihm dabei. So können wir feststellen, wie sich das ganze Gebiet verändert und wie sich die Gesteinsbrocken bewegen. Nicht nur die Bewegungsrichtung der Gesteinsbrocken können wir nachvollziehen, sondern auch deren Geschwindigkeit über die Jahre gemittelt. Von den ursprünglich 50 markierten Steinen haben sie immerhin noch 40 wiedergefunden. Eine erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt wie dynamisch diese Landschaft ist. Von jedem Stein nehmen die drei genaue Lagedaten mit dem DGPS und machen Fotos und Notizen. Das klingt jetzt eher nach einem schnell erledigten Job. In der Realität aber bedeutet es viel Laufen und viel bergauf und bergab. Ganz abgesehen davon, dass ja auch die Messungen und die Fotos ihre Zeit brauchen. Das heißt, Andreas und ich sehen die drei meist nur aus der Ferne.

Für mich ist heute ein super spannender Tag. Ich habe meinen Laptop dabei und werde versuchen die im letzten Jahr vergrabenen Datenlogger auszulesen bzw. die gestern installierten Logger zum Laufen zu bringen. Sollte das schief gehen, stehe ich gar nicht gut da. Mir ist also durchaus etwas mulmig, denn man will ja nicht zugeben müssen, dass man seine Technik nicht unter Kontrolle hat. Außerdem wäre ein Ausfall der Datenlogger dann schon der zweite Totalausfall, neben dem Bodenradar, in diesem Jahr. Zu meiner Erleichterung ist das Auslesen der Logger mit der gestern heruntergeladenen Software ein Kinderspiel. Und die Daten sind richtig gut. Die kältesten Temperaturen in 30 bzw 60 cm Tiefe lagen bei -17 bzw. -16 °C. Damit herrschten Bodentemperaturen, die mit der Oberflächentemperatur an diesem Tag, dem 25.12.2022 identisch waren. Erst im März zeigt der Oberflächensensor die niedrigste Temperatur im Messzeitraum an. Sie lag bei -26 °C. Im Untersuchungsgebiet war die Temperatur zwischen 18.10. und 21.5. meist unter Null Grad Celsius, mit einigen größeren Schwankungen allerdings. Es ist also klar, dass die ganze Erosionsaktivität, die wir beobachten, auf wenige Monate im Jahr beschränkt ist. Das haben wir natürlich schon vorher vermutet. Aber nun haben wir auch Daten dazu, die dies untermauern. Interessant wäre nun ein Vergleich mit den Daten der Bodenstation nahe Ny Alesund. Das ist meine Hausaufgabe!

Interessant sind auch die Daten des Helligkeits-Senors. Demnach wurden am 11.11.2022 um 14:04:18 die letzten 0,2 lux des Jahres gemessen. Am 30.1. wurden 0,3 lux gemessen, aber erst Ende Februar wurde es kontinuierlich wieder heller, bevor am 6.4. vermutlich Schnee den Lichtsensor bis 21.5. begrub. Praktisch ist somit unser Gebiet erst kurz vor unserer Ankunft schneefrei geworden.

Mein zweites Highlight des Tages war, dass ich die anderen Datenlogger ebenfalls aktivieren konnte. Dazu ist eine zweite Software notwendig, die ich gestern natürlich nicht dabei hatte. Auch heute habe ich ca. 30 min gebraucht, bis alles am Laufen war. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, dass beide Logger-Sets Daten produzieren, die auf den ersten Blick auch Sinn ergeben. So werden Temperatur und Bodenfeuchte an zwei unterschiedlichen Stellen unmittelbar oberhalb der Abbruchkante unsrer Erosionsstruktur gemessen. Unser Plan ist, diese Logger zusammen mit den Zeitraffer-Kameras am Ende unseres Besuchs wieder abzuholen.

Vor lauter Starren auf meinen Laptop hätte ich fast das schöne Wetter übersehen. Zumindest teilweise kam heute die Sonne heraus und hat den Kronebreen- und den Kongsvegen-Gletscher in fantastischem Licht erscheinen lassen. Ich mache viele Fotos, auch vom kleinen Forschungsschiff „Teisten“, das mitten unter den Eisbergen unterwegs ist. Es ist einfach nur schön, auf die Gletscher zu schauen und die Seele baumeln zu lassen. Allerdings müssen 5 Minuten dazu genügen, denn es gibt noch viel zu tun. Ich vermesse noch unsere Markierungspunkte mit meinem GPS, Andreas macht die Pole-Bilder und Nico & Co. sind weiterhin mit dem DGPS beschäftigt. So richtig zum Mittagessen finden wir heute nicht zusammen. Jeder isst, wann er gerade Zeit hat. Irgendwann zwischen 1:30 und 3:00 Uhr nachmittags. Bei mir gibt es heute Hering mit Tomatensauce Burgunder Art. Ich kann allerdings keinen wirklichen Unterschied zu einer normalen Tomatensauce erkennen. Dadurch dass ich „Ulrike“ gegen eine andere Thermoskanne ersetzt habe, komme ich heute in den Genuss von heißem Tee. Und zwar den ganzen Tag über! Meine Marzipanschokolade ist dagegen bereits mittags weg.

Laut Wetterbericht hätte der Wind am Nachmittag mit 7 m/s wehen sollen, was zum Befliegen unseres Untersuchungsgebietes mit der an einem Drachen hängenden Kamera ideal wäre. Als Segler kenne ich das ja bereits, das Warten auf Wind. Wir warten also ein bisschen länger und irgendwann reißt dann der Geduldsfaden und wir probieren den Drachen in die Luft zu kriegen. Aber selbst ohne das Gewicht der Kamera zeigt er sich äußerst flugunwillig. Das einzige was gelingt ist, den Drache so zu steuern, dass er nicht im Dreck landet. Wir geben letztlich auf, da auch um 17:30 Uhr noch nicht genügend Wind weht. Zu ärgerlich, denn heute hätte es eigentlich in dieser Woche am windigsten sein sollen. Aber vielleicht haben wir ja morgen mehr Glück.

Wir beschließen unsere Sachen einzupacken und zur Corbel-Station zurück zu kehren. Dabei nehmen wir bereits soviel Material mit aus dem Gelände zurück, wie es nur geht. Es landen also drei große Alukisten auf „Luciole“ plus unser Tagesgepäck. Den geplanten Besuch des Kronebreen-Gletschers verschieben wir aus Zeitgründen auf morgen. Dafür filme ich mit der GoPro-Kamera während unserer Bootsfahrt vorbei an vielen Eisbergen. Alle erdenklichen Formen sehen wir und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Fast so, als wenn man in den Himmel schaut und in den Wolken alle möglichen und unmöglichen Dinge sieht.

In der Hütte macht sich Andreas sofort ans Essen kochen. Es gibt heute ein leckeres Curry mit Reis. Und als Nachspeise ein Hanuta und einen Fingerhut voll Cognac, den Andreas aus dem Hut zaubert. Das lenkt unser Gespräch auf Sternelokale, in denen wir alle zuhause so ziemlich jeden Tag essen. Andreas ist auf dem besten Weg unser persönlicher Spitzbergen Sternekoch zu werden. Keiner von uns kocht auch nur annähernd so gut wie er und es ist wirklich erstaunlich, was er jeden Tag für uns zubereitet. Chapeau!

Und dann muss ich heute noch von Nico berichten. Er sitzt in der Hütte und hat es nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten geschafft, die DGPS-Daten in sein GIS-Projekt zu importieren, wo sie tatsächlich an der richtigen Stelle erscheinen. Jetzt freut er sich wie Bolle! Bei ihm sind es die importierten Daten, bei mir, dass ich die Logger überhaupt zum Laufen bekommen habe. So hat jeder von uns heute sein Erfolgserlebnis! Wir sind halt doch große Kinder, die es lieben mit Dingen, in diesem Fall Daten, zu spielen.

Ernst war heute noch schnell vor dem Abendessen im Bach beim „Duschen“. Es sei gar nicht so kalt, aber jetzt riecht er irgendwie eigenartig. Ich glaube es nennt sich Seife. Auch Andreas beschwert sich. Jetzt sitz er mit dickem Fleece und mit Wollmütze in der Hütte und meint „Es ist ganz schön warm draußen“. Wir lachen los!

Auch der Abend ist arbeitsreich. Ernst übernimmt dankenswerter Weise zum wiederholten Mal den Abspüldienst, Andreas, Nico und Adam sitzen am Computer und ich lade Batterien, schreibe am Blog und lade Daten auf meinen Computer herunter. Wir lassen den Abend mit einem Produkt einer dänischen Firma ausklingen, das in einem grün bedruckten Alu-Container verpackt ist und seit „1847 Onwards“ serviert wird. Schon eigenartig. Da sitzen wir hier in einer Hütte am grandiosen Kongsfjord und reden über Urlaubsziele! Nico berichtet z.B. von seinen Touren und den vielen tausend Kilometern, die er im Urlaub immer mit seinem Camper zurücklegt. Cool und spannend zuzuhören! Aber mit fortschreitender Zeit rufen uns unsere Betten immer lauter, so dass wir dem Rufen dann doch irgendwann kurz nach Mitternacht folgen.

Fotos

Unser Untersuchungsgebiet vom Boot aus gesehen
Unser Untersuchungsgebiet vom Boot aus gesehen
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  • Die Gletscher Kronebreen und Kongsvegen in strahlendem Sonnenschein
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  • Der Kronebreen-Gletscher
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  • Die Eiskante des Kronebreen-Gletschers
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  • Eis des Kronebreen-Gletschers an der Basis der Colletthøgda
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  • Diese Jahr stellen wir die DGPS Basisstation auf einen Hügel auf, um ein besseres Signal zu bekommen
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  • Nico mit dem mobilen Teil des DGPS auf der Suche nach markierten Steinen
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  • Forschungsschiff „Theisten“ inmitten von Eisbergen
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  • Das westliche Ende der Colletthøgda
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  • Noch mehr Eis
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  • Andreas beim Aufnehmen der Polebilder
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  • Kleine Erosionsstruktur im Schlamm
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  • Einer unserer markierten Steine, die wir dieses Jahr vermutlich zum letzten Mal sehen werden bevor er in der Erosionsstruktur landet und mit weggetragen wird
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  • Spalten im Schlamm
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  • Ernst denkt nach!
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  • Blick unter das Eis. Steine sind noch an die Eisunterseite gefroren
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  • Unter dem Eis
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  • Alles eine Frage der Perspektive. Die Corbel-Station und das kleine Eisfeld davor
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28.6.2023

Um 6:45 Uhr ist heute Aufstehen angesagt. Ja, wir sind in der Tat heiß darauf nun endlich ins Gelände zu kommen. Ich bin als erster unterwegs und mache schon mal zwei Kessel voll mit heißem Wasser für Tee und die obligatorischen Nudelsuppen. Ich starte dieses Jahr mit Enten-Geschmack in die Saison, die anderen nehmen Shrimp. Andreas erinnert uns daran, dass nur weil Ente- oder Shrimp-Geschmack auf der Packung steht, deshalb noch lange keine Ente oder Shrimp in der Tüte sein muss. So eine herbe Enttäuschung! Wer hätte das gedacht? Aber wir sind ja auch mit den entsprechenden E-Nummern zufrieden. Einbildung ist alles. Ansonsten gibt es leckeres Frühstücksfleisch und Brot. Erstaunlicherweise öffnet Ernst heute morgen keine Fischbüchse! Bei mir kommt die kleine Bialetti-Maschine zu ihrem ersten Einsatz und wenig später und ein Zischen weiter, füllt sich meine neue kleine Espressotasse mit schwarzem duftendem Kaffee.

