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Strukturbildung in planaren Gleichspannungs-GasentladungssystemenInhalt der SeiteDiese Seite informiert über die in der Arbeitsgruppe Purwins durchgeführten Untersuchungen zum Thema "Strukturbildung in planaren Gleichspannungs-Gasentladungssystemen". Folgende zentrale Punkte werden behandelt:
Theoretische BetrachtungenDas zentrale Ziel der theoretischen Untersuchungen an den planaren Gasentladungssystemen ist, Aussagen über die den beobachteten Strukturbildungsphänomenen zugrunde liegenden Mechanismen zu gewinnen. Da sich zahlreiche strukturbildende Systeme mikroskopisch stark unterscheiden, makroskopisch allerdings extrem ähnliche Phänomene aufweisen, scheint es einleuchtend, daß ein wesentliches Verständnis der Universalität der Phänomene auf einer Meta-Ebene zwischen mikriskopischen und makroskopischen Skalen gefunden werden muß. In mikroskopischer Betrachtungweise handelt es sich bei dem experimentell untersuchten planaren Gasentladungssystem um ein elektrisches Hybrid-Transportsystem. Verschiedene Ladungsträgerspezies, z.B. Elektronen, Ionen, sowie angeregte Zustände im Gas und Elektronen, Löcher und angeregte Zustände im Halbleiter sind an der Entladung beteiligt. Eine adäquate theoretische Behandlung erfordert daher eine geeignete Modellierung (i) der Gasentladung, (ii) des Halbleiters und (iii) des äußeren elektrischen Schaltkreises. Das momentan verwendete grundlegende Modell für das Gas basiert auf einer hydrodynamischen Beschreibung, zentrale Gleichung ist die Transportgleichung für die Konzentration der Elektronen (Index e) und einer der Konzentration einer Ionensorte (Index i). Der Transport der Elektronen und Ionen ist dabei durch Drift im äußeren elektrischen Feld und durch Diffusion gekennzeichnet. Durch die Kontinuitätsgleichung beschreibt die zeitliche Änderung der Ladungsträgerkonzentration, wobei im einfachsten Fall der direkten Ionisation durch Elektronenstöße der Quellterm gegeben ist durch Durch die Poisson-Gleichung wird ein Zusammenhang zwischen elektrischen Feld und lokaler Ladungsträgerdichte hergestellt, durch den das System konsistent wird. Für die hochohmige Elektrode kann in einfachster Betrachtungsweise angenommen werden, daß sie allein durch eine konstante Leitfähigkeit charakterisierbar ist, weshalb ein Zusammenhang zwischen Feldstärke und Strom über das Ohmsche Gesetz gegeben ist. In einer detaillierteren Beschreibung kann auch der Halbleiter in Drift-Diffusions-Approximation beschrieben werden. Gleichungen für den äußeren Schaltkreis ergeben sich durch Anwendung der Kirchhoffschen Gesetze. Die Randbedingungen auf den Elektroden beinhaltet sowohl Gamma-Prozesse durch sekundäre Elektronenemission als auch eine separate Gleichung für die an der Oberfläche akkumulierten Ladungen. Neben dem hier vorgestellten Modell wurden von verschiedenen Autoren andere Modelle zur Beschreibung von Gasentladungssystemen vorgeschlagen (z.B. die Beschreibung über eine Boltzmann-Gleichung oder mittels einer direkten Modellierung der Teilchendynamik mit Monte-Carlo-Methoden), die wesentlich mehr Details der Entladung erfassen können. Bereits das einfache Drift-Diffusions-Modell weist aber das Problem auf, daß eine numerische Lösung der Modellgleichungen allenfalls Prozesse auf einer Millisekunden-Zeitskala erfassen kann, die experimentell beobachteten Prozesse sich aber auf einer Sekunden-Zeitskala abspielen können. Daher ist eine weitere Vereinfachung der Modellgleichungen nötig, um auch Phänomeme auf sehr langsamen Zeitskalen erfassen zu können. Der Zugang zur Vereinfachung kann auf zwei Weisen erfolgen. Eine Möglichkeit besteht darin, auszunutzen, daß im ursprünglichen System zwei charakteristische Zeitskalen vorhanden sind, nämlich die mittlere Driftzeit der Elektronen (im Bereich von Nanosekunden) und der Ionen (im Bereich von Millesekunden). Da die interessanten Prozesse auf einer Zeitskala ablaufen, die wesentlich