Karl Marx hat seine Dissertation über Epikur (*342/41 v. Chr.) verfasst (MEW 40). Vielleicht hat seine politische These „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ (MEW 19, 21) Wurzeln in Epikurs hedonistischer Ethik. Möglicherweise war Marx aber auch von der geradezu hegelianischen Systematizität der Philosophie Epikurs beeindruckt. Ontologie, Kosmologie, Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie und Ethik sind systematisch aus einem Guss. Im Gegesatz zu einem hegelschen System handelt es sich bei Epikur aber um Zuckerguss. Für ihn war Philosophie eine Art Therapie – besser: Psychotherapie. Orientierungslosigkeit in der Welt und im Leben bewirkt Leid. Dieses Leid gilt es zu heilen. Im Erreichen der Gesundheit stirbt dann der Eros der Philosophie – er wird zu einem unerschütterlichen „einfach nur zusammen leben“. Methodisch gesehen resultiert das aus Orientierungslosigkeit erwachsende Leid aus falschen Ideen, die sich im Kopf festsetzen. Seine Philosophie ist ein kunstvolles Arrangement von einzelnen Ideen, die aufgrund ihres Denkstils miteinander harmonisieren. Dieses zuckersüße „System“ war in Sentenzen und Aphorismen verfasst, die von den SchülerInnen (auch Frauen gehörten zu seiner Schule!) auswendig zu lernen waren. Aber man kann sie auch im Denken philosophisch durchdringen und ihre Systematik nachvollziehen. Die Logik seines Systems ist exakt, weil sie als Lebensform heilt. Es gibt also ein klares geltungstheoretisches Kriterium seiner Logik! Zu diesem Heilungsprozess gehörte eine Besonderheit seiner Schule: der Garten. Der Epikureismus war daher die Lebensform eines ideell aufgeklärten Lebensgenusses von Freunden. Die überlieferten Texte reichen trotz allem aus, dieses System zu erkennen. Epikur wurde schon in der Antike verleumdet. Seneca und Kant dagegen schätzten ihn. Seneca hat ihn in seinen Briefen an Lucilius intensiv rezipiert, obwohl er gemeinhin als Stoiker gilt (Ep. 1-29). Kant gilt in seiner Ethik als antihedonistisch (aber respice „Achtung“); er lobte dennoch die Selbstbeherrschung der Stoiker und rühmte ihre Naturphilosophie (AA 9, 30). Leider war es für die Rezeptionsgeschichte Epikurs maßgeblicher, dass er vielen verhasst war, weil sich mit heilendem Zuckerguss kein Geld verdienen lässt und weil sein Lebensideal nicht im Heischen nach Anerkennung besteht. Beides provoziert Philosophen und Politiker. |
- Lehrende/r: Andreas Vieth