Der bekennende Antisemit Carl Schmitt schrieb einst, der Feind sei „unsere eigne Frage in Gestalt“. Demnach stellt der Feind nicht allein die Existenz einer bestimmten kollektiven Identität in Frage. Entlang von Feindbildern und Sündenböcken lassen sich überhaupt die Denk- und Argumentationsmuster generieren, um ein ,Wir‘ in Abgrenzung von einem ,Anderen‘ bzw. einem ,Fremden‘ zu identifizieren.

 

Die negativen Stereotypen, Pauschalverurteilungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen, denen Juden seit ca. 2500 Jahren ausgesetzt sind und die, wie das Attentat von Halle im Oktober 2019 verdeutlichte, nach wie vor in Mord und Verfolgung umschlagen können, haben sich fest in das gruppenspezifische Selbstverständnis vieler Deutscher und Europäer eingebrannt. Die Formen des Judenhasses mögen daher einem Wandel ausgesetzt sein und heute v.a. als ,sekundärer‘ Antisemitismus und/oder Diffamierung des Staates Israel auftreten, das Phänomen als solches aber ist konstant. Umso wichtiger ist es, die diversen Erscheinungsbilder, die der Antisemitismus als politische Ideologie, Legitimationsressource von Gewalt sowie als identitätsstiftende Markierung von Freund-Feind-Dichotomien angenommen hat, theoretisch und sozialwissenschaftlich zu reflektieren.

 

Zugleich stellt sich die dringende politische Frage, welches Verhältnis heute zwischen Antisemitismus und Islamismus besteht: Handelt es sich um zwei Seiten der gleichen Medaille, da antisemitische Einstellungen bei Anhängern und Vertretern eines radikalen politischen Islam weit verbreitet sind? Um eine vertrackt ineinandergreifende Herausforderung, weil sich aufgrund der medialen Präsenz des Islamismus heute viele gemäßigte Muslime (oder auch ,dem‘ Islam bloß zugeordnete Personen) vergleichbaren Pauschalverurteilungen und Diskriminierungen ausgesetzt sehen, wie es jüdischen Mitbürger*innen seit vielen Jahrhunderten widerfährt? Oder geht es am Ende doch um zwei Phänomene, die bei genauem Hinsehen weniger Berührungspunkte aufweisen, als es eine verbreitete, medial unterstützte Auffassung behauptet?

 

Der Kurs will die genannten Problemkreise auf Basis ausgewählter Texte analysieren und kritisch diskutieren.

 

 

Studienleistung: Kurzreferat und einschlägige Medienanalyse

 

Prüfungsleistung: Hausarbeit nach Maßgabe der Prüfungsordnung

 

 

Empfohlene Literatur zur Einführung:

Benz, Wolfgang: Antisemitismus und ,Islamkritik‘. Bilanz und Perspektive. Berlin 2011.

Benz, Wolfgang/Wetzel, Juliane (Hg.): Antisemitismus und radikaler Islamismus. Essen 2007.

Glöckner, Olaf/Jikeli, Günther (Hg.): Das neue Unbehagen. Antisemitismus in Deutschland heute. Hildesheim 2019.

Heilbronn, Christian/Rabinovici, Doron/Sznaider, Natan (Hg.): Fortsetzung einer globalen Debatte. Berlin 2019.

 

 

Weitere Literatur wird in der ersten Sitzung bekanntgegeben.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2021