Eine auffallend große Anzahl an Theaterstücken des Siglo de Oro thematisiert das Leben von Frauen, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Norm bewegen. So tummeln sich auf den spanischen Theaterbühnen des 16./17. Jahrhunderts trotz der strengen religiösen Zensur durch die Inquisition und den Staat blutrünstige Banditinnen und Straftäterinnen, hinterlistige Kupplerinnen und eigenwillige Asketinnen, die ganz und gar nicht dem damals gängigen Idealbild der femina christiana – der demütigen christlichen Ehe- und Hausfrau – entsprechen. Die Beschreibung weiblichen Fehlverhaltens ist ursprünglich eine Methode der christlichen Literatur, um mahnend auf die vom weiblichen Geschlecht ausgehenden Gefahren hinzuweisen. Sich von traditionellen Betrachtungsweisen der Weiblichkeit abgrenzend, kreieren die spanischen Dramatiker des Siglo de Oro in ihren Werken jedoch ein abweichendes, literarisches Bild des Weiblichen, das sowohl als Gesellschaftskritik als auch als Ausdruck dichterischer Unabhängigkeit und Phantasie verstanden werden kann.
Im Laufe des Seminars werden wir uns mit einigen der bekanntesten Protagonistinnen des spanischen Theaters beschäftigen, zu denen u.a. die Kupplerin Celestina aus dem gleichnamigen Werk Fernando de Rojas (1499) und die Banditin Gila aus Luis Vélez de Guevaras Komödie La serrana de la Vera (1613) zählen. Ausgehend von den dramatischen Texten werden wir untersuchen, welche Bilder von Weiblichkeit in der spanischen Dramatik des 16./17. Jahrhunderts entworfen werden und in welchem Verhältnis diese zu traditionellen Abhandlungen über Frauenerziehung – wie zum Beispiel dem Traktat De institutione feminae christianae (1523) des Juan Luis Vives – stehen. Zudem ist das Seminar als allgemeine Einführung in die spanische Dramatik des Siglo de Oro konzipiert. Es wird ein Überblick über die wichtigsten Gattungen, Themenkreise und Figurentypen der neuzeitlichen Dramatik Spaniens gegeben.
- Lehrende/r: Jonas Wippermann