Eine der bekanntesten mit dem jüdischen Prag verbundenen Figuren ist sicherlich der der Legende nach von Rabbi Löw erschaffene Golem. Gerade in der Moderne, insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden sich vielfältige Bezugnahmen in Literatur, Theater und Film auf den Golem-Stoff. Von Interesse sind einerseits die Bezugspunkte der Legende zu mystischen und kabbalistischen Traditionen. Aber auch die Ambivalenz der Golem-Figur, die als Schutzbringer geschaffen wurde, dann aber auch zur Schreckensgestalt gerät, ist für die Moderne im Zusammenhang mit der bereits in Goethes Zauberlehrling (1797) gestalteten Problematik des aus der Kontrolle geratenen Homunkulus anschlussfähig.  
Literarisch gestaltet findet der Golem sich 1908 in Arthur Holitschers Drama, in Gustav Meyrinks gleichnamigem Roman von 1916 sowie in mehreren Verfilmungen Paul Wegeners (1915, 1917, 1920), aber auch 1925 in Egon Erwin Kischs Reportage Dem Golem auf der Spur und noch in Leo Perutz’ rückblickendem Roman von 1953 Nachts unter der steinernen Brücke sowie in Isaac Bashevis Singers Erzählung Der Golem von 1969. Auch bei tschechischen Autoren wie dem Avantgardisten Vítezslav Nezval findet sich das Motiv. Und als Problematisierung künstlicher Menschen und Automaten steht auch Karel Capeks Theaterstück R.U.R. (1921), mit dem er den Begriff des Roboters prägte, in Zusammenhang mit dem Golem-Motiv.
Allerdings kann im Prag zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht von dem Judentum gesprochen werden, sondern von verschiedenen Facetten, die sich zwischen ostjüdischem Chassidismus über orthodoxe Richtungen, ersten Ansätzen einer religiösen Liberalisierung, (Kultur-)Zionismus bis hin zu Assimilation spannten. Gerade der Kulturzionismus war eine in Prag viel diskutierte Richtung und wurde einem Ungenügen an der Assimilation entgegengesetzt. Als kulturhistorischer Kontext ist zudem die multiethische und multireligiöse Prager Situation der damaligen Zeit zu beachten.
Das Seminar, das sich an Studierende der Jüdischen Studien, der Germanistik und der Slavistik (hier der Bohemistik) richtet, führt die Perspektiven der beteiligten Fächer zusammen, indem es einerseits die vielfältigen Hintergründe und Facetten der mit dem Judentum verbundenen Golem-Legende, andererseits verschiedene Werke der Moderne aus Literatur, Theater und Film betrachtet, die den Stoff aufgreifen.

Empfohlene Literatur:

Gad Yair/Michaela Soyer: „Golem”, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Stuttgart/Weimar 2012, Bd. 2, S. 466-469.
Moshe Idel: Der Golem. Jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden, Frankfurt a.M. 2007.

Peter Becher / Steffen Höhne / Jörg Krappmann / Manfred Weinberg (Hgg.), Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder, Stuttgart 2017. Darin: Kilcher, Andreas: „8.2 Zur Geschichte der Böhmischen Länder. Spezifika der jüdischen Kulturgeschichte”, S. 66-73; „26. Eigen- und Fremdbilder”, Budnák, Jan: „26.1 Grundlegung”, S. 262-264, Fiala-Fürst, Ingeborg: „26.4 Das Bild der Juden”, S. 283-292.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2024/25