Als Reymund an einem Samstag nach gehaltenem Festmahl zum Badegemach seiner Ehefrau Melusine eilt, bricht er ein Tabu. Er hatte Melusine geschworen, sie samstags nie zu kontaktieren. Jetzt aber treibt ihn die Eifersucht, und tatsächlich ist höchst verstörend, was seine Augen zu sehen bekommen: Zwar trifft er Melusine ohne Liebhaber an, doch hat sich ihr Unterleib in einen fürchterlichen Schlangen- / Drachenschwanz verwandelt.

Eigentlich müsste sich das Ehepaar nach dem Vorfall sofort trennen. So jedenfalls will es das weit verbreitete Erzählschema der ,gestörten Mahrtenehe’, das dem frühneuhochdeutschen Prosaroman ›Melusine‹ (1456) des Berner Stadtadligen Thüring von Ringoltingen zugrunde liegt. Dass Reymund und seine überirdische Angetraute dennoch lange Zeit weiter glücklich zusammenleben, dass sie ihre reiche (wenn auch etwas seltsam aussehende) Kinderschar sogar noch vermehren und eine mächtige Dynastie gründen, ist eine Besonderheit, die es im Seminar zu diskutieren gilt. Thürings Vorlage, die mythische Ursprungserzählung des Hauses Parthenay, die ein gewisser Couldrette um 1400 verfasste, soll dabei vergleichend in den Blick genommen werden. Ein weiterer Schwerpunkt des Seminars: die lang anhaltende Überlieferung in Text und Bild, die Thürings ›Melusine‹ beschert war und von der großen Popularität des Werks zeugt.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2023/24