Was heißt es ‚entscheidungsfähig‘ zu sein? Unter welchen Bedingungen ist ein(e) Akteur(in) nicht entscheidungsfähig? Dürfen andere, die als entscheidungsfähig eingestuft werden, an Stelle der Nichtentscheidungsfähigen für diese bindende Entscheidungen treffen? – Die etwas schwerfällige Ausdrucksweise ‚Entscheidungsfähigkeit‘ ist hier dem Problem geschuldet, dass in der Philosophie verschiedene Teilbereiche (Medizinethik, Rechtsphilosophie, Philosophie der Kindheit u.a.) und auch außerhalb der Philosophie verschiedene Fachwissenschaften sich mit dem Problem des ‚Entscheidens für andere‘ befassen (müssen) und eigene terminologische Ansätze für strukturell analoge Problemlagen entwickelt haben. So bedürfen Ärzte der Einwilligung ihrer Patienten, bevor sie eine therapeutische oder andere Intervention vornehmen dürfen. Mit einer Patientenverfügung lässt sich die Einwilligung zeitlich vorwegnehmen oder an andere ‚delegieren‘. Sorgeberechtigte und -verpflichtete Eltern müssen für ihre Kinder Entscheidungen treffen. Vorsorgevollmachten ermöglichen die Abgabe rechtsgültiger Entscheidungen für andere Menschen, die selbst nicht (mehr) in der Lage sind, ihre rechtlichen Angelegenheiten zu regeln. Liegt keine wirksame Vorsorgevollmacht vor, kann in Deutschland das sog. Betreuungsgericht einen rechtlichen Betreuer oder eine rechtliche Betreuerin bestellen, der oder die dann stellvertretend rechtlich bindende Entscheidungen für die betreute Person treffen kann. Die UN-Behindertenrechtskonvention möchte das Paradigma dieser ‚stellvertretenden Entscheidungsfindung‘ (‚surrogate‘ oder ‚substitute decision-making‘) durch dasjenige der ‚geteilten Entscheidungsfindung‘ (‚shared decision-making‘) ablösen. Die Implikationen und Probleme dieser normativen Forderung stehen aktuell im Zentrum kontroverser Debatten in den betroffenen wissenschaftlichen Disziplinen und Praxisbereichen.
Das Seminar möchte in die Problematik des ‚Entscheidens für andere‘ einführen, handlungstheoretische Grundlagen und Strukturen solcher Entscheidungen herausarbeiten und sich ergebende ethische Probleme (z.B.: Paternalismus) aufzeigen. Wir werden Einblick in verschiedene Praxisbereiche nehmen und aktuelle Fragen z.B. zu Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten diskutieren. Wenn Sie sich auf gut zugängliche Art und Weise mit der Rechtslage in Deutschland vertraut machen möchten, bietet sich z.B. diese Webseite des Bundesjustizministeriums an: https://www.bmjv.de/DE/Themen/VorsorgeUndPatientenrechte/Betreuungsrecht/Betreuungsrecht_node.html (zuletzt abgerufen am 14.12.2018).
Einen philosophischen Überblick bietet z.B.: Jaworska, Agnieszka (2017): Eintrag “Advance Directives and Substitute Decision-Making”. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2017 Edition), hg. von Edward N. Zalta; https://plato.stanford.edu/archives/sum2017/entries/advance-directives/.
- Lehrende/r: Katja Stoppenbrink