Wenn wir uns mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen beschäftigen, nehmen wir in der Regel das Individuum in den Blick: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Subjekt S die Proposition p weiß? Wann ist S gerechtfertigt, p für wahr zu halten? Nun ist es jedoch so, dass wir unser Streben nach Erkenntnis nicht unabhängig von unserem sozialen Umfeld vollziehen – wir lernen von Eltern und Lehrer*innen erstes Faktenwissen und bestimmte Methoden, wie wir unser Wissen vergrößern können. Jeden einzelnen Tag verlassen wir uns in unserem Lernen auf andere – sei es, wenn wir Zeitung lesen, einen Eintrag bei Wikipedia oder ein Buch. Wenn wir nur jemanden auf der Straße nach dem Weg zum Bahnhof fragen, hängt unsere Erkenntnis von sozialen Faktoren ab, nämlich, dass die Person, die wir fragen, ein*e verlässliche*r Auskunftsgeber*in ist und uns nicht absichtlich in die Irre führt. Um sich diesen Einflüssen, diesen sozialen Bedingungen von Erkenntnis zu widmen, hat sich in jüngerer Zeit die sogenannte soziale Erkenntnistheorie herausgebildet – innerhalb der Erkenntnistheorie somit eine noch recht junge Disziplin.
Innerhalb dieser Disziplin werden eine Vielzahl von Fragen untersucht, u.a.: Welchen sozialen Bedingungen unterliegt individuelles Wissen? Gibt es soziale Quellen der Erkenntnis in Form des Zeugnisses anderer? Gibt es sowas wie Experten? Und wie erkennen wir diese? Wie funktioniert kognitive Arbeitsteilung am besten, vor allem in der Wissenschaftsgemeinschaft? Welche gesellschaftlichen Strukturen haben Auswirkungen auf unser Wissen und wie dieses in der Gesellschaft verteilt ist? Wann sind Strukturen und Praktiken epistemisch ungerecht?
Im Rahmen dieses Seminars werden wir uns einigen dieser Themenfelder innerhalb der sozialen Erkenntnistheorie anhand ausgewählter Texte nähern und diese kritisch diskutieren. Da es sich hierbei wie gesagt um ein noch recht junges Forschungsfeld handelt, liegen die meisten Beiträge ausschließlich im englischsprachigen Original vor. Eine Bereitschaft zum Lesen vorrangig englischer (und nicht immer ganz einfacher) Texte wird daher vorausgesetzt. Der Seminarplan wird in der ersten Sitzung vorgestellt.
- Lehrende/r: Karen Meyer-Seitz