Mit den Crónicas de Indias entsteht ab 1492 eine Gattung sui generis – hervorgegangen aus der Notwendigkeit, eine neue und unbekannte Welt, Amerika, zu beschreiben. Hierbei stehen den spanischen Entdeckern, Eroberern und Kolonisatoren antike und mittelalterliche Diskursmodelle (Kosmographien, Reiseliteratur, Chroniken, Briefe, Legenden, Ritterromane u.a.) zur Verfügung, die neu miteinander kombiniert werden. In dem entstehenden hybriden Genre werden historischer Tatsachenbericht und Fiktion miteinander verknüpft. Mythen, Angstphantasien und utopische Wunschvorstellungen bestimmen das empirisch Erfahrene und generieren neue Mythen, wie jenen des guten und edlen Wilden. Nicht zu überdecken vermögen sie jedoch den kruden Verwertungsstandpunkt mancher Chronisten, ihren Drang zur Selbstbeweihräucherung und zur glorifizierenden Rechtfertigung des stattfindenden Völkermordes sowie der Zerstörung präkolumbischer Kultur. In diesem Seminar soll anhand ausgewählter Passagen aus den Zeugnissen des Kolumbus, Hernán Cortés, Bernal Díaz del Castillo und Bartolomé de las Casas untersucht werden, auf welche Weise der Blick auf die fremde Kultur durch okzidentale Denktraditionen konditioniert wird.
Literatur:
- [Seminargrundlage] Mercedes Serna [Hrsg.], Crónicas de Indias. Antología. Madrid: Cátedra 82015.
- Urs Bitterli, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München: Beck 32004.
- Karl-Heinz Kohut [Hrsg.], Mythen der Neuen Welt. Zur Entdeckungsgeschichte Lateinamerikas. Berlin: Frölich & Kaufmann 1982.
- Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Übersetzt von Wilfried Böhringer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985.
Teilnahmevoraussetzungen sind die bestandene Klausur “Einführung in die Literaturwissenschaft”, die Anmeldung über LSF/QISPOS bis 28.03.2021 sowie die Teilnahme an der 1. Sitzung. Die maximale Teilnehmerzahl beträgt 30.
- Lehrende/r: Arabella Pauly