"Historisches Lernen" ist eine wichtige Perspektive des sachunterrichtlichen Lernens. Zudem haben zahlreiche, augenscheinlich nicht historische Themen des Sachunterrichts ebenfalls eine historische Dimension, die daher perspektivübergreifend in den Blick genommen werden könn(t)en. So hat z.B. jede technische Entwicklung und Erfindung zu teils großen Veränderungen der Gesellschaften geführt, zum Vorteil für die einen und häufig auch mit Nachteilen für andere, nicht zuletzt der Umwelt. Auch dies hat eine historische Dimension, die sich betrachten lässt, nicht zuletzt um heutige Zustände zu begreifen und kritisch einordnen zu können.
'Geschichte' in Form von Geschichtskultur begegnet Grundschüler*innen in vielfältiger Hinsicht in ihrer Lebenswelt. Ob es eher beängstigende Aspekte sind angesichts aktueller Krisen - Rechtsruck Europas, Klimawandel, Nahost- und Ukraine-Krieg etc. - die in der Öffentlichkeit immer wieder auch mit Vergangenheit in Verbindung gebracht werden (z.B. Putin als Hitler, Israel als Kolonialmacht) oder aber eher unterhaltende Aspekte wie Steinzeit-Seits von Playmobil, Lego-Ritterburg, Computer- und Brettspiele etc., die wiederum teils fragwürdige Bilder vermitteln (nicht alle harmlos, vgl. aus der Vorlesung die biologistische Geschlechterrollendeterminierung durch angeblich 'naturgemäße' Rollenverteilung von Mann und Frau in der Steinzeit).
Grundschüler*innen entdecken zu Beginn der Schulzeit erst die vermutlich grundlegende Dimension des Geschichtsbewusstseins: das Zeitbewusstsein, was auch die überindividuelle historische Zeit umfasst, mithin, sie wachsen erst in die 'Welt des Geschichtlichen und des Historischen' hinein.
Diesen Weg zu begleiten und den Schüler*innen von Anfang an einen reflektierten und verantwortungsbewussten Umgang mit Zeit, mit Gegenwart, Vergangenheit und Geschichte zu ermöglichen, ist zentrales Anliegen des Historischen Lernens im Sachunterricht (siehe Perspektivrahmen Sachunterricht), also die Entwicklung eines reflektiert-reflexiven Geschichtsbewusstseins. Dies kann und soll im Sachunterricht zwar durchaus wissenschaftsorientiert umgesetzt werden. Das heißt aber nicht, dass die Kinder von Anfang an auf 'Historiker*in' gedrillt werden sollten, sondern erfordert spielerisch-kreative Zugänge, wobei 'spannende', lebensweltlich anschlussfähige und relevante Fragestellungen im Vordergrund stehen sollen, zu deren 'Beantwortung' / Diskussion die Schüler*innen die entsprechenden Kompetenzen im Sachunterricht erwerben sollen. Dies erfüllt dann auch die lebensweltlich bedeutsame Kompetenz der Lebensweltorientierung.
Das Seminar baut auf die epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Grundlegungen der Vorlesung auf und führt diese über zu der Strukturierung von Lehr-/Lernprozessen im Sachunterricht und dienst als Grundlage für die Analyse von geschichtskulturellen Angeboten sowie von Unterrichtsmaterial. Darauf aufbauend entwickeln die Teilnehmer*inenn, möglicherweise in 2er-Teams, zu selbtgewählten Fragestellungen / historischen Gegenständen konkrete Unterrichtsmaterialien für eine Umsetzung im Sachunterricht.
Es werden keine Referate verteilt.
Vielmehr steht im ersten Drittel des Seminars die für die jeweiligen Sitzungen obligarisch zu leistenden Lektüre von Grundlagentexten im Vordergrund, deren Erkenntnisse in den Sitzungen dann an ganz konkrete Fragestellungen und Materialien des Historischen Lernens im Sachunterricht herangetragen werden.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wird dann die Analyse weiterer Materialien bzw. der 'kindlichen' Geschichtskultur im Vordergund stehen, wobei - je nach Interesse der Teilnehmer*innen - auch herausfordernde Aspekte wie die Thematisierung des Nationalsozialismus / Holocaust im Sachunterricht (ob, wie, warum) nicht ausgespart bleiben sollen, wofür es eine Fülle an Bild- und Sachbüchern für Kinder, wie überhaupt ein reichhaltiges Angebot an Kinder- und Jugendliteratur gerade zu dieser Thematik gerade für diese Altersstufe gibt
Im letzten Drittel werden dann Materialien präsentiert und diskutiert, welche die Teilnehmer*innen, möglicherweise in 2er-Teams, zu selbtgewählten Fragestellungen / historischen Gegenständen für eine Umsetzung im Sachunterricht konkret entwickeln dürfen.
Abgeschlossen wird diese Leistung mit einer kurzen Verschriftlichung der geschichtsdidaktischen Reflexion des erstellten Materials inklusive möglicher Überarbeitungen / Verbesserungen.
Diese werden dann in einem Forum allen zum Download zur Verfügung gestellt, sodass die Teilnehmer*innen zu einer Reihe von möglichen Gegenständen / Themen des Historischen Lernens im Sachunterricht didaktisch reflektiertes und kommentiertes Material 'mit nach Hause nehmen' und dieses möglicherweise in Praktika, im Praxissemester oder Referendariat bzw. später als Lehrer*in ausprobieren können.
- Lehrende/r: Oliver Näpel