Anschließend verschwindet jeder nach und nach in unserem kleinsten Raum über dem Bach. Nachdem Ernst gestern noch das darunter festhängende Eis entfernt hat, ist dieser Raum heute voll funktionsfähig. Immer wieder ein kleiner Luxus, den wir alle schätzen! Die verbleibende Zeit bis zu meinem ESA-Meeting verbringe ich mit dem Packen meiner sieben Sachen für den heutigen Tag. Tee muss gekocht werden, die Auswahl der Schokolade will bedacht sein und auch ein kleiner Löffel will mitgenommen werden, um den Inhalt der Fischdose im Gelände auch essen zu können. Und alles muss in einer kleinen Plastiktüte verstaut werden, damit man auf dem Rückweg keine Sauerei im Rucksack produziert. Ich bin übrigens „Ulrike“. Jedenfalls steht das auf meiner Thermoskanne, die in meinem AWI-Seesack verpackt war. Nun gut!

Um 10:08 Uhr ist mein ESA-Meeting zu Ende. Mit Sicherheit eines der eigenartigsten Meetings, das ich je gehabt habe. Alle sitzen um mich rum und hören zu, was wir so diskutieren. Ich fühle mich wie im Zoo. Mitten im Meeting fordert das bequeme Sofa in der Corbel-Station seinen Preis und es wird angefangen munter vor sich hin zu schnarchen. Und Ernst kehrt währenddessen den Boden. Alles vollständig bizarr.

Jetzt muss ich nur noch unseren Exkursionsplan auf der AWI-Webseite ausfüllen, dann können wir auch „schon“ los. Der Plan dient dazu, die Sicherheit der Gruppen zu erhöhen, die im Gelände unterwegs sind. Man muss z.B. angeben, wann man die Station verlässt und wann man zurück kommt. Exkursionsziel und mitgenommene Sicherheitsausrüstung müssen ebenfalls angegeben werden. Falls man mehr als eine Stunde verspätet zurück kommt, kann man sicher sein, dass man über das Sprechfunkgerät angefragt wird. Echt klasse! Es kann ja immer mal was sein! Zusätzlich melden wir uns bei Fieke über das Sprechfunkgerät ab. „Fieke, Fieke for Harry. We are leaving Corbel with five people on the boat, heading towards the lateral moraine of Kongsvegen. Estimated return time is 20:00”. “Copy that, have a safe trip!” Da ist alles gesagt. Kein Gelabere! Tut auch mal gut, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können.

Das Boot ist schnell startklar gemacht. Nur das Einsteigen gestaltet sich schwierig beim hohen Bug von „Luciole“. Und seitlich ist das Wasser schon so tief, dass es auch schwierig ist an Bord zu kommen. Jammern auf gaaaanz hohem Niveau. Aber es ist schon interessant, welche Technik jeder verfolgt, um an Bord zu kommen. Elegant ist dabei so wirklich keine. Säcke mit unseren Rucksäcken und ein paar Kisten mit Ausrüstung finden neben den fünf Walen ebenfalls noch Platz. Eigentlich sind es ja nur vier Grauwale, weil Adam noch zu jung und 15 kg zu wenig auf den Rippen hat und daher nicht als Grauwal eingestuft werden kann.

Der Fjord ist ruhig heute und wir haben fast keinen Wind. Also, Vollgas in Richtung Untersuchungsgebiet, wo wir nach einer angenehmen Fahrt trocken und entspannt ankommen. Wenn ich da an unsere Fahrten mit dem Schlauchboot zurückdenke! Ein Unterschied wie Tag und Nacht! Schneller, trockener, mit mehr Gepäck und weniger stressig sind unsere Fahrten heutzutage. Im Laufe der Zeit haben wir uns, glaube ich, in der AWIPEV-Bootshierarchie nach oben vorgearbeitet. Und natürlich hat das AWIPEV heutzutage auch viel mehr Boote im Einsatz als früher. Sehr gut! Natürlich besprechen wir das Ankermanöver im Voraus und verbringen auch einige Zeit, um nach Eisbären Ausschau zu halten bevor wir anlegen. Das Ankermanöver klappt wie im Lehrbuch und so schaukelt „Luciole“ nach kurzer Zeit zufrieden vor sich hin, während wir uns aus den Überlebensanzügen pellen und die Lateralmoräne hochsteigen. Mit der ganzen Ausrüstung kommen wir gut ins schwitzen. Wie üblich gibt es daher oben erst einmal einen Tee. Und was soll ich sagen „Ulrike“ hält nicht warm! Mein Tee ist kalt aber zumindest bleibt er in der Thermoskanne. Bei Nico und Adam ist die Soße im Rucksack.

Die Datenlogger, die wir letztes Jahr vergraben haben, sind noch an Ort und Stelle. Das ist schon mal eine sehr gute Nachricht. Die Landschaft darum herum hat sich aber stark verändert und viele Strukturen, die wir letztes Jahr untersucht haben, existieren schon nicht mehr. Innerhalb kurzer Zeit entdecken wir ein neues interessantes Objekt unserer Begierde. Wir sehen dort steil abfallendes Eis mit ca. 1 m Schutt oben darauf und wir hoffen, dass wir eine sehr aktive Erosionsstruktur ausgewählt haben. Ernst und ich fangen sofort damit an, Steinmännchen zu bauen, um wie gehabt unsere Zeitraffer-Kameras daran zu befestigen, die die ganzen Aktivitäten dokumentieren werden. Andreas steht derweil für uns Wache. Und Nico und Adam suchen die großen markierten Steine und stecken orange Fähnchen daneben, so dass wir sie morgen sehr viel schneller finden werden, um sie mit dem DGPS genau einzumessen. Dabei entdecken sie tatsächlich noch Fähnchen aus dem letzten Jahr, die wir vergessen haben, einzusammeln.

Heringsfilet in Curry-Mango-Sauce, ein paar Schluck kalten Tee und eine halbe Schokolade gibt es heute bei mir zum Mittagessen. Als nächstes installiere ich den zweiten Satz an Datenloggern. Das ist gar nicht so einfach, die Logger möglichst tief in den Boden zu kriegen. Mit all den Steinen brauche ich gute zwei Stunden bis alles fertig angeschlossen ist. Die anderen haben parallel dazu die Markierungstafeln ausgelegt, so dass wir im Anschluss unmittelbar mit den Pole-Bildern anfangen können. Die GoPro an unsere Stange montiert zu bekommen ist jedes Jahr wieder ein neues Puzzle. Aber schließlich macht sich Nico daran an allen Markierungstafeln hochauflösende Videos unserer Erosionsstruktur aufzunehmen. Business as usual, also. Jedenfalls sind wir den ganzen Tag gut damit beschäftigt alle Arbeiten zu erledigen. Es wäre mit Sicherheit schneller gewesen, hätten wir nicht immer wieder Dinge in unseren Kisten am Strand vergessen, so dass wir wiederholt runter und wieder hoch laufen mussten.

Zum Abschluss machen wir noch einen kurzen Erkundungsgang über die Lateralmoräne. Dabei ergeben sich zahlreiche reizvolle Ausblicke und Fotomöglichkeiten bevor wir zum Boot zurückkehren. Das Ankerteam ist eingespielt und in Nullkommanichts sind wir auf dem Rückweg. Ich kann es mir allerdings nicht verkneifen an der Tyske-Hytta vorbei zu fahren, um die alte Dame zu besuchen. Da wir nicht extra ankern wollen, wird es aber ein sehr kurzer Besuch.

Ich melde mich vom Strand beim AWIPEV zurück und lasse sie wissen, dass wir wieder gut in Corbel angekommen sind. Ein vorbeifahrendes klassisches Kreuzfahrtschiff, die „Nordstjernen“ gibt mir noch die Möglichkeit „Luciole“ mit einem schönen Hintergrund in Szene zu setzen. Vor Jahren sind wir mit der „Nordstjernen“ von Ny Alesund nach Longyearbyen gefahren, weil das Wetter für Flüge zu schlecht war. Ein super Erlebnis damals, auf diesem wunderschönen Schiff zu fahren.

Bei der Hütte angekommen, müssen wir als erstes unsere Wasservorräte wieder auffüllen. Das ist eine größere Aktion. Zunächst muss ein dicker Wasserschlauch angeschlossen werden, dann braucht man noch eine Kabeltrommel und schließlich eine Tauchpumpe. Sprich, 3-4 Leute sind damit beschäftigt den Tank zu füllen. Andreas fängt schon einmal an zu kochen, um keine Zeit zu verlieren. Denn hungrig sind wir alle nach so einem Tag. Es gibt heute sein Spezialgericht Yukinaki, das er vor Jahren hier in der Corbel-Hütte erfunden hat. Ich finde es sehr gut und es bleibt nicht der kleinste Krümel übrig. Auch war es so schnell vertilgt, dass wir nicht einmal Zeit hatten, es zu fotografieren! Well done, Andreas!

Leider hat das Wetter heute nicht aufgeklart und es war den ganzen Tag grau in grau mit einer relativ massiven und niedrigen Wolkendecke. Aber es hat zumindest nicht geregnet und es war auch nicht unangenehm kalt und windig! Was will man mehr?