langsamer ist als die Driftzeit der Ionen, kann die Gleichung über viele Lawinenprozesse gemittelt werden. Befindet sich das System beispielsweise im dunklen Townsend-Modus, kann als gemittelte Gleichung für die axiale Stromdichte die nichtlineare Reaktions-Diffusions-Gleichung gefunden werden. Der Diffusionskoeffizient ist dabei durch den ambipolaren Diffusionskoeffizienten gegeben, der der radialen Diffusion der Ladungen entspricht. Im Reaktionsterm tritt neben der Stromdichte die Variation der Spannung U als Überspannung auf. Sie kann von den räumlichen Koordinaten abhängen, was die Überspannung im Gegensatz zu Systemen mit Metallelektroden zu einer ortsabhängigen dynamischen Variable macht. Die Gleichung beschreibt langsame Prozesse, so lange die Überspannung klein ist, und ist mit den Gleichungen für die Halbleiterelektrode und den äußeren elektrischen Schaltkreis gekoppelt. Die Reduktionsprozedur ist technisch eher kompliziert, besonders wenn mehrere Ionisationskanäle oder separate Gleichungen für neutrale Spezies involviert sind. Die resultierenden Gleichungen sind jedoch immer vom gleichen Typ: Reaktions-Diffusions-Gleichungen mit einer oder mehreren Komponenten. Die beobachteten Strukturbildungsphänomene sind zudem für verschiedene Gase qualitativ oft gleich. Daher ist es natürlich, anzunehmen, daß hinter den Strukturbildungspänomenen ein universeller Mechnismus stecken muß, der durch ein einfaches und universelles Modellsystem beschrieben werden kann. Daher kann alternativ zur mikroskopischen Modellierung auch ein stärker synergetisch geprägter phänomenologischer Ansatz verfolgt werden. In diesem sind mikroskopische Details ohne Relevanz, vielmehr wird gefragt, welche makroskopischen Eigenschaften die Strukturbildung bestimmen. Dazu wird das räumlich ausgedehnte System in viele infinitesimal kleine Zellen aufgeteilt. Jeder der Zellen wird ein Ersatzschaltkreis zugeordnet, der nur die wesentlichen Eigenschaften des Systems berücksichtigen soll. So wird für die Halbleiterschicht ein hoher ohmscher Widerstand und eine Kapazität, für die Gasschicht eine nichtlineare Strom-Spannungs-Charakteristik und eine Induktivität angenommen (Abb. 5). Abb. 5: Elektrisches Ersatzschaltbild für das Gasentladungssystem Koppelt man alle Zellen und führt einen Übergang ins Kontinuum durch, gelangt man zu zweikomponentigen Reaktions-Diffusions-Systemen der Form Berücksichtigt man zusätzlich den Einfluß von Oberflächenladungen, so erhält man dreikomponentige Systeme: Die Untersuchungen von Strukturen in Reaktions-Diffusions-Systemen ist in der Arbeitsgruppe ein eigenständiger Teilbereich. Dennoch ist ein enger Zusammenhang zu den Gasentladungssystemen gegeben, da die Lösungen der Reaktions-Diffusions-Gleichungen lokalisierte Lösungen beinhalten, die starke Ähnlichkeiten mit den experimentell beobachteten dissipativen Solitonen aufweisen (vgl. Abschnitt Numerische Arbeiten). Im Bereich Reaktions-Diffusions-Systemen ist es gelungen, bei bekannter Existenz lokalisierter Lösungen eine Drift-Bifurkation von stehenden zu laufenden Strukturen zu finden. Diese kann durch Ordnungsparametergleichungen beschrieben werden, die für ein isoliertes dissipatives Soliton in der Nähe des Drift-Bifurkationspunktes auf eine Gleichung der Form reduziert werden können. Auch die Wechselwirkung zwischen mehreren Solitonen kann in den Gleichungen berücksichtigt werden, wenn sich die Form der dissipativen Solitonen während des Wechselwirkungsprozesses sich nicht zu stark ändert, und man erhält Die Gleichungen gestatten einen Vergleich der theoretischen Aussagen mit experimentellen Befunden, der aber in quantitativer Weise wegen der im Experiment vorhandenen Fluktuationen erst durch stochastische Datenanalyse möglich wird. In zukünftigen Arbeiten soll versucht werden, die reduzierte Beschreibung durch Ordnungsparametergleichungen auch auf die mikroskopischen Modellgleichungen zu übertragen. Auf diese Weise können makroskopisch beobachtbare dynamische Phänomene unmittelbar mit mikroskopischen Größen verbunden werden. Folgende Artikel behandeln die Modellierung des Gasentladungssystems und die Ableitung von Ordnungsparametergleichungen: Mikroskopische Modellierung
