Das Seminar ist als Ergänzungs-Veranstaltung zu allen Seminaren gedacht, die sich mit Klassischer Musik befassen. Wir werden in jeder Sitzung ein Stück oder einen Ausschnitt aus einem Werk mehrfach hören und dann zusammentragen, wie man den Höreindruck angemessen in Worte fassen kann, auch im Hinblick auf zukünftige schriftliche Arbeiten, in denen ein wissenschaftlicher Anspruch vorgegeben ist und umgangssprachliche Spontanäußerungen wie „...echt megamäßig ätzend, das Stück“ nicht akzeptabel sind. (Übrigens bin ich allen Ernstes schon gefragt worden, warum eigentlich nicht...)
Das Erkennen von wesentlichen Merkmalen eines Klangbeispiels wie Gattung Besetzung, Stil, Epoche und emotionale Inhalte soll natürlich ebenfalls thematisiert werden. Gar nicht geht die häufig aus Unkenntnis gewählte Bezeichnung „das Lied“ für verschiedenste klassische Formen, die eben alles andere sind als ein „Lied“, vielleicht eine Sonate, eine Sinfonie oder ein Klavierkonzert. So können auch Lücken bzgl. der Fachbegriffe in Musiktheorie, Analyse und Formenkunde aufgefüllt werden.
Eigene Vorschläge sind selbstverständlich willkommen. Wer zum Beispiel ein ihm oder ihr bekanntes Stück mitbringt, um darüber eine eigene Wikipedia-unabhängige Kurz-Charakterisierung zu formulieren, findet im Seminar dazu Gelegenheit. Beschreiben, bewerten und beurteilen von Musik ist immer ein wichtiges Thema in der Musikgeschichte gewesen. Heute lässt man sich im Allgemeinen nicht von anderen vorschreiben, was man von einem Musikstück oder einem Komponisten zu halten hat. Das war bis vor kurzem noch anders. Der Einfluss entsprechender Persönlichkeiten war immens und anerkannt. So gab es etwa noch in jüngster Vergangenheit mit Joachim Kaiser (1928-2017) einen Musik-, Theater- und Literaturkritiker, dessen Urteile über Opern-Premieren, Debüt-Konzerte junger Künstler, Interpretationen und neu erschienene Literatur in Fachkreisen als geradezu unanfechtbar galten und dementsprechend bei manch einem Künstler gefürchtet waren. Man nannte ihn den „Musik-Papst“, ähnlich wie Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) als „Literatur-Papst“ galt. Beide waren auch zunehmend in den Medien präsent, was natürlich nicht ohne ein gewisses Maß an Selbstinszenierung, Sendungs- und Selbstbewusstsein möglich ist, so dass beide immer wieder auch als selbstverliebt oder arrogant wahrgenommen wurden. Doch insbesondere Kaisers Lebensleistung in der Vermittlung und Erläuterung von Klassischer Musik durch Radiosendungen und zahlreiche Bücher, die einen großen Hörer- bzw. Leserkreis fanden, ist nicht wegzudiskutieren. Im Bereich Musik-Journalismus wird auch heute noch bei Stellenausschreibungen ein „sicheres musikalisches Urteil“ verlangt. Was das ist, soll ebenfalls zum Thema gemacht werden. Ich werde also zu jeder Sitzung ein repräsentatives Musikstück oder mehrere auswählen.
Es soll dann eine Handy- und Tablet-basierte Wortfeld-Arbeit mit Diskussion stattfinden, in der objektive Kriterien zusammengetragen, subjektive Elemente auf ihre Stichhaltigkeit hin überdacht und Möglichkeiten gefunden werden sollen, beides überzeugend auszuformulieren.
- Lehrende/r: Markus Giljohann