Die Frage, was ein geeigneter Zugang ist, um Phänomene der Gewalt zu erforschen, scheint auf den (aller-)ersten Blick eine Angelegenheit von ausgesprochen nachrangiger Bedeutung zu sein. Dem allgemeinen Verständnis nach ist sie nicht nur dadurch nachrangig, weil immer neue Formen und Ausprägungen von Gewalt neue oder erweiterte Klassifikationssysteme erzwingen. Es gilt auch allgemein als unproblematisch, dass das Vorkommen von Gewaltphänomenen von vorn herein als Ergebnis der Entwicklung von »krank-hafter«, defizitärer, irgendwie nachbesserungswürdiger, unzivilisierter Art begriffen wird: Weil es zu Prob-lemen beim Einlösen versprochener Chancen der Lebensführung gekommen ist, zu Problemen psychologi-scher Art, zur nachlassenden Körper-Kontrolle in einem allgemeinen oder auch konkreten Sinne, musste es zur Gewalt kommen - von solcherlei Rückführungen des Ereignisses auf seine kausalen Ausgangsmomente lässt sich vielerorts und vielfach lesen. Als »geeignet« erwiese sich in dieser Optik entsprechend der Zu-gang zu den Phänomenen, auf den das Ereignis sich ursächlich beziehen lässt. Was macht aber das Soziologische an der Gewaltforschung aus? Eine soziologische Rahmung beginnt nicht damit, dass vermeintlich verbindliche Kriterien (Vorkommen ritualisierter Körper-Verletzung bspw.) übernommen werden, mit der Absicht eine allgemein verbindliche Diagnose anzufertigen, Prognosen abzu-leiten und Therapie-Optionen vorzuschlagen. An solcherlei quasi-ärztlicher Perspektive ist vielmehr inte-ressant, dass die Frage wer oder was Gewalt überhaupt als Gewalt definiert, in einem derart objektiven Sin-ne verhandelt wird, dass eben dieses »Problem« gar nicht mehr zu bestehen scheint. Welche Prozesse, Regelkreisläufe, Operationen sind es, die dabei wirksam sind? Handelt es sich einfach um eine machtvolle Gruppe, die ihre Perspektiven wirksam »streut« (zugleich also auch die eigene Akzeptanz mitstreut)? Geht es einfach um »den« Staat, der Gesetze erlässt und bis auf die Bodenhöhe alltäglicher In-teraktionen dírekten Einfluss nimmt? Und welche Rolle spielt überhaupt »die Gesellschaft«? (In quasi-ärztlicher Perspektive wird diese ja deutlich in die Nähe eines Organismus gerückt, der als Einheit nach be-stimmten Gesetzmäßigkeiten »lebt«, die mehr oder weniger gut beschrieben werden können, jedenfalls aber in kategorialer Hinsicht in den Griff zu bekommen sei. So »einheitlich« ist »sie« aber nicht.) Das Seminar stellt sich die Frage nach dem, was sozio-logisch jeweils interessant ist im Lichte aktueller Bei-träge im Bereich der soziologischen Gewaltforschung. Anhand der entsprechenden Fachliteratur wird so nicht nur eine Art Einführung in einen Themenbereich der Soziologie der Gewalt gewährleistet, sondern das Profil systematisch fachlicher Problemstellungen geschärft.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2019/20