Zusammenfassung 

Identitäts- und Klassenpolitiken werden immer wieder als gegensätzliche Kämpfe diskutiert – erstere werden mit Fragen nach Anerkennung und der Forderung nach Rechten, letztere mit Forderungen nach Umverteilung und Kritik an Ausbeutungsverhältnissen in Verbindung gebracht. LGBTI* und queer Politiken werden dabei auf der Seite von Identitätspolitik, Kapitalismuskritik auf der Seite von Klassenpolitiken verortet.


Dabei liegen die Klassendimensionen sexueller, geschlechtlicher Ordnungen auf der Hand: Zum einen sind Menschen jenseits hetero-/cis-/endonormativer geschlechtlicher und sexueller Existenzweisen vielfach prekarisiert. Ein halbwegs »normales« Leben kann nur führen, wer im globalen Nord-Westen in ökonomisch und sozial abgesicherten Verhältnissen aufwächst, und dem das neoliberale Diversitätsversprechen zur Verfügung steht. Zum anderen lassen sich ambivalente Prozesse der Normierung und Normalisierung als Effekte neoliberaler sexueller, geschlechtlicher Politiken beobachten. Die Kritik an marktförmigen, Ausschlüsse reproduzierenden sexualpolitischen Einschlüssen gehört zum Kern queerer Politiken. Eine intersektionale Klassenanalyse muss diese Wirkungsweisen »moderner« kapitalistischer Vergesellschaftung in den Blick nehmen.


Eine solche Perspektive sucht auch nach Brüchen und Gelegenheitsfenstern für vermeintlich unwahrscheinliche Solidaritäten und befragt die Geschichtsschreibung von Klassen- und queeren Kämpfen entlang ihrer Auslassungen. Denn: Klassenfragen waren schon immer Teil queerer Kämpfe und die Kämpfe von Arbeiter*innen waren nie nur die Kämpfe der heterosexuellen Mehrheit. Entsprechend muss auch die Frage von Solidarität unter Bedingungen von Differenz adressiert werden.


Im Seminar diskutieren wir Fragen zum Verhältnis von Queer und Klasse, von LGBTI*Q- und Klassenpolitiken, von Solidaritäten unter den Bedingungen der Differenz. Grundlage des gemeinsamen Austausches sind ebenso theoretische wie bewegungspolitische Stimmen.


Arbeitsweise

Das Seminar wird von den Teilnehmenden in gemeinsamer Plenums- und Gruppendiskussion gestaltet. Die Lektüre der Seminarliteratur ist dafür Voraussetzung und wird durch Kurzinput zu zentralen Begrifflichkeiten ergänzt. Vorschläge für inhaltliche Ergänzungen sind willkommen.


Studienleistung: Input
Prüfungsleistung: Hausarbeit


Literatur zur Einstimmung

Becker, Lia (2022): Schnitte durch die Haut. Über Gender-Gewalt und Heilung, Klasse und trans*feministische Allianzen. In: LuXemburg, 07/2022: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/schnittedurch-die-zweite-haut/.

Dyk, Silke van (2019): Identitätspolitik gegen ihre Kritik gelesen. Für einen rebellischen Universalismus“. Aus Politik und Zeitgeschichte 2019, Nr. 9: http://www.bpb.de/apuz/286508/identitaetspolitik-gegen-ihre-kritik-gelesen-fuer-einen-rebellischen-universalismus.

Laufenberg, Mike (2013): Sexualität in der Krise. Heteronormativitat im Neoliberalismus. In: Erna Appelt/Brigitte Aulenbacher/Angelika Wetterer (Hrsg.): Gesellschaft. Feministische Krisendiagnosen. Bd. 37 Forum Frauen- Und Geschlechterforschung Der Sektion Frauen- Und Geschlechterforschung in Der DGS, Münster: Westfälisches Dampfboot, 227–245.

Interview mit Ray Goodspeed (2017): Solidarity comrade – That’s what I would call real intersectionality. Ein Gespräch mit Ray Goodspeed (Gründungsmitglied der englischen Gruppe “Lesbians and Gay Men Support the Miners”). Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung 35, Nr. 2, 281–98.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2024