Phänomenologische Modellierung
Ordnungsparametergleichungen
Zurück zum Anfang Zur ersten Seite Numerische ArbeitenDie numerische Simulation der Modellgleichungen bildet eine wichtige Grundlage für den Vergleich von theoretischen und experimentellen Ergebnissen. Zum einen sind die Modellgleichungen als nichtlineare partielle Differentialgleichungen analysisch nur begrenzt behandelbar, und insbesondere der Verlauf transienter Prozesse kann nur in numerischen Simulationen ergründet werden. Zum anderen weisen diejenigen Strukturen, die von besonderem Interesse sind (nämlich dissipative Solitonen), ein großes Aspektverhältnis auf und entstehen durch Destabilisierung des homogenen Grundzustandes durch subkritische Bifurkationen, so daß die Dynamik nicht auf bekannte Resultate aus Gleichungen vom Ginzburg-Landau- oder Kuramoto-Shivashinsky-Typ zurückgeführt werden kann. Die Behandlung von Reaktions-Diffusions-Gleichungen stellt in der Arbeitsgruppe einen eigenen Forschunggschwerpunkt dar. Es zeigt sich, daß die numerisch gefundenen lokalisierten Lösungen starke Ähnlichkeiten mit den experimentell beobachteten Strukturen aufweisen. Beispielsweise findet man sowohl dissipative Solitonen mit monotonem Abklingverhalten als auch solche mit oszillierenden Ausläufern (Abb. 7.a und b). Auch werden stehende und propagierende dissipative Solitonen beobachtet, welche in komplexer Weise miteinander wechselwirken können. Prinzipiell ist es möglich, alle im Experiment beobachteten dynamischen Phänomene zu reproduzieren. So zeigen Abb. 6.c und d die schon aus dem Experiment (Abb. 3.c und d) bekannte Generation eines dissipativen Solitons in der Nachbarschaft anderer dissipativer Solitonen. In Zukunft soll die numerische Untersuchung des phänomenologischen Modells dazu beitragen, die relevanten Mechanismen der Strukturbildung zu identifizieren.
Abb. 6: a und b: Dissipative Solitonen als Lösungen der Modellgleichungen, c und d: Numerisch erhaltener Generationsprozeß Thema aktueller und zukünftiger numerischer Untersuchungen ist insbesondere die Untersuchung der mikroskopischen Modellgleichungen. Sie hat den Vorteil, daß auch ein quantitativer Vergleich mit dem Experiment möglich sein wird. Für den Erfolg der Untersuchungen wird letztendlich entscheidend sein, über welche Zeiträume die Simulation durchgeführt werden kann, Ziel ist es hier, den Sub-Sekunden-Bereich zu erreichen. Neben Erkenntnissen im Bereich der Strukturbildung sollen die Untersuchungen helfen, das allgemeine Verständnis schwach ionisierter Niederdruckplasmen voranzutreiben. Die in den Versuchen verwendeten Entladungsabstände sind so gering, daß sich auch die Frage stellt, wie weit die verwendeten Modellvorstellungen Gültigkeit besitzen. So können z.B. nichtlokale Effekte eine wichtige Rolle im Entladungsprozeß spielen. Um ein besseres Verständnis in diesem Bereich zu erzielen, sind Monte-Carlo- und PIC (particle-in-cell)-Simulationen geplant. Zurück zum Anfang Zur ersten Seite Fortgeschrittene Datenauswertung und AnalysePrinzipell bietet die Reduktion der phänomenologisch gefundenen Modellgleichungen für die Dynamik dissipativer Solitonen auf gewöhnliche Differentialgleichungen die Möglichkeit, Experiment und Theorie nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu vergleichen, da das dynamische Verhalten einzelner Solitonen direkt mit den Vorhersagen einer gewöhnlichen Differentialgleichung verglichen werden kann. Verfolgt man jedoch einzelne dissipative Solitonen im Experiment, so zeigt sich, daß die Propagation von den theoretischen Gleichungen nicht beschrieben werden kann. Teilweise bewegen sich die Strukturen erratisch und wechseln permanent ihre Bewegungsrichtung (Abb. 7.a und b).
