Vor dem Hintergrund einer enormen Aufwertung und Auswertung der ökonomischen Bildung und einer Marginalisierung Rolle der Soziologie, die im Bereich der politischen Bildung nur noch eine randständige Position darstellt, soll es in dem Seminar in kontrastiver Weise darum gehen, die soziologische Perspektive einer sozialwissenschaftlich-soziologischen Bildung zu klären, zu konturieren und zu stärken, weil die Beschneidung einer soziologischen Ausrichtung jungen Menschen in ihren Bildungsprozessen vorenthält, sich für gesellschaftliche Themen und Probleme, deren Bearbeitung und Beurteilung zu interessieren und sich damit zu beschäftigen. Eine sozialwissenschaftlich-soziologische Bildung mit dem Ziel einer „sozialwissenschaftlich gebildeten Persönlichkeit” (Reinhold Hedtke) ist eng und vielfältig verflochten mit gesellschaftlichen Bedingungen, Strukturen, Entwicklungen und Kräfteverhältnissen. Insofern muss eine solche Bildung zuallererst an klärenden Analysen einer gesellschaftlich produzierten und produzierenden Welt und Gesellschaft interessiert sein. Gerade in Zeiten multipler Krisen und gesellschaftlicher Polarisierung ist die Soziologie als analytische Beobachtungs- und Reflexionswissenschaft prädestiniert, Kindern und Jugendlichen soziologisches Wissen und Beurteilungsvermögen als analytisches Rüstzeug zu vermitteln, um Krisenerfahrungen als gesellschaftliche zu verstehen und in ihren komplexen Entstehungsgründen und Bedingungen zu durchdringen. Ihr ist deshalb in der schulischen wie in der außerschulischen gesellschaftlich-politischen Bildungsarbeit ein zentraler Platz zuzuweisen. Wenn man so will, gilt es die völlig ungenügende Repräsentanz der Soziologie in schulischen Erziehungs- und Bildungsprozessen zu durchbrechen und eine „gegenhegemoniale Intervention” (Chantal Mouffe) gedanklich auf den Weg zu bringen.
Deshalb soll im Seminar der Frage nachgegangen werden, wie eine soziologische Schwerpunktbildung im Bereich einer sozialwissenschaftlichen Bildung zu gestalten ist, wie gesellschaftliche und politische Herrschaftsverhältnisse über die Mitwirkung von Individuen unbewusst reproduziert werden und wie mittels einer soziologisch-politischen Bildung die Mechanismen, Begrenztheiten und zusammenhängenden Strukturen erkannt und in ihrer spezifischen gesellschaftlichen Logik aufgedeckt werden und ein Denken in Alternativen ebenso wie eine kriteriale Urteilsbildung ermöglicht werden. Dabei stellt sich auch die Frage, was eine solche gesellschaftlich-politische Bildung leisten kann und was sie leisten sollte, und zwar ohne dabei das eigene Bedingungsgefüge, in dem sie sich befindet, unbeachtet zu lassen.
Da sich vor allem eine kritische politische Bildung auf einen soziologischen Kern bezieht und nach sozio-kulturell vermittelten emanzipatorischen subjektiven Potenzialen fragt, wird diese auch ein wichtiges Element im Seminar sein. In diesem Kontext geht es auch um die Klärung der Frage, ob das Adjektiv „kritisch” für diesen Bildungsauftrag seine Berechtigung hat oder nur eine Tautologie zum Ausdruck bringt. Da inzwischen eine „neue Unübersichtlichkeit” (Widmaier) in der gesellschaftlich-politischen Bildung eingetreten ist, wird das Seminar Klärungen hinsichtlich der verschiedenen Begriffe, z.B. Demokratie-Lernen, politische Bildung, soziologisch-sozialwissenschaftliche Bildung, Politikdidaktik etc. vornehmen und eine Abgrenzung zur Demokratiepädagogik ermöglichen. Auch der Frage, ob eine soziologisch-politische Bildung in ihrem Professionsverständnis neutral sein darf oder ob sie sich einer Parteilichkeit oder Parteinahme verpflichtet sein sollte, gehört zum Seminarprogramm. Die soziologische Ausrichtung des Seminars soll auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass eine in der Schule noch immer dominierende Kompetenzorientierung in der politischen Bildung in ihrer gesellschaftlichen Funktion kritisch analysiert wird. Soll eine soziologisch ausgerichtete politische Bildung nicht als Sozialtechnologie zur Erreichung gewünschter gesellschaftlicher Zustände missbraucht werden, sondern sich ihrer Verpflichtung auf die Ideen der individuellen und kollektiven Mündigkeit, der Aufklärung und Emanzipation bewusst bleiben, dann ist im Seminar zu fragen, wie sie das unter den aktuellen gesellschaftlichen Voraussetzungen einer „zentrifugalen Gesellschaft” (A. Bernhard) und unter Beachtung, dass „die Gesellschaftsordnung in die Körper eindringt” (Bourdieu) noch leisten kann. Unter Rückgriff auf das Habituskonzept von Bourdieu können im Seminar zumindest dazu Antwortversuche entwickelt sowie Überlegungen zu einer habitussensiblen soziologischen Bildung angestellt werden.
Wichtiger Hinweis zur Seminaranmeldung: BITTE BEACHTEN SIE DIE BELEGFRIST 15.01.-15.02.2023 über HIS/LSF.
- Lehrende/r: Tom Bleckmann
- Lehrende/r: Lotti Böttcher
- Lehrende/r: Alina Agnes Bruns
- Lehrende/r: Marko Heyse
- Lehrende/r: Johanna Helene Hofmann
- Lehrende/r: Lisa Marie Köster
- Lehrende/r: Julius Robert Ferdinand Kuebart
- Lehrende/r: Ina Marie Lebkücher
- Lehrende/r: Marian Löneke
- Lehrende/r: Gernod Röken
- Lehrende/r: Michelle Schröter
- Lehrende/r: Viktoria Siebert
- Lehrende/r: Julius Philipp Thomas Spulak
- Lehrende/r: Jonas Werner
- Lehrende/r: Carla Sophie Wiechmann