Fotos

Die erste Nudelsuppe der Saison. Wie immer ein Bild wert.
Die erste Nudelsuppe der Saison. Wie immer ein Bild wert.
© KOP 132 SPLAM
  • Frischer Espresso – auch im Norden ein Muss!
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  • Ernst neben einem unserer Steinmännchen
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  • Nebel hüllt Colletthøgda ein
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  • Die Erosionstruktur aus dem letzten Jahr
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  • Ein Steinmännchen mit einer Zeitraffer-Kamera
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  • Ein blauer Gletschersee
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  • Irgendwas Buntes, das nichts mit Gesteinen zu tun hat
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  • Ein wunderschöner Gneis
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  • Unterspültes Altschneefeld
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  • Blick auf Altschee durch ein Altschneetor
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  • Nummer 26 kommt heute nicht heim
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  • Frostsprengung durch permanentes Tauen und Gefrieren
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  • Noch ein wunderschöner Gneis
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  • Auf der Fahrt zur Tyske-Hytta
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  • „Luciole“ und „Nordstjernen“, ein sehr schönes klassisches Kreuzfahrtschiff
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  • Eine am Strand gefundene Krabbe
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27.6.2023

Volles Programm! Duschen, Frühstücken, praktische Bootseinführung, Schießkurs, Packen, Transport nach Corbel und Einrichten in der Hütte, sowie eventuell noch heute Nacht ins Untersuchungsgebiet, um die Zeitraffer-Kameras aufzubauen.

Der Tag beginnt ähnlich wie gestern mit einem Wecker der so leise weckt, dass ich glatt durchschlafe und erst 10 Minuten später von alleine wach werde. Die Duschen im Rabot-Gebäude sind neu renoviert und viel besser als in den letzten Jahren, in denen man mit einem Duschvorhang zu kämpfen hatte, um seine Anziehsachen trocken zu halten. Gefrühstückt habe ich in zehn Minuten. Etwas länger dauert die Diskussion über die Sicherheit während der Exkursion. Wie bereits im Vorjahr mussten wir ein Formular zur Risikoabschätzung und -eindämmung ausfüllen. Darin habe ich versprochen, dass es entsprechende Unterweisungen zu möglichen Gefahren für die Teilnehmer geben wird. Also besprechen wir die Gefahren durch Kälte, unebenes Terrain, schwere Lasten, Wetteränderungen, Gletscher, usw. Danach muss es schnell gehen, da Apolline und Guillaume uns ins Motorboot einweisen wollen. Zuvor versuchen wir noch technische und organisatorische Probleme zu lösen. Nico schreibt unsere Geophysiker an, ob sie uns vielleicht mit dem Bodenradar helfen können, ich versuche meinen TeamViewer Zugang zu meinem Bürorechner wieder ans Laufen zu kriegen und Ernst sucht sein Waffendokument. Adam ist mittlerweile schon im Eisbär-Kurs. Andreas ist am Packen.

Bevor wir zum Bootfahren kommen, müssen wir noch unsere Überlebensanzüge aus dem Rabot-Gebäude holen. Dieses Jahr sind die meisten Überlebensanzüge nagelneu und es gibt nur mehr zwei der alten orangenen Anzüge. Ich nehme mir einen in Größe „M“, muss aber feststellen, dass er doch recht eng ist. Ohne Jacke darunter ist er okay, aber mit einer Jack würde ich mich doch sehr beengt fühlen. Schlimmer als die Enge um den Bauch herum sind die zu kleinen Schuhe. Aber für die Stunde ist es zum Aushalten! Appoline und Guillaume zeigen Ernst, Nico und mir wie man mit „Luciole“ am besten ankert. Wir fahren nicht weit raus, sondern bleiben mehr oder weniger im Hafen. Ich fahre zwei Ankermanöver mit Nico am Buganker und Ernst am Heckanker. Beide Manöver klappen ganz gut – jedenfalls haben wir nicht sofort etwas kaputt gemacht und bei Nico und Ernst sind auch noch alle zehn Finger dran. Und auch das abschließende Anlegen in der Box am Steg klappt ohne Probleme. Weder wird das Boot versenkt, noch der Steg über den Haufen gefahren. Ich denke, Apolline und Guillaume sind mit uns zufrieden und können uns „Luciole“ für ein paar Tage halbwegs beruhigt überlassen.

Dann geht es auf den Schießstand. Wir müssen noch die Waffen von Fieke abholen und kommen leicht verspätet zum Treffpunkt. Aber alle sind in guter Laune und so quetschen wir uns mit 11 Personen in einen Kleinbus, um zum Schießstand zu fahren. Die Straße wird jedes Jahr ein klein bisschen schlechter und die große Auswaschung, die wir bereits im letzten Jahr vorsichtig umfahren mussten, ist noch größer geworden. Unser Trainer erzählt aber, dass eine neue Straße geplant ist, die es auch im Frühjahr erlauben würde den Schießstand mit dem Auto zu erreichen. Mit der jetzigen Straße ist das aufgrund des Schnees nicht möglich und jeder muss dann zu Fuß gehen. Generell stellen wir fest, dass auch jetzt noch sehr viel Schnee liegt.

Wir werden in Gruppen eingeteilt und dann muss/darf jeder 4 Schuss kniend, 4 Schuss stehend und 4 Schuss stehend auf Zeit schießen. Zuvor üben wir allerdings den Umgang mit der Signalpistole. Die meisten von uns schießen etwas zu weit, was man im Ernstfall natürlich nicht will. Idealerweise kommt der Knallkörper kurz vor dem Bären auf, um ihn wegzuscheuchen. So die Theorie! Beim „eigentlichen“ Schießen sind wir alle ganz gut und treffen zumeist ins Schwarze. Somit bestehen wir nach jahrelangem Training völlig überraschend den Kurs und dürfen ab jetzt selbständig mit Waffen ins Gelände. Zumindest soweit KingsBay betroffen ist. AWIPEV macht allerdings erst noch eine Trockenübung mit uns und auch dort erhalten wir grünes Licht. Jetzt dürfen wir die Waffen auch putzen! Im Team geht das ruckizucki. Muss es auch, weil Appoline und Guillaume uns nach Corbel begleiten wollen, um uns die Hütte zu erklären.

Davor müssen wir noch im Schnellverfahren packen und uns für die Bootsfahrt bereit machen. Ich suche mir dieses Mal einen größeren Überlebensanzug aus, der deutlich bequemer ist und insgesamt einfach besser passt. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Wahl. Wir verladen Unmengen an Gepäck in den AWIPEV-Bus. So viel, dass wir zu Fuß zum Hafen laufen müssen. Dort heißt es alles auf die Boote zu verteilen. Viele Kisten sowie Adam und Andreas finden bei Appoline und Guillaume auf dem großen Aluboot Platz, während Nico, Ernst und ich mit „Luciole“ den Rest der Ausrüstung in Richtung Corbel kutschieren. Die Fahrt verläuft recht angenehm, da ich als Steuermann im Steuerstand stehe und somit trocken und windgeschützt bin. Nico, der am Bug sitzt bekommt ab und zu ein paar Spritzer ab und Ernst nutzt die Fahrt für ein kleines Nickerchen. Es herrscht nur wenig Wind, vielleicht 2-3 Beaufort und die See ist überwiegend glatt. Ein angenehmer Ritt! Das Ankermanöver klappt wie eine Eins und ein paar Minuten später ist alles Gepäck über den Strand verteilt. Auch hier schaffen wir es, ein größeres Chaos in nur ein paar Minuten anzurichten.

Apolline gibt uns eine sehr ausführliche Einweisung. Echt super, weil man doch immer wieder Kleinigkeiten von Jahr zu Jahr vergisst. Eine unserer ersten Amtshandlungen ist es, den Wassertank mit einer Saugpumpe zu füllen, die Wasser aus dem kleinen Bach fördert. Nach ein paar Minuten ist der Tank voll und auch das kleine Problem beim Anschließen der Gasflasche gelöst. Das ist auch gut so, denn wir sind alle sehr durstig. Zum Mittagessen hat es extrem salzigen Speck gegeben, der uns jetzt das Leben schwer macht. Der Tee ist in ein paar Minuten fertig und ich trinke erst einmal 3 Tassen davon. Apolline und Guillaume haben uns da schon wieder verlassen.

Die große Neuigkeit dieses Jahr ist offensichtlich, dass die Werkstatt der Corbel-Station vor Kurzem abgebrannt ist. Wo früher ein schickes Gebäude stand in dem Ernst sehr gerne sein Lager aufschlug, sind jetzt nur mehr verkohlte Reste und ausgeglühtes Metall zu sehen. Ein wirklich trauriger Anblick! AWIPEV hat die Brandstelle schon weitgehend gesäubert und alles in weiße Säcke bzw. auf Paletten verladen, die der Hubschrauber abholen kann. Es wird also alles ordentlich entsorgt und weggeräumt. Was noch aussteht ist eine Inspektion durch den Sysselmesteren, der dann vermutlich auch Bodenproben nehmen wird, um eine mögliche Verschmutzung durch das Abbrennen der Solarpanele zu prüfen.

Der Tag ist mittlerweile schon sehr weit fortgeschritten und das bedeutet, dass wir über unser weiteres Vorgehen diskutieren müssen. Falls wir noch ins Feld gehen, würde das bedeuten, dass wir voraussichtlich nicht vor 22:00-22:30 Uhr zurück an der Hütte wären und dann noch Kochen bzw. Essen müssten. Wir beschließen heute nicht mehr ins Feld zu gehen. Stattdessen gehen wir an den Strand um unser hinterlassenes Chaos zu beseitigen. Leider muss ich dabei feststellen, dass Guillaume aus Versehen meinen Überlebensanzug mitgenommen hat. Mir bleibt nur ein Anzug in Größe „M“. Soviel zu meinem Plan! Am Strand sammle ich noch zwei Eisbrocken auf. Der erfahrene Blog-Leser weiß natürlich längst wofür wir diese brauchen. Den Blog-Neulingen kann ich sagen, das nach Rückkehr zur Hütte ein kleiner Aperitiv in Form eines Jameson on the Rocks eingenommen wurde. Schon ein wirklich cooles Gefühl, Eis im Whiskey zu haben, das vermutlich ein paar hundert Jahre alt ist. Sauberer geht es also gar nicht! Die Gentlemen schweigen und genießen! Andreas hat, während wir am Strand waren, eines seiner wunderbaren Essen gezaubert. Es gibt Spaghetti mit einer schönen Bolognese-Sauce, die langsam vor sich hingeköchelt hat.

Bis wir uns umschauen ist es auch schon 20:00 Uhr und kurz vor dem Essen melden wir uns bei Fieke ab und lassen sie wissen, dass wir heute Abend nicht mehr ins Untersuchungsgebiet gehen werden. Damit haben wir unsere Absprache eingehalten, sie auf dem Laufenden zu halten. Das Bodenradar haben wir bis jetzt leider noch nicht zum Laufen gebracht, was uns alle sehr ärgert. Da verschifft man ein Gerät, kämpft sich durch die Zollformalitäten, schleppt die Kisten von A nach B und dann funktioniert es nicht. Nico versucht daher schon mal unser DGPS für morgen einsatzfähig zu bekommen.

