Als Werkstoff für autonome Kunstwerke rangiertes Wachs, das in der Antike laut Plinius noch als „edles“ Material galt, lange in der Hierarchie der Bildhauermaterialien auf einem eher niederen Platz. Lediglich als Vorlagenmodell oder im Bereich der Volkskunst und des Kunsthandwerks schien es lange Zeit akzeptabel. Wachs galt wegen seiner Verformbarkeit als identitätsloser, „dienender“ Werkstoff. Weil es andere Materia- lien perfekt simulieren kann, hat es oft den Beigeschmack eines Kopiermediums. Seine potenziell wandel- bare, provisorische Qualität und seine unbeständigen physikalischen Eigenschaften korrespondieren mit einem offenen Werkbegriff der Veränderlichkeit.

Die Vorlesung arbeitet einzelne bevorzugte Themenfelder der Wachsbildnerei heraus und rekapituliert deren historische Traditionslinien. Dabei überwiegen motivisch in der körperabbildenden Wachsplastik die in diesem Material etablierten Themen Tod, Religion/Spiritualität sowie Anatomie bzw. Verkörperung. Wenn Künstler seit den 1990er Jahren vermehrt Wachs für autonome Arbeiten verwenden, geben sie dem modernen Ideal vom dauerhaften, abgeschlossenen Kunstwerk eine Abfuhr und stellen sich in eine eher postmoderne Tradition fluktuierender Prozesshaftigkeit. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist es vor allem
die Verwandtschaft zu Kopie und Simulakrum, die der lebensnahen Wachsplastik zu erneuter Aktualität verhilft.
Hyperrealistische Wachsarbeiten der Gegenwartskunst entstehen aber anders als ihre historischen Vorgän- ger nicht mehr aus dem Wunsch, Personen erkennbar zu porträtieren, sondern sind meist Ausdruck des Zweifels an der Authentizität des Körpers selbst: Die Wachsfigur deutet mit ihrem spezifischen Material- charakter vielmehr auf das Konstruierte unserer Vorstellung von Körper und Identität.

Einführende Literatur:

Stefanie Dathe: Zündstoff. Wachs in der Kunst. Museum Villa Rot 2012. /// Jan Gerchow: Ebenbilder, Kopien von Körpern. Modelle des Menschen. Hatje Cantz 2002. /// Jessica Ullrich: Wächserne Körper. Zeitgenössische Wachsplastik im kulturhistorischen Kontext. Reimer 2003. /// Wax: Sensation in Contem- porary Sculpture. Kunstforeningen GL STRAND. 2011.


Semester: ST 2024