In allen historischen Epochen wurde betrogen und gefälscht, um sich materiell zu bereichern. Im Mittelalter treten jedoch aus verschiedenen Gründen, die z.B. auf den Stand des Wissens, der Technik oder der kommunikativen und mentalen Bedingungen zurückzuführen sind, aber auch auf eine Rechtsauffassung, die von der modernen abweicht, besonders viele solcher Fälle auf. So entsteht beispielsweise gerade die Urkundenlehre, die mittelalterliche Diplomatik, im späten Mittelalter aus dem Bedürfnis heraus, Echt und Falsch zu unterscheiden. Ein zweites Motiv für Betrug und Fälschungen bestand darin, die eigene Position durch Legenden, gefälschte Reliquien und Ablässe oder durch Rechtserfindungen zu verbessern. Auch diese Fälschungsarten sind symptomatisch für das Mittelalter. Eine dritte Gruppe mittelalterlicher Fälschungen, die ebenfalls zu bestimmten Zeiten Konjunktur hatten, ist durch etwas Anderes gekennzeichnet: Sie hatten Größeres im Auge, denn sie zielten auf das Glaubensgut ab, auf die hierarchische Gliederung der Gesamtkirche, das Rechts- und Prozesssystem, das Verhältnis zur obrigkeitlichen Gewalt etc. Alle drei Motivgruppen und ihre spezifischen Fälschungsobjekte und -arten haben aber eines gemeinsam: Sie offenbaren zugleich „die Wahrheit der Fälscher“ (Horst Fuhrmann): „Fälscher, Fälschungen und ihre Schicksale geben Auskunft über die Beschaffenheit einer Epoche, eines Landes, einer Gesellschaft. Insofern führen sie zur Wahrheit.“
In dem Hauptseminar/der Übung soll das skizzierte Phänomen an verschiedenen Beispielen studiert und anhand der historischen Überlieferung erörtert werden. Die Veranstaltung ist sowohl als grundwissenschaftliche als auch als Übung im Epochenmodul geeignet.
- Lehrende/r: Wolfgang Wagner