Das Wetter ist gegen Abend immer besser geworden. Es ist jetzt fast windstill und die Sonne scheint. Auch ist es ungewöhnlich warm. Ein Fleece ist völlig ausreichend. Und morgen soll es sogar bis zu 9 °C warm werden, allerdings bei 5 m/s Wind, was die gefühlten Temperaturen sicher deutlich kühler erscheinen lassen wird.

Das einzige was heute noch zu tun bleibt, ist die Internetverbindung für das morgige ESA-Meeting zu testen, Fotos im Abendlicht zu machen, und über vergangene Svalbard-Abenteuer zu reden. Eigentlich ganz interessant, wie viele Leute uns im Laufe der Jahre begleitet haben. Die Dienstältesten sind sicher Andreas, Ernst und ich. Aber es gab auch viele andere, die für ein, zwei, drei, vier Jahre mit uns nach Spitzbergen gekommen sind. Mats Olvmo, Lars Johanson, Ella Carlsson, Jim Head, Matt Balme, Colman Gallagher, Mike Zanetti, Dennis Reiß, Matthias Ulrich, Matteo Massironi, Ralf Barfeld, Hannes Bernhardt, Martin Voelker, Jan Raack, Jean-Pierre de Vera und Cynthia Sassenroth sind nur einige Namen, die mir spontan in den Sinn kommen.

Fotos

Man kann verstehen, warum wir in Ny Alesund als „Martians“ bekannt sind
Man kann verstehen, warum wir in Ny Alesund als „Martians“ bekannt sind
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  • Haben wir getroffen?
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  • Das heutige Programm
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  • Harrys Ergebnisse beim Schießen (stehend) auf Zeit
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  • Der Schießstand. Wird geschossen, ist die rote Fahne oben.
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  • Adam ist voll konzentriert
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  • „Luciole“ mit Ernst, Nico und Harry in voller Fahrt in Richtung Corbel-Station.
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  • „Luciole“ vor Anker an der Corbel-Station
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  • Am Strand der Corbel-Station
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  • Ein Rentier zwischen Fress-Instinkt und Flucht-Reflex.
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  • Frostsprengung eines roten Sandsteins
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  • Ein freigetauter rostiger Gneis
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  • Bis vor Kurzem stand hier die Werkstatt der Corbel-Station. Jetzt sind die Reste davon sauber in Säcke und auf Paletten verpackt. Ein Anblick, der weh tut!
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  • Die traurigen Reste der bisherigen Sackkarren, die im Feuer mitverbrannt sind
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  • Winterpelz eines Rentiers
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  • Eis nahe der Corbel-Station
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  • Schöne Eisspalten
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  • Das Hauptgebäude der Corbel-Station, das einen Aufenthaltsraum, eine Küche und ein Labor beinhaltet
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  • Wir genießen einen sonnigen Abend
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  • Blauer Himmel, Wolken, Nebel und Wasser umspielen Kap Mitra
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26.6.2023

Der Tag beginnt mit einem Wecker, der nicht weckt. Aber ich werde trotzdem pünktlich wach und sehe, dass Nico bereits in der Dusche ist. Das Wetter ist noch immer stak bewölkt aber es zeigen sich auch vereinzelte blaue Flecken. Für unseren Flug nach Ny Alesund besteht also Hoffnung. Ich bin nicht besorgt, dass er nicht stattfinden könnte, sondern vielmehr, dass wir keine guten Fotos bekommen werden. Und das werden wir spätestens um 9:30 Uhr erfahren.

Frühstück gibt es um 7:30 Uhr. Gut wie immer. Bis uns das Taxi abholt, haben wir noch genügend Zeit die Hotelrechnung zu zahlen. Ich übernehme die Bezahlung der beiden Doppelzimmer, die von Ernst und Adam sowie von Nico und mir belegt wurden. Vor ein paar Wochen funktionierte meine Kreditkarte nicht in China und Ernst hatte damals für mein Hotelzimmer bezahlt. Ich schulde ihm also noch Geld und so zahle ich jetzt für ihn mit. Wir werden sehen welche Namen dann auf den Rechnungen stehen werden, die wir per Email erhalten sollen. Spannend wird es sicher auch, wie wir diese Aktion unseren jeweiligen Reisekostenstellen erklären werden. Etwas verwundert bin ich darüber, dass wir bereits heute für unsere Übernachtung am 10.7. bezahlen müssen. Okay, wir schauen bereits jetzt vielleicht etwas abgerissen aus, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht. Immerhin sind wir ja Stammkunden im Mary Ann`s und haben bisher noch immer unsere Rechnungen beglichen.

Das Taxi ist superpünktlich und nach ein paar Minuten stehen wir vor verschlossenen Türen bei Lufttransport. Wir sind tatsächlich etwas zu früh, aber nicht die Ersten. Der Warteraum ist bereits geöffnet und ich habe gerade noch Zeit, kurz mit Carolyn und den Kindern zu telefonieren, bevor Bewegung in den Laden kommt. Als erstes und wichtigstes wird immer das Gepäck gewogen. Flugtickets oder so etwas gibt es nicht. Man sagt einfach seinen Vornamen und schon wird man auf einem Zettel abgehakt. Eine schlankere Bürokratie gibt es vermutlich bei keiner anderen Fluggesellschaft. Beim Start müssen wir tatsächlich warten, weil eine andere kleine Maschine noch vor uns losfliegt. Aber schließlich stehen wir auf der Startbahn, die Motoren jaulen und zerren am Flugzeug wie ein Kettenhund, bis die Bremsen gelöst werden und wir in den Sitz gedrückt werden. Weniger als eine Minute später sind wir in den Wolken und es braucht einige Zeit, bis wir mit unserer kleinen Maschine die Wolkendecke durchstoßen haben. Darüber herrscht herrlichster Sonnenschein. Nur eben mit dem Fotografieren schaut es sehr schlecht aus. Ich sitze links und sehe nur Wolken, Nico sitzt rechts und sieht zumindest einige Berge in der Ferne. So war das eigentlich nicht gedacht! Glücklicherweise reißt die Wolkendecke zunehmend auf und so bekommen wir doch noch ein paar schöne und spektakuläre Ansichten der Gletscher und Berge. Einfach immer wieder gut! Besonders beeindruckend war, dass wir sehr nahe an der Colletthøggda vorbeigeflogen sind und wir einen fantastischen Ausblick auf deren Plateau und den Kronebreen-Gletscher erhaschen konnten. Nico sieht dafür die Tre Kroner Berge in all ihrer Schönheit. Ny Alesund ist auch von meiner Seite aus zu sehen, bevor wir in einer großen Linkskurve über dem Fjord auf die Landebahn zusteuern. Wump, wump, wump über die Sandpiste und schon sind wir gelandet. Die Feuerwehr und der Bus, der uns nach Ny Alesund bringen wird, stehen wie üblich schon parat. Eine gut geölte Maschinerie!

Fieke begrüßt uns als neue Station Leaderin bereits im Service-Gebäude und auch mit der KingsBay Registrierung sind wir schnell durch. Fieke hat uns alle im Rabot-Gebäude untergebracht. Nico und ich teilen wieder ein Zimmer und ich brauche nur meinen Rucksack zu öffnen, um es instantan in einen gehobenen Chaoszustand zu versetzen. Gelernt ist gelernt! Ich finde gerade noch einen Weg hinaus, um an der Einführung teilzunehmen. Dort sehen wir auch Isabelle wieder, die uns als Station Leader letztes Jahr hervorragend betreut hat. Ich freue mich sehr, dass wir sie wiedersehen. Schade ist nur, dass Tommy bereits vor ein paar Tagen abgereist ist und wir ihn knapp verpassen. Ähnliches gilt auch für Ingo Beninga, der sechs Wochen hier gewesen ist und nun laut seiner Email wieder im heißen Bremen sitzt. Sehr schade!

Das meiste der Einführung kennen wir natürlich aber es gibt auch durchaus die ein oder andere Kleinigkeit, die im Vergleich zu den Vorjahren anders ist. So gibt es jetzt eine Karte in der bestimmte Punkte mit Kennungen versehen sind, die den Funkverkehr und die Orientierung erleichtern sollen. Und auch ist es nicht mehr notwendig sich per Funk zu melden wenn man am Untersuchungsgebiet angekommen ist bzw. wenn man es verlässt. Fieke macht die Einleitung sehr gut und auf den Punkt. Beunruhigend ist zu erfahren, dass die Werkstatt der Corbel-Station in einer stürmischen Nacht im April abgebrannt ist. Ursache bisher unbekannt. Glücklicherweise sind die anderen Gebäude nicht davon betroffen, so dass unserem Aufenthalt nichts entgegen steht. Ebenso erfahren wir, dass wir die Geopol-Hütte auf Kvadehuksletta vermutlich noch immer nicht verwenden können. Wir müssen noch ein paar Unterschriften leisten und unsere medizinischen Fragebögen abgeben. Dann werden wir zum Mittagessen entlassen. Es ist 12:20 Uhr und wir sind absolut pünktlich an den Fleischtöpfen.

Sofort begegnen wir Leuten, die wir seit Jahren kennen und es ist ein großes Hallo. Maarten treffe ich bereits an der Eingangstüre und ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen. Das Essen ist wie üblich sehr gut und als Nachtisch hole ich mir noch etwas vom geräucherten Lachs und einen Krabbensalat, unmittelbar gefolgt von Keksen und Kaffee. Zum lange Herumsitzen haben wir allerdings keine Zeit, denn wir müssen unsere Kisten aus- und umpacken und auch sonst noch viel erledigen, wie z.B. Batterien laden, das ESA Meeting organisieren, das ich am Mittwoch noch haben werde, die AWI-Klamotten inspizieren, und vieles mehr. Andreas, unser Chefkoch, übernimmt die Verteilung der Lebensmittel. Die neue AWI Logistikingenieurin hat noch eine Kiste mit Lebensmittel aus dem letzten Jahr gefunden, so dass wir mit einigen Dingen nun mehr als reichlich versorgt sind. Nudeln, Reis und Fischkonserven werden uns definitiv nicht ausgehen.

