Prag galt seit dem Mittelalter als eines der bedeutendsten jüdischen Zentren in Mitteleuropa. Eine der bekanntesten mit dem jüdischen Prag verbundenen Figuren ist sicherlich der der Legende nach von Rabbi Löw erschaffene Golem. Literarisch gestaltet findet er sich u.a. in dem gleichnamigen Roman von Gustav Meyrink, aber auch in Leo Perutz’ Nachts unter der steinernen Brücke oder Egon Erwin Kischs Den Golem wiederzuentdecken. Während das sagenumwobene jüdische Prag sich als Topos auch bei nicht-jüdischen Autoren wie eben Meyrink oder auch dem tschechischen Avantgardisten Vítezslav Nezval findet, sind Realia jüdischen Lebens in Prag vor allem in literarischen Texten der Moderne von Autoren verarbeitet, die wie Max Brod, Franz Werfel oder Hermann Grab aus jüdischen Familien stammten.
Allerdings kann im Prag zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht von dem Judentum gesprochen werden, sondern von verschiedenen Facetten, die sich zwischen ostjüdischem Chassidismus über orthodoxe Richtungen, ersten Ansätzen einer religiösen Liberalisierung, (Kultur-)Zionismus bis hin zu Assimilation spannten. Gerade der Kulturzionismus war eine in Prag viel diskutierte Richtung und wurde einem Ungenügen an der Assimilation entgegengesetzt. Als kulturhistorischer Kontext ist zudem die multiethische und multireligiöse Prager Situation der damaligen Zeit zu beachten.
Das Seminar, das sich an Studierende der Jüdischen Studien, der Germanistik und der Slavistik (hier der Bohemistik) richtet, führt die Perspektiven der beteiligten Fächer zusammen, indem es einerseits die vielfältigen Facetten des Prager Judentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts, andererseits verschiedene literarische Texte, in denen Bilder vom jüdischen Prag entworfen und verhandelt werden, betrachtet.
Bemerkung: Die behandelten tschechischsprachigen Beispiele werden auch in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt.
Empfohlene Literatur:
Zum einführenden Überblick:
Peter Becher / Steffen Höhne / Jörg Krappmann / Manfred Weinberg (Hgg.), Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder, Stuttgart 2017. Darin: Kilcher, Andreas: „8.2 Zur Geschichte der Böhmischen Länder. Spezifika der jüdischen Kulturgeschichte”, S. 66-73; „26. Eigen- und Fremdbilder”, Budnák, Jan: „26.1 Grundlegung”, S. 262-264, Fiala-Fürst, Ingeborg: „26.4 Das Bild der Juden”, S. 283-292.
Weiterführende Literatur:
Capková, Katerina: Czechs, Germans, Jews? National Identity and the Jews of Bohemia. New York / Oxford 2012 [original tsch. 2005].
Shumsky, Dimitry: Zweisprachigkeit und binationale Idee. Der Prager Zionismus 1900–1930. Göttingen 2013.
Spector, Scott: Prague Territories National Conflict and Cultural Innovation in Franz Kafka's Fin de Siècle. Berkeley 2000.
- Lehrende/r: Regina Grundmann
- Lehrende/r: Irina Wutsdorff