Abb. 7: a und b: Dynamik isolierter dissipativer Solitonen im Experiment Als Grund für die unterschiedliche Dynamik in Experiment und Theorie lassen sich Fluktuationen nennen, die durch die Annahme makroskopischer Eigenschaften in der Modellierung nicht berücksichtigt wurden. Um trotzdem einen Vergleich zu erreichen, können stochastische Datenanalysemethoden angewandt werden. Dazu wird die experimentell beobachtbare Dynamik zunächst isolierter dissipativer Solitonen durch stochastische Differentialgleichungen, sog. Langevin-Gleichungen, beschrieben: Die Änderung der Filamentgeschwindigkeit setzt sich zusammen aus einem geschwindigkeitsabhängigen deterministischem Anteil und einem stochastischen Anteil, der sich als Produkt einer Matrix von Rauschamplituden und normierten Rauschkräften ergibt. Durch Symmetrieargumente kann die Gleichung weiter reduziert werden. Nun ist es möglich, aus experimentell aufgenommenen Zeitserien der Solitonen-Dynamik beide Anteile getrennt quantitativ zu ermitteln. Man findet zwei generische Zustände. Die Solitonen weisen entweder eine gedämpfte, rein rauschgetriebene Dynamik auf, die Brownscher Bewegung entspricht, oder sie propagieren mit einer dynamisch stabilisierten intrinsischen Geschwindigkeit, wobei Fluktuationen überlagert sind (manchmal auch als aktive Brownsche Dynamik bezeichnet). Ein von der Theorie vorhergesagter superkritischer Übergang mit einem typischen Skalenverhalten kann ebenfalls nachgewiesen werden (Abb. 8). Abb. 8: Experimentell gefundene spuerkritische Driftbifurkation mit typischem Skalenverhalten Es ist sogar möglich, die von den dissipativen Solitonen ausgeübte Wechselwirkung auf andere dissipative Solitonen zu bestimmen, dafür müssen die Langevin-Gleichungen in geeeigneter Weise erweitert werden: Die Bestimmung der Wechselwirkung erfolgt wieder aus experimentell aufgenommenen Zeitserien, typischerweise erhält man ein abstandsabhängiges Wechselwirkungsgesetz, dessen Vorzeichen mit dem Anstand der Solitonen alterniert (Abb. 9): Abb. 9: Experimentell gefundenes Wechselwirkungsgesetz für zwei dissipative Solitonen Die gefundenen Wechselwirkungsgesetze sind in der Lage, die direkt beobachtbaren Prozesse wie z.B. Streuung und transiente Bildung von Solitonenmolekülen quantitativ zu erklären. Die Ergebnisse bilden somit eine wichtige Grundlage auch für den Vergleich mit mikroskopischen Theorien. Genauere Deatils über stochastische Datenanalysemethoden und ihre Anwendung enthalten folgende Artikel:
Neben Methoden der stochastischen Datenanalyse werden auch andere Möglichkeiten gesucht, Aussagen über das experimentell beobachtbare Verhalten dissipativer Solitonen zu machen. So ist es z.B. denkbar, Änderungen in der Form der dissipativen Solitonen mittels "principal component analysis" (PCA) zu untersuchen und diese Technik auch mit weiteren Datenanalysetechniken zu kombinieren. Auf diese Weise könnten z.B. Generations- und Annihilationsprozesse dissipativer Solitonen analysiert werden. |
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