Vielfältige Prozesse der Ausdifferenzierung sozialer Lagen, globaler Migration und der sozialen Mobilität sowie die damit einhergehende Auflösung bestehender geschlechtlicher Rollenmuster stellen die Sozi-alwissenschaften vor die Aufgabe, ihre Konzepte von Gesellschaft und Kultur zu überdenken. Mit Diversi-tät liegt seit einiger Zeit ein Angebot mit zunehmender Bedeutung vor. Es stellt die diskursive Grundlage für kulturelle Bewegungen bereit, die die Dekonstruktion bestehender Identitäten vorantreiben und dabei paradoxerweise diese Identitäten fixieren. Immer mehr Gruppenidentitäten treten mit dem Anspruch auf, angemessen repräsentiert zu werden, und problematisieren deren bisherige Absenz und stigmatisieren-de Darstellung. Zugleich findet Diversität Anklang in Organisationen, die mit Instrumenten wie sensiblem Sprachgebrauch, Quotenregelung sowie Einrichtung neuerer Positionen (z.B. Beauftragte für Anti-Diskriminierung, Anti-Rassismus, Frauenbeauftragte etc.) das Diversitätsgebot umsetzen. Diversitätsan-forderungen führen neben politischen Institutionen und Behörden auch in Unternehmen sowie in der Un-terhaltungsbranche (differenzsensible Verteilung von Rollen in der Filmindustrie oder auch in Fern-sehformaten wie z. B. GNTM) zu kulturellen und strukturellen Umstellungen. Das Seminar setzt sich zum Ziel, sich mit Diversitätspolitiken diskursanalytisch zu befassen. Es interes-siert sich mit Selbstkonzepten, mit der Problematisierung von Ungleichheiten bzw. Ungerechtigkeiten sowie Verschiebungen im Repräsentationskonzept – im Verhältnis zu vormaligen bzw. partiell konkurrie-renden Ansätzen wie z.B. Klassenparadigma, Republikanismus oder dem klassischen liberalen Paradig-ma. Von besonderem Interesse sind die paradoxen Dynamiken, die durch den Diversitätsdiskurs ausge-löst werden, wie z. B. die Auflösung der ehemals als natürlich betrachteten Differenzen mitsamt dazu ge-hörigen Diskriminierungsregimen (wie bei Geschlecht oder Herkunft) mit Fixierung auf die Hautfarbe bzw. das Gesicht (Sichtbarkeit/"Repräsentation der marginalisierten Gruppen") einhergeht. Studierende werden Diversitätsansätze in ihrem praktisch-politischen Gebrauchszusammenhang ken-nenlernen, sich mit ihren vielfältigen Dynamiken und der organisatorischen Umsetzung der Forderungen vertraut machen und dabei sich in Diskursanalyse von Gegenwartsphänomenen einüben.
- Lehrende/r: Levent Tezcan