Wie aktuelle Forschungen zeigen, sind Praktiken des religiösen Lesens eine der wichtigsten und dynamischsten Frömmigkeitsformen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit: Nicht nur Geistliche, sondern zunehmend auch Laien waren seit der Mitte des 14. Jahrhunderts funktional lesefähig und setzten sich eigenständig mit religiösen Traditionen auseinander. Dazu wurden religiöse Texte verstärkt in die Volkssprachen übersetzt. Klöster und Kirchen blieben so zwar weiterhin wichtigste Produzenten religiöser Texte. Doch gerade städtische Klöster standen in engen Beziehungen mit den zunehmend literaten Laien, denen sie religiöses Wissen vermittelten. Zeitgenössische religiöse Normen eigneten sich  sowohl Klosterinsassen wie Laien etwa häufig am Beispiel von Heiligenleben an. Durch die beginnende Reformation und Gegenreformation verstärkten sich die Beziehungen zwischen Kloster und Außenwelt häufig noch.

Das Masterseminar kombiniert die Frage nach Lesekulturen der Zeit mit einer praxisorientierten Herangehensweise und lädt ein, sich anhand eines konkreten und praktischen Beispiels mit dem Lesen im Kloster um 1500 auseinanderzusetzen. Basis ist die Untersuchung einer einzelnen Handschrift der ULB Münster, einem frühneuhochdeutschen „Lesebuch" aus der Kartause St. Barbara in Köln mit mehreren Heiligenleben von besonderer Bedeutung für die Ordensgeschichte (Hl. Bruno, Hl. Hugo von Lincoln). 

Die Veranstaltung führt zunächst in die Beschreibung und Transkription spätmittelalterlicher Handschriften ein. Unter Anleitung eignen sich dabei alle Teilnehmer/innen die nötigen Kenntnisse an, um selbständig Textpassagen zu transkribieren und aus einer Dialektform des Frühneuhochdeutschen in heutige Sprache zu übersetzen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Kontextualisierung der Handschrift, wozu auf der Basis aktueller Forschungen einerseits die Kölner Kartause, der Kartäuserorden und die kartäusische Hagiographie, andererseits aber Frömmigkeits- und Lesepraktiken um 1500 diskutiert werden. Abschließend werden Editionsmöglichkeiten einschließlich der digitalen Edition erörtert. Als schriftliche Leistungen sind sowohl eher praxisorientierte editorische wie forschungsorientierte Hausarbeiten möglich. 

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme ist die aktive Mitarbeit im Seminar, die regelmäßige Lektüre von Forschungsliteratur, die eigene Präsentation und vor allem die Bereitschaft, sich aktiv mit der Transkription einer mittelalterlichen Handschrift und dem frühneuhochdeutschen Text auseinanderzusetzen. Für einige Seminarthemen sind zusätzlich funktionale Lateinkenntnisse nötig.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2020