Nach der ganzen Anstrengung brauchen wir dringend einen Kaffee bzw. Tee. Also, nichts wie ab in die Kantine. Auf den Tischen liegen viele V-Menn Hefte herum und so werden wir innerhalb von ein paar Minuten wieder auf den neuesten Stand gebracht, was Autos, Frauen und Heldengeschichten aus dem zweiten Weltkrieg anbelangt. Auch einen Bericht über den frühen Kohleabbau im Adventdalen entdecken wir. Zur Abwechslung ist der Bericht ganz interessant. Wir können ihn zwar nicht lesen. Die Bilder sind aber fantastisch, weil sie die ersten Häuser in Nybyen zeigen und auch die Anfänge des Kohletransports widerspiegeln. Die Bilder sind wirklich sehr beeindruckend und ich kann nur sagen, dass das damals wirkliche Polarhelden waren. Beim Kaffee treffen wir auch unsere spanische Freundin, die an den Radioteleskopen arbeitet. Mit dem zunehmenden Kreuzfahrtverkehr wird es immer schwieriger, klare Signale zu bekommen, da man einfach nicht jeden auf so einem Schiff kontrollieren kann, ob er seine WiFi-Geräte auch wirklich ausgeschaltet hat. Manche werden es auch nicht wissen, dass bestimmte Kameras permanent WiFi-Signale aussenden. Nico hat sich z.B. eine Action-Cam gekauft, deren WiFi sich erst gar nicht abschalten lässt. Deshalb konnte er sie auch nicht mitbringen.

Während wir beim Kaffee sitzen werden einige Leute mit lauter Musik verabschiedet, die mit dem Nachmittag-Flug abfliegen. Musik ist in diesem Zusammenhang vielleicht etwas übertrieben. Jedenfalls sind alle bester Laune und haben Spaß. Und so soll es ja schließlich sein. Und schon geht es zur Bootseinweisung. Apolline zeigt uns das Aluminium-Boot, das wir für die nächsten Tage benutzen können. Es ist deutlich größer als alles, was wir bisher ausleihen konnten und hat einen richtigen Steuerstand. Dadurch steht man zwar viel trockener bei Wind und Wellen, allerdings wirkt er auch wie ein großes Segel. Apolline weist uns auch darauf hin, dass wir viel mehr auf die Tiden achten müssen. Denn das Boot ist so schwer, dass wir es vermutlich nicht mehr ins Wasser schieben können, falls es trocken fällt. Insgesamt ist der Umgang also etwas anspruchsvoller aber ich bin guter Hoffnung, dass wir es schon schaffen werden und dann die Vorzüge des Boots voll genießen können. Und morgen gibt es noch eine praktische Einweisung dazu.

Auf dem Rückweg machen wir am Shop einen Zwischenstop, um einzukaufen. Für das Bier braucht man die Bordkarte des Flugs nach Longyearbyen. Also erst einmal kein Bier für uns! Während wir uns noch nach Souvenirs umschauen kommt über das Funkgerät die Nachricht, dass ein Eisbär mit zwei Jungen aus Richtung Corbel auf Ny Alesund zuläuft. Wir sind also erst ein paar Stunden hier und schon haben wir die erste Warnung. Das fängt ja schon gut an. Der Bär ist clever genug nicht zu nahe an Ny Alesund heranzukommen und nach einiger Zeit kommt die Entwarnung, dass er am Flughafen vorbei in Richtung Nordwesten abgezogen ist. Gesehen haben wir ihn jedenfalls nicht.

Also können wir uns nun beruhigt über die „Straße“ trauen, um zum Abendessen zu gelangen, das es hier bereits um 16:30 Uhr gibt. Gefühlt sind wir ja gerade erst vom Mittagessen bzw. Kaffeetrinken aufgestanden. Aber in der Arktis hat man ja einen enormen Kalorienverbrauch, der natürlich ersetzt werden muss. So reden wir uns das zumindest ein. Es gibt Kabeljau, der hervorragend schmeckt. Trotzdem kriege ich nur ein kleines Stück in mich hinein. Für alles gibt es Grenzen der Physik! Und wir haben ja noch eine Aufgabe vor uns: Zurück zum Shop mit unseren Bordkarten, so dass wir dieses Mal auch das Bier kaufen können. Da Andreas in den nächsten Tagen Geburtstag haben wird, kaufen wir auch gleich ein Geschenk für ihn. Und Carolyn und die Kinder vergesse ich natürlich auch nicht.

Jetzt wird es langsam aber sicher Zeit, das Chaos in unserem Zimmer unter Kontrolle zu bringen und am Blog zu arbeiten. Nico verliert als erster die Nerven und fängt schon mal an aufzuräumen, während ich noch am Tippen bin und einfach nur aus dem Fenster schaue. Draußen scheint die Sonne und es fühlte sich heute den ganzen Tag deutlich wärmer an als bei unserer Ankunft noch vor zwei Tagen. Die Umstellung auf die kühlen Temperaturen haben wir also bereits gut gemeistert und wir laufen mit unseren Fleece-Jacken durch die Gegend, während die Kreuzfahrt-Touristen in dicke Daunenjacken und Winterstiefel verpackt sind. Heute waren mindestens drei Kreuzfahrtschiffe in Ny Alesund, unter anderem auch die „Fram“, die wir noch gestern in Longyearbyen gesehen haben.

Adam und Nico testen das Bodenradar und zu unserer großen Sorge funktioniert das Steuergerät nicht. Wir sehen nur einen weißen Schirm. Das wars. Alle Versuche das Steuergerät zum Laufen zu kriegen waren bisher umsonst. Wir hoffen nun darauf, dass mit dem vollständigen Entladen der Batterie ein genereller Neustart vielleicht das Problem beheben wird.

Bei herrlichstem Wetter sitzen wir noch mit einem Kaltgetränk in der Sonne und lassen den Tag langsam ausklingen. Die Luft ist sehr klar und die verschneiten Berge bilden einen tollen Kontrast zum blauen Himmel. Ich kann mich immer wieder dafür begeistern und mache viele Fotos. Den anderen geht es aber ebenso – ich bin also nicht alleine mit meiner Begeisterung. Schließlich enden wir in der Kantine, wo es noch einen Kaffee und einen Snack gibt bevor wir uns in unsere Betten schwingen. Morgen ist auch noch ein Tag!

Fotos

Nicht unsere Ausrüstung…
Nicht unsere Ausrüstung…
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  • Warten auf den Abflug nach Ny Alesund
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  • „Unser“ Co-Pilot
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  • Mehr war anfangs nicht zu sehen
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  • Erosionsrinnen soweit das Auge reicht
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  • Ausblick auf den Kronebreen-Gletscher
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  • Eisspalten des Kronebreen-Gletschers
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  • Blick über die Colletthøgda hinweg auf unser Untersuchungsgebiet
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  • Der Kongsfjord mit der westlichen Spitze der Colletthøgda
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  • Das Boot „Luciole“, das wir die nächsten Tage benutzen können
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  • Die AWI-Flotte im Hafen von Ny Alesund
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  • Unsere Kisten im Rabot-Gebäude. Im Hintergrund hängen neue Überlebensanzüge für uns bereit.
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  • Blick von Ny Alesund in Richtung Osten. Einfach nur genial!
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  • Ernst und Adam vor dem Shop in Ny Alesund
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  • Spektakuläres Panorama für einen Plausch mit dem Zeppelinfjellet im Hintergrund
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  • Die Eisbärenwarnungen der letzten zwei Tage
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  • Ny Alesund at its best!
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  • Am Abend in Ny Alesund
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  • Materialtransport durch Schmelzwasser
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25.6.2023

Um 7:15 Uhr „weckt“ mich ein Handy. Eigentlich bin ich schon viel länger wach, denn um diese Uhrzeit aufzustehen ist für mich ungewöhnlich spät. Aber es hat sehr gut getan, so lange zu schlafen. Nico, mit dem ich mir das Zimmer teile, war auch gnädig und hatte im Laufe der Nacht nur 2-3 Schnarch-Attacken geritten, die ich aber alle parieren konnte. Da hilft es, wenn man auf einem Ohr nicht mehr ganz so gut hört! Kurz, ich bin ausgeschlafen und zu neuen Untaten bereit. Einen weiteren Boost bekomme ich durch die herrlich warme Dusche, die ich ausgiebig genieße. Wir treffen uns ja erst um 8:00 Uhr zum Frühstück. Da bleiben selbst noch ein paar Minuten, um den Ausblick aus unserem Hotelzimmer zu erhaschen. Wir blicken auf die Werkshallen des Industriegebietes von Longyearbyen, vor dem Zimmer liegt ein großer Stapel Bauholz und der Himmel ist grau in grau und hängt nur ein paar Meter über den Werkshallen. Die Bergspitzen sind also momentan nicht zu sehen.

Das reichliche Frühstück entschädigt uns. Jeder kriegt was er will: Obst, Eier, Speck, Käse, Wurst, Kuchen, Croissants, Tee, Kaffee, Saft. Und dazu der Ausblick auf eine Fernwärmeleitung. Mary Ann`s Polarrigg hat eben einen besonderen Charme, den wir alle schätzen und der vielleicht noch am nächsten an den ursprünglichen Bergbaucharakter herankommt. Viele der neueren Hotels sind dagegen eher „trendy“, aber eben auch nichts sagend. Wir bleiben Mary Ann jedenfalls sehr gerne treu!

Anschließend wird im gemütlichen „Wohnzimmer“ gearbeitet – es gibt noch genug zu tun. Adam erkundet währenddessen das Museum. Und um 11:30 Uhr wollen wir uns landfein machen, um „Downtown“ zu besuchen. Kurz vorher kommen Andreas und Adam von der ersten Vorerkundung der Stadt zurück und berichten, dass offensichtlich ein Kreuzfahrtschiff seine Schleusen geöffnet hat und alles mit Touristen überlaufen ist. Wir beschließen zu warten, da auch die Svalbardbutikken und andere Geschäfte erst um 15:00 Uhr öffnen. Es ist ja heute Sonntag. Trotzdem wollen wir z.B. noch CR2032-Batterien kaufen, die wir eventuell für die Datenlogger brauchen. Ich kämpfe mich bis dahin durch alle meine Emails, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben. Das braucht einen guten Teil des Vormittags. Selbst das Herunterladen von Bildern auf meinem Handy auf den Laptop gelingt mir. Erst macht es Probleme weil mein Kabel offensichtlich nur zum Laden aber nicht zum Übertragen von Daten taugt. Gott sei Dank habe ich ein zweites Kabel eingepackt mit dem es dann fast problemlos funktioniert.  „Ich bin ein Held!“ freue ich mich und Nico meint nur „Wie immer“. Höre ich da einen leichten Anflug von Sarkasmus heraus? Unglaublich!

