Die Frühe Neuzeit war eine Zeit großer Fluchtbewegungen innerhalb Europas. Eine zentrale Rolle kam dabei einerseits der christlichen Glaubensspaltung infolge der Reformation, andererseits dem unter diesen Bedingungen zunehmend verfolgten Bestreben vieler Landesherren zu, konfessionell homogene Territorien zu schaffen. Die Hugenotten, die nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes 1685 in großer Zahl ihre französische Heimat verließen und vor allem in protestantischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Zuflucht fanden, teils sogar gezielt angeworben wurden, sind sicher das bekannteste, aber keineswegs das einzige Beispiel großer Migrationsbewegungen. Verlief hier wie auch in anderen Fällen (etwa der Ausweisung der Salzburger Exulanten 1731) die Bruchlinie zwischen Katholiken und protestantischen Gruppen, war Flucht oftmals auch durch innerprotestantische Religionskonflikte induziert, wie etwa die Beispiele der niederländischen Remonstranten oder der Herrnhuter Brüdergemeine zeigen. Schließlich spielten auch in der Frühen Neuzeit jüdische Fluchtbewegungen eine wichtige Rolle, etwa die der sephardisch-portugiesischen Juden, die im 17. Jahrhundert insbesondere in Amsterdam Zuflucht fanden.
Die Dynamiken, die mit solchen Wanderungsbewegungen einhergingen, betrafen in besonderer Weise auch die Architektur – einmal in den Herkunftsländern, in denen Kultstätten zerstört oder umgenutzt wurden, vor allem aber in den Aufnahmeländern, in denen für die Unterbringung großer Bevölkerungsgruppen nötige Strukturen vielfach erst geschaffen werden mußten. Dazu gehörte der Bau neuer Sakralbauten, aber auch ganzer Stadtviertel oder gar neu angelegter Planstädte, in denen etwa Hugenotten oder Herrnhuter Brüder zumeist als Gruppe angesiedelt werden konnten. Aus kunsthistorischer Perspektive stellen sich hier vielfache Fragen, die auch mit Blick auf heutige Migrationsprozesse aktuell und relevant sind: Inwiefern werden architektonische Traditions- und Wissensbestände zum Träger von Identitätskonstruktionen der migrierenden Gruppen? Welche Konzepte von Stadtplanung und Raumbildung kommen in den Neuansiedlungen zum Tragen, und wie verhalten sie sich ggfs. zu benachbarten älteren Städten? Lassen sich über einen längeren Zeitraum Hybridisierungsprozesse beobachten, die auf zunehmende Integration oder persistierende Abgrenzung der Migrantengruppen schließen lassen, und wenn ja, in welcher Richtung? In welcher Form wird landesherrliche Autorität, der sich die Zuwanderer mit ihrer Ansiedlung unterwarfen, artikuliert? Diese und andere Fragen werden im Seminar anhand konkreter Fallbeispiele diskutiert.
- Lehrende/r: Jens Niebaum