Der 1975 ermordete Pier Paolo Pasolini (*1922) gehört noch immer zu den umstrittensten Intellektuellen Italiens. Sowohl in seinem literarischen Öuvre, das Gedichte, Theaterstücke und erzählende Prosa umfasst, als auch in seinen Filmen versuchte Pasolini stets gesellschaftspolitisches Engagement mit ästhetischer Innovation zu verbinden. Gegen den gesellschaftlichen Homogenisierungsprozess der von ihm als neokapitalistisch kritisierten Wirtschaftswunderjahre setzte Pasolini in seinen Romanen bewusst den Dialekt der römischen Vorstädte. In seinen Filmen setzte er auf die – nach seiner Ansicht – von Konsumismus noch unbelastete Sinnlichkeit des einfachen Volkes und arbeitete daher bevorzugt mit Laienschauspielern. Das Seminar möchte einen Einblick in Pasolinis vielschichtiges Werk geben, wobei folgende Aspekte im Zentrum des Interesses stehen: Die Bedeutung des Dialekts für Pasolinis Leben und Werk; die in den Essays artikulierte Gesellschaftskritik; die spannungsreiche Beziehung von Sexus/Eros und dem auf vielschichtige Weise im Werk inszenierten Heiligen sowie allgemein die Funktion der spektakulären Körperinszenierungen im literarischen und filmischen Öuvre; Pasolinis theatralische und filmische Mythen-Rezeption (z.B. im Film Medea mit Maria Callas in der Titelrolle); Pasolinis Konzeption eines neuen Theaters sowie seine in hochkarätigen Essays reflektierte Filmästhetik.

Eine Bibliographie wird zu Beginn des Semesters zur Verfügung gestellt.

Die persönliche Anmeldung per Email (scharold@uni-muenster.de) ist erwünscht!

 

Folgende Texte sollten rechtzeitig beschafft und gelesen werden:

Pilade (entst. 1966), in: Teatro, Milano (Garzanti) 1988

Teorema (1968)

Medea (1970) (sceneggiatura)

[alle als Taschenbücher lieferbar bei: Garzanti (Milano)]

 

Die ausgewählten Gedichte (Le cenere di Gramsci [1957] u. a. Lyrikbände) und Essays (Empirismo eretico [1972]; Scritti corsari [1975]) sowie die nachgelassenen Gedichte (Berlin: Suhrkamp 2021) werden als Kopien ausgegeben.

Ebenso werden Auszüge aus den römischen Romanen (Ragazzi di vita 1955; Una vita violenta 1959) sowie aus dem nachgelassenen Romanfragment Petrolio (1992) zur Verfügung gestellt.

Zahlreiche Filme stehen im Internet zur Verfügung und können schon vorher angesehen werden! – Interessenten können folgende Filme vorstellen: Accattone (1961); Mamma Roma (1962); Il Vangelo secondo Matteo (1964); Uccellacci e uccellini (1966); Edipo Re (1967); Teorema (1968); Medea (1970).

 

Einführungen in Pasolinis Leben und Werk sowie in die genannten Themen:

Bazzocchi, Marco Antonio: Pier Paolo Pasolini, Milano 1998 [Collana: Biblioteca degli scrittori].

Bremer, Thomas: „Pier Paolo Pasolini“, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Kritisches Lexikon für fremdsprachige Gegenwartsliteratur, München (text+kritik) 1983ff.

Naldini, Nico: Pier Paolo Pasolini. Eine Biographie, Berlin (Wagenbach) 1991 [ital.: 1986 bei Giulio Einaudi].

Scharold, Irmgard: „‚...come una cateratta’ – Der Strom des Begehrens: Petrolio, Pasolinis finaler Zeichenpotlatsch“, in: Peter Kuon (Hg.): Corpi/Körper – Körperlichkeit und Medialität im Werk Pier Paolo Pasolinis. Frankfurt/M. (Peter Lang) 2001, S. 139-166.

Scharold, Irmgard: „Zwischen Mystik und Marxismus. Zur Franziskus-Episode in Pasolinis Uccellacci e uccellini (1965/66)“, in: Frauke Bayer, Michaela Weiß (Hg.): Einfache Formen und kleine Literatur(en). Festschrift für Hinrich Hudde, Heidelberg (Winter-Verlag) 2010, S. 131-146.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2022