So vergeht der Vormittag in aller Ruhe. Ich muss sagen, dieser sehr langsame Start in unser Abenteuer hat durchaus auch sein Gutes und gibt mir Zeit einmal durchzuatmen und noch letzte Dinge zu erledigen, zu denen ich in den letzten Wochen einfach nicht gekommen bin. Normalerweise wären wir ja bereits heute Morgen mit dem ersten Flug nach Ny Alesund aufgebrochen. So sitzen bzw. liegen wir völlig entspannt in Mary Ann´s Wohnzimmer und jeder arbeitet so vor sich hin. Kein Zoom-Meeting, keine Anrufe, niemand nervt, man kann tatsächlich für mehrere Stunden denken, ohne unterbrochen zu werden. Es ist vielleicht nicht das Paradies, aber es ist vermutlich gleich um die Ecke. Für die anderen Gäste geben wir sicher ein komisches Bild ab. Fünf Kerle fahren gemeinsam nach Spitzbergen und sitzen dann für Stunden nebeneinander ohne groß ein Wort zu wechseln.

Die Ruhe wird jäh unterbrochen als Andreas einwirft „Ich bekomme langsam aber sicher Hunger!“ Und sofort stellt sich der Herdentrieb ein und wir verspüren alle ein leichtes Kribbeln im Bauch. Zeit unseren Hintern in Richtung Futtertröge zu bewegen. Hoffentlich haben die Kreuzfahrer noch etwas für uns übrig gelassen. Wie sich herausstellt, sind wir zu früh aufgebrochen. Ganz Longyearbyen ist mit Touristen überlaufen, da nicht nur eins, sondern mehrere große Kreuzfahrtschiffe angelegt haben. Die „MSC Preziosa“ hat Platz für 4345 Passagiere und 1388 Besatzungsmitglieder und somit für mehr als doppelt so viele Leute als in Longyearbyen (2368) leben. Und es war noch die „Viking Saturn“ im Hafen mit bis zu 928 Passagieren und 464 Besatzungsmitgliedern, sowie das Hurtigruten-Schiff „Fram“ mit 318 Passagieren. Die Zahlen sind einfach erschreckend und mich nervt es, aber man kann es den Leuten natürlich nicht verdenken, dass sie alle einkaufen wollen und zum Kaffee trinken gehen. Ich habe es nur schlichtweg nicht erwartet und muss mich erst geistig und moralisch darauf einstellen, so viele Leute hier zu sehen. Zumindest haben wir Glück und finden einen großen Tisch in unserem Stamm-Café. Ein Thunfisch-Sandwich und eine Tasse Kaffee stimmen mich denn auch schnell wieder besser. Dann checken wir alle Sportgeschäfte. Aber irgendwie kann ich mich nicht dazu entschließen, irgend etwas zu kaufen. Ich habe ja im Prinzip alles. Und auf den vergessenen Schlafsackschutz kann ich für die Tage auch verzichten. Der liegt nämlich noch schön in Münster, wo er sich ungeheuer nützlich macht. Jedenfalls kaufe ich keinen Ersatz für knapp 80 Euro, nur damit er nach den zwei Wochen nutzlos zu Hause im Regal liegt. Lediglich ein paar Souvenirs für die Kinder und Carolyn finden den Weg in meine Jackentasche. Und ein paar Postkarten. Ernst kauft auch welche und wir zwei sind wahrscheinlich die Kommunikations-Dinosaurier in der Gruppe. Klar, WhatsApp geht auch und noch dazu schneller. Ist aber einfach nicht das Gleiche! Basta! In den Svalbardbutikken finde ich schließlich die gesuchten Batterien für die Daten Logger. Die Batterien der im letzten Jahr vergrabenen Logger sollten zwar noch für ein weiteres Jahr Strom liefern, aber sicher ist sicher. Falls sie schwach sind, können wir sie nun ersetzen.

Zum krönenden Abschluss unserer Tour machen wir noch eine Reservierung im Kroa-Restaurant für heute Abend um 19:30 Uhr. Das Abendprogramm steht also fest. Burger und Bier! Es gibt Schlimmeres! Eine Tradition ist eine Tradition, ist eine Tradition. Ich freue mich schon auf den Abend!

Die anderen machen es sich im „Wohnzimmer wieder gemütlich während ich mich zum Strand auf den Weg mache. Durch das Industriegebiet. Eindeutig die weniger hübsche Seite einer weniger hübschen Stadt. Auch der Strand ist nicht wirklich einladend und mit rostigen Nägeln nur so übersäht. Im Fjord liegen zahlreiche Schiffe aller Größen. Zwei Frachter, die drei bereits erwähnten großen Kreuzfahrtschiffe, ein paar Kutter und ein einsames Segelboot. Auch die „Nansen Explorer“ kann ich erkennen. Die See ist ruhig und die Wolken hängen noch immer auf Halbmast. Grau in grau den ganzen Tag. Und genauso unspektakulär verläuft unser Tag. Ein wirklich sehr langsamer Einstieg. Es ist jetzt 16:57 Uhr, 16:58 Uhr, 16:59 Uhr… Aber spätestens morgen wird alles anders werden.

Einer nach dem anderen verschwindet, um ein Nickerchen zu machen. Ich schreibe meine Postkarten und arbeite am Blog. Gerade habe ich festgestellt, dass Thomas Heyer den gestrigen Blog bereits hochgeladen hat. Super! Danke Thomas! Im Radio dudelt tiefenentspannte Musik und ich swinge mit. Ich bin gefühlt bei meiner zehnten Tasse Kaffee heute und es geht mir bestens. Der Stress der letzten Tage ist bereits vergessen!

Pünktlich um 19:30 Uhr trifft das SPLAM Team vollständig und wohl geruht im Kroa Restaurant ein. Es war definitiv gut zu reservieren, denn der Laden ist bis auf den letzten Platz ausgebucht und auf der Straße herrscht noch immer reges Treiben der Kreuzfahrt-Touristen. Wie jedes Jahr bestelle ich meinen „Moose-Burger“ mit Süßkartoffel Pommes Frites. Adam macht es mir gleich, Ernst isst einen normalen Hamburger, Andreas eine Pizza und Nico entscheidet sich für ein Pfeffersteak. Das Abendessen ist nach unserem Geschmack und wir bleiben noch bis 10:45 Uhr sitzen, um uns über alle möglichen Dinge zu unterhalten. Mögliche Feldarbeit in Botswana, Forschungsstationen in der Antarktik, Forschung in Chile, die fehlende Lenin-Büste im Restaurant, die offensichtlich durch eine ukrainischen Flagge ersetzt wurde und ein möglicher Besuch Ernsts auf der Zaferna-Hütte im Kleinwalsertal sind nur einige wenige Themen, die wir diskutieren. Andreas und ich beobachten zwischenzeitlich einen Typen, der vor einer Frau kniet und versucht ihr, in Ermangelung eines richtigen Rings, einen Schlüsselring an den Finger zu stecken. Allerdings braucht er gefühlt eine Ewigkeit, um vorher seine Schlüssel vom Schlüsselring zu entfernen. Es ist wirklich ein Drama ihm zuzusehen. Sie lächelt dazu und denkt sich vermutlich ihren Teil. Jedenfalls wird er schlussendlich innig umarmt und alles scheint schick zu sein. Lange Rede kurzer Sinn, wir haben Spaß und genießen den Abend.

Da wir aber morgen halbwegs früh raus müssen, um unseren Flug zu erreichen, der uns um 9:30 Uhr nach Ny Alesund bringen wird, liegen wir alle brav um 11:00 Uhr in unseren Betten. Die Regel bei Lufttransport, der Firma, welche die Strecke zwischen Longyearbyen und Ny Alesund betreut ist, dass man auf dem Weg nach Ny Alesund mindestens 45 Minuten vor Abflug dort sein muss. Auf dem Weg zurück nach Longyearbyen sind es gar 60 Minuten. Ich bestelle also noch  schnell das Taxi für morgen um 8:30 Uhr bevor ich noch die letzten Arbeiten am heutigen Blog abschließe. Nico hat bis dahin bereits ein paar Hektar deutschen Eichenwaldes abgesägt. Dann geht das Rollo runter und es ist endgültig Schlafenszeit.

Fotos

Unsere Luxussuite
Unsere Luxussuite
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  • Der Blick aus unserem Hotelzimmer
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  • Der Eingangsbereich des Hotels. Alle ziehen ihre Schuhe dort aus
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  • Das „Wohnzimmer“ in Mary Ann´s Polarrigg
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  • Ein entspannter Andreas beim Checken seines Handys
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  • Kuppel im Industriegebiet von Longyearbyen und im Hintergrund die Schneeverbauungen am Sukkertoppen
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  • Im Industriegebiet Longyearbyens
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  • Links die „Polarsyssel“, das Schiff des Sysselmesteren und die „MSC Preziosa“
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  • Seekajaks am Strand. Bunter geht es kaum!
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  • Ohne Worte - Klare Worte
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  • Die Schneemobile des Norsk Polar Insitutt fein säuberlich zum „Übersommern“ geparkt
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  • Ernst und Nico im Kroa Restaurant
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24.6.2023

3:15 Uhr. Eine kurze und heiße Nacht liegt hinter mir. Kurz, weil ich erst gestern Abend dazu gekommen bin, meine Sachen zu packen. Computerprobleme mit Lizenzen und VPN Zugängen haben mir gestern Nachmittag den letzten Nerv gekostet und mich extrem frustriert. Um kurz vor 19:00 Uhr waren diese Probleme gelöst und es konnte ans Packen gehen. Der Freitag und die Tage zuvor waren einfach zu vollgestopft mit Aufgaben, um auch nur entfernt daran zu denken alles zu packen. Am Freitagmorgen musste ich noch bei der Besichtigung des Galileo-Buchs „Sidereus Nuncius“ der Universitätsbibliothek für unsere amerikanischen Kollegen der Lunar Reconnaissance Orbiter Kamera übersetzen und am Nachmittag das Team Meeting besuchen, das wir seit Mittwoch ausgerichtet haben. Das Buch stammt von 1610 und beschreibt die Entdeckung der Galileischen Monde des Jupiter, einige Konstellationen und – ganz besonders für das LROC-Team wichtig – die Mondoberfläche. So enthält es viele berühmte Zeichnungen des Mondes mit Kratern und dunklen Flecken. Auch konnte Galileo durch seine Teleskopbeobachtungen herausfinden, dass der Mond Topographieunterschiede hat. Interessanterweise hat die Universitätsbibliothek das verbotene Buch aus einem 1773 aufgelösten Jesuitenkolleg übernehmen können. Das Münsteraner Buch ist qualitativ sehr hochwertig und neben der Kopie in Florenz das vermutlich wertvollste Exemplar. Da ist es schon fantastisch, dass man dieses Buch tatsächlich in die Hand nehmen kann, um die Abbildungen im Detail zu studieren. Ein wirklich ganz besonderes Gefühl! Danke der ULB und danke für die tolle Führung durch Jürgen Lenzing.

