Aachener Thesen zu Erwerb und Nutzung von E-Books

Auf ihrer Jahrestagung hat die Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB) vor kurzem die so genannte Aachener Erklärung „Sechs Thesen zum Erwerb von elektronischen Büchern“ verabschiedet. Die Zweigbibliothek Medizin hat an der Aachener Erklärung mitgewirkt und unterstützt diese ausdrücklich. In sechs Thesen machen sich die Medizinbibliotheken für bessere Angebote stark und fordern die Verlage auf, Zugangsbarrieren und Nutzungshemmnisse abzubauen:

1. Nutzungseinschränkungen / Digital Rights Management

Das Angebot von elektronischen Lehrbüchern durch proprietäre und/oder flash-basierte Anzeigeprogramme führt zu massiven Nutzungseinschränkungen, die von der AGMB sehr kritisch gesehen werden. Studenten wollen kein Flash- oder sonstigen behindernden Technologien, sondern freien, ungehinderten, flexiblen Zugang zu den Lehrbüchern. In diesem Zusammenhang Ist der Springerverlag als positives Beispiel zu erwähnen für seine DRM-freien Lehrbücher im PDF-Format. Behinderungen durch DRM-Mechanismen werden von der AGMB gleichermassen sehr kritisch gesehen und für Campuslizenzen von Lehrbüchern prinzipiell abgelehnt. Die AGMB empfiehlt ihren Mitgliedern denn auch mit allem Nachdruck, bei Verträgen auf den Kauf/Lizenzierung von DRM-freien Medien zu bestehen. Des weiteren sollen elektronische Lehrbücher zur Zeit folgende Bedingungen erfüllen:

– unbeschränkte, veränderbare, nicht gesicherte Dateien auf Kapitelebene (zur Zeit ist PDF das Mittel der Wahl)
– unbegrenzt ausdruckbar
– kein Registrierungzwang
– unbegrenzt lokal abzuspeichern (offline Nutzung)
– annotierbar, veränderbar, mit anderen Nutzern austauschbar
– mobil und auf allen Endgeräten nutzbar
– keine speziellen Anforderungen an die technische Infrastruktur (wie z.B. spezielle Browser, Java, Flash, usw)

2. Open Access / Open Educational Ressources

Auch auf dem Buchsektor wird der Open Access-Gedanke immer stärker. In diesem Sinne empfiehlt die AGMB den politisch verantwortlichen Institutionen (insb. den Hochschulen und Wissenschaftsministerien der Länder), neben dem Open Access-Zugang zu wissenschaftlichen Fachartikeln auch – z.B. analog der California Free Digital Textbook Initiative – den freien Zugang zu digitalen Lehrbüchern (Open Educational Ressources) zu fördern.

3. Preise / Lizenzen

Die AGMB möchte ihre Mitglieder dazu ermutigen, die angebotenen Werke einer genauen Prüfung zu unterziehen. Die Preise sind unbedingt in Relation zur angebotenen Leistung (PDF oder nur HTML, Offline oder nur Online-Nutzung, IP-Authentifizierung oder Registrierung, unlimitierter Zugriff oder DRM, mobile Nutzung oder nur via spezieller Endgeräte, usw.) sowie der Nutzung (Preis pro Seitenaufruf) zu setzen. Dazu sind entsprechende Nutzungsstatistiken einzufordern (s.u.). Wenn ein Verlag für ein Werk einen überzogenen Preis verlangt, sollte dies nicht unterstützt werden, selbst wenn die jeweilige Fakultät dies unbedingt wünscht. Wenn bei einigen Standardwerken Minimonopole vorliegen mögen, so rechtfertigt dies doch nicht den Abschluss von Verträgen zu Preisen und Konditionen, die auf langfristige Sicht durch ihre eklatante Unwirtschaftlichkeit (verglichen mit den gedruckten Büchern) Gegenstand von Kritik und Überprüfungen durch die Hochschulverwaltung und den Landesrechnungshof werden mag. Ganz abgesehen davon, dass diese Geschäftsmodelle den – durchaus wünschenswerten – Übergang vom gedruckten zum digitalen Buch eher erschweren statt erleichtern.

Hierzu möchte die AGMB anmerken, dass die zunehmende Konkurrenz durch Eigenpublikationen von Hochschuldozenten via Amazon, Apple oder OER sich auf die marktüblichen Lehrbuchpreise deutlich auswirken wird. Es ist also erfreulicherweise in Zukunft mit mehr Konkurrenz und fallenden Preisen zu rechnen.

4. Nutzungsstatistiken

In diesem Zusammenhang appelliert die AGMB eindringlich an alle beteiligten Verlage, den Bibliotheken sofort und unverzüglich (noch für das Jahr 2012) standardisierte Nutzungsstatistiken zur Verfügung zu stellen, deren genaue Art und Weise der Erhebung von den Verlagen **transparent** zu machen ist und die einheitlich für alle wichtigen Verlage sind. Sich hinter unklar definierten, d.h. fehlerhaften Normen wie Counter zu verstecken und auf deren Überarbeitung zu warten, kann nicht akzeptiert werden. Bei den im Spiel befindlichen Summen ist eine korrekte und transparente Statistik ein KO-Kriterium. Jeder Versuch einer Marktverzerrung durch „aufgehübschte“ Nutzungsstatistiken ist zu verurteilen.

5. Weiternutzung

Die AGMB unterstützt das Recht auf Einstellung in Online-Semesterapparate und/oder Veröffentlichung in E-Learning-Plattformen für definierte Nutzergruppen und eine verbesserte rechtliche Klarheit, z.B. durch Aufnahme in Verträge und Erwerb dieser Zweitverwertungs-Rechte angesichts der bedauerlichen Unklarheit der Schrankenregelungen des Urheberrechts insbesondere im Bezug auf digitale Semesterapparate, sprich die Veröffentlichung von Text- oder Bildauszügen in eng umgrenzten Seminar- oder Vorlesungsgruppen. Möglichkeit von Remix und Remerge, Annotation und Sharing.

6. Privatsphäre

Eines der größten Kulturgüter und Errungenschaften der Neuzeit ist der freie Zugang zur Information, was im wesentlichen auf der Möglichkeit des anonymen Lesens aufbaut, das die Bibliotheken für ihre Nutzer erkämpft haben. Moderne Nachverfolgungsmethoden und – Techniken wie z.B. Hiptype sowie obligate Registrierungen können das individuelle Nutzungs- und Leseverhalten von PDFs erfassen. Hierzu stellt die AGMB fest, das solche und ähnliche Praktiken entweder illegal sind oder es sein sollten und schärftens zu verurteilen sind. Die AGMB wird genauestens beobachten, welche Verlage hier versuchen eine derartige Überwachung aufzubauen und welche Verlage eine solche Erfassung von vorhinein in ihren Nutzungsverträgen ausschliessen.

Thesen in PDF-Format


Die AGMB vertritt 460 Medizinbibliothekare aus 370 Bibliotheken in fünf Ländern. Aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Bibliotheken aus allen Medizinischen Fakultäten mit einem geschätzten Kaufvolumina von 50 Mio. Euro vertreten.

[via Blog der UB Mainz]