Dieses Seminar beschäftigt sich mit künstlerischen Darstellungen von Rauschzuständen. Im Fokus stehen vor allem Texte und Filme des 20. Jahrhunderts, in denen der Rausch sowohl inhaltlich als auch strukturell relevant ist. Der Rausch ermöglicht den Figuren, die sich ihm hingeben, eine kurzweilige Weltflucht und Freiheit von Zwängen, schlägt jedoch bald ins Gegenteil um, nämlich in absolute Unfreiheit und Zwang, sobald er zur Sucht wird. Insbesondere wissenschaftlich oder schöpferisch begabte Figuren, häufig innerfiktionale Stellvertreter:innen ihrer realen Erschaffer:innen, haben einen besonderen Hang zu Rauschmitteln, weil sie angeblich die Kreativität ankurbeln, den Erkenntnisprozess katalysieren oder gar Anblicke des Höchsten, des Übernatürlichen und des Transzendenten gewähren. Doch wie schon im Fall des Freiheitsdrangs ist der Preis dieser geistigen Höhenflüge häufig der tiefe Fall. Das rauschhafte Hochgefühl kann aber auch ganze Kollektive ergreifen, sei es als Freudentaumel, sei es als Rausch der Gewalt, die sich gegen andere Gruppen und Individuen richtet.

Der Rausch ist aber nicht nur inhaltlich als Metapher und zugleich Höchstform bestimmter individueller und kollektiver Bedürfnisse und Bestrebungen relevant. Berauschen sich die Protagonist:innen und nehmen also ihre Wirklichkeit durch das Prisma des Rauschs wahr, so hat das oftmals eine Auswirkung auf Erzählform und Struktur des Texts oder des Films: Die Erzählung wird unzuverlässig, die erzählte Welt wird verfremdet und destabilisiert. Veranschaulicht der Rausch auf thematischer Ebene menschliche Höhen und Abgründe in intensivierter Form und reflektiert nebenbei auch auf die Produktionsbedingungen von Kunst, so legt er auf formaler Ebene die Grundfeste des Erzählens bloß.

Das Seminar versteht sich weder als eine systematische Kulturgeschichte des Rauschmittelkonsums noch als Geschichte der Literatur und Kunst, die von Rauschmitteln handelt oder beeinflusst ist. Vielmehr wollen wir uns schlaglichtartig mit Texten und Filmen vorwiegend des letzten Jahrhunderts beschäftigen, die die hier skizzierten Dimensionen des Rauschs mit besonderer Eindringlichkeit und Dichte inszenieren und präsentieren.

 

(1)   Das Seminar ist nicht nur intermedial, sondern auch komparatistisch angelegt. Wenngleich der Fokus auf Kunstwerken aus dem deutschsprachigen Raum liegen wird, werden wir über diesen kulturellen Tellerrand hinausschauen und zumindest einige Blicke in den anglophonen und den mittel- und osteuropäischen Raum werfen.

(2)   Diejenigen unter Ihnen, die es sich vorstellen könnten, zu einem Game zu referieren, bitte ich darum, sich Ende März bei mir zu melden, damit ich den Seminarplan Ihren Interessen entsprechend gestalten kann.

(3)   Das Lesepensum fällt vergleichsweise hoch aus: Wenn Sie es sich nicht vorstellen können, zur einen oder anderen Sitzung einen (max. 200 Seiten langen) Roman zu lesen, dann ist das Seminar eher nichts für Sie. Ich werde mich aber darum bemühen, den Seminarplan so zu gestalten, dass wir zwischen den Romanen eine Verschnaufpause in Form einer Filmsitzung oder eines kürzeren Texts haben.

(4)   Triggerwarnung: In einigen der von uns behandelten Werke finden sich Darstellungen unterschiedlicher Arten sowohl körperlicher als auch psychischer Gewalt. Aus mehreren Gründen werde ich nicht zu jeder Sitzung eine ausführliche Aufschlüsselung mit den entsprechenden Inhalten bereitstellen und belasse es daher bei dieser allgemeinen Warnung.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2023