Seit dem barbarischen Terroranschlag der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober 2023 und dem Beginn der israelischen Militäroperation im Gazastreifen zur Befreiung der Geiseln und Zerschlagung der Hamas haben antisemitische Vorfälle in Deutschland massiv zugenommen. Ein Großteil dieser Vorfälle wird dem Spektrum des israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet. Dabei scheiden sich die Geister an der Frage, wo die Grenze zwischen legitimem Protest an dem Vorgehen der israelischen Regierung und israelbezogenem Antisemitismus verläuft. Neu sind diese Debatten nicht: Bereits seit der Jahrtausendwende werden in Deutschland und weltweit immer wieder heftige Kontroversen über eine „neue“ Form des Antisemitismus, die sich nunmehr gegen den Staat Israel als „kollektiver Jude“ richte, geführt. Diese Debatten gipfelten in den vergangenen Jahren unter anderem in den Kontroversen über die Verurteilung der Bewegung „Boycott, Desinvestment and Sanctions“ (BDS) als antisemitisch durch den Deutschen Bundestag sowie über israelbezogenen Antisemitismus in den Schriften des Historikers und postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe.
All diese Debatten täuschen zugleich darüber hinweg, dass israelbezogener Antisemitismus kein neuer Typus ist. Klaus Holz und Thomas Haury zufolge ist er vielmehr „pandemisch für den gesamten Antisemitismus seit dem späten 19. Jahrhundert“, also seit der Entstehung der zionistischen Bewegung, die sich für die Errichtung eines modernen israelischen Staates einsetzte. Ebenso sei die konkrete Ausgestaltung des israelbezogenen Antisemitismus eng mit dem Selbstbild einer Person oder Gruppe verwoben und daher immer identitätspolitisch aufgeladen. In der Übung werden wir uns daher mit den spezifischen Formen und Dimensionen des israelbezogenen Antisemitismus, wie sie sich in verschiedenen politischen, religiösen und theoretischen Strömungen in Deutschland seit 1948 entwickelt haben, befassen. Im Zusammenhang damit werden wir die Potenziale und Grenzen vorhandener Definitionen und Instrumente zur Bestimmung von israelbezogenem Antisemitismus, wie den 3-D-Test von Nathan Sharansky und die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), diskutieren.
- Lehrende/r: Kerstin Dembsky