Heiß war die Nacht auch deshalb, weil sich die Temperatur trotz des heftigen Regens am Donnerstagabend nicht verringert hat und es dadurch aber deutlich schwüler wurde. Und auch Nico „profitiert“ vom Regen. Er durfte nämlich noch am Freitag viele  Eimer Wasser aus seinem Keller schleppen, da der Starkregen seinen Keller überflutet hat. Ein undichtes Fenster war schuld! Und letztlich hat auch das gestern beginnende Schützenfest, das man durch ganz Roxel hören konnte, nicht gerade zu einem guten Schlaf verholfen. Kurz, viel hin und her wälzen und dabei überlegen, was man alles nicht gepackt hat. Hamsterradmodus. Der übliche Wahnsinn also!

Das Gepäck ist flugs im Auto verstaut und um 4:00 Uhr sammeln wir Nico und Adam ein. Adam ist mit nur zwei kleinen Rucksäcken unterwegs und Nico und ich fragen uns, ob er vielleicht nicht etwas zu leicht gepackt hat. Man wird sehen… Carolyn bringt uns alle netterweise zum Flughafen und hat sich dafür extra aus dem Bett gequält. I love you! Es ist bereits jetzt klar, dass unser Flug nach München Verspätung haben wird. Wir sind also noch nicht aus Roxel raus und haben schon Verspätung. Dafür darf ich dann am Flughafen auch gleich noch 80 Euro für mein zweites Gepäckstück abdrücken. Kein Goldstatus, kein zweiter freier Koffer! AAARRRRGGGHHHH!!!! Meine rote Kiste mit den Instrumenten müssen wir am Sperrgepäck abgeben und wir stellen uns alle die Frage warum eigentlich? Die Kiste ist kleiner als ein normaler Hartschalenkoffer! Aber ich habe es längst aufgegeben, nach dem Sinn bzw. Unsinn von Regelungen zu fragen. Augen zu und durch. Immer schön freundlich bleiben, auch wenn man gefühlt verarscht wird. Zumindest versichert uns die freundliche Dame beim Einchecken, dass wir unseren Anschlussflug nach Oslo erreichen sollten. Ich nehme mir fest vor, mir die Reise durch solche Kleinigkeiten nicht versauen zu lassen! Es geht schließlich nach Spitzbergen! Das Leben ist schön!

Um 7:00 Uhr heben wir schließlich vom Flughafen Münster-Osnabrück ab. München, wir kommen! Der Flug ist kurz. München, wir sind da! Jetzt heißt es allerdings Gas geben, denn das Gate für unsern Anschlussflug nach Oslo schließt bereits um 8:25 Uhr. Während Nico und ich ganz vorne sitzen, wird Adam in einer der hinteren Reihen blockiert. So vergeht wertvolle Zeit. Nur gut, dass wir an den G-Gates ankommen und dort auch wieder wegfliegen. Allerdings am anderen Ende des Gebäudes. Da bleibt nicht viel Zeit und ich befürchte, dass es unser Gepäck eventuell nicht schaffen könnte. Kaum sitzen wir im Flugzeug kommt allerdings die Ansage des Kapitäns, dass das Boarding zwar komplett sei aber man noch auf Gepäck warte. Ich vermute, das ist unser Zeug. Bei leichter Bewölkung geht es nun wieder Richtung Norden. Nach einem „kurzen“ Nickerchen sind wir auch schon in Küstennähe. Ich sitze links auf 4A und erkenne im Westen Lübeck in der Ferne. Fehmarn wird überflogen, ebenso die dänische Südsee und der Große Belt mit seiner imposanten Brücke. Schließlich geht es über Laeso hinweg. Skagen ist sichtbar und jede Menge Frachter, die vor Skagen auf Reede liegen. Fast so voll hier wie im Großen Belt, wo sich ein Schiff ans andere reihte! Und schon sind wir wieder im Landeanflug auf Oslo. Leider war das Wetter nicht ganz klar, so dass die Wolken öfter die freie Sicht auf Dänemark verdeckten. Trotzdem ein schöner ruhiger Flug.

In Oslo haben wir fünf Stunden Aufenthalt. Da wir nicht in die Lounge kommen, zieht sich das hin. Wenigstens der Kaffee und die Sandwiches sind gut, die wir uns leisten. Nico hat herausgefunden, dass der Wechselkurs zwischen NOK und Euro für uns sehr günstig ist – 12:1 – da fühlt man sich gleich besser. Vielleicht gibt es ja eine zweite Tasse Kaffee? Ansonsten heißt es warten, warten, warten. Adam und Nico nutzen die Zeit um über das Bodenradar zu diskutieren, während ich ein paar Anrufe erledige und meine Kamera für den Flug nach Longyearbyen checke. Alles okay, allerdings soll es laut Wettervorhersage eher wolkig sein.

Die Temperaturen in Longyearbyen sind für die nächsten Tage so bei 5-9 Grad, also eher auf der warmen Seite. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen soll es die nächsten Tage bewölkt bleiben, bei leichtem Wind. Eine der Wolkenlücken ist für Montag Vormittag vorhergesagt, also genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir nach Ny Alesund fliegen werden. Da hilft jetzt nur Daumen drücken. Ein Satellitenbild vom 21.6.2023 zeigt uns, dass auf der Brøgger-Halbinsel meist nur die Küstenstreifen schneefrei sind. Das Innere der Halbinsel ist noch tief verschneit aber zahlreiche große Sedimentfahnen zeigen an, dass viel Schmelzwasser in den Fjord fließt. Zum Glück sind unsere Untersuchungsgebiete frei von Schnee, so dass wir hoffentlich alle Messungen durchführen können. Auch die Bilder der Webcam auf dem Zeppelinfjellet zeigen uns, dass der Schnee erst vor Kurzem entlang der Küsten weggetaut ist. Wären wir also nur ein paar Tage früher geflogen, hätten wir eine ähnliche Situation angetroffen wie Nico und ich im Jahre 2021. Wir haben also alles richtig gemacht!

Als wir um kurz nach 2:00 Uhr zum Gate aufbrechen enden wir in einer endlos scheinenden Schlange an der Passkontrolle, die sich durch das halbe Terminal zieht. Uns schwant Schreckliches. Aber wider Erwarten bewegt sich die Schlange schnell vorwärts und nachdem wir ca. die Hälfte abgearbeitet haben, eröffnet sich uns die „grüne Linie“ für Personen über 18 Jahre mit automatisch lesbaren Reisepässen. Nach ein paar weiteren Minuten ist alles erledigt und wir kommen am Gate F16 an, wo Andreas bereits auf uns wartet. Ernst kommt wenig später dazu, so dass die Mannschaft nun komplett ist. Der Flug ist nicht vollständig ausgebucht und Ernst kann von einem Gangplatz zu einem Fensterplatz wechseln. Nicos und mein Platz sind leider über den Flügeln, was die Sicht doch deutlich behindert. Ich hatte gestern beim Einchecken noch extra aufgepasst, dass das nicht passiert. Entweder ich habe einen Fehler gemacht, oder der Sitzplan war inkorrekt. Egal, es ist bedeckt und eh nichts zu sehen. Eigentlich schade, denn in Oslo hatten wir noch schönstes Sommerwetter.

Erst beim Landeanflug auf Longyearbyen klart es etwas auf, so dass wir die ersten Berge durch die Wolken spitzen sehen. Ein grandioser Anblick, der niemals alt wird. Und spätestens als das Flugzeug in Berggipfelhöhe das Adventdalen entlang fliegt, werden auch die Schweitzer hinter mir aufgeregt. „Wie im James Bond Film“ höre ich sie mehrmals sagen, gefolgt von „geil“ und „habe ich ja noch nie gehabt, so einen Anflug“. An Longyearbyen vorbei geht es Richtung Flughafen über zahlreiche Schiffe im Fjord hinweg. Der Sysselmesteren ist zuhause. Jedenfalls liegt sein Schiff an der Pier. Und das obligatorische Hurtigruten-Schiff läuft ebenfalls pünktlich zu unserer Landung ein. Der Flugkapitän weist uns noch darauf hin, dass es bei der Landung aufgrund der unebenen Landebahn etwas holprig werden kann und dass sich deshalb niemand Sorgen machen müsse. Und schon sind wir gelandet. Die Temperatur liegt bei 5°C, es weht ein leichter Wind und der Himmel ist überwiegend bedeckt. Der Fjord erstrahlt im für Spitzbergen typischen Licht. Genial, wir sind wieder da!

Das Gepäck kommt dieses Jahr vollständig an und selbst meine rote Kiste wurde dieses Mal nicht geöffnet. Zumindest ist mein Vorhängeschloss noch dran! Ich rufe uns ein Taxi, auf das wir allerdings länger warten müssen. Wir stehen also vor dem Flughafengebäude und ratschen, als Nico plötzlich und unvermittelt fragt „Wo ist denn nun die Samenbank?“ Wir prusten los und da wird es auch ihm bewusst, dass die Frage vielleicht etwas missverständlich und ungünstig formuliert war. Was Nico natürlich meinte ist die Samenbank in der viele Nationen ihre Pflanzensamen lagern, um bei einer Katastrophe genügend Material für die Nachzucht zu haben. Spitzbergen ist ja berühmt für diese Samenbank, da sich die Samen im Permafrost besonders gut aufheben lassen. Und ja, die Samenbank ist in unmittelbarer Nähe zum Flughafen.

Wir warten bei 5 °C noch immer auf das Taxi. Zuhause waren es die letzten Tage immer zwischen 25-29 °C und da fühlen sich die 5 °C schon ganz schön frisch an. Wir sind es einfach noch nicht gewohnt und durch die Bank völlig verweichlicht. Einzig Andreas trägt traditionsgemäß kurze Hosen. Das Taxi bringt uns schließlich zu Mary Ann´s Polarrigg, wo wir dieses Jahr wieder untergekommen sind. Viel hat sich nicht verändert aber die zahlreichen rotbraunen vertrockneten Christbäume vor dem Gebäude sind definitiv neu. Vermutlich ein Kunstobjekt…oder Faulheit sie zu entsorgen. Ist das Kunst oder kann das weg? Im Inneren fehlt der durch die Wand schauende Eisbär! Skandal! Wir beschließen dennoch heute hier zu essen. In all den vorherigen Jahren sind wir ja immer erst um kurz nach Mitternacht in Longyearbyen angekommen, so dass die Küche immer geschlossen war. Heute ist es gegen 19:30 Uhr als wir uns zum Essen einfinden. Die Essenskarte ist kurz aber gut und umfasst neben Ente, Lachs und Entrecôte auch lokale Spezialitäten wie Rentier und Robbe. Nico und Adam entscheiden sich für das Rentier und Ernst und ich bestellen die Robbe. Nur Andreas ist heute etwas konservativer unterwegs und isst die Ente. Alles schaut super aus und meine Robbe ist butterzart und schmeckt hervorragend. Geschmacklich erinnert sie mich an Kalbsleber, nur nicht so intensiv im Abgang. Begleitet wird mein Essen von ein paar Mack-Bieren. Sehr gut, wenn auch nicht ganz billig. Ich zahle 51 Euro aber was solls. Es war ein sehr schöner und gelungener Abend, mit dem wir den langen Tag ausklingen lassen.

