Um die Frage nach der Heraufkunft der modernen Welt ist es still geworden. Konnte die Frage, welche Verkettung von Umständen die Kulturerscheinungen der Moderne hervorgebracht haben, noch im Zentrum des Werks eines soziologischen Klassikers wie Max Weber stehen, so scheint sich in der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung der Gegenwart eine gewisse Scheu herausgebildet zu haben, Langfrist-perspektiven zu verfolgen und mit großen Erzählungen aufzuwarten. Mit der von Max Weber aufgeworfenen Frage nach den religiösen Wurzeln des Kapitalismus steht eine paradigmatische Formulierung des genetischen Zusammenhangs von Religion und Moderne im Raum: Hat die protestantische Ethik einen Beitrag zur Herausbildung der kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung geleistet? Auch andere Modernetheorien fokussieren in besonderer Weise auf Religion: Spielte die Religion in den Prozessen der funktionalen Differenzierung, die viele Sozialwissenschaftler als zentrales Merkmal moderner Gesellschaften ansehen, „die Rolle eines Vorreiters” (Niklas Luhmann)? Entwickelt sich die Neuzeit als eine Form der säkularen Selbstbehauptung in scharfer Reaktion gegen die theologischen Universalitätsansprüche der nominalistischen Philosophie des Mittelalters (Hans Blumenberg)? Oder gerade durch die Transformation ursprünglich theologischer Ideen in einen säkularen Vorstellungsrahmen (Charles Taylor)? Entstand die Moderne, weil die Bedeutung von Religion abnahm, oder waren die Auseinandersetzungen mit Religion ein Motor der Moderne? Das sind einige der Fragen, die in dem Seminar interessieren.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2022