Es gibt viele sprachliche Äußerungen, deren diskriminierender Charakter schon an der sprachlichen Oberfläche leicht erkennbar ist: Rassistische, sexistische oder ableistische Beleidigungen, Abwertungen oder Herabwürdigungen, explizite Leugnungen des Holocaust oder anderer Genozide, explizite Drohungen oder unberechtigte Unterstellungen von Straftaten können allein durch die Interpretation der Bedeutung der verwendeten Worte als solche erkannt werden. Dies ermöglicht ihre sachlich angemessene Einordung und ihre juristische Bewertung.
Komplizierter liegt der Fall, wenn das buchstäblich Gesagte und damit Gemeinte auseinanderfallen oder deren Verhältnis zueinander unklar ist. So bezeichnete etwa der Abgeordnete des Landtags Thüringen Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin in einer Rede am 17.1.2017 als „Denkmal der Schande“, der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer behauptete im September 2020, durch die Corona-Maßnahmen würden „möglicherwiese“ Menschen gerettet, „die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen“ und die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht twitterte am 26.8.2022 über den ukrainischen Präsidenten: „#Selenskyj bricht internationale Regeln & zerstört im Windschatten des Kriegsrechts kollektives Arbeitnehmerrecht auf Selbstorganisierung […] Ist das Demokratie oder Oligarchen-Patronage?“. Alle diese Äußerungen lösten öffentliche Kontroversen aus, die im Grundsatz demselben Muster folgten: Während viele die zitierten Äußerungen als diskriminierendes Sprechen kritisierten (als Ausdruck von Antisemitismus, Agism bzw. einer Täter/Opfer-Umkehr), beklagten die Sprecher:innen, missverstanden worden zu sein. Sie hätten lediglich Aussagen getroffen, deren Wahrheit sich gut belegen ließe. Entsprechend ergebnislos verliefen diese (und verlaufen viele) solcher hitzig geführten Kontroversen: Während die Kritiker:innen darauf bestehen, mit diesen Äußerungen sei etwas anderes gemeint als das explizit Ausgesagte, sehen die Sprecher:innen in der Behauptung, sie hätten etwas gemeint, was sie nicht gesagt haben, eine ungerechtfertigte Unterstellung. Der Streit scheint verfahren. Welche Möglichkeit gibt es, in solchen Situationen mehr Klarheit zu gewinnen?
Zur Beantwortung dieser Frage leistet die Philosophie einen wichtigen Beitrag. In der modernen Sprachphilosophie ist mit der Sprachpragmatik ein theoretisches Instrument entwickelt worden, mit dem man solche komplexen Sprechsituationen in instruktiver Weise analysieren kann. John Austin (1911–1960) hat in seinem ingeniösen Buch How to do things with words (1952) dafür argumentiert, dass wir nicht nur mit unseren Händen, sondern auch mit unseren Sprechorganen handeln können. Paul Grice (1913–1988) hat diesen Ansatz durch seine Analyse von Konversationsmaximen (den Regeln, die unser interaktives sprachliches Handeln leiten) in kongenialer Weise weiterentwickelt.
Im Seminar werden wir uns zunächst die Grundlagen dieser wichtigen Beiträge zur Sprachpragmatik aneignen. Dann sind die Teilnehmenden eingeladen, eigene Beispiele für diskriminierendes Sprechen einzubringen (etwa aus den Bereichen hate speech, manipulation, dog whistle politics, catcalling, silencing u. a. m.), die wir gemeinsam diskutieren und mit Hilfe der erlernten Begriffsinstrumente analysieren werden.
- Lehrende/r: Martin Hoffmann