Sucht man nach einer Schrift, die Kants ‚Politische Philosophie‘ enthält, so wird man auf den ersten Blick wohl kaum fündig werden: Es gibt kein Werk, das die politische Philosophie ostentativ im Titel trägt. Ein genauerer Blick ergibt aber ein anderes Bild: Kants Werk weist reichhaltige politikphilosophische Inhalte auf, doch sind diese über das Oeuvre hinweg in verschiedenen Schriften enthalten. Sehr bekannt sind etwa Zum ewigen Frieden (1795) oder auch Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784).
Das lange verkannte, politikphilosophische ‚Hauptwerk‘ findet sich unter dem Rubrum ‚Rechtslehre‘ in der Metaphysik der Sitten. Erster Teil von 1797 (2. Auflage 1798). Dieses Seminar gibt eine Einführung auf der Basis v.a. dieser Schrift, die Schopenhauer in einem berühmten Ausspruch als „sonderbare Verflechtung einander herbeiziehender Irrtümer” abtat, die „aus Kants Altersschwäche” herrühren (Zitat in: Die Welt als Wille und Vorstellung, IV § 62) abtat. Wir werden zeigen, dass Schopenhauer mit seiner Einschätzung daneben lag und dabei ganz systematisch vorgehen. Das bedeutet, dass zunächst Kants Anliegen, sein apriorischer Ansatz, der vorgeschlagene Rechtsbegriff und die Struktur des Textes behandelt werden. Das Eigentum ist Kants Ausgangspunkt, von dem aus er den Übergang vom status naturalis in den status civilis, sozusagen die Begründung des Staates, fordert. Zunächst werden die privatrechtlichen, zwischenmenschlichen Rechtsverhältnisse ausgestaltet; danach widmet sich Kant dem öffentlichen Recht, d.h. Staats- und dem Völkerrecht als folgerichtigen institutionellen ‚Weiterungen‘. Das allgemeine Prinzip des Rechts (Einleitung in die Rechtslehre, § C, Satz 1) lautet nach Kant wie folgt: „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.” Wir werden im Seminar sehen, wie sich Kant zufolge aus dem formalen Rechtsbegriff als Grundstein ein ganzes politikphilosophisches Gebäude ergibt.
Das Seminar richtet sich an Interessierte auch ohne Vorkenntnisse der kantischen Philosophie; es wird aber die Bereitschaft erwartet, sich gründlich einzuarbeiten und für jede Sitzung eine Passage der Rechtslehre sowie einen Text aus der Sekundärliteratur vorzubereiten. Die Seminarsitzung dient dann primär der Rekonstruktion des Gelesenen „eng am Text” und der Diskussion der Inhalte im Lichte der Forschungs- oder Kommentarliteratur.
- Lehrende/r: Katja Stoppenbrink