Draußen wird es wie üblich nicht dunkel und selbst dem eher hässlichen Longyearbyen kann man bei dem speziellen Licht noch etwas abgewinnen. Beim Blick durch die Scheiben des Wintergartens fällt uns auf, dass aus dieser Perspektive keine alten Bergwerkshäuser mehr zu sehen sind, außer in großer Entfernung in Nybyen. Longyearbyen hat sich also in den letzten Jahren komplett gewandelt und ist auf dem besten Weg zu einer gesichtslosen Stadt zu werden und seine Bergbautradition zu verlieren. Da ist es dann schon fast eigenartig, dass man uns beim Betreten des Hotels auf die alte Bergbautradition in Longyearbyen hingewiesen hat, die Schuhe auszuziehen. Ganz abgesehen davon, dass wir sie zu diesem Zeitpunkt längst ausgezogen hatten.

Fotos

Das Buch „Sidereus Nuncius“ von Galileo mit wunderbaren Holzschnitten der Mondoberfläche, erschienen 1610.
Das Buch „Sidereus Nuncius“ von Galileo mit wunderbaren Holzschnitten der Mondoberfläche, erschienen 1610.
© KOP 132 SPLAM
  • Das letzte Weißbier für einige Zeit. Schwer verdient nach dem Packen!
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  • Die Startbahn des Flughafens Münster/Osnabrück von der wir gleich abheben werden.
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  • Auf dem Weg nach Oslo. Diese Schuhe haben schon viel gesehen…
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  • Der Große Belt
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  • Die fantastische Brücke über den großen Belt. Ein technischer Leckerbissen!
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  • Im Landeanflug auf Oslo: Wälder und Seen
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  • Adam und Nico freuen sich im Osloer Flughafen über etwas zu essen.
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  • Aufnahme des Sentinel-Satelliten der Brøgger-Halbinsel vom 21.6.2023. Die Auflösung beträgt ca. 10 m/pixel. Farblich gekennzeichnet sind die Bodenspuren unserer letztjährigen Bodenradaraufnahmen. Es liegt noch sehr viel Schnee…
    © Copernicus Sentinel
  • Das erste Bild von Spitzbergen
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  • Ein erster Appetithappen
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  • Wolken, Berge und ein Tal
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  • Im Anflug auf Longyearbyen. Man kann schon verstehen, dass vor vielen Jahren ein sowjetisches Flugzeug im Landeanflug mit einem Berg kollidierte.
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  • Longyearbyen, die „Hauptstadt“ Spitzbergens
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  • In Longyearbyen angekommen
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  • „I steh in der Kälte und wart auf a Taxi, aber es kommt nit“ Die Gruppe Deutsch-Österreichisches Feingefühl lässt grüßen – falls noch jemand das Lied von 1983 kennt. Von links nach rechts: Ernst Hauber, Andreas Johnsson, Adam Johantges und Nico Schmedemann.
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  • Mary Ann´s Polarrigg
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  • Mary Ann´s Polarrigg
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  • Abendessen im Vinterhagen Restaurant unseres Hotels.
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  • Gute Stimmung – jeder freut sich auf sein Essen
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18.6.2023
Draußen hat es heute 29°C – keine Wolke am Himmel und das Gras im Garten ist braun. Im Büro kocht man im eigenen Saft vor sich hin. Es ist also höchste Zeit, sich in kühlere Gefilde, sprich Spitzbergen, zu verabschieden. Ein Jahr ist vorüber und die warmen Sachen sind alle frisch gewaschen und einsatzbereit! Der Puls steigt! Die Hände zittern! Die Vorfreude ist groß! Es ist Zeit schon mal etwas für den Blog zu schreiben!

Zunächst zum diesjährigen Team. Die alten Hasen, Ernst Hauber, Andreas Johnsson, Nico Schmedemann und ich werden dieses Jahr durch einen „Rookie“, Adam Johantges, ergänzt. Adam kommt aus den USA, ist Westpoint Graduierter, macht in Münster seinen MSc-Abschluss und wird uns mit seiner Erfahrung mit Bodenradardaten tatkräftig unterstützen. Ganz abgesehen davon, dass er uns mit seiner frischen militärischen Ausbildung die Eisbären auf Abstand halten soll. Wir haben also dieses Jahr durchaus eine Premiere insofern, dass drei Teilnehmer der SPLAM Expedition aus Münster kommen.

Auch in Vorbereitung auf die diesjährige Expedition hat es durchaus die ein oder andere Änderung gegeben. So waren zusätzliche Formulare und Anträge auszufüllen, z.B. zu den verwendeten Radiofrequenzen unserer Instrumente, um das Radioteleskop in Ny Alesund nicht zu stören. Sprich, die Bürokratie wurde etwas mehr, bleibt aber insgesamt auf einem vernünftigen und nachvollziehbaren Niveau. Generell ist zu sagen, dass wir uns immer besser in das AWI-Prozedere einfügen und die „Reibungsverluste“ immer geringer werden. Besonders stolz ist Harry auf die Entwicklung eines eigenen Formulars, um alle anderen Formulare und Aufgaben zu dokumentieren. Mithilfe dieses Formulars wissen wir nun höchstgenau, wann wir welches Formular an wen geschickt haben und wann wir von wem eine Genehmigung für irgendwas erhalten haben. Sehr praktisch! Selbst beim Logistik-Seminar und dem wissenschaftlichen Seminar im Februar und März waren wir vertreten. Und siehe da, alle relevanten Neuerungen wurden dort besprochen, so dass wir dieses Jahr mehr oder weniger wussten, was wir zu tun und lassen haben. Man stelle sich das mal vor! Und mit unserer Erfahrung aus den letzten Jahren war es dieses Jahr weit weniger stressig, Lithium-Batterien per Schiff nach Ny Alesund zu verschicken. Das war ein höchst willkommener Ausgleich für die etwas angewachsene Bürokratie.

Nico hat sich wie immer in vorbildlicher Weise um die notwendigen Zollangelegenheiten gekümmert und hat auch unsere gesamte Ausrüstung pünktlich nach Bremerhaven zur Verschiffung gebracht. Dickes Lob! Kurz, unsere Ausrüstung und die Seesäcke mit AWI-Klamotten sollte in Ny Alesund für uns bereit liegen, alle Formulare und Anträge sind gestellt bzw. genehmigt und auch die Arbeitgebererklärungen und die medizinischen Fragebögen, die jeder Teilnehmer vorab ausfüllen musste, liegen unterschrieben vor. Und selbst unsere heißgeliebten Nudelsuppen haben wir in schier unendlichen Mengen gekauft und zusammen mit unzähligen Fleisch- und Fischkonserven und natürlich üppigen Mengen an Süßigkeiten nach Ny Alesund verschifft. Es ist schon immer viel Aufwand und manchmal auch etwas nervenaufreibend aber letztlich schaffen wir es doch jedes Jahr wieder, unseren bürokratischen Krimskrams zusammen zu bekommen. Es kann also von dieser Seite losgehen!

Eine weitere Neuerung ist bei den Flugmöglichkeiten nach Longyearbyen festzustellen. Leider keine Verbesserung! Waren die Flüge von Münster nach Longyearbyen bisher immer halbwegs erschwinglich, sind sie dieses Jahr nur wesentlich teurer zu haben. Dafür sind die An- und Abreise aber deutlich länger geworden, so dass man für sein vieles Geld wenigstens in den Genuss kommt, ein paar zusätzliche Stunden in den unterschiedlichen Flughäfen sitzen zu dürfen bzw. sogar eine extra Übernachtung in einem Flughafenhotel buchen zu können. Danke auch an Lufthansa und SAS! Ach ja, habe ich erwähnt, dass es dieses Jahr auch keinen Aufenthalt in der Lounge geben wird? Nach Covid habe ich derzeit leider keinen Goldstatus mehr, so dass wir in den zweifelhaften Genuss kommen werden, die extra Stunden am Gate verbringen zu dürfen. Aber mit drei Personen aus Münster hätten wir es eh nicht in die Lounge geschafft, da ich selbst mit Goldstatus ja nur einen weiteren Gast mitbringen darf. Das Leben ist definitiv kein Ponyhof!

Apropos Covid. Das gibt es ja offiziell nicht mehr. Also brauchen wir auch keine Tests, Masken und Quarantäne mehr, um ans Ziel unserer Wünsche zu kommen. Halleluja! Wir werden also einfach einsteigen und losfliegen. Letztes Jahr war Covid ja durchaus noch ein Thema und wir hatten Glück, dass Nico vor unserer damaligen Rückreise alle Isolationsfristen nach seiner Covid-Erkrankung einhalten und wir alles wie geplant zu Ende bringen konnten. Insofern reisen wir dieses Jahr deutlich entspannter und sparen auch ein paar Kosten für nicht mehr benötigte PCR-Tests.

Was geht mir vor unserer Abreise sonst noch so durch den Kopf? Nun, die letzten Wochen waren extrem belastend für mich. Eine große Begutachtung unseres Großforschungs-projektes „Late Accretion onto the terrestrial Planets“ musste gemeistert, Aktivitäten des Human Spaceflight and Exploration Advisory Committee vorangebracht, Lehre musste gemacht, dazu die Arbeiten als Studiendekan erledigt werden. Veröffentlichungen sowie BSc- und MSc-Arbeiten mussten betreut, eine Exkursion durchgeführt und Dienstreisen nach Madrid und Paris gemacht werden, und, und, und. Ich bin also mehr als reif für die Feldarbeit in Spitzbergen und freue mich tierisch darauf. Schade ist nur, dass meine Familie aufgrund der ungünstigen Ferienzeit und der sehr hohen Kosten dieses Jahr nun doch nicht für eine Woche nach Longyearbyen kommen kann. Eigentlich war das geplant, damit die Kinder selbst erleben können, wie schnell sich die Landschaft in Spitzbergen wandelt und wie faszinierend die Arktis ist. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben und vielleicht ergibt sich ja nächstes Jahr eine Gelegenheit dazu.

Nico beim Einkaufen unseres Proviants
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