In Medien und allgemeiner Öffentlichkeit erfreut sich Zivilgesellschaft als Terminus und Konzept seit einigen Jahren zunehmender Beachtung. Sowohl im politikwissenschaftlichen Diskurs als auch in der öffentlichen Debatte kommt den Akteuren der Zivilgesellschaft beachtliche Aufmerksamkeit zu Teil. Neben Staat und Wirtschaft wird Zivilgesellschaft als eigenständiger gesellschaftspolitischer Bereich betrachtet, dessen Akteure ein breites Spektrum sozialer und kultureller Aufgaben wahrnehmen, Interessen vertreten und als Lobbyisten aktiv sind sowie in nicht unerheblichem Umfang zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen. Damit geht zumeist eine positive Bewertung zivilgesellschaftlichen Engagements für die Entwicklung und Konsolidierung demokratischer Gemeinwesen einher. Insofern wird allgemein von einer engen Verbindung, ja wenn nicht sogar Symbiose von Zivilgesellschaft und Demokratie ausgegangen.
Allerding sind zivilgesellschaftliche Akteure auch in nicht-demokratischen, in hybriden und autoritären Systemen aktiv. Wie ist dies zu erklären? Und bedeutet dies, dass die organisierte Zivilgesellschaft - bzw. das breite Spektrum der in sozialen, kulturellen und lebensweltlichen Bereichen tätigen Organisationen, die NPOs und NGOs - mitnichten im Dienst der Verbreitung und Vertiefung von Demokratie tätig sind? Wie internationale Studien zeigen, boomt der NPO-Sektor in China, Russland sowie in den autoritären Systemen Südostasiens, Latein-Amerikas und z.T. auch Afrikas. In den letzten Jahren sind viele neue NPOs in diesen Ländern entstanden, die in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern tätig sind und z.T. Seite an Seite mit dem Staat vielfältige Aufgaben übernehmen.
Das Seminar verfolgt zwei Zielsetzungen: 1) Wird Zivilgesellschaft in autoritären, nicht-demokratischen und hybriden Settings näher betrachtet und die Rolle von NPOs in diesen Kontexten unter einer Governance-Perspektive näher betrachtet. 2) Wird hinterfragt, wie sich in solchen Regimen Demokratieförderung durch externe zivilgesellschaftliche Akteure – private und politische Stiftungen – gestaltet, ob und inwiefern die Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Organisationen behindert wird, und ob unter diesen Bedingungen eine Fortsetzung des Engagements vor Ort sinnvoll ist? Im Kontext des Seminars wird in einem ersten Schritt anhand theoretischer Beiträge der Zivilgesellschafts-, Transitions- und Autokratieforschung die Rolle von Zivilgesellschaft in nicht-demokratischen Systemen behandelt und anhand von China und Russland exemplifiziert. In einem zweiten Schritt werden die Arbeitspraxis und die Zielsetzungen des Engagements zivilgesellschaftlicher Akteure in nicht-demokratischen Settings näher in den Blick genommen. Ergänzt wird dieser Themenbereich mit einer Exkursion nach Berlin und den Besuch ausgewählter zivilgesellschaftlicher und international tätiger Akteure.
Als Studienleistungen sind vorgesehen die regelmäßigen Teilnahme an der Veranstaltung und die aktive Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe (maximal drei Studierende), die ein Fallbeispiel untersucht. Hierbei handelt es sich entweder um die Analyse der Zivilgesellschaft in einem nicht oder defekt demokratischen Land oder aber um die Untersuchung der Arbeit (Ziele, Programm, Probleme/Schwierigkeiten) einer privaten oder politischen Stiftung in einem nicht oder defekt demokratischen Land. Sowohl die Thematik des Referats als auch die der Arbeitsgruppenarbeit kann zu einer Hausarbeit (Prüfungsleistung) ausgearbeitet werden. Insofern ist die erfolgreiche Teilnahme am Seminar mit folgenden Anforderungen verbunden:
- regelmäßige und aktive Teilnahme an der Veranstaltung
- Referat im Seminar oder ausführliches Protokoll einer Sitzung
- Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe
- Ausarbeitung des Referats zur Hausarbeit bei Wahl der Thematik des Seminars als Modulabschlussprüfung.
Literaturempfehlungen:
- Carothers (2002). The End of the Transition Paradigm. Journal of Democracy, 13/1: 5-21.
- Cavatorta, F. (2013). Civil Society Activism under Authoritarian Rule. A Comparative Perspective. Oxford: Routledge.
- Lehrende/r: Katharina Obuch
- Lehrende/r: Roman Paul Turczynski
- Lehrende/r: Annette Zimmer